Etwas unwohl sah sie sich in der Schneiderei um. Sie hatte schon wieder halb vergessen warum sie hier war, ehe sie den Bürgerbrief in ihrer Hand sah. "Herr Panscher meinte, Ihr wäret wohl grade daheim, also bringe ich Euch Euren Bürgerbrief, Frau Aldorn."
Sie musste der frischgebackenen Bürgerin wohl irgendwann versprochen haben, sich ein Bild anzusehen. Jedenfalls lag es jetzt vor ihr, nachdem der Bürgerbrief übergeben und der Schwur zur treuen Untertänigkeit formhalber abgenommen war. Aber das auf der Leinwand Dargestellte war ihr rätselhaft.

Versteckter Inhalt bzw. Spoiler :

Bild

Warum malt man sowas sinnloses? Wer muss sich schon an ein Wasserglas erinnern, dass man es abbilden müsste? Welchen Zweck hat es? Irgendwas sagte der Mann von wegen "schön, nicht wahr?" aber zusammenhängende Sätze schienen kaum zu ihr durchzudringen. Ihr Kopf war wie in Watte gepackt und sie musste sich immer wieder die Augen reiben, damit sie nicht zufallen. Erst als eine ihr wohlbekannte Predigt angestimmt wurde, hörte sie wieder genauer hin. Dabei kannte sie sie doch auwändig. Der Inhalt war der gleiche, egal ob das jetzt Jennaia sagte, oder ein Panscher, eine Sandelholz oder das Mädchen vom Hospiz. Sie war über den Zustand hinweg, in dem sie sich zurückgehalten und höflich drum herum manövriert wäre. Statt dessen raunzte sie den Kerl an:"Warum meint eigentlich jeder, mir gute Ratschläge geben zu müssen? Ich kann diese Leier nicht mehr hören!"
Mit knappem Gruß verließ sie die Schneiderei, ging die Straße gradewegs auf ihre halb leer geräumte Wohnung zu. Dann fiel ihr ein, dass sie ja noch lauter Zeug auf dem Schreibtisch liegen hatte, wo sie der Mann beim Klopfen an der Rathaustür unterbrochen hatte. Widerwillig schwenkte sie um und trottete an der zwergischen Schmiede den Weg zum Rathaus hoch.
Beim Anblick der Urkunden auf dem Schreibtisch ward es ihr, als zerrte ihr jemand gewaltsam an den Schnüren eines Mieders. Ihr Atmen stockte, die Luft blieb ihr regelrecht weg und ihr wurde schummrig. Die Schreibstube verschwamm vor ihren Augen. "Nicht schon wieder" dachte sie sich noch und suchte Halt am Schreibtisch. Doch da versagten ihre Beine ihr schon den Dienst und die resolute kleine Frau sackte wie ein nasser Sack zusammen. Im Fallen fegten ihre Hände noch einen Stapel Papiere vom Schreibtisch die auf sie hinab schweben, während sie mit dem Kopf erst gegen den Stuhl, dann auf den Boden schlägt.
In unbequemer Haltung verbringt sie so die Nacht auf dem Fußboden des Rathauses, zugedeckt von einer Lage Hadernblätter.
Früh am morgen, bevor der Großteil der Stadt erwacht, wird sie mit schmerzenden Gliedern und wummerndem Kopf aufwachen, noch ehe jemand anders reinkommt, der sie so sehen könnte. Erschrocken, über sich selbst, schaut sie sich um und verlässt eilends das Haus, das Papier auf dem Fußboden verstreut zurücklassend.