Die Priorei der Ecclesia Elementorum. Eine Frau mit dunklen Haaren, die einen rötlichen Schimmer besaßen, ungewohnt kurz für ihr Geschlecht, saß auf eines der großen Sitzkissen an dem Tisch im Altarraum. Ein Hund mit einem wuscheligen Fell und gut genährt aussehend, lag halb auf ihrem Schoß und döste friedlich. Eine ihrer schmalen Hände kraulte unablässig seinen Kopf, während der andere Arm auf dem Sims aufgestützt war, der Kopf auf der zugehörigen Hand ruhte. Der Blick aus ihren braunen Augen war auf dem dicht am Haus vorbeiziehenden Fluss gerichtet, in dem sich nun im Dunkelzyklus einerseits sehr matt und kaum erkennbar der Vitamalin spiegelte, andererseits auffälliger, silbern und greller der Astreyon. Dieser Anblick schien sie völlig in ihren Bann geschlagen zu haben, doch eigentlich hing Felis lediglich ihren Gedanken nach, ohne genau zu registrieren, was sie anstarrte.
Gestern noch war sie im Theater gewesen, hatte die Ansprache von Solice verfolgt, um für den Boten über das zu schreiben, was dann eigentlich hätte folgen sollen. Doch allzu bald fand die Versammlung ein Ende, als an der nahen Barrikade beim Schlosstor die Kämpfe begannen. Hicks und sie hatten sich erst noch in einem Stand versteckt, waren dann zum Vitamaschrein aufgebrochen, wo sie eine Weile blieben, ehe sie sich entschieden hatten, ihre jeweiligen Wohnungen aufzusuchen. Hier hatte sie sich eilig verbarrikadiert, als immer wieder Kampflärm vom Zentrum der Stadt zum Felaviertel rüberschallte. Ein paar Regale, Kommoden, Kisten und Schränke schob sie rumpelnd vor eine ihre Türen und harrte die folgenden Zyklen unsicher aus. Immer wieder hörte sie den Lärm, die Schreie, die gerufenen Befehle. Sie glaubte Explosionen zu hören und von ihrem Obergeschoss nahm sie mal Blitze, mal Rauch wahr. Mehr und mehr war die Stadt in ein Chaos gestürzt, was sie noch vor gut einer Woche nie und nimmer für möglich gehalten hätte. Auch wenn sie sich noch an Solice' Worte erinnerte, die die Garde mit ... Brennesseln, Disteln oder einem Wespennest verglich. So wirklich erinnern konnte sich Felis nicht mehr daran, aber es war etwas Unangenehmes.
Felis wiederum schwankte die letzten Tage über. Einerseits war sie mit Solice befreundet, hatte ihr, wie auch Gorem, ihre Hilfe angeboten. Doch diese wurde ausgeschlagen. Nichts, worüber sie sich grämen würde, jetzt erst recht nicht mehr. Denn andererseits dachte sie auch an Falkenhain und Steinhauer zurück. Während Hektor öfter im Kessel war, nach dem rechten sah, seinen Zwergenmet trank und stets auf seine Weise höflich war, war ihr Alarich irgendwo immer sympathisch gewesen. Er hatte für seine Arbeit als Gardist gelebt, das wusste Felis. Sie erinnerte sich noch an das Gespräch mit ihm vor etlichen Monden. Würde so ein Mann wirklich den Verstand verlieren? War es nicht eher so, dass er, wie auch Steinhauer, gute Gründe für eine Putsch hatten? Teils war es ja nachvollziehbar. Nie wurde es schriftlich niedergelegt, was die Gräfin verfügt hatte. Ein Fehler, ohne Zweifel, und dieser gipfelte nun in einen entsetzlichen Putsch. Aber nicht nur das. Als Solice die Orken ansprach, gerade, als Felis ein paar der Sonderausgaben des Botens verteilen wollte und Solice dabei vom "Schnätzen" sprach, so kühl, berechnend, da fühlte Felis Enttäuschung. Hätte sie die Schattenjäger gefragt, gut, auch diese wären eine fragwürdige Gruppe von Söldnern gewesen, aber die Orken standen auf einem ganz anderen Blatt. Nun standen die Orken hinter der Ersonter Garde und mit ihnen auch noch das Viertel. Einerseits ein Volk also, welches Wörter wie "Niederlage" und "verlieren" wohl nur kannte, um damit seine Gegner zu beschreiben, andererseits Menschen, die bis auf ihr nacktes Leben eh nichts zu verlieren hatten, dafür viel zu gewinnen, sollte der Putsch der Garde gelingen.
Sollte er wirklich, was würde dann aus Falkensee werden? Orken und Viertler hätten sicherlich das Sagen. Das Recht des Stärkeren würde regieren und Schutzgelderpressungen würden vermutlich zum Alltag gehören. Und der Rat selbst? Felis seufzte leise. Sie war hin- und hergerissen. Letztlich hatte sie sich am heutigen Tag, nachdem sie es wagte, sich in der Stadt kurz umzusehen, all die Blutlachen auf den Boden erkannte und manche Erzählungen, Gerüchte und Berichte aufschnappte, entschieden, die Stadt erstmal zu verlassen. Ganz wohl war ihr dabei nicht. Seeberg war für ihren Geschmack zu nah an Falkensee dran, Südfall sowieso. Für Radak musste man durchs Ödland, davon ab, dass sie dann auch gleich in Falkensee bleiben und sich mit den neuen Herren der Stadt arrangieren könnte. Blieb noch Brandenstein und das Versprechen, jeder Bürger Ersonts könnte dort Asyl finden.
Fraglich, ob es auch für sie galt, doch sie wagte es und betrat die Stadt mit einer Tasche voll Proviant, etwas Kleidung und Papier zum Schreiben oder Zeichnen (ihre 'Werkzeuge' indes gut versteckt - man weiß ja nie, wann man sie brauchen könnte). Dann würde sie eben notfalls drei Tage im Burgkerker bei Wasser und Brot verbringen, wenn der Bann bestehen blieb, gleich, was sie zuletzt mit Manu besprochen hatte. Immer noch besser, als auf Falkensees Straßen im eigenen Blut zu liegen allemal. Im besten Fall würde sie wohl eh nur mit verbalen Attacken leben müssen. Gut, dann würde sie sich eben in dem üben, was ihr Amelia geraten hatte - Ignoranz. Dass es damit bei ihr nicht weit her war, wurde nicht lange nach dem Betreten der Stadt offenbar, als sie unweit der Bank ausgerechnet auf einen Viertler und einen weiteren Kerl traf. Ruckzuck kochte ihr Gemüt wieder hoch, als hätte jemand einen Flammenstrahl direkt draufgehalten, doch glücklicherweise war es ein von Bjara herbeigerufener Malthuster, der die Kerle wiederum vertrieb. Auch Tintin begegnete ihr und nachdem sie ihm ihre Lage leise geschildert hatte, überreichte er ihr ohne zu zögern einen Schlüssel - eben zur Priorei. "Kirchenasyl" nannte er es. Felis war schlicht dankbar und drückte ihm unweigerlich einen Kuss auf eine Wange.
Nun saß sie hier und hoffte, Tintin würde mit Manu wegen ihrem Bann sprechen können und dann ... ja, gute Frage, was dann. Planen konnte sie beim besten Willen nichts gerade. Alles hing davon ab, was nun aus Falkensee werden würde. Im Stillen wünschte sie sich eine kleine Hütte in einem Wald herbei, wo man in Ruhe, fernab von Kriegen und Politik sein Leben leben konnte. Erst jetzt hob sich ihr Blick und schweifte rüber zu dem nahen Park, dessen Bäume sie dunkel gegen den nachtblauen Himmel wahrnahm. Eigenartig, wie sehr dieses Drängen nach der Ruhe des Waldes zunahm in letzter Zeit. Vielleicht ein neuer Weg?
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