Kurz lässt er die Schultern kreisen, ehe er sich wieder vollends in dem Sessel zurücklehnt und die Rechte langsam zum Whiskeyglas wandern lässt. Mit der Linken schließt er das Buch, welches die letzten Stunden sein Begleiter war, und legt es vorsichtig auf den warmen, hölzernen Tisch. Sein Blick wandert aus dem Audienzsaal der Burg in den Innenhof, einen Moment beobachtet er das rege Treiben der Burgbewohner, hört das Wiehern der Rösser direkt unterhalb der Säle in den hauseigenen Stallungen und die Gespräche der Burgwachen, ehe sein Blick wieder zurück zu dem Buch wandert. Schweigend gönnt er sich einen Schluck der erdigen Flüssigkeit. „Alle Achtung“, denkt er sich, während er den vollendet verarbeiteten Umschlag des Duellkodex‘ in aller Ruhe betrachtet. Der beauftragte Knappe hatte das Werk in dem letzten Winkel einer Bibliothek heraus gekramt, mit aller Muße studiert, und - letztendlich gemäß seiner Aufgabe - eine wunderbare Abschrift produziert. Sein Auftraggeber hatte allein für die Sichtung des Werkes einige Tage bemessen; Adowen hatte weniger als drei Tage Aufwand betrieben, ehe er bereits seinen Lehrer mit dem Ergebnis überraschen konnte. Einen Moment lang kreisen seine Gedanken um den ehrgeizigen Elfen. Mit einem Schlag färbt sich das blonde, lange Haar des Fey dunkelhaarig, die Ohren werden kürzer und die Erscheinung wandelt sich in die Gestalt einer jungen Frau, eingebettet in das Szenario einer betriebsamen, gemütlichen Taverne. Mit Wohlwollen schaute er ihr dabei zu, wie gewissenhaft und gründlich sie ihren Dienst verrichtet, ehe er wieder in das Hier und Jetzt zurückkehrt, und sich aus dem Sessel hinaus drückt. Langsam wandert er auf dem Teppichpfad zu der breiten Aussicht am Fenster.
Der Innenhof zeigt die Betriebsamkeit, die einer kleinen Feste der galadonischen Krone ziemt. Gardisten betätigen sich im Waffenhandwerk, junge Mägde und Diener kehren den Burghof seit den frühen Morgenstunden, schöpfen Wasser aus dem Brunnen und eilen zur Werkstatt, ehe sie derselben Monotonie schuldig ihren auferlegten Pflichten wie fleißige Drohnen wiederaufnehmen. Der aufmerksame Beobachter verschränkt die Arme und lässt seinen Blick zu den Pferdejungen wandern. Einen nach den anderen mustert er mit regem Interesse. „Rohe Diamanten oder bloß wertloses Gestein?“ Die jungen Männer sitzen auf ihren Hockern, in einer Hand die Kratzbürste, während die andere nach der kräftigen Hufe greift. Mit flinken Händen und kräftigen Bewegungen werden die Hufen abgeschabt. Nun wendet sich der Interessierte auch zwei weiteren Jungen zu, die im Schatten eines Baumes die Sattel ihrer Herren einfetten. „Vielleicht Einer.“, spricht er leise. Nun muss er grinsen, ehe er sich innerlich wieder auf eine Reise begibt, sich von der Realität entfernt.
Nun steht er selbst im Burghof, Seeberg ist verschwunden. Seine Hände triefen vom Fett, mit kräftigen Bewegungen wringt er den Lappen aus, und lässt ihn in den Eimer neben sich fallen. Vor sich das fertige Ergebnis von einer Stunde harter Arbeit, doch es hatte sich gelohnt: der Sattel glänzt makellos, sicherlich könnte er ihn auf dem Marktplatz für einen grandiosen Preis verhökern. Er blickt von seiner Arbeit zufrieden im Hof umher. Der Hof der Brandensteiner Burg wirkt klein, vermittelt jedoch eine angenehme, sichere Atmosphäre. Die Wachen schreiten auf den Wehrgehängen unermüdlich hin und her, gekleidet in die Farben Gerdenwalds. Der Gedankenverlorene greift nun nach dem Zaumzeug, ehe die Flügeltüren des Windfangs geöffnet werden, und ein Ritter auf ihn zutritt. Sein Blick wandert kritisch, geradezu pessimistisch zum Sattel, ehe er die Miene verzieht: „Das geht besser, Junge.“ Er lässt sich seine Enttäuschung nicht anmerken. „Vergebt mir, Sire.“, quält er hervor. Robaar winkt ab, wendet sich ab und schenkt seine Beachtung einem Neuankömmling, der sein Ross auf den Ritter zutraben lässt. Der Jüngling blickt zu seinem blankpolierten, und doch unvollendeten Werk, die Worte des Ritters spuken in seinem Kopf herum, dann gesellen sie sich zu den anderen, festgehaltenen Augenblicken seines Lebens.
„Das geht besser, Junge.“ „Das reicht nicht.“ „Los, runter auf den Boden.“ „Ihr solltet ausgepeitscht werden für eure Dummheit!“, schelten ihn all die Ehrenmänner. Von Weidenbach hebt einen Finger. Lavid blickt ihn streng an. Gerdenwald lässt eine Schimpftirade auf ihn niedergehen. Schlussendlich ein Bild seines Herren und Mentors. Robaars strenge Augen, kritisch prüfen sie seinen Schüler unablässig. Der Jüngling blickt nun verdrießlich auf seine glänzenden, mit Schwielen überzogenen Hände. Ein Augenschlag vergeht, ehe er wieder im Audienzsaal Seebergs steht und aus dem Fenster blickt. Sein Brandenstein gibt es nicht mehr, die schwieligen Hände sind in feste, lederne Handschuhe versteckt und sein Mentor nicht mehr Ritter seines Ordens.
Nachdenklich beobachtet er weiter die Pferdejungen. „Vielleicht auch keiner“.
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Sir Amaris Aurinas zu Siebenwind, Ritter des Greifenordens ehem. Greifen- und Falkenhochmeister, Schüler des Sir Griesgram Schnurtbartwackler, Knappengeburtsmaschine
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