Stille – eine für sie schon gewohnte Stille. Ihr trüber Blick glitt von Baum zu Baum, von Ast zu Ast. Vögel wurden mit einem sachten Lächeln begrüßt. Dann schlossen sich die Augen und leise summend lauschte sie auf die Geräusche der Natur. Die einst weichen, goldenen leicht gelockten Haare fielen ihr nun klebrig, strähnig und verfilzt an den Schultern herab. Feingliedrige kleine Finger nestelten gedankenverloren an ihrem mittlerweile dreckigen roten Kilt herum.
Früher so hübsch mit kindlicher Neugierde die ihre feinen Gesichtszüge schon Puppen ähnlich niedlich machte, war heute mit Dreck belegt. Ungewaschen, ihre spärliche Kleidung teils zerrissen, bot sie eigentlich ein Bild des Elends dar, wie nur die Kinder im Armenviertel waren und schon gar nicht die Kinder der Nortraven oder die Kinder der Khalandrier. Jedoch, sie interessierte es nicht mehr, war sie doch auf einer Suche und jede Minute die sie damit verbrachte über ihr Aussehen nachzudenken, waren vertan Minuten die sie doch so dringend brauchte –sie- zu finden.
Lange lebte sie schon auf dieser Insel, für sie war es zumindest schon lange, immerhin über ein ganzes Jahr und was sie in diesem Jahr schon alles erlebt hatte. An vieles konnte sie sich nicht mehr erinnern, aber das was sie erlebt hatte, hatte die zu klein geratene 14 Jährige Khalandrierin geprägt. Viel Gewalt hatte sie gesehen und auch teilweise schon ausgeübt, viel fließendes Blut hatte sie gesehen, viel Leid im Viertel und viele Kämpfe die nicht mit Waffen ausgetragen worden waren, hatte sie schon ausgefochten. In all den Monaten war ihr Lachen, dass einst so hell und klar durch die Wälder scholl, leise geworden, zurückhaltender. Auch ihre Stimme war leiser geworden, als hätte sie nun Angst all das Schöne der Natur mit ihr zu zerstören.
Meistens saß sie still an einem Baum gelehnt, mit geschlossenen Augen der Natur lauschend, doch seit einigen Wochen saß sie nur noch selten, ebenso selten schlief sie und essen vergaß sie wieder regelmäßig, immerhin suchte sie ja. Anfangs fragte sie nicht, sie suchte, doch mittlerweile traute sie sich ihren Mund zu öffnen und begann zu fragen „sag mal hast du was von lilium gehört, weist du wo sie ist?“ Das war ihre dauernde Frage, an jeden der ihr über den Weg lief, auch wenn sie teilweise, mit vor Müdigkeit verschwommenen Blick, einen Baum mit einem Menschen verwechselte und sich nicht scheute auch den Baum zu fragen, oder das Tier.
Lilium hatte ihr versprochen sie zu schützen, auf sie aufzupassen und nicht wegzugehen und jetzt? Lilium war weg und Alassea wusste nicht warum, sie hatte ja geschlafen als die anderen zum Appellplatz gegangen waren, sie hatte ja nicht mitbekommen, dass Lilium im Kerker saß. In ihrem langsam wirr werdenden Geist, malte sie sich die schlimmsten Dinge um Lilium aus. Sie schwankte immer mehr zwischen, kindlichem Eifer und animalischer Vorsicht. Eben noch war sie fröhlich, schämte sich keinen Deut um ihr Aussehen, plapperte fröhlich mit anderen Städtern in ihrem Alter, im nächsten Augenblick rannte sie fast panisch davon, versteckte sich hinter ihr vertrauten Personen und wich näherkommenden Leuten ängstlich aus. Ein anderes Mal stand sie vor den Händlern und bettelte um ein Stückchen Honigwabe, dann wieder lief sie lieber weg anstatt sich um Essen zu kümmern.
Mühsam richtete sie sich nun auf und dachte wie immer nach. Dabei dachte sie an das Dorf und an Chartaris. Das Dorf hatte sie schon vor längerem verlassen, aber Chartaris wohnte weiterhin in ihrem Herzen. Dann dachte sie an den neuen Stamm der Khalandrier, wo sie gar nicht leben konnte, wo sie das Gefühl hatte nicht mehr frei zu sein. Im Dorf hatte sie im Grunde tun und lassen können, was sie wollte, solange sie mitarbeitete. Sie hatte alles bekommen, wenn sie nur danach fragte. Im Stamm war es anders, sie hatte da auch Dinge bekommen, aber sie verstand teils die Art, von ihrer Mutter ihr gegeben, der Kommunikation ihres eigenen Volkes nicht. Auch war es ihr fremd geworden, etwas nicht ihr Eigentum nennen zu können. Immer verschlossener war sie dort geworden, besonders als sie erfuhr, dass sie nicht mehr wie gewohnt bei Things ihre Meinung kund tun durfte, weil sie nicht als Erwachsen galt, und sie sah sich auch nicht als Erwachsen. Ein wenig wehmütig dachte sie kurz daran, dass sie nie in ihrem Volk als erwachsen gelten würde, da sie nie dieses Ritual bekommen würde.
Schnell schob sie den Gedanken beiseite und dachte an Lilium, die Waldwächterin. Ja das passte, Lilium die Waldwächterin, die Sprecherin des Waldes. Bei ihr war sie frei, durfte sagen was sie dachte und wurde ernst genommen. Doch das Lachen kehrte nicht zurück.
Irgendwann stolperte sie und fühlte sich zu schlaff weiter zu gehen, so blieb sie auf der kleinen Lichtung liegen und schlief erstmal einen Moment lang. Träumte von Chartaris und Lilium, ihrer kleinen Familie.
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Charaktere : Alassea Teilaktiv (15 Morsan alt - klein, zickig, sturköpfig, großmäulig, sanft, hilfsbereit, treu, loyal - blind)
Beleidigungen sind die Argumente Jener, die über keinerlei Argumente verfügen!
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