Es kratzte leise und er spürte den sachten, üblichen Gegendruck der Feder gegen seine Hand als er sie über das Pergament zog, so mit schwarzer Tinte aus dem neben dem Zettel bereitstehenden Fässchen einen Schlussstrich zog. Oberflächlich betrachtete er das Werk und nahm etwas Sand aus einer Tasche seiner ausgeleierten, dunkel gefärbten Robe. In einer der Taschen hatte er immer irgendwo Streusand versteckt, und mit der Zeit hatten sich die widerspenstigen Körnchen auch die anderen Taschen, von denen es gar nicht mal so wenige gab, erobert. Mit Schwung streute er die halbe Hand voll sandiger Körnchen (und auch vereinzelten uralten Brotkrumen) über das noch feucht glitzernde, weil erst vor kurzem verfasste, Schrifstück. Nach einer kurzen Pause beugte er sich voran, pustete routiniert etwa waagrecht über das Blatt hinweg und befreite es so auch schon wieder von dem Sand, der inzwischen seine Schuldigkeit getan und die überschüssige Tinte aufgesaugt hatte. Das Pergament schließlich legte er auf einen Stapel rechts neben sich auf dem Tisch - wo im schummrigen Schein der beinahe gänzlich herabgebrannten Talgkerze schon fast zwei Dutzend Schriften gestapelt waren. Auf der linken Seite des Tisches jedoch war der Stapel noch leerer Blätter fast dreimal höher und jedes von ihnen schien ihn anzuflehen, beschrieben zu werden. Mit theologischen Thesen, hauptsächlich, aber vielleicht würde er auch die Muße finden seine "Vermessung Siebenwinds" für eine Landkarte zu verwenden. Und Illustrationen für "Die relative Menstheorie" konnte man eigentlich auch nie genug haben. Wer verstand dieses Thematik denn schon, außer ihm? Einen kurzen Gedanken später fügte er mental schuldbewusst an, dass er das Buch ja auch so gut wie niemandem je gezeigt hatte. Dazu würde er vielleicht noch kommen. Etwas träge griff er nach der glattpolierten Rasierklinge mit der er die Bahnen zurecht- und auch glattschnitt. Irgendetwas brachte ihn dazu zu verharren, den Griff drehte er etwas um die spiegelnde, metallene Oberfläche einer genaueren Inspektion zu unterziehen. Alles glatt und so gut wie rostfrei, befand er nach kurzer Zeit - Aber. Im glatt und kunstvoll geschmiedeten Metall spiegelten sich seine Gesichtszüge wieder. Das Haar hatte er schon lange nicht mehr schneiden lassen, sodass er irgendwann begonnen hatte es zu einem Zopf zu binden damit es ihn beim Schreiben nicht behindern würde. Das angenehme Nussbraun war etwas dunkler geworden. War das Filz? Ein kleiner weißer Punkt huscht ebenso über den schmalen Grat einer aus dem Zopf heraushängenden Strähne und verschwand sogleich wieder im Haupthaar. Beiläufig kratzte er sich an der Stelle wo das Tierchen sich wieder in die angenehme, leicht fettige Wärme und den Schutz der Haare zurückgezogen hatte. Den Bader hatte er aber doch erst vor Kurzem gesehen. Gleich, nachdem er vom zurückliegenden Kurs wieder auf die Insel gekommen war. Halt, nein, doch, sogar noch auf dem Schiff. Oder? Aber - das war doch jetzt schon eher Monde denn Wochen her. Die Lippe wurde beinahe unwillkürlich nachdenklich geschürzt, die Oberlippe kurz zwischen die (korngelben) Schneidezähne geklemmt. Meine Güte. Er drehte die Klinge etwas nach unten und sah sich erst in der Spiegelung an, dann sah er an sich herab. Die speckige Robe ließ ihn immerhin gut ernährt und körperlich etwas stattlicher erscheinen. So hatte er sich die besorgten Fragen seiner Brüder und Schwestern nicht mehr anhören müssen und sie ließen ihn auch endlich in Ruhe. Nur er und seine Bücher und der gelegentliche Tee bei etwas leichterer Lektüre, Artefakttheorien, zum Beispiel. Aber das war nun wirklich Kinderkram. Interessant war es schon, was ihm so zugetragen worden war. Novizen waren, so kritzelte er auch sogleich eilfertig auf den Rand eines der Pergamente, doch zu etwas nützlich: Nachrichten zu verschicken und Neuigkeiten einzuholen. So musste er wenigstens nicht mehr seinen Keller verlassen und konnte ungestört und an einem Stück denken. Mit zwei Fingern fischte er in einem ungeordneten Stapel zerknitterter Pergamente unter dem Tisch zielstrebig nach einer etwas längeren Bahn und breitete diese auf seinem Schoß aus. Eine Landkarte mit den neuen Bezirksgrenzen eingezeichnet. War das nicht interessant? Sie hatten sogar daran gedacht, den Bereich der Elfen auch auf diese Stelle - er wischte mit dem rechten Zeigefinger über eine Stelle Richtung Südfall - auszuweiten. Von langer Hand geplant, also - aber was interessierte ihn das. Solange sie ihn nur das Ordenshaus unberührt ließen und er weiterhin täglich sein Mahl, zwei Scheiben Graubrot und ein Apfel, manchmal auch etwas Tee dazu um die Wärme in die vom vielen Schreiben kalten und klammen Finger zurückzubringen, so war er zufrieden. War er das? In diesem Moment erlöschte die Flamme der Talgkerze.
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"Nenne mir, Muse, den Mann, den Vielgewanderten..." Ἄνδρα μοι ἔννεπε, Μοῦσα, πολύτροπον
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