4. Kapitel
In den folgenden Wochen beginne ich damit regelmäßig einige Dukaten für mich zurück zu legen. Hannah ist sehr großzügig mit dem, was sie mir an Kosten erlässt. Ich frage mich, wie ich das jemals wieder gut machen soll. Als ich einmal zum Markt komme, begrüßt sie mich mit einem überschwänglichen Lächeln. Ich weiss sofort, dass sie irgendeine gute Botschaft für mich hat und trete freudig an den Stand heran. „Salessa Liebes, stell dir vor, ich weiss wo du hingehen kannst!“ruft Hannah erfreut. Neugierig schaue ich sie an. „Stell dir vor, Du kannst nach Siebenwind gehen!“ ruft sie begeistert. Ich schaue sie völlig baff an. „Nach Siebenwind?“ stotter ich. „Was soll ich denn da?“ „Nun, du weisst doch, dass meine Verwandten dort wohnen und du könntest erst mal bei ihnen unterkommen. Ich habe ihnen schon einen Brief geschrieben und ich bin sicher, sie werden positiv darauf antworten.“ Erwartungsvoll sieht sie mich an. Ich weiss nicht, was ich sagen soll. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Was soll ich auf einer Insel? Da ist überall Wasser drum herum und ich komme nie wieder weg. Hannah bemerkt meine Nachdenklichkeit. „Was ist?“ fragt sie. „Hast Du Angst?“ Betrübt nicke ich mit dem Kopf. „Ja hab ich“, murmel ich. „Ich war noch nie auf einer Insel und ich kann mir nicht vorstellen, dass es dort besonders interessant ist. Da ist doch nur Land und Wasser....“ Hannah lacht leise auf. „Ich glaube, da hast du ein paar falsche Vorstellungen Salessa“, lacht sie. „Diese Insel ist sehr groß, es befinden sich sogar mehrere Städte darauf. Du wirst dich bestimmt nicht langweilen!“ „Und wovon soll ich leben?“ „Oh da wird sich schon was finden lassen. Meine Verwandten werden dir sicher was vermitteln können. Warte nur ab.“ Ich bin zwar noch nicht überzeugt, aber beschließe erst mal nichts mehr zu sagen. Vielleicht hat Hannah ja recht? Nachdenklich trotte ich heim. Den ganzen Tag denke ich nur noch über diese Insel nach, selbst das Geschrei meiner Tante kann mich nicht in meinen Gedanken stören. Irgendwie beginnt mir die Idee dort hin zu gehen langsam zu gefallen....
In den nächsten Wochen erzählt mir Hannah jedes mal, sobald ich auf den Markt komme etwas von Siebenwind. Die Insel beginnt mir von Tag zu Tag mehr zu gefallen. Ich fange fast an, mich zu freuen. Das erst mal, nach so langer Zeit, dass ich mich auf etwas freue. Es ist fast unglaublich.
Ich spare weiterhin jede Dukate, die ich in die Finger bekomme. Wie ich heraus finde, lassen meine Tante und mein Onkel oft Geld herum liegen und anscheinend zählen sie es nicht genau nach. So bediene ich mich auch hier ab und zu. Mit der Zeit kommt eine ansehliches Sümmchen Geld zusammen.
Nachdem ich ein Jahr lang fleissig Geld gesammelt habe, berichte ich Hannah von meinen Schätzen. Zu meiner großen Verwunderung scheint sie nicht sehr erfreut. „Mehr ist es noch nicht?“ fragt sie und schüttelt betrübt den Kopf. Ich erstarre vor Schreck. „Reicht das nicht?“ frage ich besorgt. „Oh nein, das reicht von vorne bis hinten nicht“, murmelt sie. „Allein die Fahrkarte ist so teuer und du brauchst noch Lebensmittel und etwas Kleidung und das eine oder andere.“ Ich senke betrübt den Kopf. „Also muss sich noch länger sparen?“ frage ich traurig. „Ja, das musst du wohl, tut mir leid.“ An diesen Tag gehe ich nicht sehr glücklich heim. Ich kann mir nicht vorstellen, noch länger hier zu leben. Ich will einfach nur noch weg. Weg von diesen ekeligen Menschen, weg aus diesem furchtbaren Haus, weg aus diesem Gefängnis. Wie soll ich es nur wohl möglich noch ein Jahr aushalten?
In der folgenden Zeit versucht Hannah mich immer wieder aufzumuntern. Der eine Tag in der Woche, wenn ich zu ihr auf den Markt komme, wird zum Höhepunkt der ganzen Woche für mich. Ich lebe nur noch für diesen Tag. Die anderen Tage vegetiere ich stumpf vor mich hin. Woche für Woche geht ins Land, ein Monat nach dem anderen vergeht und ehe ich mich versehen habe, ist wieder ein Jahr rum. Ich stelle fest, dass ich mittlerweile schon fast 24 Morsan alt bin. Ich werde immer unruhiger, denn ein Gefühl sagt mir, dass ich nicht noch länger warten kann.
Mit diesem unruhigen Gefühl komme ich eines morgens auf den Markt. Schon von weitem fällt mir Hannahs betrübter Blick auf. Schnell eile ich näher. „Hannah“, rufe ich besorgt „Was ist los, du schaust so traurig.“ „Ach Salessa“, seufzt sie. „Ein Unglück ist geschehen. Der Mann meiner Verwandten auf Siebenwind ist gestorben und nun hat sie beschlossen, aufs Festland zurück zu kehren.“ Ich stehe wie vom Donner gerührt da. Sämtliches Denken in meinem Kopf hört schlagartig auf. Ich stehe nur noch da, und starre Hannah an. „Was machen wir jetzt nur?“ seufzt sie. „Jetzt müssen wir einen anderen Ort für dich finden.“ Da setzen meine Gedanken wieder ein. „Nein Hannah“, höre ich mich selbst sagen. „Nein, ich gehe trotzdem da hin. Du hast mir so viel von dieser Insel erzählt, ich kann mir nicht mehr vorstellen woanders hinzureisen.“ Energisch schüttel ich mit dem Kopf. Hannah schaut mich traurig an. „Aber das Geld für die Fahrkarte, hast du das mittlerweile zusammen?“ Wieder schüttel ich mit dem Kopf. Auf Hannahs Anraten hin habe ich mir eine einfache Lederrüstung, einen Dolch und ein Kurzschwert zugelegt. Sie bewahrt diese Dinge für mich auf und wird sie mir geben, sobald ich gedenke abzureisen. Nur leider sind meine Finanzen jetzt wieder sehr beschränkt. Ich weiss nicht, wie ich die Dukaten für die Fahrkarte jemals zusammen bekommen soll. Plötzlich kommt mir eine Idee! „Hannah, ich habs“, rufe ich aus. „Ich fahre einfach als blinder Passagier!“ Hannah schaut mich ungläubig an. „Salessa, die Fahrt dauert mindestens sechs Wochen! Wie willst du dich die ganze Zeit versteckt halten?“ „Ich werde schon einen Weg finden“, erwiedere ich trotzig. „Bitte versteh doch, ich kann nicht noch länger hier bleiben!“ Mir kommen fast die Tränen vor Verzweiflung. Hannah schaut mich traurig an. „Ja meine Liebe, ich verstehe das so gut. Aber ich habe Angst um Dich, Angst, dass du entdeckt wirst und dass du auf Siebenwind alleine nicht klar kommst.“ Die gleichen Ängste verspüre ich auch, aber ich darf Hannah jetzt nichts davon zeigen. Und so spiele ich tapfer die starke Salessa und überrede Hannah schließlich, mir zum nächsten Markttag meine Sachen mitzubringen. Jetzt heißt es nur noch eine Woche warten, bis ich endlich abreisen kann!
Die nächsten Tage ziehen sich unendlich in die Länge. In bin nervös und hibbelig ohne Ende. Bei der Arbeit unterlaufen mir unzählige Fehler und mein Onkel hat somit jeden Tag einen Grund die Beherrschung zu verlieren. „Was ist bloß mit dir los?“ brüllt er mit seiner dröhnenden Stimme durchs Haus. „Hast du deinen Verstand jetzt komplett verloren? Deine Tante hatte damals doch recht, ich hätte dich lassen sollen, wo du warst! Du bist wirklich zu überhaupt nichts zu gebrauchen!“ Ich stehe wie immer völlig still und erstarrt vor ihm und denke nur an meinen Fantasiewald. Irgendwann hat mein Onkel sich müde gebrüllt und schickt mich in mein Zimmer. Ich lasse mich auf mein Bett fallen und rechne mühsam die Stunden nach, bis ich endlich wieder zum Markt gehen kann. Noch zwei Tage, dann ist es vorbei.....hoffentlich!
Irgendwie gehen auch die letzten zwei Tage vorbei. Endlich, endlich kann ich wieder zum Markt gehen! Ich bin so aufgeregt, dass meine Tante mir misstrauisch nachschaut, als ich das Haus verlasse. Auf dem Markt angekommen, stürze ich sogleich zu Hannahs Stand. „Und, hast du all meine Sachen dabei?“ frage ich aufgeregt. Hannah schaut mich mit einen etwas seltsamen Blick an. „Sag mal Salessa“, meint sie dann „hast du deine Flucht eigentlich irgendwie geplant? Ich meine, weißt du überhaupt, ob diese Tage ein Schiff nach Siebenwind ablegt?“ Ich schaue sie verdattert an. „Ja legen da denn nicht ständig Schiffe ab?“ frage ich verwirrt. „Aber nein, die fahren nur alle paar Monde einmal!“ Ich bin entsetzt. Daran habe ich gar nicht gedacht. Wie soll ich jetzt in Erfahrung bringen, wann ein Schiff ablegt? Und vor allem, muss ich jetzt wohl möglich noch mehrere Monde warten, bis ich endlich abreisen kann? Hannah scheint mein Entsetzen zu bemerken, denn sie lächelt mich aufmunternd an. „Nun schau nicht so entsetzt, ich habe mich schlau gemacht. Schon in sieben Tagen fährt ein Schiff nach Siebenwind. Solange wirst du doch noch warten können, oder?“ Ich bin völlig verzweifelt. „Sieben Tage halte ich nicht mehr aus“, schluchze ich mutlos. „Doch“, sagt Hannah liebevoll „die hältst du noch aus. Du hast so lange durchgehalten, jetzt kommt es auf die paar Tage auch nicht mehr an.“ Tröstend nimmt sie mich in den Arm. „Na gut“, seufze ich schließlich. „Ich werde auch noch diese sieben Tage schaffen. Aber dann werde ich abhauen, komme was da wolle!“ „Das kannst du auch. Wir sollten nur vorher einen Zeitpunkt und einen Ort verabreden, an dem ich dich dann treffen kann, um dir deine Sachen zu bringen.“ Als auch dieser Punkt geklärt ist, trotte ich traurig und frustriert nach hause. Ich hatte mich so darauf gefreut, heute endlich diesem acht Jahre dauernden Horror zu entkommen und nun sowas! Wieso bin ich nicht mal in der Lage meine Flucht selbst zu planen? Und wie soll ich in Zukunft ohne Menschen wie Hannah auskommen? In Gedanken schimpfe ich mehr mit mir, als mein Onkel es jemals hinbekommen hat.
Am Haus angekommen, merke ich sofort, dass etwas nicht stimmt. Draußen stehen Pferde vor der Tür, die eindeutig irgendwelchen Wachsoldaten gehören. Leise betrete ich das Haus. Aus dem Wohnzimmer sind Männerstimmen zu hören, eine davon gehört meinem Onkel. Ich kann nicht verstehen, was sie sagen. Schnell gehe ich in die Küche. Die Köchin Marelda steht am Herd und macht einen deutlich nervösen Eindruck auf mich. „Marelda“, frage ich vorsichtig „was ist denn los?“ Marelda schluchzt leise auf und schüttelt nur mit dem Kopf. Doch ich lasse nicht locker. „Nun sag schon, was ist denn?“ drängel ich sie voller Angst vor dem, was ich vielleicht hören werde. Marelda ringt kurz mit sich selbst, dann wendet sie sich um und schaut mich direkt an. „Benk, der Stallknecht“, schluchzt sie wieder „er ist....er ist....er ist tot.“ Tränen schießen ihr aus den Augen und rinnen über ihre Wangen. „Dein Onkel hat ihn totgeschlagen!“ Völlig regungslos vor Schrecken starre ich sie an. Das kann doch nicht sein! Mein Onkel ist zwar gewalttätig, aber er würde doch nicht jemanden töten? Oder doch? „Wie...wie konnte das passieren?“ stammel ich. „Oh angeblich hat Benk irgendetwas falsch gemacht und dein Onkel hatte das Recht ihn zu schlagen. So sagt er jedenfalls. Leider hat er Benk so unglücklich getroffen, dass dieser stürzte und auf die Tischkante aufschlug. Dabei hat er sich das Genick gebrochen.“ Langsam redet Marelda sich in Rage. „Aber ich bin sicher, dein Onkel wird sich auch dieses mal herausreden! Er hat ja so gute Kontakte zu den Wachen und zum Regiment, er wird wie immer mit heiler Haut da raus kommen. Oh wie ich diese Familie hasse!“ faucht sie und stürmt aus der Küche. Ich bleibe völlig benommen an Ort und Stelle stehen. Das kann doch alles nicht wahr sein! Wie soll ich es hier noch sieben Tage aushalten? Wer weiß, was noch passiert? Vielleicht bin ich die nächste, die erschlagen wird? Panik erfasst mich und ich beginne von Kopf bis Fuß zu zittern. Ich muss hier weg und zwar sofort! Völlig kopflos stürze ich in meine Kammer und hole all mein erspartes Geld aus meinem Versteck. Schnell stopfe ich es in den kleinen Beutel, welcher an meinem Gürtel baumelt. Dann stürme ich die Treppe runter, vorbei am Wohnzimmer, wo mein Onkel mittlerweile mit den Wachen laut Lacht und reiße die Haustür auf. Blindlings, ohne nach rechts oder links zu schauen renne ich vom Hof und die Straße herunter, Richtung Stadt. Benommenheit erfasst mich, wie damals, als meine Eltern starben. Ich denke nicht und fühle nicht, ich renne und renne nur, bis ich völlig außer Atem bin. Erschöpft und nach Luft schnappend bleibe ich an einer Hausecke stehen und versuche mich zu orientieren. Wo bin ich hier überhaupt? Ich schaue umher. Irgendwie kommt mir diese Ecke der Stadt bekannt vor. Ich meine mich schwach zu erinnern, dass ich schon mal hier gewesen bin, damals, als ich so konfus durch die Stadt lief. Wenn ich mich recht entsinne gab es da ein altes, verfallenes Haus, welches unbewohnt war. Ich mache mich auf den Weg und schon nach kurzer Zeit habe ich es gefunden. Seltsam, dass es nach acht Jahren immer noch nicht abgerissen wurde. Aber das ist mir jetzt egal. Ich quetsche mich durch die schief in den Angeln hängende Tür hinein und lasse mich völlig erschöpft auf ein völlig verrostetes Bettgestell fallen. Hier werde ich bleiben, bis ich endlich mit einem Schiff dieses Land verlassen kann.
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