Siebenwind, Wandeltag, der 3. Querlar 21 n.H.
Waren meine Wochen auf See noch von Grundtenor der Reue (und ein wenig der Übelkeit) bestimmt, nicht Papas Angebot angenommen zu haben mich auf meiner Reise zu begleiten, bin ich jetzt meinem Übermut mehr als dankbar. Er hätte mich nach dem ersten Tag über die Schulter geworfen um aufs nächste Schiff zu stapfen.
Wo bin ich hier nur gelandet?
Ehrlich gesagt birgt jeder neue Tag hier soviel Neues an unfassbaren Erlebnissen und Informationen, dass ich drei Tage mit der geistigen Verarbeitung nachhinke.
Jedenfalls fühlt es sich so an.
Mein Kopf schwirrt, mein Geist weigert sich manche Erkenntnisse akzeptieren zu wollen.
Vielleicht hatte Vater Proveus mit seinen Worten recht, ich wäre sichtlich sehr behütet aufgewachsen denn ich fühle mich mit jedem erlebten Tag mehr, als würde der Boden unter meinen Füßen bröckeln, als würde mein bisheriges Weltbild zerrieseln wie die Festungen, die wir früher gemeinsam im Sandkasten des Tempelgartens im Astrael gebaut hatten, die Tempelwachen und ich.
Ich bin nur über alle Maße erleichtert, dass ich Grom tatsächlich hier finden konnte wie er es mir in den letzteren Briefen der Vergangenheit erzählt hatte. Neben der Freude, ihn nach all den Götterläufen wieder sehen zu können, ist er mir bisher die größte Stütze und Hilfe hier gewesen. Und ein wohltuendes Stück Heimat hier in der Fremde. Natürlich war es eine gewisse Genugtuung festzustellen, dass ich es nun bin die ihn überragt. Dennoch – sein überraschtes Gesicht bei unserem Wiedersehen war einfach nur köstlich. Das letzte Mal sah ich solch einen Ausdruck in seiner Miene, als ihm damals in Ignes von Gnaden Vares klargemacht wurde, dass die flachbrüstige Vitamanovizin über die er gerne herzog, in Wahrheit ein Novize namens Clemens war. Ich vermute ja, er ließ die vermeintliche Novizin damals während des Rauschfestes im Tempel seinen Bart kraulen, anders kann ich mir seinen Schock bis heute nicht erklären. Fraglos war es schön zu erleben, in welchem Ausmaß mein alter Zauselbart als Geweihter in seiner Pflicht aufblüht. Gleich am ersten Tag durfte ich miterleben, wie er diesen sammelnden Schlangen imposant die Stirn bot als sie das Zwergental angriffen. Mama und Papa wären auf jeden Fall sehr stolz auf ihn – bei Papas Hochweihe noch ein einfacher Tempelwächter, nun ein treuer Diener des Schwertherren.
(Eine gekritzelte Randnotiz: Nicht vergessen im Brief nachhause davon zu erzählen.)
Auf jeden Fall ist es erfreulich auf dieser verdorbenen Insel auch manch Silberstreif am Horizont zu erleben. Mir scheint es jedes Mal wo ich zur Abwechslung eine angenehme, freundliche und vor allem fromme neue Bekanntschaft machen durfte, als hätte ich einen Juwel aus einer Kloakenbrühe gezogen. In meinem Gleichnis würde man sich danach die Hände wie den Edelstein waschen, hier bemühe ich mich die keimende Freundschaft zu diesen Seelen zu pflegen auf dass sie gedeihe.
Mir wurde von Grom aber auch von Vater Proveus ans Herz gelegt, bereits hier meine Ausbildung weiterzuführen und nicht erst auf meine Rückkehr in Ignes zu warten, doch zögere ich noch. Raube ich damit nicht sowohl meinen Eltern als auch all den anderen Ordensmitgliedern unserer Tempelfamilie daheim die Freude, meine Fortschritte und so die Viere es wollen meinen Erfolg beobachten zu können nach all den Mühen die sie gemeinsam bereits in meinen Werdegang, meine Erziehung seit meiner Kindheit gesteckt hatten?
Oder würde ich tatsächlich Zeit verschwenden wenn ich mich hier bloß auf die Entdeckung der Insel beschränke? Ist nicht Faulheit, Trägheit und Tatenlosigkeit der Keimboden für die Saat des Einen?
Gerade aber wenn ich die ansässige Geweihtenschaft hier mit jener daheim vergleiche, birgt es nur noch mehr Nahrung für mein zweifelndes Hadern.
Selbstverständlich bin ich mir darüber im Klaren, dass ich voreingenommen bin was die Ordensmitglieder daheim betrifft, sind sie doch ein geliebter Teil meines Lebens seit dem Tag meiner Geburt im Tempel. Dennoch lassen mich hier manch Beobachtungen nur den Kopf voller Fassungslosigkeit schütteln. Ein Diener des Allsehenden der eine Waffe trägt, ein Geweihter der am Markt stehend aus einem Goldpokal trinkt, eine Dienerin der Lieblichen die auf der Strasse bei einem handgreiflichen Streit zweier Frauen einfach nur kopfschüttelnd vorbeigeht, bestätigte Berichte dass der Erzgeweihte des Schwertherrens frühmorgens seine Kraftübungen so wie Vitama ihn schuf sorglos vor der Haustüre ausführt.
(Eine gekritzelte Randnotiz: Unbedingt Brandenstein zu den Morgenzyklen meiden)
Ich werde mir darüber noch Gedanken machen müssen.
Fürs erste fahre ich fort, dieses verrückte Eiland kennenzulernen und so es der Wille der hochheiligen Sahor ist, mich morgen im Kampf gegen diese Schlangenwesen beweisen zu können. Damit beende ich meine Zeilen für heute, wo die Feder immer schwerer wiegt in meiner Hand und harre den Erlebnissen morgen aus.
Hoffentlich schnarcht die dicke Schneiderin im Bett unter mir dieses Mal nicht zu sehr, sonst löst Galtor heute Nacht Lifna bei ihrem Besuch ab.
(Eine gekritzelte Randnotiz: Was schreibe ich da nur? Ich glaube die Luft dieses Eilands unterstützt einen gewissen Blutdurst.)