Die sechste Nacht
Die dünne ausgemergelte Frau, saß in stiller Einsamkeit auf der Schaukel, die leise ächzend unter ihrem Gewicht knarzte. Freudlos und gleichmäßig ließ sie das Konstrukt
über den Boden gleiten, während sie sich leichtfüßig vom Boden abstieß um neuen Schwung zu holen. Auf ihrem Schoß saß das kleine Mädchen. Er hob den Kopf etwas an um ihr Gesicht aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, doch wie schon so oft zuvor wandte sie das Gesicht von ihm ab. Neben ihr standen die beiden anderen, wie nannten sie die Blasshäute noch? Seelenfresser? Oder hatte er sie nicht selbst so gerufen? Regungslos verharrten sie, während sie ihn mit ihren leeren ausdruckslosen Gesichtern anstarrten. Er erwiederte den Blick mit derselben Miene. Neben den Dreien standen die beiden dunkelhäutigen Frauen, die eine hatte die Arme verschränkt, die andere den Zeigefinger erhoben. Erst jetzt fiel ihm die Klinge in seiner Hand auf. Blut lief in einem dünnen Rinnsal an ihr herunter und sammelte sich in einer kleinen Pfütze vor ihm auf dem Boden. Er bückte sich und senkte den Kopf. Dann schaute er wieder auf zu den Personen, unsicher was zu tun wäre, doch sie nickten ihm nur schweigend zu. Er verstand und tauchte den Arm bis zur Schulter in die Blutlache. Dort unten war es dunkel aber warm, er fühlte etwas zerknittertes in seiner Hand ... Papier? Er griff zu und zog den Arm wieder heraus. Er war sauber. Er betrachtete
argwöhnisch das Pergament, las es durch und warf es weg. Waren das seine eigenen Worte gewesen? Er wusste es nicht mehr. Einer der Bleichen trat jetzt vor und hob den Zettel auf. Mit kalter emotionsloser Stimme, rezitierte er die Worte des namenlosen Gedichtes.
Zwei Herzen schlagen in meiner Brust
Das eine wild und voller Lust
Das andere jedoch gefüllt mit Lethargie
Durchdringt es mich mit seiner Melodie
Singt mir ein Lied von Angst und Frust
Ergötzt sich an Zweifeln und Verlust
Errichtet eine Klagemauer
Labt sich an der tiefen Trauer
Versetzt mein Herz in Apathie
Nährt sich an Schmerz und Infamie
Greift nach der Angst
Lähmt meinen Geist
Und stirbt doch nie
Nur ein Lichtblick in der Dunkelheit
Versprüht in mir von Zeit zu Zeit
Noch einen Funken Heiterkeit
Denn selbst wenn´s im Gemüt auch schneit
Und Finsternis bestärkt mein Leid
Ist´s die Erinnerung an dich, die mich rettet
Und an die Säulen Tare´s kettet
So lang wie diese Freude, dauert kein Leid in mir
Bis auf Eines und auch dafür dank ich dir.
Dann wachte er auf, die Erinnerung des Traums verblasste wie ein flüchtiger Nebelschleier am Horizont, noch bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte. Er atmete tief durch, ließ die Hand tastend über die schmerzende Stelle an seiner Hüfte gleiten, an der ihn der Speer durchbohrt hatte. Nur eine Fleischwunde. Die Taverne kam ihm wieder in den Sinn, ein leiser Seufzer unterbrach für einen Moment die Stille der Nacht. Wie ein Anfänger, der noch grün hinter den Ohren war, hatte er sich verhalten. Kein Benehmen das seines Volkes würdig war. Dieser Ort löste in ihm seltsame Gefühlsschwankungen aus, dies war nicht Endophal, die Menschen verhielten sich anders, sprachen anders, selbst seine Lanzleute hier waren anders. Er rieb sich nachdenklich über das Gesicht, massierte die Nasenwurzel und blickte wieder starr auf die Mauer genau vor ihm. Diese Insel veränderte ihn, ein Exil nicht mehr und nicht weniger war es, vielleicht war es das was diese Unruhe in ihm auslöste, der Grund warum er so feindselig auf die bleichen Fremden reagiert hatte, die ihm im Grunde genommen egal waren. Vielleicht gab es hier keinen Platz für jemanden wie ihn, jemanden der seine Bestimmung verloren hatte. Er erinnerte sich an die Worte der Wirtin, sie hatten ihn härter getroffen als sie es vielleicht selbst ahnte, er schuldete ihr noch eine Entschuldigung, soviel standfest ... um genauer zu seine schuldete er den Beiden noch Eine.