Vergebung sei eine der schwierigsten Tugenden ließ sie sich sagen.
Vergebung war schmerzhaft. Und manchmal kostete sie zu viel Überwindung.

Doch die Geister der Gegenwart machten es ihr nicht gerade leichter an der Tugend der Vergebung festzuhalten. Zerrten an ihren Nerven.
Archie und Eliath hatten sie gebeten, wieder an ihrer beider Leben teilzunehmen. Aber es war so schwer. Die beiden konnten nicht in ihre Welt eindringen und sie selbst konnte die Wirklichkeit der beiden Freunde nicht verstehen.
Eine verzerrte Wirklichkeit, bestehend aus Instabilität, Unsicherheit, krummen Geschäften und dem Rausch von verbotenen Substanzen.

Gar hatte sie die Hoffnung gehabt, die drei wären wieder auf dem besten Wege. Doch nachdem Archies Sucht nach Nachtschatten ihrer aller Beziehungen zerstört hatte, konnte Awa es einfach nicht verkraften, in einem der Regale des Tandoriums diese unheilvolle Pflanze gefunden zu haben.
Mitten zwischen den üblichen Handelsgütern, zwischen banalen Glaskrügen!
Die Enttäuschung entbrannte in ihr zu schmerzhaft, dass sie sich in lauter Wut offenbarte.
Sie geriet arg mit Eliath in Streit, drohte sie wegen Handels mit Nachtschatten anzuklagen. Natürlich hatte dieser versucht ihr die Pflanze abzunehmen. Aber in seinen Augen konnte sie erkennen, dass er nicht den Laden selbst beschützen wollte, sondern die Pflanze.

„Ich nehme es mit.“

„Awa... lass es lieber hier.... nicht dass du...“

„Dass ich was? Willst du von dir auf andere schließen?“

Eliath schwieg. Ja... scheinbar war es so, dass er Awa für schwach hielt. Für zu schwach, diese Pflanze zu entsorgen und sich nicht selbst dem Rausch hinzugeben.
Ein weiterer Stich ins Herz. Eine weitere fatale Wunde.

„Du wirst noch sehen... pass ja auf, dass ich hier nie wieder etwas finde! Und sag Archie ruhig dass ich seine Pflanze habe!“

Eigentlich wollte sie die beiden nicht in ihrem Geschäft sehen.
Da bot sich Hebren Zemand wunderbar an, die beiden Kerle hinauszuscheuchen.
Das junge Mädchen hatte ihr bereits einen kleinen Stapel Wolle auf den Tresen gelegt, besonders kräftig konnte sie ja nicht sein, und bejammerte, dass es noch so viel mehr sei.
Wunderbar.
Schon waren die beiden Männer weg mit dem Mädchen zum Rathaus und holten den Rest Wolle, der sich als kleiner herausstellte als gedacht.
Aber das Problem war, dass sie die beiden nun doch wieder in der Schneiderei hatte. Also nahm Awa Hebren mit herab in die Umkleidekabine und ließ sich Zeit beim Ausmessen. Vielleicht gingen die beiden ja. Im Weggehen waren sie ja gut, zumindest einer von ihnen. Und unglücklicherweise blieb genau der, der sonst immer verschwand, und wartete nun alleine darauf, dass Awa wieder hinauf käme. Irgendwann musste sie wieder hinauf.

„Eliath ist schon gegangen. Aber ich soll dir ausrichten, dass er das Hemd hier will.“ Dabei deutete Archie auf das Schnürhemd in der Vitrine.

„Aha.“

„Und hast du für mich so eine Tasche zum Umhängen ohne diese Federn? Hast du eine auf Lager, damit ich anprobieren kann ob sie mir gefällt?“

Awa dachte die beste Antwort sei wohl einfach, dass er sich seine dummen Federn von der Tasche abschneiden sollte wenn sein Kopf zu benebelt war sich die Federn wegzudenken. Und wenn er wieder zugedröhnt war könnte er sie sich ja an den Kopf kleben...

„Müsste erst eine herstellen.“

„Was kostet die denn dann? Muss ich die dann kaufen?“

Idiot, dachte Awa, wohl nur bisschen weniger als mit Federn, oder?! Aber sie bemühte sich ruhig zu bleiben. Nein.. .warum sollte auch gerade ER etwas bestellen und nicht bezahlen müssen? Hat er nicht genug aus seinem Nachtschattenverkauf eingenommen?

„Nein, musst du nicht.“

„Gut! Dann mach doch bitte so eine und die hol ich dann das nächste mal mit Eliath ab!
Die Maße von ihm hast du noch?“, plapperte Archie unbekümmert weiter.

Ach ja... wenn er was bestellt kommt er ja wieder. Mist, nicht weit genug gedacht.

„Ja...“, gab sie monoton von sich.

„Hm, ja gut, dann geh ich mal wieder...“ Mit diesen Worten drehte sich Archie um. Das ging doch nicht! Er konnte doch nicht einfach gehen und so tun als wüsste Awa nichts von seinen dreckigen Geschäften!

„Besser ist es auch...“, knurrte Awa leise zu sich. Aber es reichte wohl, dass Archie sich ihr noch mal zuwandte.

„Passt dir meine Nase heute nicht?“, fragt er den Kopf schief legend. Pah! Als wüsste er es nicht! So knallte Awa den Buchdeckel laut zu.

„Das Mädchen hast du eben gesehen, oder? Was meinst du wie alt sie ist? 15?!“, platzte es aus ihr heraus.

„Sowas, ja...“, meinte der blonde, junge Mann dann recht unbekümmert.

„Und stell dir jetzt mal vor, sie stöbert an meiner Statt diesmal in einem Regal wo du deinen Nachtschatten versteckst?!“ Unnachgiebig liegt ihr Blick auf ihm, wie er stotternd nach einer Antwort ringt, scheinbar überrascht gar.

„M-Mach ich doch gar nicht...“

„Ich hab Nachtschatten in deinem Geschäft gefunden.“ Je ruhiger sie nun klang, desto gefährlicher musste es wohl wirken. Archie zog den Kopf ein.

„Wirklich? Mist.“

Mist? Mist?! MIST?!

„Pah, nun leb mal damit dass ich die Pflanze hab!“ Ob er wohl genauso eine Angst hatte wie Eliath, sie könne der selben Sucht verfallen wie Archie?

Plötzlich fing Archie an sich auch noch zu verteidigen. Natürlich wollte Awa Antworten auf nicht gestellte Fragen, wie die meisten Frauen die auf einen Mann einschimpften. Und wie zu meist kamen die dann unerwartet und mit solchen Stumpfsinn gefüllt, dass sie dachte, es sei besser Archie hätte einfach gar nichts gesagt.

„Ich hätte es ihr ja niemals verkauft. Und du weißt auch nichts damit anzufangen.. also kannst es mir... theoretisch... wiedergeben.“

Nun platzte ihr der Kragen.

„Scher deinen Hintern hier raus bevor ich dich anzeige... der Spruch hätte nun NICHT sein müssen!“


Nun gut, so schnell hatte sie noch nie missliebige Kunden draußen gehabt.