Kalt spuerte er den steinernen Boden der Kapelle unter seinen Knien. Schon vor einiger Zeit hatte er aufgehoert, die vorbeiziehenden Zyklen wahrzunehmen. Es war tatsaechlich soweit gekommen; das eigentlich Undenkbare eingetreten: Das Geplaenkel zwischen Malthust und Ersont hatte sich zu einem offenen Konflikt - sollte man Krieg sagen - ausgewachsen. Die Saat des Namenlosen, von seinen Dienern so fleissig ausgesaeht, war aufgegangen. Der Schleier des Dorayon verhuellte den Maechtigen den Blick auf die Wahrheit, den wahren Feind. Jetzt, da die Insel am Abgrund wandelte, blieb ihm lediglich die letzte, die festeste Bastion, die weisse Zitadelle: das Gebet an die Sa'hor. Die Finger vor seiner Brust zu einer Raute zusammengelegt, das Haupt leicht gesenkt richtete er sein stummes Flehen an die Viere.
Euch, die Ewiglichen, die Herren des Lichts rufe ich an, in dieser dunklen Stunde.
Ich rufe zu dir Bellum, Herr des gerechten Krieges und der Schmiedekunst,
Ich rufe zu dir Vitama, Herrin des Lebens und der Freude,
Ich rufe zu dir, Morsan, Herr des Friedens und der Ruhe,
Ich rufe zu dir Astrael, Herr der Wahrheit und der Magie.
Seht herab auf eure Kinder, die da wandeln in den Schatten der Unvollkommenheit.
Seht ihre Not, seht ihre Irrungen und erbarmt euch Ihrer.
Lueftet den Schleier des Dorayon von ihren Augen,
jagt hinfort ihre dunklen Gedanken, ihre Gedanken des Hasses
lasst die Einfluesterungen des Namenlosen verstummen,
reisst aus seine Saat,
auf dass sie euch als die Wahrheit erkennen.
Staerkt eure Diener,
damit ihr fester Glaube allen eine Fackel ist in der Finsternis,
damit sie Gehoer finden in den Hallen der Macht,
und euer Volk zurueckfuehren auf die Pfade des Lichts.
Eine der Unseren war es welche den Sturm mitentfesselt hatte. Dieser Gedanke hing ihm wie ein Mahlstein um den Hals, drohte mit kaltem, klammernden Griff sein Herz zu zerreissen. Hatte er zu wenig getan, um ihr zu helfen? Schon vor langem hatte ihr Licht begonnen an Kraft zu verlieren, hatten die Gaben des Namenlosen ihre schwarzen Flecken hinterlassen. Sie hatte und verschloss sich noch immer der Viere Gabe der Vernunft. Doch es war nicht an ihm zu urteilen, die Goetter alleine wuerden sie wiegen, an den lichten Toren Lothoriens, sie gegebenenfalls fuer zu leicht befinden.
Euch, die Ewiglichen, die Herren des Lichts rufe ich an, in dieser dunklen Stunde.
Ich rufe zu dir Bellum, Herr des gerechten Krieges und der Schmiedekunst,
Ich rufe zu dir Vitama, Herrin des Lebens und der Freude,
Ich rufe zu dir, Morsan, Herr des Friedens und der Ruhe,
Ich rufe zu dir Astrael, Herr der Wahrheit und der Magie.
Seht herab auf die gebeutelte Seele eures Kindes Cizra,
nehmt euch an des schwachen Lichtes in Ihr.
Helft ihr das Wesen der Fey zu erkennen,
ihre Berufung als Geschoepf des Lichtes.
Lenkt ihre Schritte zurueck auf die weissen Pfade,
entreisst sie der Dienerschaft an den falschen Herren,
den Goetzen der Selbstverliebtheit und der Ueberheblichkeit.
Schenkt ihr Frieden und Ruhe,
schenkt ihr Kraft und Erkenntnis,
befreit sie zur Wahrheit,
auf dass sie neuerlich wandele im Licht eurer Guete.
Neuerlich hatte sich der erst vor kurzem in den Adelsstand erhobene Gardehauptmann Delarie als erbaermlicher Heerfuehrer erwiesen. Mitten in Falkensee waren seine Truppen aufgerieben worden. Muede schuettelte er leicht den Kopf bei diesem Gedanken. Es blieb zu hoffen, dass diese schmaehliche Niederlage seine Gardisten nicht ihres letzten Quentchen Vertrauens in ihren Anfuehrer beraubt hatte, die Moral der Truppe, durch die Kooperation mit den Orken sowieso schon geschwaecht, nicht gaenzlich geschwunden war. Denn dann waere jede Hoffnung auf eine rasche Herstellung des alten, fragilen Gleichgewichtes dahin und die Sicherheit des Astreyonviertels in ernsthafter Gefahr.
Euch, die Ewiglichen, die Herren des Lichts rufe ich an, in dieser dunklen Stunde.
Ich rufe zu dir Bellum, Herr des gerechten Krieges und der Schmiedekunst,
Ich rufe zu dir Vitama, Herrin des Lebens und der Freude,
Ich rufe zu dir, Morsan, Herr des Friedens und der Ruhe,
Ich rufe zu dir Astrael, Herr der Wahrheit und der Magie.
Wendet euren Blick nicht ab von eurem Kind Delarie,
welches die Maechtigen Tares zum Spielball ihrer Ambitionen gemacht haben.
Helft ihm zu Tragen die Lasten seiner Pflicht,
lasst ihn die Wahrheit erkennen,
lenkt seine Schritte auf die weissen Pfade,
auf dass er seine Gardisten nicht in die Dunkelheit fuehre.
Schenkt ihm Kraft und Zuversicht,
und Frieden seiner gemarterten Seele.
Staerkt die Moral der Ihm Anvertrauten,
auf dass sie ihm treu folgen in der gerechten Sache,
und sich verweigern der ungerechten.
Euch Sa'hor sei Lob und Preis und Ehre in Ewigkeit.
Die Worte seiner Mutter in Ihrem letzten Brief kamen ihm in den Sinn; diejenigen, welche ihm, gerade waehrend seiner Zeit auf dem Festland, zum staendigen Begleiter geworden waren:
Jede Düsternis hat ein Ende und ewig ist nur das Licht, das Sein des Seins.
Wenig konnte mehr Halt geben, als diese Gewissheit, wenige Worte kamen der Wahrheit naeher, als diese.