Anfang Duler
~Nachtschatten~
Awa hatte Archibald mittlerweile eine Woche nicht gesehen. Den ersten Tag hatte sie es wenig beunruhigt, die folgenden Tage hatte sie nachgefragt, ob er vielleicht bei den Zwergen in Kesselklamm war, die Botengänge des Adeptus erledigten.
Nein, dort sei er nicht gewesen. Aber sie solle sich keine Sorgen machen.
Dabei wusste sie, dass er manchmal auf die Jagd ging, um bei einem Trophäenhändler Dukaten zu erlangen. Sie hatte oft genug seine Wunden gesehen, die er zu verstecken versuchte. Vielleicht weil er dachte, dass er für Awa aussorgen müsse. Es war ihr nicht gelungen, ihm diesen Gedanken aus dem Kopf zu treiben. Vielleicht lag es daran, dass das Gerede zwischen Männern einprägender war, als der kluge Spruch einer Frau.
Awa hatte sich Sorgen gemacht. Wenn ihm nun doch was zugestoßen war? Wenn er verletzt war? Aber wenn keiner außer ihr beunruhigt war... sie glaubte auch nicht, dass jemand aus der Gilde nach ihm gesucht hätte.
In der gleichen Woche war in die Bernsteinschenke eingebrochen worden. Sie fand (war es wohl der 5. Duler?) die Küche der Schenke am Nordtor völlig verwüstet vor. Ein unerwarteter Schrecken, der in den folgenden Tagen schlimmere nach sich ziehen sollte. Jemand hatte sich unerlaubten Eintritt verschafft, allein im Sinne, Unordnung und Unheil zu bringen. Denn, wie der Koch Fardo Rosmarin festgestellt hatte, wurde rein gar nichts gestohlen.
Dass Awa, die im Keller der Schenke schlief, sich nicht mehr so sicher fühlen konnte, wie die Wochen zuvor, hätte nicht verwunderlich sein müssen. Da sie nicht wusste, wo sie sonst hingehen sollte, und Archie strickt dagegen war, dass sie im öffentlichen Schlafsaal nächtigte, blieb sie in der Schenke.
Und schon am darauffolgenden Endtag war sie im Keller durch Geräusche aufgescheucht worden.
Sie hatte gerade ihren Umhang über das vordere der drei Einzelbetten gelegt, die neben einem Ofen den Angestelltenraum ausfüllten, da war ihr Blick in die Nische gewandert, in der Archies Bett lag... dieses schmale Gestell, auf das sie sich so manche Nacht zu zweit niedergelegt hatten. Es war diese eine Sekunde der Hoffnung gewesen, dass er vielleicht an diesem Tag zurückgekommen sei und bereits schlief. Dass er vielleicht aufwachen würde und verschlafen die Decke hochschlägt, damit sie zu ihm käme.
Das Bett war leer. Oder... beinahe.
Ein Tuch lag dort, gefaltet, leicht ausgebeult. Zumindest das bedeutete, dass irgendjemand außer ihr hier unten gewesen war. Der Einbrecher? Archie? Eliath? Fardo?
Im matten, flatternden Licht, das durch den Spalt im Ofen in den engen Raum strömte, durchquerte sie die Kammer und schlug zögerlich die Stoffecken fort.
Ein Knistern. Ein Rascheln.
Sie kniff ihre bernsteinfarbenen Augen etwas zusammen. Was... was war das? Getrocknete Pflanzen? Ein intensiver Geruch stieg ihr in die Nase, aber sie konnte ihn nicht einordnen... warum sollten auch...
Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen.
Nachtschatten. Hier lag Nachtschatten in der Schlafkammer! Jenes vermaledeite ...Zeug... Sie hob das Bündel auf.
Die Tür, die Keller und Erdgeschoss voneinander abschottete, wurde geöffnet und auch wieder ins Schloss zurückgedrückt.
Schritte.
Langsam.
Schlendernd.
Schwer.
Die Klinke zur Schlafkammer wurde herabgedrückt.