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Schritte. Das dumpfe, wiederkehrende Geräusch als jemand in dünnen Stoffstiefeln die hölzerne Treppe zum Schrein hinauftritt.
Die Xandienerin neigte ihren Kopf tief vor dem leeren Altar. Die geheiligten Reliquien waren fort - für Unwissende erinnerte nichts mehr außer einem bloßen, unbestimmten Gefühl daran, dass sie auf geweihter Erde standen. Doch die Xandienerin wusste es und sie wusste auch, wofür sie hierher gekommen war. Leichte Schritte führten sie zu einer der Sitzbänke am Rande des Schreins, von denen aus man die Hauptstraße Falkensees, die Pulsader der ehemals unbestrittenen Hauptstadt, mühelos überblicken konnte. Dann wieder:
Stille.Und langsam setzte wieder, wie am Tage zuvor, Regen ein. Erst war es nur vereinzelt und hätte genau so gut auch Zufall gewesen sein können. Die hellen Klänge der auf das Glas des Schreindaches fallenden Nieseltröpfchen wurden nach und nach.. regelmäßiger. Und dumpfer. Dunkler. Bald waren es ausgewachsene, schwere Regentropfen die im Wimpernschlagtakt auf das Dach herabprasselten. Dunkle Wolken zogen von der Bucht von Falkensee fort und sammelten sich über der Stadt selbst. Knäulten sich über dem Ordenshaus der Ecclesia Elementorum zusammen um sich dann wie ein Teppich, wie ein Leichentuch über die gesamte Stadt auszubreiten. Die Wolken waren hoch wie ganze Häuser und nahmen immer mehr eine schwärzlich-dunkelblaue Farbe an. Schluchten bildeten sich in dem bedrohlichen Naturphänomen und auch das letzte Stück freien Himmels wurde geschlossen, sodass Felas' wärmende und helle Strahlen nicht mehr hindurchgelangen konnten. Eine lähmende Kälte durch den kalten Regenguss und durch das Fehlen von Felas' Liebkosung machte sich ebenso breit wie eine einschüchternde Dunkelheit..
Durchrissen wurde sie von einem Blitz der herabzüngelte und mitten in das Zentrum der Stadt einschlug - knapp verfehlte er das Rathaus und verwandelte eine der eingetopften Pinien in ein trostloses, glimmendes, schwarzes Etwas. Dünne Rauchfähnchen stiegen auf, wurden aber schon bald wieder vom aufkommenden Wind hinfortgerissen und verteilt. Und als wäre dies ein stilles Kommando gewesen wurde der Regen unnatürlich stark. Ein wahrer Zorn Xans', so ging es der Dienerin die dies aus dem Schrein heraus betrachtete, ging auf die Stadt nieder. Schnell schon bildete der unerbittliche und unnachgiebige Regen einen Schleier der alles einhüllte und einjeden orientierungslos zurückließ. Von den Dächern kamen Sturzbächen gleich die stürzenden Regenmassen herab und bald schon stand das Wasser auf dem Pflaster. Die Kanalisation schien schnell gefüllt worden zu sein, denn aus den Abflussgittern kam die hochgespülte Brühe hervor und vermischte sich mit dem reinigenden Regenwasser.
Die stille Betrachtung der Szenerie endete abrupt als die Dienerin Xans erneut Schritte vernahm. Jemand kämpfte sich durch den Regen voran, die Treppe hinauf.. Durch den Schleier aus Wassertröpfchen hindurch wurde eine gebeugt und gebückt stapfende Gestalt sichtbar die im nächsten Moment schon unter dem Vordach des Schreines Schutz gefunden hatte. Dort stand Brand, die Arme schützend um eine gräuliche Harfe geschlossen. Die Robe war gänzlich durchnässt, die Federn hingen samt der zahllosen, kleinen Fähnchen traurig herab und tropften, sodass sich bald ein feuchter Fleck auf dem noch halbwegs trockenen Holzboden des Schreines unter ihm sammelte. Mit einer Hand wischte er das Regenwasser oberflächlich von der Harfe.
"Wind und Wetter, Saphira."
Das waren die einzigen Worte, dann nahm er neben ihr auf der Bank Platz und machte sich daran die Harfe mit dem himmelblauen Stoff seiner Robe halbwegs trocken zu reiben, dabei so behutsam vorgehend als würde er über das Antlitz eines kleinen Kindes - oder einer Geliebten - streichen. Und so verharrten die Beiden gemeinsam, in stiller Eintracht, nebeneinander. Dann wieder:
Stille.Nun wieder eine Gestalt. Natalya, gewandet in ihre blaue Robe. Stumm nahm auch sie auf einer Bank Platz. Eine Erklärung später - Betroffenheit. Nachdenklichkeit.
Alles wofür sie in dieser Stadt gekämpft hatte war verloren. Zwei Gestalten. Nebil, im Schlepptau einer anderen Gestalt. Vencurius. Der Alte im blauen Gewand schlug die Kapuze zurück. Eine Zurechtweisung später - Überraschung. Erleichterung. Die Harfe legt Brand behutsam auf dem Boden vor sich ab. Nun, da er ihr Geheimnis kannte erschein sie ihm fast bedrohlich. Unwohl war ihm allemal. Soviel Macht, die er in seiner jugendlichen Unbedarftheit am gestrigen Tage gelenkt hatte. Aber - es war ja alles gut gegangen. Nun: Geschrei. Die einträchtige Stille wurde durchrissen von dem Geräusch eines berstenden Stoßes gegen die eiserne Tür des Ordenshaus, magischer Natur. Hohler Widerhall, laute weibliche Stimmen. Solos und Laylira. Aber das zählte jetzt nicht.
Der Alte Mann trat zum Altar hin. Flink folgte ihm Brand, das Haupt demütig gesenkt und in der ganzen Haltung eine fast schon hündische Unterwerfung und Bewunderung ausdrückend. War es Zeit? War es der Wille der Herren? Ja. Opfergaben mussten her, Gegenstände würden für den folgenden Ritus benötigt:
"Natalya, hol' die Schüssel aus dem Ordenshaus."
Die Xandienerin war mit zwei eiligen Schritten an den Rand des Schreingewässers getreten.. hatte sich herabgebeugt.. und den Stengel einer Seerose mit sanfter Gewalt durchtrennt. Mit der Blume der Xan in den Händen trat sie wieder an den Altar.
Brand griff sich den alten Stock, der noch auf dem leeren Altar lag. Die restlichen Opfergaben von der letzten Messe waren fort. Gestohlen? Wahrscheinlich. Falkensee verdiente es nicht anders, wenn selbst Opfergaben der Götter gestohlen wurden. Nur der scheinbar wertlose alte Stock war noch übrig und wurde nun mit der Spitze in die Nähe des Beckens mit flüssigen Flammen gehalten. Das alte Wurzelholz fing knisternd Feuer, eine kleine Flamme nur war es, aber so würde es auch eine ganze Weile dauern bis es gänzlich heruntergebrännt wäre.
Natalya kehrte mit der Schale in beiden Händen zurück, füllte sie mit dem Wasser des Schreins.. und trat in die Reihe vor dem Altar. Natalya, Brand, Saphira.
Und Vencurius legte einen Stein mittig zentriert auf den Altar. Ein grünlicher, irisiender Schimmer ging von ihm aus und doch erglomm er gleichzeitig - oder war es abwechselnd? Die Augen schienen zu trügen. - in den Farben der vier formenden Elemente. Blau für Wasser, Himmelblau für Wind, Glutrot für Feuer und ein sattes Grün für Erde.
"Legt die Opfergaben auf den Stein." Und so geschah es.
Eine Anrufung kam aus dem Munde des ehrwürdigen Diener des Ventus. Alte Mächte wurde angerufen, an alte Schwüre erinnert. Die Erinnerung an alte Zeiten und vergangene Geschehnisse wurde heraufbeschworen.
Untermalt wurde dies alles von dem beständigen Prasseln des Regens auf dem gläsernen Dach und durch das Gurgeln und Plätschern der vielen kleinen Bäche vom schiefen Dach herab, die sich auf dem Straßenpflaster mit dem schon knöchelhoch stehenden Wasserspiegel vereinten. Doch - irgendetwas schien sich hineinzumischen. Geflüstert' Worte uralter Sprachen, gemurmelte Schwüre, aus dem Wasser selbst erklingend. Oder war es der Wind?
Die Litanei des Vencurius wurde unterbrochen von einem gleißenden Blitz der direkt über dem Ordenshaus der Ecclesia Elementorum entlang züngelte.
Der Donner ließ nicht lange auf sich warten und vermischte sich bald mit dem Paukenschlägen gleichenden Donnergrollen der übrigen Blitze die wie wütende Furien vom Himmel herab auf Falkensee zuckten und knapp immer, als wäre dies beabsichtigt, die aufragenden Giebel der Häuser verfehlten. Eines ums andere Mal wurde die Kulisse, die Szenerie von einem gespenstischen Leuchten erhellt, das lediglich einen Wimpernschlag lang anhielt.. Aber:
Die Anrufung musste weitergehen.Und schließlich: Die entscheidenden Worte wurden von dem alten Mann hervorgestoßen. Und es waren wahre Worte: Falkensee hat die Gaben der En'Hor nicht geschätzt, hat ihre sterblichen Diener verlacht und sie auf das Schändlichste misshandelt. Sie zollten nicht den nötigen Respekt, achteten nicht die Lehre und die Wichtigkeit Der Aufgabe. Custodias, Solice Aurora, die ersonter'sche Burggräfin, die Novizen Bellums. Sie alle hatten gegen die Ecclesia gehandelt. Also wich die Ecclesia. Wie ein Schilfrohr im Wind würde sie sich biegen, ihre Position ändern. Malthust hatte ein gutes Angebot gemacht und das Haus war schon fertig. Schutz und Anerkennung - und so würde es Brandenstein gut gehen. So, wie es Falkensee jetzt schlecht gehen sollte. Verdammt schlecht.
Die Weihe des Schreins würde gelöst werden und das Chaos sollte sich über Falkensee entfalten. Fortsetzen, was am gestrigen Tage begonnen wurde. Und zugleich das Chaos bündeln und ordnen und so Brandenstein die Auszeichnung, die Heiligkeit eines geweihten En'Hor-Schreines zukommen lassen. Mächte bündelten sich in dem Kristall..
Und das Juwel erglomm. Die Stimmen nahmen zu und bald schon war es als hätte sich ein Loch im Gefüge selbst geöffnet. Die züngelnden Flammen aus dem Becken mit Lava wurden zum Altar gezogen.
Starke Windböen kamen auf, gaben den am Altar stehenden Rückenwind und banden sich selbst in dem kleinen Steinchen. Regentropfen bogen sich im Flug und schlugen auf der kristallinen Oberfläche, förmlich wurde den Anwesenden die Luft aus den Lungen gezogen und alles was damit kam. Geräusche und Klänge wurden unwirklich in die Länge gezogen und verstummten schließlich, selbst die Wärme der Körper verließ jene teilweise und bündelte sich in dem infernalisch aufglühenden Schmuckstück.
Licht selbst wurde verschlungen und Schatten in die Länge gezogen, was selbst den einfachsten Dingen ein furchteinflößendes Aussehen gab. Bald schon fühlte es sich in der Nähe des Kristalls so als würde man an einem lodernden Feuer stehen, die Wärme aus der gesamten Umgebung selbst schien sich in jenem zu bündeln und eine starre, unwirkliche Kälte zurückzulassen.
Das Gebäude selbst schien dem Ruf des Rituals zu folgen und knarzte und dehnte sich aus, wie ein
lebendes Wesen das aus dem Winterschlaf erwacht. Und dann:
Stille.Eine Decke der Stille legte sich wie feuchte Watte auf Falkensee und im Schrein selbst herrschte wieder
Ruhe.Alles war fort und dieser Raum, dieses ganze Gebäude war nun nicht mehr als ein Haufen Steine, zusammengehalten von Mörtel:
Ein unbedeutendes Haus.Und so zerstreute sich die inzwischen schon angewachsene Gruppe von Leuten sich wieder in die unwirkliche, surreale Kulisse der umliegenden Stadt. Mit dem Versprechen, dass Brandenstein bald schon von ihnen "Heimat" genannt und als solche geschützt und gehütet werden würde. Und nun gab es wirklich mehr als genug zu tun. Dinge mussten organisiert werden.
Und noch immer prasselte der Regen auf die Stadt herab und schien fest entschlossen alles unter seinen kalten, liebenden Fittichen zu ertränken und fortzuwaschen.