Event-Teamleiter |
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Registriert: 6.04.08, 20:14 Beiträge: 2882 Wohnort: USA
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Still und Heimlich Zitat: Logbuch des Kapitäns Zwanzigster Tag nach dem Sturm Bei einer angenommenen Reisedauer von nun fünfzig Tagen bei durchschnittlich vier Knoten kommt eine beeindruckende Rechnung zustande. Ich muss bereits, ganz grob überschlagen, viertausend und achthundert Seemeilen zurückgelegt haben, was anderthalb mal der Strecke vom nördlichsten Norland bis zu den Mahad-Inseln Endophals entspricht.
Zu Wichtigerem: Ich passierte die Steinsäulen ohne einen größeren Zwischenfall und ohne weitere Schäden an meinem Schiff. Zwei Probleme kamen hinzu, beziehungsweise wurden verschärft: Einerseits geht mir in drei bis vier Tagen der Proviant endgültig aus, andererseits sitze ich wahrscheinlich in der größten Falle auf Tares' Angesicht. Ich beobachtete, wie nahe meines Schiffes ein Netz aus Algen zur Oberfläche schoss und dabei wie ein Käscher, wie eine Reuse die Meereskreaturen mit sich brachte, um sie ersticken zu lassen. Das Netz hat einen Durchmesser, den ich ob mangelnden Vergleiches nicht einzuschätzen vermag - doch sind sie riesig, unfassbar fast schon. Dazu kommt, das vor dem Auftauchen dieses Algennetzes unzählige Fischwesen sich aus dem Wasser erhoben und davonflatterten, ohne Federn an ihren fehlplatzierten Flügeln.
Nun stellt sich mir die Frage, was es mit diesem Irrsinn auf sich haben mag. Für den Moment bin ich zum Schluss gekommen, dass es sich tatsächlich um eine gigantische Falle handeln muss: Es erklärt, warum ich seit der Nähe zu den Säulen weder Fisch noch Vogel erblicken konnte. Sie wurden wohl wie mein Kompass verwirrt und schließlich von einem der Algennetze erwischt, um am Meeresboden.. irgendwie zu diesen geflügelten Delphinen mit Entenschnäbeln zu werden. Wer würde soetwas tun, wer hätte Freude daran oder auch nur einen Nutzen? Zweifellos ist der oder das Wesen, das hinter all dem steckt, mächtig. Ich muss auf der Hut bleiben. Am Ende ist's noch ein Wasserdämon, Xan steh' mir bei.
Meine einzige Gelegenheit, das hier in einem Stück zu überleben, ist, mich so leise und unauffällig wie irgendmöglich durch diese Gewässer zu schleichen. Wenn ich nicht als Beute empfunden werde, so werde ich mit etwas Glück von den Algennetzen verschont.
- Tintin. Er klemmte das Buch wieder zwischen die Kisten mit Proviant an Deck und zog den Schal aus kratziger Wolle höher. Die Kälte war plötzlich hereingebrochen, hatte den nahenden Hauch Morsans mit sich gebracht. Als er heute morgen erwacht war, hatte Raureif das Schiff glasiert wie Zuckerguss und jeden Schritt zu einer Rutschpartie gemacht, bis Felas' wärmende Strahlen eingeschritten waren. Die Kälte nagte gar an der See: Nebelschwaden waberten über der Oberfläche der ruhigen See. Nun stand er dort, dick eingemummelt in Ölkleidung und Felle, gegen Kälte und Nässe. Mit den klammen Fingerspitzen löschte er die letzte Lichtquelle an Bord, seine treue Laterne. Die Hände legte er auf das kühle Holz des Steuerrads und hob' den Kopf leicht, zu den Segeln und weiter jenseits zum Horizont blickend. "Ventus, sanfter Wind in meinen Segeln, Steh' einem verlorenen Reisenden bei, der weit ab bekannter Pfade sucht, dem Drang der Neugier nachzukommen - der so in deinem Sinne handelt, und dich an seiner Seite weiß. Ich bitte dich, hilf' mir, diese und so viele andere drohenden Gefahren zu überwinden, auf dass ich vermag, irgendwann den fernen Strand zu erreichen." Als die Worte über die vor Kälte farblosen Lippen des Blonden kamen, sah er ein, dass Angst ihn erfüllte. Er wollte nicht so fern von daheim sterben, hungernd, frierend und allein. Er wollte nicht, dass diese Reise umsonst gewesen sein würde - wollte nicht, dass fremde Mächte ihm verwehrten, worauf er hingebungsvoll hinausgearbeitet hatte. Er klammerte das Steuerrad fester und schloß die Augen, um das Zittern zurückzuhalten, das in ein Schluchzen umzuschwanken drohte.
Mit bebenden Schultern stand er dort, nicht sehend, dass die nahen Nebelschwaden bei jedem Aufwallen durch den schwachen Wind näher am Schiff zum Liegen kamen, bis man auf dem Deck keinen Schritt weit mehr schauen konnte: Man sah die eigene Hand vor Augen nicht mehr. Die beständig im Wind umherschwankenden, flatternden und klimpernden Teile der Takelage verstummten, als Raureif sich ausbreitete und sie hielt, oder ihr Lärm schlicht vom watteähnlichen Nebel erstickt wurde. - - - Etwas später...Zitat: Logbuch des Kapitäns Nachtrag! Habe mich beim Überlegen dabei ertappt, wie ich eine Schildkröte vor mich hinkritzelte. Mag es sein, dass sich eine eben solche unter der Wasseroberfläche versteckt, überwuchert von Algen, die wie ein Pelz ihren Panzer schmücken? Kann es sein, dass es gar nicht beabsichtigt, diese Vielzahl an Fischen zu töten - dass sie sich schlicht beim Auftauchen dieser Kreatur in den verworrenen Algen verhedderten? So würden die fliegenden Fische und das Blubbern ihr Auftauchen ankündigen. An sich ein schlüssiger Gedanke. Werde versuchen, ob ich mit meinem Fernrohr einen besseren Blick drauf bekommen kann, was unter der Wasseroberfläche lauern mag. Eventuell erwische ich mit dem Bootshaken auch ein paar der größeren Fische, um davon zu zehren. Vorsichtig, natürlich.
- Tintin. Er klappte das Buch hastig wieder zu, bevor der allgegenwärtige Nebel die Seiten allzusehr in Mitleidenschaft zog. Mit dem Bootshaken in der Hand beugte er sich über Bord und hielt Ausschau nach toten Fischen, die die Strömung herantragen mag. "Auf den Tisch kommt heut ein Fisch, ein netter Fisch. So zart und frisch..", murmelte er leise vor sich hin und fuhr mit dem Haken durch das nahe Wasser.
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