Liebes Tantchen,
So Vieles ist geschehen, wovon ich noch nicht die Zeit hatte zu berichten. Das Turnier der Elemente (das übrigens gut verlaufen ist), Brands seltsame Gebrechen (die allmählich wieder besser scheinen), Adas neuer Kavalier, das Training mit Karag (ich staunte erneut über mein umfangreiches Wenigkönnen und Nichtswissen), unsere Untersuchungen eines Eisphänomens im Wald (die kläglich scheiterten)....es ist Vieles. Und doch ist es nichts, worüber ich nun lange berichten könnte oder möchte, nicht nach dem, was hinter uns liegt - das Dunkeltief.
Ach Tantchen, und ich hatte noch Schrecken vor irgendwelchen Klauenmännern...nun kommt mir jenes Geschöpf fast harmlos vor, ja schrullig gar, im Vergleich zu dem, was wir durchlebten und was nun in meinen Gedanken wühlt und mich kaum schlafen lässt. Ich will Dir davon berichten - nicht um Deinetwillen, denn um Deinetwillen wäre es sicherlich besser, ich würde Dir nichts davon erzählen, doch habe ich das Gefühl einer Notwendigkeit... wie soll ich es beschreiben... Einer Notwendigkeit, zu erzählen, zu schreiben, zu sprechen - sprechen kann ich hier allerdings mit niemandem (ich sitze wieder am Lavasee, Tantchen...wie Du anhand der Ascheflecken sicherlich schon vermutet hast), und wäre ich auch in Brandenstein, würde ich noch immer schweigen. Mir wird gerade klar Tantchen - und das mit Verwunderung, weniger mit Enttäuschung - dass es hier niemanden gibt, dem ich mich vollends, in meinen tiefsten Ängsten und Sorgen anvertrauen könnte. Ist das nicht erstaunlich? So viele um mich herum, so viele, und doch niemand wenn ich es bräuchte. So lande ich wieder hier, im Angesicht meines Herrn, der wie stets meine Zuflucht, meine Hoffnung ist. Es ist Heilung dieses Mal, auf die ich hoffe...doch nun der Reihe nach. Ich will, nein, ich muss erzählen.
Ich wollte mich zum Dunkeltief ja als Freiwillige bei der tapferen Malthuster Wacht melden. Sicher bin ich keine große Kämpferin (ich bin gar keine Kämpferin, wenn wir ehrlich sind), aber ich wollte gern helfen, und wenn nur dadurch, dass ich dem Feind Steine auf den Kopf geworfen hätte. Steine werfen kann ich. So oder so - daraus wurde überhaupt nichts. Einen Tag vor dem Dunkeltief verkündete mir Brand, ich solle auf Ada aufpassen in der dunklen Zeit. Schon wieder. So landeten wir also im Keller der Ecclesia, Ada und ich, und ich hatte wirklich die mieseste Laune Tantchen, hörte man doch von oben hier und da Schreie und Kampflärm. Bei uns im Keller passierte gar nichts - nur einmal kam ein gräulich Geistergesicht durch die Wand und erschreckte Ada furchtbar. Ich erschreckte mich auch, ehrlich gesagt... und dann versuchte ich danach zu treten. Das Gesicht verschwand, ich traf die Wand, nun schmerzt mein Fuß.
So verlief der erste Lauf des Dunkeltiefs, und am Zweiten wurden wir aus dem Keller geholt und mit der Zivilbevölkerung Brandensteins nach Seeberg verbracht. Allenthalben begann man zu der Zeit hier und da dunkle Schemen zu sehen, die mal weinten, mal drohend lachten...es war wirklich schaurig. Doch bis auf das verlief es auch in Seeberg ohne große Vorkömnisse. Also suchten wir uns eine geschützte, verborgene Ecke und versuchten zu schlafen. Das klappte auch sehr gut mit dem Schlafen. Mit dem Verstecken auch. Als wir nämlich aufwachten, entdeckten wir dass erstens alle weg waren, und zweitens uns in unserem Eckchen nicht gesehen und so nicht mitgenommen hatten. Seeberg war zurückgelassen worden, und wir auch.
Damit begann der Alptraum all meiner Alpträume Tantchen. Zitternd irrten wir, zu zweit auf dem guten Pergastis sitzend (was täte ich nur ohne das edle Tier? Soll Ada ihn noch einmal Ackergaul schimpfen...) durch die Straßen, suchten nach Leben, und fanden nur mehr und mehr von den grauenvollen Schemen, die die Stadt nun anstelle von Menschen zu bevölkern schienen. Als wir bereits verzweifelten, trafen wir endlich noch eine lebende Seele - einen Nortraven, Hulgur hieß er oder Halgar...ich weiß nicht mehr so recht. Ein tapferer Mann jedoch, der sich unserer annahm und anbot, uns aus dieser furchtbaren Geisterburg herauszuführen. Wir wollten nach Brandenstein...oder Falkensee, irgendwohin, wo wir sicher wären. Das war ein Fehler, ein furchtbarer Fehler.
Mir wird noch immer die Hand zittrig, Tantchen, wenn ich an den Ritt durch den dunklen, vereisten Wald denke. Überall Fratzen und Zähneklappern um uns herum, Geister, Untote, und abscheuliche Vögel, die uns allenthalben mit Geheul folgten. Ich erinnere mich nicht mehr an alles, nur an die atemlose Flucht die uns doch nur tiefer ins Verderben führte, an Krallenhände, die nach uns griffen, an den Herrn Nortraven wie er mit Gebrüll dem Feind trotzte und doch überrannt schien, an irgendein halbverwestes Ding mit rot glühenden Augen, das mit schwerer Kampfkeule nach mir schlug und mir den schützend erhobenen Arm brach...
Als ich wieder klar wurde, stellte ich fest, dass Pergastis mich zur Siedlung der Dwarschim herausgetragen hatte, die sich nun meiner Verfolger annahmen und mir Zuflucht gewährten. Der Nortrave war weg, und, was noch schlimmer war, auch Ada war nicht mehr bei mir. Sie waren noch da draußen irgendwo, in diesem kreischenden Schrecken der Wälder, und mir wurde ganz übel als ich mir all dessen so gewahr wurde. Ja wirklich Tantchen, beinah wäre ich hysterisch geworden, wäre da nicht dieser ehrenwerte Diener des Herrn gewesen, der sich unter den Dwarschim fand und mich zur Besinnung rief.
Halbwegs die Fassung wiedergefunden, steuerte ich Pergastis wieder hinaus. Ich weiß nicht was mich befiel so etwas zu tun, Heldenmut war es aber nicht - ich musste einfach Ada finden, und irgendwas weigerte sich in meinem Geist bereits da, weiter über das nachzudenken, was sich sonst so draußen im Wald befand. Ich weiß nicht, wie das geendet hätte, wäre da nicht die Fügung der Götter gewesen - kaum war ich draußen, trabte das Pferd des Nordmanns mir in die Arme, mit Ada auf seinem Rücken, und der Herr Nortrave lief alsbald hinterher. Und wieder waren es die Dwarschim, die uns Zuflucht und Versorgung der Wunden zukommen ließen. Vor allem Ada wurde sehr geholfen, die schien da nämlich schon ganz vewirrt und halb erfroren.
So saßen wir eine Weile im unterirdischen Versteck...ich erinnere mich nicht mehr genau. Irgendwann betete ich, als der Diener Ignis' Ada half, und dann war plötzlich noch ein anderer Dwarschim da, und Brand... Woher Brand kam, weiß ich gar nicht, doch er schien so fröhlich und unbesorgt wie stets...in solchen Momenten möchte ich ihm gern irgendetwas Schweres in Gesicht schleudern.... Macht mich das zu einem schlechten Menschen?
Nach einer Weile beschloss man jedenfalls, sich wieder nach Seeberg durchzuschlagen. Also gingen ich und Ada natürlich mit - wurden besser gesagt auf den beiden Rössern mitgezogen. Wieder der Wald, die Schreie, die Angreifer...ich versuchte einfach nicht mehr hinzusehen, bis endlich die Tore Seebergs vor uns waren. Scheinbare Rettung Tantchen...scheinbar, denn da erblickte ich ein flammendes Pentagramm hoch im Himmel über der Burg, und Horden von Untoten empfingen uns Flüchtlinge in den vormals leeren Gassen. Wir, das heißt der Herr Notrave und ich, wurden von den anderen abgeschnitten, während Ada von ihrem Pferd davongetragen wurde, und dann bekam ich einen recht starken Schlag auf den Kopf und verlor das Bewusstsein, ehe ich ob des Schreckens der Situation den Verstand verlieren konnte.
Trink doch einen Beruhigungstee, Tantchen.
Ich schreibe Dir ja diese Zeilen, das heißt, ich starb damals nicht. Es war erneut mein Reittier das mich rettete, vor den Angreifern davontrug zu einem Stall am nördlichen Tore, wo sich unser Grüppchen bereits versammelt und verschanzt hatte. Da lag ich also mit dröhnendem Kopf und einer seltsamen Ruhe im Stroh, derweil draußen im Schein verderbten Feuers immer neue Fratzen zu sehen waren, die sich den Weg durch die selbstgemachte Barrikade zu bahnen versuchten, und allein von dem kleinen Kämpfergrüppchen daran gehindert wurden.
Nach einer Weile schien man die Gegner kurz zurückgeschlagen, man führte uns wieder irgendwohin...und plötzlich waren wir an der Burgfeste selbst und dort waren Menschen Tantchen. Viele andere Menschen! In Uniformen Malthusts und Ersonts, Heiler, Magier, Flüchtige wie wir, alle in einem großen Saal versammelt! Pergastis hatte ein Helfer in einer stillen Ecke vor dem Saal abgestellt, und ich konnte nur hoffen, ihm würde nichts geschehen. Um Ada und mich kümmerte sich derweil erst eine Magierin, und dann schiente ein Heiler meinen Arm und versuchte Ada wieder zur Besinnung zu rufen.
In Sicherheit waren wir derweil nicht - draußen stürmten immer neue Angriffswellen von Untoten an die Türen, geflügelte Wesen waren darunter, noch irgendetwas...ich sah das Meiste nicht, konnte nur kurze Blicke erhaschen wenn sich die Türen öffneten um neue Verletzte hinein- oder frische Kämpfer zu einem Ausfall hinauszulassen. Irgendwann dazwischen stand plötzlich Brand mit mir unbekannten Personen hinten im Saal und sie hielten ein Gebet an die Viere und die En'hor, und dann begannen die Wände zu wackeln und alles schrie etwas von Dämonen, während grässliches Gebrüll von draußen zu hören war. Putz bröckelte von der Decke, und dann war mir plötzlich, als wäre es klar - wir konnten alle gar nicht stand halten. Diese Einsicht erlangte ich in etwa jenem Moment, als eine riesige Klaue von außen kam und die Türe einfach aus den Angeln riss, den Tod einlassend, und Brand sich neben uns setzte und sich ein Kissen aufs Gesicht drückte...
Es war also das Ende, das wir da kommen spürten, und da wollte ich hinaus. Ich würde nun gern schreiben, ich wollte dort helfen oder irgendetwas unternehmen, aber das wäre gelogen. Ich wollte nur nicht in diesem mit Angst gefüllten Saal sterben, und zudem hatte ich Furcht - lächerlich, angesichts der Situation - Dinge daherzureden die ich lieber nicht daherreden sollte, und die ich jetzt übrigens sicherlich sehr bereuen würde. Nicht dass mir damals klar gewesen wäre, dass es überhaupt noch ein Danach gibt... So oder so - ich stand also von all diesen Ängsten getrieben auf und begab mich hinaus, in einen Alptraum aus Dämonen, Untoten, und Kämpfenden. Wahrscheinlich wäre ich da draußen auch unnütz herumgestanden bis mir eine Klauenhand den Kopf abgerissen hätte, doch da hörte ich ein angstvolles Wiehern und sah - Pergastis.
Wieder, mein Pergastis, und dieses Mal war er es, der Hilfe brauchte, der in Angst und Hilflosigkeit über das Schlachtfeld irrte. Ich weiß nicht ob es die glücksspendende Hand Vitamas war, die sich über mich gelegt hatte, oder ob mir der feurige Atem Ignis' Schnelligkeit verlieh - ich rannte recht kopflos, doch erstaunlicherweise ohne verletzt zu werden zu meinem Tier, fing es ein, drehte mich herum... und wurde von hellem Licht geblendet. Das Dunkeltief war vorüber, und all die Abscheulichkeiten zerfielen vor meinen, unser aller Augen zu stinkenden, doch höchst ungefährlichen Überresten.
Es war so plötzlich vorüber, dass ich einfach weiter da stand mit Pergastis und es nicht glauben konnte, bis plötzlich jubelnde Menschen aus der Burg strömten, und Brand mich umarmte und rief dass wir leben und man wolle sich auf den Heimweg machen. Er ging noch mit Ada und dem Herrn Nortraven das Pferd des Nordmannes suchen, und ich glaubte es immer noch nicht, und fühlte mich...komisch Tantchen. Sehr komisch. Wie in einem wirren Traum. Und wie ich so da stand und sinnlos in die Gegend blinzelte erinnerte ich mich an jenen Mann der einmal zu Dir in die Heilstube gebracht wurde. Du weißt noch, der da seine Frau im Kindbett verloren hatte und nur noch lachte und schrie "Es ist ein Traum, es ist ein Traum!" und dann plötzlich zusammenbrach.
Mir wurde da jedenfalls bewusst - ich würde nicht mit heimgehen. Ich musste da weg, und meinem Geist die Heilung erlauben, derer er offensichtlich so sehr bedurfte, um nicht wie dieser Mann zu enden. So setzte ich mich wieder auf Pergastis und trieb ihn an, trieb ihn zum Lavasee, an welchem ich nun sitze und mich zu sammeln versuche.
Mein Arm schmerzt furchtbar, und mein Kopf ebenso, doch ich spüre allmählich, wie die Hitze und der Anblick des Feuers meine gemarterten Gedanken langsam beruhigen. Ich weiß, eigentlich sollte ich zurück, bevor man sich Sorgen macht, und ich sollte mich bei den Heilern, dem Herrn Nortraven und den Dwarschim bedanken gehen, und ich sollte nach Ada schauen und in Brandenstein helfen... aber ich kann nicht, Tantchen. Ich glaube, ich breche zusammen, wenn ich hier weggehe. Und so bleibe ich hier, bis ich auch ohne die Nähe der Flammen den Kopf aufrecht halten kann.
Doch sorge Dich nicht über die Maße - wenn Du diesen Brief liest, bedeutet es, dass ich irgendwann wieder in die Gesellschaft anderer fand. Am Lavasee gibt es schließlich keine Boten.
Deine Ancabeth
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Die Idee der "freien Entfaltung der Persönlichkeit" scheint ausgezeichnet, solange man nicht auf Individuen stößt, deren Persönlichkeit sich frei entfaltet hat.
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