3. Carmer des Jahres 22 nach Hilgorad
Rothenbucht
Mit großen Schritten ging er über die Planken Rothenbuchts. Der Großteil dieser Hafenstadt war wie ein einziger großer Hafen mit hunderten von Stegen und Häusern auf Stelzen. Wenn man genauer hinsah konnte man erkennen, dass manches Haus in Wahrheit ein Schiff war, dass vielleicht vor Jahren neben einem Steg positioniert war. Die Anzahl der Wachen war bemerkenswert. Nebst der Stadtwachen waren viele uniformierte Wachen der Handelshäuser und Leibwächter, die teils eher wie Räuber aussahen, zu sehen. Unter dieser Menge war William recht unscheinbar. Im Gegensatz zu seinem bisherigen Leben hatte er nichts an, was darauf hindeutete, dass er ein erfahrener Soldat war und da er keine Leibwachen mit sich führte, ging er in dieser Menge wohl als unwichtiger Mann durch. Und das war auch gut so. Denn je weniger er auffiel, desto weniger Leute sprachen ihn an oder behielten ihn im Auge. Er wollte beobachten, Informationen sammeln über die Lage auf dem Festland.
Auf dem Festland kümmerten sich die Wenigsten um Siebenwind. Die Menschen hatten genug Probleme in ihrer eigenen Heimat, als dass sie sich um Siebenwind sorgen konnten. Lediglich schnappte er ein paar Sätze auf, die über Siebenwind handeln müssten. Und das waren wohl auch mächtige Händler, die nur an ihren Handelsprofit dachten. Es würde schwer werden irgendwelche wichtigen Informationen über Siebenwind aufzutreiben.
Rothenbucht war eine komplizierte Stadt, viele der Gebäude waren aus Holz und sahen sich recht ähnlich. Da die Stadt mehr auf Wasser errichtet war als auf festem Boden, war es nicht möglich mächtige Gebäude zu bauen, die herausragten. Nur das große Kriegsschiff des Grafen konnte man von überall erblicken, doch dort hatte William auch nichts zu suchen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als einfach durch die Stadt zu gehen um etwas interessantes zu entdecken. Nachdem er einige Zeit herum irrte, entdeckte er eine kleine Kaserne nahe dem Haupteingang der Stadt. Um das Gebäude herum war der Boden etwas fester und man hatte dort Übungsplätze errichtet. Das war an sich alles nicht unbedingt interessant, jedoch die Menge auf einem diese Übungsplätzen ließ William näher kommen. Es wurde rekrutiert. Die erfahrenen Soldaten standen uniformiert am Rande des Übungsplatzes in einer geraden Reihe, während die Neuen überall auf dem Platz verstreut waren. William erinnerte sich an diese Momente gut, auch er stand oftmals in so einer Reihe, wie die erfahrenen Soldaten an diesem Tag und saß sogar ein paar mal hinter dem Tisch des rekrutierenden Offiziers. Seine Mundwinkel hoben sich kurz an und er näherte sich noch ein Stück an eben jenem Tisch um auch die Gespräche mitzukriegen. Er spürte, dass er einige Blicke auf sich zog, doch niemand trat auf ihn zu. Vielleicht dachten sie sich, warum so einer wie er sich rekrutieren lassen wollen würde. Letztlich waren die meisten eher von schlechten Verhältnissen und standen da wie eingeschüchterte Hühner.
Jeder Neue, der angesprochen wurde, nickte zum Gesagtem und rannte dann los auf die Palisaden. Die Anderen ließen sich von den Seilen runter, wie ein paar arme Spinnentiere, die zu viel Wind abbekamen oder sie stachen mit Speeren auf irgendwelche Heuballen ein, bis ein Soldat den Speer mit einer harschen Bewegung ihnen aus der Hand nahm. Das waren die Befehle, die man den Leuten gab um zu sehen, ob sie wenigsten ein wenig Potential hatten.
„Name?“ fragte der Offizier hinterm Tisch und William wandte den Blick dorthin. Der Mann hatte auf seinem kahlen Kopf nur mehr drei schwarze Strähnen. In der Hand hielt er eine Feder, um wohl die Namen auf das Pergament vor sich zu schreiben. Mit harten Blicken sah er zu den nächsten in der Reihe. Es waren zwei junge Burschen. Als die Antwort sich ein wenig verspätet hatte, hob er seine Augenbrauen einen Deut an.
„Will! Meine Freund nennen mich Will aber ihr schreibt am besten Willhem!“ meinte dann der erste Bursche, der ein wenig näher zum Tisch stand. „Mit H-E-M dahinter. Ohne L.“Als der Bursche begann zu buchstabieren, zogen sich die Augenbrauen des Offiziers zusammen.
„Willhem mit H-E-M dahinter, dann sag mir mal, wo du das Lesen gelernt hast.“„Ehm..“ begann der Bursche und sah ein wenig ertappt aus für einen Moment, doch dann fasste er sich wieder.
„Ich kann nicht lesen. Bei meinem Meister gab es nur zwei Wills. Einer mit H-E-M und der andere mit H-E-L-M. Und man brachte uns oft durcheinander... Daher weiß ich nur diesen Unterschied, wie es mir mein Meister mal verdeutlichte, mein Herr.“Der Offizier sah aus als würde er durch ihn hindurch blicken.
„Dein Meister? Was war das denn für ein Meister. Deine Hände sehen mir recht wenig mitgenommen zu sein. Wenn ich nur auf deine Hände sehen würde, würde ich meinen, es steht eine hübsche Frau vor mir.“„Mein Meister war ein sehr guter Goldschmied. Also eine feine Arbeit!“Der Offizier schien nicht unbedingt überzeugt zu sein.
„Weißt du, was mit den Offizieren geschieht, die die Burschen vom gutem Hause ins Militär einschreiben?“„Ich komme nicht vom guten Hause.“ meinte der Bursche dann. Doch sein Ton hatte sich verändert. Es mischte sich ein Hauch von Arroganz ein. Und die Kälte konnte man nicht überhören. Nun war er alles andere als ein schüchterner Bursche.
„Achja...“ entgegnete der Offizier, nicht sonderlich beeindruckt.
„Der nächste.“Daraufhin wurde der Bursche noch wütender und legte seine Hand auf den Tisch des Offiziers und funkelte ihn an.
„Ich möchte mich einschreiben lassen.“„Ich sagte: der Nächste.“ meinte der Offizier kühl.
„Führt diesen Burschen ab.“Sogleich traten zwei Soldaten aus der Reihe und gingen mit großen Schritten auf den Burschen zu und packten ihn an jeweils an einem Arm um ihn abzuführen. Doch sie hatten es nicht sonderlich leicht. Der Bursche war durchtrainiert und keineswegs schwach. Nach einigem Gerangel, haute ihm dann ein Soldat recht ungeniert in die Seite, woraufhin der Bursche zusammenfuhr. Er hatte es wohl nicht erwartet, dass die Soldaten derart hart durchgreifen. In diesem Moment trat William auf die Soldaten zu und legte eine Hand auf die Schulter des Soldaten, der sich recht schnell umdrehte.
„Schon gut. Ich bringe ihn hier weg.“ meinte William ruhig.
Für einen kurzen Moment sah der Soldat ihn recht skeptisch an, ehe er den Burschen zu ihm rüber schubste. Auch William packte den Burschen mit einer Hand am Arm und wisperte sogleich:
„Das bringt hier nichts. Gehen wir. Vielleicht habe ich für dich ein Angebot.“