Zitat:
Unter dem Donner der Oberfläche, in den Tiefen des abgründigen Meeres schläft der Kraken seinen uralten, traumlosen, ungestörten Schlaf. Bleiche Reflexe bewegen sich rund um seine dunkle Gestalt; riesige Schwämme, von tausendjährigem Wachstum, blähen sich auf seinem Rücken, und in den von bleichem Licht durchschimmerten Tiefen kommen unzählige große Polypen aus geheimen Winkeln und wundersamen Grotten hervor und versetzen mit riesenhaften Armen die grünliche Stille in Aufruhr. Seit Jahrhunderten ruht er dort, und er wird weiter ruhen — wobei er sich im Schlafe von gigantischen Meerwürmern nährt —, bis das Feuer des Jüngsten Gerichts den Abgrund erwärmt. Dann wird er brüllend heraufkommen, ein einziges Mal vor den Augen der Menschen und der Engel erscheinen, um an der Wasseroberfläche zu sterben.Alfred Tennyson
Erinnerung eines Söldners - Vor vielen Jahren in Vandrien:Es waren die letzten Monate des vandrischen Bürgerkriegs und der Rebellion Raziels, doch damals erschien uns kein Ende des Blutvergießens und Mordens in Sicht, der blutige Krieg, der Vandrien in zwei Gerissen hatte, schien vielmehr auf seinen Höhepunkt zuzustreben, dabei schwindelerregende Berge aus Knochen und Schädeln erklimmend und reissende Bäche aus Blut mit leichtfüssiger Schnelligkeit überspringend. Was in einigen Jahren in spröden und nüchterne Worte in Geschichtsbüchern ans Fußnote vermerkt werden sollte, war uns damals die Hölle auf Erden. Wir hatten für klingende Münze Schlachten geschlagen, gegen versprengte Überreste der vandrischen Kavallerie genauso wie gegen treue Bauern, die ihre Sensen erhoben, hinter dem Fall des Fürsten eine Intrige des Ersonter Adelshauses vermutend. Alle fielen gleich unter wuchtigen Schwerthieben, gleich ob gefallene Ketzer oder belogenes Bauernvolk und jeder ihrer Tode bedeutete eine blutbefleckte Münze mehr in unserer Soldtruhe.
Wir waren auf dem Weg nach Weteka, entlang der vandrischen Küste, war das Innenland doch noch von versprengten Truppen belagert. Wir passierten verbrannte Felder, gesalzte Böden, die keine Frucht mehr tragen würden und Vandrien lange würden hungern lassen. Wir passierten Felder voller Weizenähren, um die sich kein Bauer kümmerte und die man reif verrotten lies, anstatt die Kornspeicher zu füllen. Das Bauernvolk war geflohen oder hatte längst nach rostigen Waffen gegriffen, entweder unter dem Banner des Fürsten, unter dem Banner der Kirche oder unter dem goldenen Banner von Dukaten und versprochenem Reichtum als in die Armeen gepresste Soldaten.
Am Strand sahen wir ein seltsames Gebilde, scheinbar ein riesiger angeschwemmter Berg irgendwelcher Pflanzen. Lange Triebe hatten sich nass ineinander verheddert und ein Schwarm von Möwen umkreiste den verrottenden Berg, mehrere Mann hoch. Als wir näher herantraten, schlug uns ein übler Gestank nach Verwesung und Verrottung entgegen, schlimmer als im schlimmsten Lazarett voller versehrter Soldaten, die am lebendigen Leib verfaulten. Der Haufen war kein angeschwemmter Berg von Seetang, sondern ein verrottendes Tier, tot angeschwemmt an das Ufer. Riesenhaft war seine eingefallene plumpe Gestalt und unzählige lange Arme hatten sich ineinander verknotet, dicker als das dickste Ankerseil einer galadonischen Galeone. Fauliges Fleisch blähte den ganzen Körper des Tieres auf, entstellte seine Gestalt zur unkenntlichkeit und bot den Möwen ein reiches Mahl. Aus den tiefen Wunden des riesenhaften Tieres, des monströsen Krakens, zusammengeschrumpft zu einem gärendem rottenden Fleischhaufen am Strand eines geschundenen Landes, sickerte trübe schwere Flüssigkeit, viel zu dunkel und schwarz, um Blut zu sein, und sammelte sich in stinkenden Pfützen. Unter dem Fleisch verborgen waren zwei pechschwarze trübe Augen, die stumm anklagend in die Leere starrten und unter dem Gewirr der zehn langen Arme ein harter Schnabel, groß genug um einem ausgewachsenem Mann den Kopf abzureissen. Es war trotz des üblen Gestanks ein bemitleidenswerter Anblick, der Leichnam eines plumpen trägen Monstrums, einem Berg aus Fleisch und schlaffen unnützen Armen.
Traum eines ehemaligen Söldners - Jetzt und Heute
Ich war in der dunkelsten Tiefe eines tossenden Meeres. Schwach und leise drang donnernder Hall an meine Ohren und ab und zu erhellten ein fahles Aufblitzen das schwere Wasser. Träge schwebten riesige Steinbrocken um mich herum, das Wasser in dunklen diesen Tiefen, die nie einen Menschen gesehen hatten, dicht genug, um die Steine in ewigem Tanz zu tragen, ihr Kurs bestimmt durch Strömungen in dieser Tiefe. Unter mir verschlang pechschwarze Dunkelheit die Sicht, kein Meeresboden und auch über mir nur eine unendliche Weite dunkler See. Ich wusste, es war gleich so weit, gleich würde ER auftauchen.
Eine leichte Bewegung am Rande meiner Sicht. Plump und träge zwang ich meinen Kopf in dieser Tiefe zur Seite, jede Bewegung unendlich erschwert durch das zerschmetternde Gewicht der See auf meinen Gliedern. Ich sah zehn zur Umarmung ausgestreckte Arme leicht durch die See treiben, in fließenden und eleganten Bewegungen im Wasser tanzend. Ich sah einen riesigen Schnabel, geöffnet und einen schwarzen Schlund offenbarend. Hinter den Armen ragte monströs ein langgezogener Körper auf und zwei pechschwarze tellergroße Augen starrten mich an. Der Körper des Kraken war von Wunden geschunden, verfaulend und verrottend, wie ich ihn damals am Strand erblickt hatte. Dunkles Blut und noch dunklere Tinte sickerten aus seinem Körper in trüben Flocken. Und doch war jede seiner Bewegungen von Leichtigkeit und der Eleganz eines geschichten Jägers, als mich der Kraken langsam umschwebte. Niemals liese er sich als plump und träge beschreiben, wusste ich doch, dass der Kraken pfeilschnell auf seine Beite zuschießen könnte, um sie mit zerschmetternder Kraft zu zermalmen. In früheren Träumen hatte ich gesehen, wie der Kraken einen ausgewachsenen Wal in tödlicher Umarmung in dunkle Tiefen zog.
Die schwarzen Augen eines allwissenden Gottes starrten mich an mit der Weisheit eines Wesens an, dass seit Anbeginn der Zeit in die schwarze Tiefe geblickt hatte und deren Welt lange nach der meinen noch existieren sollte. Der verrottende Körper eines Gottes, der sich nicht darum scherte was über dem Meer geschah, wusste er doch, dass es für den Lauf der Welt gänzlich unwichtig war. Ich war unbedeutend und gering unter dem Blick des Kraken, ein wimmerndes bemitleidenswertes Wesen, dass seiner Aufmerksamkeit nicht würdig war. Niemals könnte ich die Gunst dieses Gottes erhoffen, weder Zuneigung noch Hass, nur schlichte Gleichgültigkeit ob seiner andersartigen Fremde. Und doch war er meiner Verehrung würdig, dieser Gott, der nur im Moment seines Todes die Tiefe verlassen sollte, um brüllend und tosend aufzusteigen, wenn im letzten Moment der Welt die Meere beginnen zu kochen, und zu verenden mit all den anderen Göttern und Seelen der Welt, die zum ersten und letzten Male im Laufe der Geschichte seine wahre göttliche Gestalt erblicken sollten, als er im Augenblick seines Sterbens die ganze Welt in seinen zehn monströsen Armen umarmen wird, damit Alles gemeinsam und geeint in den Abgrund des Nichts stürzt.
Ich war vor meinem Gott, von dem ich keine Beachtung erhoffen konnte, den in seiner fernen Tiefe kein Gebet erreichen würde und dessen Gestalt ich nur in meinen Träumen sah, die in mir selbst aus meinen Erinnerungen geboren wurden. Ich war vor meinem Gott, dessen Willen mir unverständlich war, nicht nur verhüllt, sondern gänzlich fern jedes Begreifens und der von mir als seinem Diener nichts erwartete, weder Verehrung noch Opfer, mich nicht einmal wahrnahm. Der Kraken streckte seine riesigen Arme verfaulenden Fleisches nach mir...
Zitat:
O Krake mit dem seidenen Blick! du, dessen Seele von der meinen unzertrennlich ist; du, der schönste Bewohner des Erdballs, der einem Serail von vierhundert Saugnäpfen befiehlt; du, in dem die sanfte Tugend der Kommunikation und die göttlichen Grazien, einig und unzerstörbar verbunden, in edler Gemeinschaft beisammen wohnen, als wärest du ihre natürliche Residenz, warum bist du nicht bei mir, deinen Quecksilberleib an meine Aluminiumbrust gepreßt, beide auf einem Felsen am Ufer sitzend, um dieses Schauspiel zu betrachten, das ich verehre!Lautréamont