Titelwahl: Nian
Text: AwaEine heiße Nacht
Die Angeln der aus Holzbrettern zusammengefügten Tür quietschten leise in der Stille der unterirdische Etage. Die kühle Luft im Keller hinterließ auf Awas Gesicht das unangenehme Gefühl von Feuchtigkeit und Moder, obwohl ein umschweifender Blick nur die Erkenntnis einbrachte, dass es hier leer, düster und sauber war. Vier Kerzen, mit großzügigen Abständen zueinander, zierten die hölzernen und teils steinernen Wände, welche die einzelnen Zimmer vom Zwischenraum trennten. Ihre kleinen Flamme tanzten behäbig umher und warfen unstetige Schatten auf den Boden. Doch lieber etwas Licht als gar keines, dachte Awa bei sich. Sich leise umwendend drückte sie den eisernen Schlüssel in das Schlüsselloch und drehte ihn um, bis sie hörte, dass der Riegel umsprang. Sie arbeitete zwar nicht in der Bernsteinschenke, hatte jedoch die Schlüssel erhalten, um die Eingangstür und die Tür zu den Privaträumen verschließen zu können. Die letzten Gäste hatte sie hinaus gelassen, zwei Damen, die ihr sogar Trinkgeld gaben... wofür auch immer. Sie wäre eh die ganze Nacht in der Schenke geblieben, auch wenn die neu eingestellte Arbeitskraft schon längst nach Hause gegangen war, um die letzten Gäste rauszulassen, sobald sie gehen wollten.
Awa hätte nicht weggehen können. Hätte nicht weggehen wollen. Sie hatte es versprochen.
Ebenso leise wie sie bemüht war die erste Tür zu schließen, öffnete sie nun eine zweite. Die Klinke lag kalt in ihren Fingern und um so intensiver überrollte sie die warme und stickige Luft, die ihr aus dem kleinen Raum entgegenströmte und zu übermannen drohte. So ließ sie die Tür hinter sich so lange offen stehen, bis sie ihren Umhang auf das Bett gelegt und ihre schweren Taschen abgestellt hatte. Frische Luft drängte sich derweilen allmählich in die Kammer, konnte aber ihren eigentümlichen Geruch nicht vertreiben. Nicht nur der in der rechten Ecke stehende Ofen verbreitete den Duft von frisch verbranntem Holz, sondern auch die beiden daneben stehenden Farbbottiche gaben der Luft dieses Schlafraumes ihre besondere Note, die Awa nur allzu vertraut vorkam. Sie erinnerte sich gerne daran, wie es in der Schneiderei ihrer Eltern roch, wenn die Kleidungsstücke gefärbt wurden.
Nun war sie aber weit fort von Rowa und die Bottiche waren weder ihre noch die ihrer Familie. Sie gehörten anscheinend, davon ging sie aus, der Angestellten, die überall auf Siebenwind gesucht wurde. Der Frau, wegen der selbst Awa drei lange Tage unter schwerer Angst litt. Sie konnte diese Angst, die sich in sie geschlichen hatte, vor niemanden äußern und sie würde sie auch keinem erklären können... Es wäre aber falsch „ihr“ die Schuld zu geben, mahnte sich Awa, als sie sich im Halbdunkeln herumdrehte und auf das zweite Bett blickte, welches sich in die einzige Nische des Raumes eingefügt hatte. Schatten huschten im unruhigen Takt der tänzelnden Feuerzungen des Ofens über die ausgebeulte Bettdecke, das Kissen... das Gesicht.
Endlich war er eingeschlafen.
Sie hatte darauf bestanden, dass er hier schlief. Warum? Jemand musste sich doch um ihn kümmern...Selbst jetzt kam sie sich noch hilflos vor. Sie hatte ihn nicht abhalten können, ins Ödland zu gehen... nach der Vermissten zu suchen... sie hatte ihm nur sagen können, dass sie es für eine schlechte Idee hielt, dass es doch so gefährlich sei. Schon zum zweiten Mal in ihrem Leben hatte sie einen Mann nicht davon abhalten können, sich in (sinnlose?) Gefahr zu begeben.
Nur dass Archibald zurückgekommen war, wenn auch verletzt und angeschlagen.
Er fieberte noch immer, dafür musste Awa nicht nahe bei ihm stehen. Sein Atem ging schwer, seine Stirn war mit glitzernden Schweißperlen bedeckt, die bereits seine Schläfen herabliefen und sein blondes Haar tränkten.