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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 10.12.11, 03:04 
Festlandbewohner
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Ein weiterer Tag ist auf hoher See vergangen, der Nebel hat sich inzwischen gänzlich gelegt und ist einem sanften Schneefall gewichen. Die Temperaturen sind indes knapp unter dem Gefrierpunkt gefallen. Als sich die Sonne allmählich wieder zu Senken beginnt und sich das von der nahenden Nacht kündenden Zwielicht über das Meer legt lässt der einsame Seefahrer seinen Blick abermals über die endlosen Weiten des Ozeans schweifen. Nichts, rein gar Nichts, was sein Auge auszumachen vermag, vom Wasser und Schnee einmal abgesehen. Schließlich schweift der Blick auf ein Neues zum steingrauen Himmel empor, doch auch jener Anblick vermag es nicht das allmählich immer stärker werdende Gefühl der Einsamkeit zu vertreiben.

Schließlich reist eine Folge sanfter Klänge den halb träumenden Kapitän aus seinen Gedanken. Eine sonderbar melodische Ansammlung tiefer Töne dringt geradewegs aus den tiefen des Ozeans empor, immer wieder mischt sich dabei ein Geräusch wie das Aufschreien von Vögeln in die Woge der Klänge. Rasch eilt der Priester des Ventus hinüber zur Reling und späht in die dunkle Tiefe ehe er nach einigen Momenten ein sonderbares Leuchten inmitten des schwarzen Wassers erspäht. Bei näherem Hinsehen offenbart sich schließlich, dass es sich bei dem Leuchten, welches zugleich auch die Ursache der merkwürdigen Geräusche ist, um einen Schwarm von etwa einem guten Dutzend, etwa Delphingroßer, Wesen handelt der sich rasch durch die kalten Fluten bewegt. Die Silhouette wird dabei von einem hellen Lichtschein umgeben der aufaufhörlich seine Farbe wechselt, dabei offenbar sämtliche Farben des Regenbogens in scheinbar willkürlicher Reihenfolge annehmend. Einige Zeit lang begleitet der Schwarm schließlich das winzige Seegefährt wobei die aus dem Meer dringenden Klänge immer mehr an Deutlichkeit und Kraft zunehmen. Ein seltsames Gefühl der Ruhe und Entspanttheit legt sich dabei auf das Gemüt des Seefahrers, welcher diesen Zustand seines Geistes beinahe inmitten der ihn stets umgebenden Tristes vergessen hatte. Schließlich löst sich der Mann wieder aus seiner Tranceähnlichen Starre als die Kreaturen wieder in den Tiefen des Meeres verschwinden und ihr melodischer Klang so plötzlich verstummt wie er eingesetzt ist. Als der Blick schließlich umher schweift erkennt der Lanzantin leicht verblüfft, dass es inzwischen tiefste Nacht ist, Fela ist offenbar schon seit einiger Zeit gänzlich hinter dem Horizont verschwunden. Auch der Schneefall hat inzwischen aufgehört und statt des dunklen Wolkendecke erstreckt sich nun das endlose Sternenzelt über dem Kopf des Mannes.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 18.12.11, 04:10 
Edelbürger
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Kalt endet es


Er drohte, halb aus der Hängematte zu fallen, als er sich liegend herabbeugte, um noch eins der am Boden liegende Felle hochzuziehen - unter all den Pelzen war der Blonde kaum mehr zu sehen. Er schaffte sich etwas Platz in der kleinen, behaglichen Höhle aus Fell und erlaubte nur einen winzigen Schlitz, damit ein wenig trübes Laternenlicht hereinfallen konnte. In diesem Zwielicht zog er das Logbuch hervor und widmete sich mit zittriger Hand dem nächsten Eintrag.

Zitat:
Logbuch des Kapitäns
Neununddreißigster Tag nach dem Sturm


Mein letzter Eintrag scheint noch vom ersten Treffen mit der vermeintlichen Schildkröte zu stammen. Dann führe ich dort mal pflichtbewusst weiter: Die Proviantsituation hat sich verschlechtert. Heute ist der dritte Tag, an dem ich hungere. Ich war noch nie der Völlerei zugeneigt, aber mir schlägts inzwischen trotzdem arg auf den Magen. Ich muss schon ein gutes Dutzend Mal die Fässer durchsucht haben, ob ich nicht irgendwo noch einen Krümel übersehen haben könnte. Leider nicht. So sitz ich hier und kau' auf einem Stück splitterigen Holzes herum und halte mich bei Laune mit Träumereien von den exotischen Köstlichkeiten, die ich mir in Endophal gönnen werde. Datteln, eingewickelt in Speck und sanft gebraten. Kühle Kokosmilch dazu, serviert von reizenden Damen, süß wie die kandierten Früchte, die es dazu geben wird. Vielleicht sogar eine ganze gebratene Gans in einer vollen Rotweinsoße, so zart, dass das Fleisch auf der Zunge zerfällt.
Ich sollte aufhören, mich selbst so zu quälen. Für den Moment bleibt nur, den Gürtel enger zu schnallen.

Das Wetter ist arg geworden. Arg kalt, wills heißen. Ich kann kaum mehr an Deck, ohne danach bis auf die Knochen durchgefroren zu sein. Ich hatte tatsächlich gehofft, vor Einbruch der Kälte wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, aber es sollte nicht so sein. Dem Schiff machts wenig aus, und ich habe sowieso keinen blassen Schimmer, wo ich mich gerade befinde. Ich kann den Kurs noch halten, aber zu mehr reicht es momentan nicht. So lasse ich die Segel gehisst und bete ununterbrochen zu Ventus und Xan, auf dass sie mich geleiten mögen.

Mal ganz davon abgesehen: Inzwischen habe ich zarte Hoffnungen entwickelt, dass die Kreaturen der See um mich herum mir wohlgestimmt sein könnten. Es war anfangs verschreckend, diese sonderlichen Geschehnisse anzuschauen, aber neulich erst offenbarte sich mir eine ganz andere Seite dieser.. einzigartigen Fische. Ein Schwarm dieser delphinähnlichen Wesen begleitete mein bescheidenes Schiff für eine viel zu kurze Weile und ließ mich ihr Lied hören - meine Feder stockt beim Versuch, detailgetreu davon zu berichten und so werde ich's für den Moment auch unterlassen. Es muss reichen zu berichten, dass es mich die Qualen dieser vermaledeiten Reise für einen glückseligen Abend vergessen ließ. Das allein ist mächtig beeindruckend.

- Tintin.


Mit einem dumpfen Knall schloß er das Buch und warf es auf seinen angestammten Platz, am Boden der Kajüte unter der Hängematte. Stattdessen wühlte er nun in den Fellen herum, bis sich die Finger um eine Flöte schlossen. Er zog sie zu sich heran, wischte das Mundstück mit einem Ärmel sauber und setzte an. Noch spät in der Nacht hätte ein unwahrscheinlicher Beobachter hören können, wie sich der Seemann dran versuchte, die Klänge der Delphine mit seiner alten, abgenutzten Holzflöte nachzuahmen.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 25.12.11, 19:06 
Edelbürger
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Ein blinder Passagier


Zitat:
Logbuch des Kapitäns
Sechsundvierzigster Tag nach dem Sturm


Nun hungere ich bereits mehr als eine ganze Woche. Meine Kraft lässt dementsprechend nach, und meine Gedanken widmen sich allzu oft dem bohrenden Loch in meinem Magen. Ich ertappe mich dabei, wie ich das Schiff wieder und wieder durchsuche, jede Ecke und jede Spalte durchkramend auf der vergeblichen Jagd nach etwas auch nur entfernt essbar Aussehendem. Manchmal hilft, nur genug Wasser zu trinken, bis ich mich fühle, als müsste ich platzen - doch weiß ich, dass ich dadurch auch meine Vorräte an Trinkbarem ungebührlich beanspruche. Ich habe das Schiff noch unter Kontrolle und kann den angedachten Kurs halten, doch muss ich zu allen Göttlichen beten, dass ich alsbald ankommen mag.
Das muss für den heutigen Eintrag ausreichen. Kann nicht viel mehr Kraft dafür aufbringen.

- Tintin.


Er beugte sich aus der Hängematte, in der er ohne viel Elan herumhing, heraus um das Buch wieder auf den Boden der Kajüte zu legen. Dabei stieß er mit dem Handrücken gegen den Rücken eines anderen Buches, das daraufhin weiter in die diffusen Schatten jenseits des Scheins seiner treuen Laterne rutschte. Spontan streckte er sich danach aus und prompt rutschte die Hängematte unter ihm heraus. Polternd, schimpfend, fluchend kam er auf den feuchten Holzbohlen zum Liegen, mit beiden Händen das schmerzende Kreuz packend. "Bei allen horenverdammten Niederhöllen, was für eine affenmäßige Scheiße!", rief er aus und schlug dabei mit bloßer Hand auf den harten Boden ein. Das sollte er auch gleich bereuen, als er sich einen kräftigen Splitter in die Handfläche rammte. Knurrend packte er nach dem mysteriösen Buch, das ihn in diese Misere gebracht hatte und zog es aus der Ecke. Mit einem der zerrissenen Ärmel wischte er Staub, Stroh und Schmodder vom Einband und kniff die Augen zusammen, um den Titel ausfindig zu machen. "Reiseführer", stand dort in kantigen, altmodischen Buchstaben. Er legte ihn vor sich auf den Boden (alles in allem war das Werk ein ziemlicher Schinken - gute siebenhundert Seiten dick) und fuhr mit den Fingerspitzen die abblätternden Buchstaben nach. Er hätte schwören können, dass er es nicht eingepackt hatte. Ganz sicher, sogar. Er hatte nur das Logbuch und die Karten zur Navigation mit an Bord gebracht, aber das hier? Daran hätte er sich erinnert. Mit tief gefurchter Stirn fuhr er mit den Fingern an die Kante herüber und schlug das Buch auf. Hier stand, auf gelb gewordenem Pergament in blassen Buchstaben nur wieder das Gleiche: "Reiseführer".

Und so hätte er das fremde Buch wahrscheinlich wieder in die Ecke geschoben und vergessen, um sich der Suche nach Essen zu widmen. Doch es begann, aufgeregt zu fiepsen und hin und her zu wackeln in seinen haltenden Händen. Ein Geräusch wie schabende Krallen war aus den Seiten zu hören und eine winzige Nase schnüffelte hörbar die Luft. Vor Schreck ließ er es fallen und kroch auf allen Vieren rückwärts ein Stück weit zurück, das vermeintlich 'sprechende' Buch verstört anstarrend. Da hoben sich die Seiten mittig und heraus ragte eine pinke, feuchte, winzig kleine Nase mit kraus abstehenden Schnurrhaaren, die aufgeregt zitterten. Schon war der Seemann wieder hellwach bei der Sache und hechtete voran, das Buch aufschlagend. Die beiden rauen Hände packten die matschbraune Maus und hielten sie fest, eng umschlossen. Nur eine kleine Lücke wurde gelassen, um die Beute und das erhoffte Abendessen näher betrachten zu können. Mit einem enttäuschten Seufzen ließ er das dürre Ding daraufhin auch prompt wieder los - er hätte die Rippen der kleinen Maus durchweg zählen können, es ging ihr nicht besser als ihm. Schien, als hätte sie von den Krümeln gelebt, die er gelegentlich hatte fallen lassen (als es noch Essen an Bord gegeben hatte). Das klevere Mäuschen musste sie nur aufsammeln und zurückbringen in das geschickte Versteck, das es sich im Buch geschaffen hatten. Gute hundert Seiten waren, ungleichmäßig, mittig durchgekaut, sodass sich eine Höhle ergab, gerade groß genug für die Maus selbst und ein wenig Polsterung aus altem Stroh. Die Maus war inzwischen zurückgekehrt und schnüffelte am Rand des Buches, ihrer Heimat, herum, während er den Index aufschlug. Einträchtig saß das gleichermaßen hungernde Pärchen nebeneinander, während der Mensch sich der unverhofften Lektüre widmete.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 2.01.12, 00:39 
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Abermals erwacht Lazantin mit schier brüllendem Magen, doch irgendetwas war anders, dies spürte er sofort, wenngleich es seinen Verstand einige Augenblicke intensiven Grübelns kostete zu realisieren was genau sich geänderte hatte. Schließlich dämmerte es ihm, dass die zuvor so eisige und unerbittliche Kälte fort war. Perplex stieg er abermals hinaus auf sein Schiff und ließ seinen Blick umher schweifen, noch immer war nichts von Land zu sehen, doch an zahllosen Stellen brodelte das Wasser geradezu und dichte Dampfwolken stiegen gen Himmel wo sie in etwa hundert Metern Höhe zu winzigen Tröpfen auskondensierten die unablässlich zurück in die See sanken. Rasch holte der Kapitän und ließ einen Eimer hinab ins blaue Nass und als er ihn empor gezogen hatte bestätigte sich sein anfänglicher Verdacht, das Wasser hat die Temperatur als wolle man es geradewegs für ein heißes Bad nutzen. Rasch stellte er einige seiner Eimer auf um die hernieder sinkenden Tropfen aufzufangen, auf dass er abermals an frisches Trinkwasser gelangt und tatsächlich ist das Wasser durchaus trinkbar, wenngleich es etwas fad schmeckt.

Als er den Blick wieder in die ferne schweifen lässt um das Phänomen genauer in Augenschein zu nehmen erspäht er ein etwa 3 bis 10 Kilometer breites Bad aus Dampfsäulen, an einigen Stellen sind sogar wild sprudelnde Fontänen zu erkennen, welches sich scheinbar bis zum Horizont zieht. Tief atmete Lazantin durch wobei ihm ein sehr schwacher aber dennoch vorhandener schwefeliger Geruch in die Nase stieg. Zumindest würde er also vorerst nicht erfrieren, und vielleicht hatte er ja Glück und auch das Problem der erschöpften Vorräte würde sich durch eine günstige Fügung des Schicksals lösen.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 7.01.12, 17:56 
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Heiße Angelegenheiten


Zitat:
Logbuch des Kapitäns
Dreiundfünfzigster Tag nach dem Sturm


Mein Kurs muss mich gradewegs zu und durch alle Absonderlichkeiten führen, die die Meere Tares aufbieten können. Nach vor Algen grüner See und dem Ring aus Stürmen, nach den leblosen Stelen aus Stein und dem Reich der vermeintlichen Riesenschildkröte, traf ich nun auf kochende Gewässer. Soweit das Auge reicht, brodelt die See um mich herum wie ein frisch gefüllter Badezuber und riecht dabei wie ein Stallbursche, der eben jenen Zuber dringend nötig hätte.

Frost, Schnee und Eis schmolzen dahin: stattdessen ist nun alles an Deck vollgesogen, denn die Luft ist so feucht, dass man sie fast in Scheiben schneiden könnte. Das reinste Dampfbad hier, und bei dem Gedanken wird es mir ganz wohlig. Ich bin kein Mensch für die Kälte und nicht umsonst sah mein Kurs vor, Endophal anzusteuern und nicht das bitterkalte Norland. Indem ich das Focksegel auswringe, sollte ich in der Lage sein, mühelos genug sauberes Trinkwasser zu gewinnen, um meine Reise fortsetzen zu können. Tatsächlich trinke ich gerade davon, und es tut wohl.
So fürchterlich schweflig wie es schmeckt kann es ja nur gesund sein.

- Tintin.


Er legte den Federkiel beiseite und klappte das schwer eingebundene Buch hastig zu, bis die feuchte Luft die Tinte allzusehr verflüssigte. Würde er das nächste Mal halt eine Seite überspringen müssen. Mit den Füßen über Bord saß er direkt an der Reling, in Griffweite einen Zinnkrug mit dem neu errungenen Wasser. Er war unerhofft hoffnungsvoll, durfte er feststellen. Seit, so kam es ihm zumindest vor, einer schier unermesslichen Ewigkeit hatte er endlich wieder das beruhigende Gefühl, einen nicht ganz leeren Bauch zu haben. Es würde nicht lange vorhalten, da brauchte er sich gar keine Illusionen zu machen, aber es tat gut.

Neben dem Krug lagen ein paar Fetzen hellen Fells und wurden mit der nächsten Brise fortgeweht, und auch der Kopf und das Gedärm einer bestimmten Maus lagen dort, abgetrennt und am Stumpf blutig. So abgehärtet war er dann doch nicht gewesen, auch wenn er den Rest roh verschlungen hatte. Mit dem Handrücken fegte er den Kopf davon und sah zu, wie er mit einem kleinen Platscher in den Wellen verschwand. Es hatte fürchterlich geknackt, als er die Knochen zerkleinert hatte. Das war fast noch schlimmer gewesen, als das zutrauliche kleine Mäuschen überhaupt umzubringen. Ein Griff, ein Ruck, da war das Genick gebrochen. Übrig geblieben war jetzt nurnoch eine Rippe, die er herausgebrochen und gesäubert hatte. Diese war für eine Bastelarbeit gedacht, der er sich jetzt wieder widmete. Einen festen Seemannsknoten später war es geschafft. Er hatte eines der schlankeren Seile aufgedröselt und eine Faser mittig um die Rippe gewickelt, bis alles fest saß. Das andere Ende der festen Schnur wurde am Bootshaken befestigt und schon konnte er sein Glück versuchen. Das Gedärm der Maus wurde als Köder aufgespießt und mit einem Schwung holte er aus, seine behelfsmäßige Angel auswerfend.


- - -


Er langte nach dem Reiseführer an seiner Seite und holte mit dem schweren Buch in der Hand aus. Der Buchrücken traf den Fisch mit Wucht am Kopf und sorgte dafür, dass dieser benommen für einen Moment aufhörten zu zappeln. Gerade lang genug, damit Tintin mit einem Messer den Fischkopf abtrennen konnte. Hastig begann er nun, das fette Ding topffertig zu machen. Er hatte keinen blassen Schimmer von Fischen, wusste nicht einmal was genau er da vor sich hatte, aber er wusste, dass nur ein paar Gräten und die Schuppen ihn von einem gekochten Mahl trennten. Hastig wurschtelte er sich durch den frischen Leib des Fisches und ließ das herausgerupfte Fleisch schließlich in das Wasser im Eimer neben sich sinken. Es würde nicht ausreichen, um ordentlich zu kochen, aber wenn er fleißig aus dem Meer nachschöpfte, könnte er zumindest ein Stück weit sicherstellen, dass es nicht mehr komplett roh war. Außerdem salzte das Meerwasser gleich mit - sehr praktisch. Als er sich die ersten Brocken in den Mund schob und eilig zerkaute, dachte er über die Ironie nach. Es war wohl das warme Wasser gewesen, dass die Fische überhaupt erst hierher gelockt hatte, in dieser kalten Jahreszeit. Nun bat es sich ihm geradezu an, das Kochen zu ermöglichen. Aber das war nunmal das Schicksal. Wenn es drauf ankommt, geht es um Fressen oder Gefressen werden. Und mit dem köstlichen Fisch im Mund fiel es ihm nicht schwer, sich zu entscheiden. Er würde sein Glück gleich nochmals versuchen, solange ihm die Nähe zu den heißen Quellen dazu noch die Gelegenheit gab.

- - -


Fast eine Woche später...


Zitat:
Logbuch des Kapitäns
Zweites Dunkeltief des Jahres 23 n.H.


Die gute Nachricht ist, dass ich durch ein relativ seltenes astronomisches Phänomen nun ganz genau weiß, welcher Tag heute ist. Ein rundum angenehmes Gefühl - es ist Königstag, den ich damals gern in Gesellschaft meiner Ordensbrüder der Ecclesia verbrachte. Lange in den Tag hinein ausschlafen und generelles faulenzen, gutes Essen und müßige Stunden sind mir davon noch in bester Erinnerung geblieben. Es sind solche Erinnerungen, die einen bei Verstand halten auf langen Reisen und insbesondere zu dieser Zeit des Jahres. Das angesprochene Phänomen ist das Dunkeltief, und ich bin vermutlich auf ganz Tare einer der sehr wenigen und sehr, sehr unglücklichen Seemänner, die diese Zeit auf hoher See verbringen müssen.

Ich würde nur zu gerne drauf vertrauen, dass ich soweit ab vom Schuss bin, dass selbst die Götter mich aus den Augen verlieren könnten. Zumindest für die kommende Zeit. Um absolut sicher zu sein habe ich das Holz, das ursprünglich dazu diente, Schäden an der Hülle des Schiffs beziehungsweise den Masten beheben zu können, dazu verwendet, mich in meiner Kajüte gründlich zu verbarrikadieren. Jetzt bin ich hier mit meiner alten Laterne allein, hoffe ich zumindest. Die Segel oben sind eingeholt, da ohne Sterne kein Versuch zu navigieren möglich ist. Außerdem werd' ich nichtmal ansatzweise riskieren, einen Blick auf Dorayon - den düsteren Mond - zu werfen.

So verharre ich hier, mit einem Paket gekochtem Fisch und einer Flasche Wasser, und hoffe und bete, dass dieses Dunkeltief spurenlos an mir vorbeiziehen möge.

- Tintin.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 17.01.12, 00:08 
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Gute Nacht


Es war ein perfekter Abend.
Allein einen Einlass zu diesem Ball zu bekommen hatte ihn einen guten Batzen Dukaten gekostet. Es war das gesellschaftliche Ereignis des Jahres - der Hochzeitsball zu Ehren der Vermählung der Prinzessin ap Mer. Hochkarätig war die Liste an Einladungen, die herausgegeben worden waren. Auf einer Kopie eben solcher Liste suchte der Bedienstete vor ihm gerade, und wurde bald fündig. Als er mit seiner Dame des Abends im Arm in den Saal gelassen wurde ruf ein weiterer Bediensteter in ebenso makelloser Kleidung aus: Seine Eminenz Lazalantin, Freiherr zu Ventria, samt Begleitung! Die Festlichkeiten waren bereits im vollsten Gange, und so zogen die Beiden nur wenige Blicke auf sich, als sie die marmorne Treppe herabgestiegen und sich unter die Vielzahl an anderen Gästen mischten.

Es kam, wie es bei einem Tanzwütigen wie Tintin kommen musste. Bald wirbelte er mit seiner Dame in den Armen in den weiten Bahnen des draconischen Hoftanzes der Länge nach durch den Saal und warf seiner Begleiterin verliebte Blicke zu. Er hatte damals unverschämtes Glück gehabt, dass seine Liebste ihn von dieser fürchterlichen Insel weggeholt hatte, fürsorglich wie sie war. Ihrem Haar wie Ebenholz und der schneeweißen Haut war er damals sogleich verfallen, noch mehr ihrem Intellekt und Schneid, den sie an seiner Seite eines ums andere Mal unter Beweis gestellt hatte. Wer weiß, vielleicht würde er in Bälde auch den Mut finden, ihre Hand im Rosenbund zu ergreifen. Ich könnte mir keinen Ort auf Tare vorstellen, an dem ich jetzt lieber sein wollte - und niemanden, den ich eher in meiner Nähe wissen wollte, hauchte sie ihm ins Ohr und machte ihn so für einen vollendeten Moment so glücklich wie nie zuvor.

Bald schon ließen sie die anderen Paare hinter sich zurück, die größtenteils stehen blieben, um sich vielleicht noch ein oder zwei Schritte abzuschauen oder vielleicht um auszumachen, ob dort Magie im Spiel war - denn kein Sterblicher könnte so über das Parkett fegen wie die beiden Verliebten. In Kürze waren sie im Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit, und selbst die Prinzessin musste seinen Schatz beneiden.

Auch die schönsten Dinge müssen ein Ende finden, und dieses kam mit der Ende des Lieds, zu dem sie tanzten. Er hob den Arm, verbeugte sich vor seiner Dame, die selbst wiederum knickste. Eine zweite Verbeugung folgte, in Richtung der Anwesenden. Als er sich schließlich herumdrehte stand er vor einem wandhohen Saalspiegel und erblickte sich als den rundum erfolgreichen Mann, der er geworden war - und ohne Hose. Untenherum frei bis auf einen Leinenwickel stand er dort, und das Herz rutschte in die Hose, das Blut schoß wiederum in den Kopf. Als er einen Blick über die Schulter warf, brachen die Zeugen seiner Blamage in ein tosendes, höhnisches Gelächter aus und warfen ihm Schmähworte an den Kopf.

Hektisch, stolpernd ob der Hose um seine Knöchel, hastete er aus dem Saal heraus, unablässig begleitet von dem aufwallenden Hohn, und nicht zuletzt dem Ruf seiner Begleiterin: Bei mir musst du nicht mehr blicken lassen, du Bastard!

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Als er sich aus seinem alten, muffigen Bett erhob war das erste, was er fühlte, das zahlreiche Knacken steifer Gelenke. Vornüber gebeugt kam er zu einem schiefen Stand, nicht in der Lage, die Knie durchzudrücken. Seine Gliedmaßen, sein gesamter Körper gar, fühlten sich, als wäre er mit Gewichten aus Blei behangen, die seine schwach gewordenen Muskeln nicht mehr halten können. Sein Blick dazu war verschwommen und gelblich getüncht: Die Farbe hatte seine Sicht verlassen, stattdessen war alles nun ausgewaschen wie zu oft und zu heiß gekochte Wäsche. Zittrig bewegte er sich zum Waschbecken in der Ecke der kleinen Kammer herüber. Drei Schritte waren es, doch musste er in kleinen Schrittchen vor sich hinschlurfen, nicht in der Lage, seine so fürchterlich schweren Beine auch nur mehr als einen Fingerbreit anzuheben. So quälte er sich durch den kleinen Raum, der dominiert wurde von dem wuchtigen Himmelbett, das bereits seine Form eingeprägt hatte, als hätte er dort den Großteil des letzten Jahrs zugebracht. Staub flog auf und senkte sich wieder, brachte ihn zu einem rauen Niesen. Seine Umgebung schien ihm wohlvertraut, doch war alles völlig verwahrlost.

Als er sich schließlich voranbeugte um etwas in dem antiken Spiegel ausfindig zu machen, sah er einzig und allein sich selbst. Sonderbar, dachte er. Lange ist es her, dass ich zuletzt hier stand. Ich vergaß ganz, wie ich aussehe. Als müsste er nachempfinden fuhr er mit seinen beiden runzligen Händen über das faltige, fahle und eingefalle Antlitz. Die paar verbliebenen Strähnen grauen Haares wurden angehoben und schließlich bestmöglich angeordnet, zur Seite hin. Er schenkte sich sogar den Versuch eines zahnlosen Lächelns, doch gelang es ihm nicht so recht, die Lippen anzuheben.

Sein Ende kam plötzlich und doch viel zu spät. Erst wunderte er sich matt und träge über den Schwindel, der sich ausbreitete - dann fiel er schlicht voran, stürzte mit der Stirn mit Wucht auf die Kante des Tischs und verstarb dort, an Ort und Stelle, an einem alten Herzen und einer Platzwunde, die nicht mehr aufhören wollte, zu bluten. Allein und entwürdigt.

- - -


Schweißgebadet erwachte er in seiner Kajüte, senkrecht in der sich träge wiegenden Hängematte aufsitzend. Er fuhr sich mit einem Ärmel über die Stirn und griff sofort nach einem polierten Eisenteller, der ihm in diesen Umständen als Spiegel diente. Im Licht der Laterne betrachtete er seine Züge aus der Nähe. Noch dürrer war er geworden durch seinen ständigen Begleiter, den nagenden Hunger, den nur manchmal ein glücklicher Fang für einen halben Tag bannen konnte. Der Kiefer und die Wangenknochen standen deutlich hervor und ergänzten das Bild eines Manns am Ende seiner Kräfte, seiner Motivation und seines Lateins. Er fuhr mit einer Hand durch sein schütteres Haar und hätte in diesem Moment schwören können, dass ihm die ersten grauen Haare gesprossen waren.

Mit dem Spiegel im Schoß sah er zur Decke hoch und sprach in Richtung der Holzbohlen: "Habt ihr mich nicht langsam genug auf die Probe gestellt, ihr Götter? Ich flehe euch an, Xan und Ventus, lasst diese Folter endlich, endlich ihr wohlverdientes Ende finden - gleich wie dieses auch aussehen mag."


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 Betreff des Beitrags: Treibgut
BeitragVerfasst: 17.01.12, 01:12 
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Treibgut

Abermals erwacht Lazantin aus seinem schwachen Dämmerschlaf. Noch immer bewegt er sich entlang jener Dampfschwaden ausstoßenden Meeresstraße. Immer wieder passiert er dabei Regionen welche von jenem sonderbaren Effekt scheinbar gänzlich verlassen sind, schon nach wenigen Momenten überkommt das Schiff dabei eine eisige Kälte welche sich einzig unter Deck, gehüllt in alle vorhandenen Decken, überstehen lässt. Nach wenigen Momenten ist Lazantin jedoch klar, dass er dieses mal nicht vom Pech verfolgt ist, zumindest nicht was die Kälte angeht, angenehme Tempreaturen umgeben sein Schiff, wie im späten Vitamazyklus. Langsam trottet er auf das Schiff, er weis schon nicht mehr wieso eigentlich. Abermals die trübe Dumpfheit seiner Kajüte gegen die der endlosen See eintauschend. Auf ein Neues schweift sein Blick über den von ihm so geliebten Himmel, den leeren Himmel, keinerlei Vögel sind zu erkennen, wo sollten sie auch nisten. Schwer seufzend lässt er den Blick sinken, hinab in Richtung des dunklen blubbernden Meeres. Da fällt sein Blick auf etwas was er nicht erwartet hat. Ein grünlichblaues Objekt treibt vor seinen Schiff. Als er die Augen zusammen kneift und sich sein Blick schärft erkennt er schließlich das er von jenen sonderbaren Dingen gänzlich umgeben ist. Wie Treibgut schwimmen sie an der Oberfläche des Meeres. Mühsam lässt der Kapitän einen seiner Eimer zu Wasser und nach einiger Zeit gelingt es ihm unter Mühe eines jener Objekte einzufangen.

Auf dem Schiff erkennt er schließlich dass es sich um ein etwa salatkopfgroßes Etwas handelt, die unebene äußere Oberfläche ist weichlich, drückt man sie jedoch ein trifft man auf eine härtere Schicht. Schließlich schnappt sich Lazantin ein Messer und macht sich da drauf jenes sonderbare Beutestück des Meeres zu zerschneiden. Unter einer etwa 3 Zentimeter dicken ledrigen Schale kommt schließlich das Innere zum Vorschein. Eine blassbläuliche Masse deren Konsistenz etwas an die einer Orange erinnert. Der Geruch jenes sonderbaren Etwas erinnert dabei an den von Algen. Inmitten der Masse sind einige bräuliche sternförmige Körner zu erkennen. Etwa ein knappes Dutzend. Unschlüssig begutachtet Lazantin schließlich seinen ungewöhnlichen Fang.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 27.01.12, 16:24 
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Tiefer hinab


Leise Geigenklänge schufen eine angemessene Untermalung für den Speisesaal, in dem er sich befand. Um ihn herum befanden sich Herren und Damen von Rang und Namen, ebenso makellos gekleidet wie er es selbst war. Ihre Gesichter waren in dem vermeintlichen Nebel aus Tabakrauch schwerlich auszumachen, doch galt seine Aufmerksamkeit eher einem der Bediensteten, der nahte, um das Essen zu kredenzen. Der kleine Vorspeisenteller wurde vor ihm abgestellt - auf ein Nicken hin wurde ihm dazu noch etwas von dem erlesenen Rotwein eingeschenkt, dem er bereits so gern zugesprochen hatte. Mit der Gabel piekste er gegen die aufgeschnittene und kunstvoll angerichtete Frucht auf seinem Teller. Es wirkte auf ihn wie ein grünlich-blaues Etwas. Er hatte davon gehört, dass diese zu den exotischen Früchten Endophals gehören sollen. Doch waren die sogenannten "Orangen" nicht, nun.. Orange?

Er kaute auf dem Happen sorgfältig herum, ließ es sich förmlich auf der Zunge zergehen. Definitiv nicht das, was er erwartet hatte. Salzig schmeckte es primär, nach Algen und reifer Süße. Sorgfältig legte er die Gabel wieder auf die Tellerseite, schluckte schließlich herunter und nickte einmal. Plötzlich erbrach er sich zur Seite hin - ein Bediensteter rutschte aus - Geschirr flog durch die Luft, Chaos brach in der Nähe aus: Damen fielen kunstvoll bewusstlos um, einer der Herren packte ihn am Kragen und zerrte ihn hinaus.

- - -


Als er blinzelte, stellte er fest, dass er in der Ecke seiner düsteren, stickigen Kajüte hockte. In den Händen hielt er die sonderbare Frucht, doch hatte er sie mit bloßen Fingern zerrupft und das Innere mit den Zähnen herausgekratzt und verschlungen. Der salzige, faulige Saft tröpfelte das Kinn herab, seine Fingerspitzen waren blutig geschabt durch die zähe Schale. Angeekelt von seinem bestialischen Verhalten ließ er die Fetzen der Schale fallen und erhob sich, dreckig und ungewaschen wie er war. Gerade als er wacklig zum Stehen gekommen war, riß es ihm den Boden unter den Füßen weg: Das Schiff war aufgelaufen und der Ruck hatte ihn zu Boden geworfen.

Vom Deck aus gab es keinen Zweifel: Er hatte festes Land erreicht. Der Bug der 'Ente' war zwei Meter weit auf einen Sandstrand aufgelaufen und war so zum ersten Mal seit so langer, langer Zeit wieder zur Ruhe gekommen. Er löste eines der Schiffstaue, die zum Anlegen gedacht waren, und warf es über Bord. Und schon packte er es und kletterte daran herab, nurnoch darauf bedacht, wieder festen Boden unter seinen Füßen spüren zu dürfen. Als er auf dem letzten halben Schritt das Seil losließ, wurde er enttäuscht. Als wäre nichts dagewesen, sank er in den Sand ein und fiel tiefer und tiefer durch den keineswegs massiven Grund und Boden, bis nurnoch Dunkelheit und das fürchterliche Gefühl, ungehindert zu fallen, ihn umfingen.

Als er erneut blinzelte, lehnte er über der Reling (auf hoher See), und erbrach Wasser und das Wenige, was sein Magen nach dem unfreiwilligen Fasten noch hergeben konnte. Den Rest des Tages verbrachte er damit, mit dem Blut seiner aufgeschürften Fingerspitzen Rechnungen an die Wand seiner Kajüte zu schmieren. Es schien wie die durchweg logische Konsequenz.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 1.02.12, 01:55 
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Alles oder Nichts!

Zitat:
Logbuch des Kapitäns
Wandeltag, der einunddreißigste Oner 23 nach Hilgorad


Es reibt, nagt und zehrt an meinen Nerven, dass diese Reise kein Ende zu nehmen scheint - und wohl sobald auch keines finden würde. Des Nachts suchen mich Albträume schlimmster Art hin, selbst des Tags verfalle ich inzwischen zunehmend in trübseligere Grüblereien. Es hat eine ganze Weile gedauert, aber nun kann ich an erster Hand nachvollziehen, wie es sich anfühlen muss, wahnsinnig zu werden. Nur wenige Stunden pro Tag vermag ich, einen klaren Kopf zu bewahren. Nun sitze ich hier mit der letzten Flasche Rum in der Hand, darauf bedacht, meinen Geist zu betäuben, um meine selbstgeschaffenen Qualen zumindest ein klein wenig zu lindern.

- Tintin.


Er senkte den Federkiel für einen Moment und starrte auf die kaum zu einem Viertel beschriebene Logbuchseite herab. Doch das würde genügen müssen. Sollte dieses Buch wider sämtlichem Erwarten irgendwann irgendjemand in die Hände bekommen, so wollte er doch zumindest den Anschein erwecken, dass er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte den Tod eines Seefahrers gestorben war. Was sich stattdessen in der Kajüte für ein Bild ergab, war ein ganz Anderes: Mit Blut, Tinte und Sonstigem hatte er die Wände vollgekritzelt mit Skizzen, geometrischen Zeichnungen und fahrigen Anmerkungen. Über Deck hatte diese Wahnvision Gestalt angenommen.

Er hatte noch haufenweise Holz und Segeltuch übergehabt, falls er auf der Reise Schäden am Schiff zu reparieren hatte. Das war gang und gebe, war es doch mitunter die einzige Möglichkeit, ein Leck zu stopfen. Nun hatte er das komplette Material anderweitig verwendet. Mit großer Mühe hatte er dem Schiff soviel zusätzliche Segelfläche geschenkt, wie auch nur ansatzweise möglich gewesen war. Mit Hammer und Nagel hatte er an jeder Ecke und Kante mit viel kreativem Freiraum gewütet. Das Resultat sah kaum noch seetauglich aus: Kaum einen Schritt konnte man noch an Deck gehen, ehe man sich unter der zusätzlichen Segelfläche zu ducken hatte, die wallend herabhing und befestigt war an Verlängerungen des Masts, mit Nägeln an der Reling oder einfach, indem er auf eine Tuchkante ein Wasserfass gestellt hatte. Mehrere Schritt ragten die abenteuerlichen Konstruktionen über den Rand des Schiffes heraus und flatterten träge im Wind. Von Bug und Heck hingen gar Seilgewirre, die kaum anders aussahen als Lenkdrachen, wie sie ein Kind aus zwei Stöcken und Tuch basteln würde.

Er zog den Knoten fester und ruckte einmal an dem Seil, bis er sich sicher sein konnte, dass es zuverlässig hielt. Drei Schritt Freiraum gab es ihm, aber so an den Mast gebunden würde er nicht von Bord gespült werden können. Nun fehlte es eigentlich nurnoch an einem.


- - -


Es war sonderbar, irgendwie. So lange hatte er sich kaum noch.. hiermit beschäftigt. So saß er dort wie ein blutiger Anfänger und versuchte krampfhaft, sich zumindest ansatzweise zu entspannen. Kopfkreisen, Fingerknacken, Schulternkreisen - gut. Er öffnete die haltenden Schnüre seines zerlumpten Hemds und zog es sich über den Kopf hinweg aus, nun obenherum nackt. Die Kälte war glücklicherweise nicht allzu präsent, brodelte um sein einsames Schiff herum doch noch immer die Quelle ohne offensichtlichen Ursprung, die ihn nun schon so lange begleitete. Er konnte spüren, wie der Wind an ihm entlangstreichelte, wie er sich an dem neuen Hindernis kräuselte und sich einen Weg drumherum suchte, immer auf den Pfad des geringsten Widerstands bedacht. Vom Bemerken dieses Sachverhalts war es nurnoch ein kleiner Schritt, sich vorzustellen, wo der Wind einmal hergekommen sein musste. Im nächsten Moment schon war er geistig auf den Spuren der zarten Brise, die Momente später erneut über seine Haut fahren würde. Es ergab sich ein Bild wie von einem Webstuhl, den ein Affe bedient hatte. Die Fäden - eher breite Ströme - fuhren ineinander, übereinander, miteinander und umeinander herum.

Es war ein angenehmes Gefühl: Als würde er für einen Moment nach Hause zurückkehren können, zurück in die Geborgenheit und Sicherheit, in der er aufgewachsen war. Und was er für ein Zuhause fand in den Winden, die sein Schiff umgaben. Sie kannten die Menschen nicht, nicht ihre Städte und die von ihnen veränderte Landschaft. Sie kamen nie in Kontakt mit dem elementaren Zwang, den die Magie ausstrahlte, oder dem aufbrausenden Chaos, das die Verderbnis des Einen wie ein Schatten voranwarf. Was er mit diesem naiven, frischen, unvoreingenommenem Wind vorhatte, versetzte ihm jetzt schon einen Stich an Schuldgefühlen.

Für einen Moment fühlte er die Schwäche und den Hunger wieder hochkommen, die ihn in den letzten Tagen treu und unablässig begleitet hatten. Aber ein anderes Gefühl war benötigt. Er schloß die Augen und sortierte seine Gedanken schrittweise, auf der Suche nach einem Moment in seiner Erinnerung, der hierfür herhalten würde. Wie es mit dem menschlichen Geist nun einmal so ist, begann er zügig herumzuhüpfen:
Das Dunkeltief in Brandenstein in damals, als die Sammler mühelos die Verteidigung fortfegten und das verdorbene Relikt des Ignis durch die Straßen trugen, allen Widerstand zerstreuend.
Seine Gefangenschaft bei der Schwarzmaga, und der gezwungene Dreikampf gegen ihre zwei Schüler. Die Verletzungen, die er an diesem Abend erlitten hatte, und der Zorn, der daraufhin in ihm hochgewallt war - ganz natürlich und instinktiv hatte er gehandelt, nur auf sein Überleben bedacht.
Ganz ähnlich war es damals, als die Schattenkreatur der Hexen ihn im Wald angefallen hatte, kaum war sie von ihrem Ziel abzubringen gewesen, ihn trotz ihrer körperlosen Form zu vernichten.
Die Tode, die er mit ansehen musste, insbesondere solche, die ihm selbst nahegingen. Tarjas, die Magierin Hohenfels und noch so viele mehr.


Es reichte, nur daran zu denken. Seine Haltung spannte sich an, er biss sich auf die Unterlippe; doch die Reaktion des Windes um ihn herum jedoch fiel stärker aus, als auf diesen Eindrücke einströmten und übergingen, die fremd und furchteinflößend waren. Die stillen Brisen gerieten in Aufruhr, begannen hin- und her zu kräuseln und zu drehen, als sie versuchten zu verdauen, was ihnen da präsentiert wurde von einem so fremdartigen, exotischen Wesen wie einem Menschen, der zugleich ein Teil von ihnen zu sein schien. Kaum erhielt der Wind eine Gelegenheit, sich anzupassen oder sich daran zu gewöhnen, als mehr folgte. Zunehmend wurden die Gefühle, die auf die seelenlosen Elementare übersprungen, erratischer und zusammenhangloser - grotesker, delusionaler, irrationaler: Und so erlebten sie ihren ersten Albtraum.

Der Stein war ins Rollen gekommen, der Schmetterling hatte gewissermaßen seinen berühmten Flügelschlag getan. Für das geschulte Auge war offensichtlich, dass fundamentale Unruh in die seit Äonen sonst so gleichmäßigen und trägen Winde der Westsee geraten war. Ungelenk erhob er sich aus dem Schneidersitz und griff nach seinem Priesterstab, diesen in der Hand wiegend. Er hatte die kleinen Geisterchen angeregt, die sich darum kümmerten, den genaueren Verlauf der Luftströmungen zu gewährleisten. Was würden diese tun, wenn sie sich plötzlich einer solchen Bedrohung, einem solchen Mysterium gegenüber sahen? Sie würden es weitergeben, als Flüstern im Wind, bis es die Aufmerksamkeit auch der größten ihrer Brüder im Reich des Ventus auf sich ziehen würde.

Er hatte ein vages Gefühl, dass er bereits etwas vernehmen konnte. Die am Horizont in Sicht kommenden Wolken waren kaum mehr als solche zu bezeichnen, sondern gaben jedem Fantasievollen bereits mehr als genug Stoff, um darin die obskursten Gestalten ausfindig machen zu können. Eine Böe brachte einen Einschlag der kalten Luft aus der Ferne mit sich - so festigte er den Griff um seinen vertrauten Stab. - Nun galt es nurnoch, dem Drang des Windes die Zügel anzulegen.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 12.02.12, 16:53 
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Sekundenbruchteile

Vor elf Tagen...


Er hatte nur noch Momente, bis der heraufbeschworene Sturm das Schiff erreichen würde. Nicht die beste Situation, in der man sich befinden konnte - auf einem amateurhaft zusammengeschusterten Schiff, geschätzte neuntausend Meilen fern der Heimat auf hoher See. Vielleicht hätte er etwas gründlicher überlegen sollen, aber nun gab es kein Zurück mehr - sonst hätte er die Gelegenheit wohl ohne zu Zögern ergriffen. Die Einsicht hatte etwas Erschreckendes: Er hätte seiner klischeegeneigten Ahnung nachgeben können, um zu betrachten, wie sein Leben vor seinen Augen vorbeizog. Doch bevor er dazu die Gelegenheit hatte, war das kleine "Filmchen" vorbei und die Erkenntnis traf ihn, dass er verflixt nochmal einfach zu jung war um zu sterben.

Planänderung.

Von seinem Platz hinter dem Steuerrad warf er einen Blick über das Deck vor ihm. Diese beengte, hölzerne Schüssel von einem Boot war in den letzten Monden sein Zuhause gewesen. Anfang Carmar des letzten Götterlaufs war er aufgebrochen, nun war es schon Onar. Fünf Monde auf hoher See, ohne Gesellschaft, die meiste Zeit ohne ordentliche Nahrung und ohne Gelegenheit, sich mehr als nur oberflächlich zu waschen. Macht hundertfünfzig Tage, bei einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von drei Knoten. Hundertfünfzig Tage machen dreitausendsechshundert Stunden. Bei drei Seemeilen pro Stunde. Macht zehntausendachthundert Seemeilen, macht - ah, wie war die Faustregel. Verdoppeln, ein Zehntel weg. Gut. Neunzehntausendvierhundertvierzig Landmeilen. Also dreieinhalb Mal die Länge Falandriens, von Arngold im Norland bis zu den Mahad-Inseln Endophals, etwa.

Es war erstaunlich, wofür man die Zeit hatte, wenn man sie sich auch nahm. Der Sturm in seinem Rücken war nur unwesentlich näher gerückt, doch strichen schon die ersten Ausläufer der eiskalten, schneidenden Luft, die dieser mit sich brachte, über seinen Rücken. Diese abertausenden an Seemeilen kamen alle an dieser Stelle zusammen, in einem alles entscheidenden Moment. Wie würde es weitergehen? Eines der lose befestigten, improvisierten Segel löste sich bereits bei dem bisschen Wind und wurde bald von den aufkräuselnden Wellen gepackt, durchnässt und fortgerissen. Es könnte ihm so ergehen, wie dem Tuch: An sein Schiff gebunden würde der Sturm ihn umherwerfen wie ein gelangweiltes Kind sein Spielzeug, und ihn schließlich zertrümmert fallen lassen.

Über ihm klimperte es, als sich der eiserne Wetterhahn an der Mastspitze (damals eher als Dekoration gedacht) abgerissen wurde und scheppernd auf das Deck fiel, mit der Nordspitze - dem Schnabel des Hahns - zum Heck zeigte. Vielleicht war er ja nach dem Sturm bereits umgedreht und hatte dies weder feststellen noch verhindern können, in Ermangelung irgendeiner Orientierung. Vielleicht war Siebenwind hinter dem nahen Horizont, vielleicht war es die so heiß und innig ersehnte Küste Endophals. Oder der Wetterhahn wollte ihn schlicht höflich darauf hinweisen, dass er vor langer, langer Zeit noch die Möglichkeit gehabt hatte, umzukehren, um voller Schande, aber wohlbehalten und in einem Stück wieder an Siebenwinds Strand zu stehen.

Hinter und über ihm kam Aufruhr in die vielen Segel, als der heranrasende Sturm wie in Zeitlupe nach und nach in die dargebotenen Segelflächen griff, diese auswölbte - teils gar ausriss und durchstoß. Mit zwei Schritten war Tintin am Mast, packte sein Flößermesser und durchschnitt das Tau, das ihn am Mast festhalten würde. Den überstehenden Rest wickelte er um die unteren haltenden Seile eines nahen Segels und löste dies vom Schiff ab, sodass es stattdessen an seiner Körpermitte befestigt war. Mit einem zweiten Ruck des Messers löst er die oberen haltenden Seile des Segels, verzurrt sie zu einer Schlaufe und packt diese mit der rechten Hand. Das Messer am Gürtel und das Logbuch in seiner fest verschlossenen Umhängetasche blickte er über die Schulter, in das Gesicht der unaufhörlich herannahenden Sturmfront.

Seine Hände am Segel begannen zu zittern - vor nagender Angst und beißender Kälte. "Ventus, dein ergebener Diener bittet dich...", hob er an, in fester Absicht, seinen Herren vielleicht mit einigen süßen Worten zu Gnade bewegen zu können. Alles kam erneut anders, als der Sturm mit all seiner Gewalt über ihn hereinbrach. Nurnoch ein paar Worte konnte er herauspressen: "...leite meine Wege."



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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 27.02.12, 01:36 
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Schließlich erreichte der Sturm die Ente, mit der Kraft eines Titanen bläst der Wind in die Segel und treibt das Schiff weiter und weiter voran. Laut ächst das Holz unter der Anspannung auf. Kurz nachdem der Sturm einsetzte beginnt der Regen unaufhörlich hernieder zu prasseln und schon nach wenigen Augenblicken steht das Deck gänzlich unter Wasser. Tief atmet Lazentin durch wobei er das Steuerrad fest umschlungen hält, wobei dies kaum mehr als eine symbolische Geste ist, schon lange irrt der Kapitän über die weiten des Meeres, wo sollte er nun hinsteuern, bei einem mit Wolken verhangenen, nachtschwarzen Himmel, ohne funktionierenden Kompass. Immer wieder zucken gleißend helle Blitze auf wobei sie für Sekundenbruchteile den Blick auf die Umgebung preis geben. Abermals richtet Lazantin ein stilles Gebet an seinen Gott, dass er ihn zu sicheren Ufern führen möge, dass dies nicht sein Ende wird. Und tatsächlich keimt für einen Moment neue Hoffnung als einer der Blitze die schwarze Silhouette einer Insel am Horizont offenbart. Rasch wirbelt er das Steuerrad herum, richtet die Segel neu aus auf dass das Boot Kurs setzt zu jenem unbekannten Etwas inmitten der See. Tatsächlich kommt das Schiff gut voran durch die aufgewühlte See, immer wieder schlagen meterhohe Wellen gegen das Schiff wobei es mehrmals beinahe zum Kentern kommt. Näher und näher rückt die Insel wobei der Kapiatän bereits meint eine Art Berg auszumachen welcher inmitten der vermeintlichen Insel thront.

Doch dann wird sein Schiff urplötzlich von einer starken Strömung erfasst die es zurück zieht. Eiligst blickt Lazantin auf die See. Ihm stockt der Atem als ihm klar wird was seine Augen dort sehen, ein Mahlstrom bildet sich wie aus dem Nichts einige Seemeilen hinter dem Schiff. Binnen weniger Minuten formt sich eine riesige trichterförmige Schlucht inmitten des Meeres in welche die Wassermassen unausweichlich hinein gesogen werden. Doch nicht nur der Leib der Xan, auch die Ente wird geradewegs hinein gesogen, hin zu einem nachtschwarzen Loch inmitten des Meeres. Rasch versucht der Kapitän mithilfe all seiner Fähigkeiten die Segel so auszurichten dass der Sturm ihn fort bringt von jener verfluchten Erscheinung doch es scheint nicht zu reichen, weiter und weiter wird das Schiff in Richtung des Strudels gesogen. Schließlich passiert das Schiff den Rand und sinkt geradewegs hinab in das Zentrum der Finsternis. Noch einmal erhellt ein Blitz den Horizont und erlaubt einen letzten Blick auf das weite Meer ehe er von diesem geradewegs verschluckt wird und in der Dunkelheit, begleitet vom tosendem Grollen der Wassermassen, verschwindet.


Fortsetzung folgt.....


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 1.03.12, 14:05 
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Der Kopf dröhnte Lazantin als er wieder zu sich kam. Mühsam versuchte sein Geist die letzten Eindrücke in greifbare Kategorien einzuordnen, was war geschehen? Das Letzte an das er sich erinnert ist das Bild wir er ineinem riesigen nachtschwarzen Trichter verschwindet, umgeben von riesigen Wassermassen.

Ein Traum, ja es muss ein Traum gewesen sein schoss es ihm durch den Kopf, er hat wohl abermals einen der zahlreichen Alpträume gehabt, wieder jenen wie er über den Rand von Tare fällt. Aber wieso war er von tiefster Finsternis umgeben? Ahh, es muss Nacht sein kam es ihm nach wenigen Momenten in den Sinn, wieder eine jener mond- und sternenlosen Nächte. Er strich sich über den Kopf und bemerkte das er klisch nass war, nass... achja, der Sturm und Regen, dies muss des Rätsels Lösung sein.

Langsam taste sich Lazantin über sein Schiff und er fand seine Öllampe die wie ein Wunder unversehrt war. Im Schein der winzigen Flamme verharrte er einige Momente und starrte in die Finsternis, welche wie es ihm nach einiger Zeit vorkam gleichermaßen auf ihn starrte. Doch rasch schüttelte er diese Gedanken ab und machte sich dadran dass Schiff von den Wassermassen zu befreien und es soweit möglich notdürftig in stand zu setzen.

Einen gefühlten Zyklus später, die Segel waren wieder her gerichtet, auch wenn fast kaum ein Wind wehte, das Deck war von den Wassermassen befreit und auch unter Deck sah es wieder soweit ansehnlich aus, eigentlich war alles in Ordnung, alles bis auf den Umstand das von Fela noch immer nichts zu sehen war. Es herrschte absolute Dunkelheit, wie in tiefster Nacht, nicht einmal nur das tiefgraue Zwielicht eines Unwettertages, was konnte hierfür blos die Ursache sein. Das Dunkeltief? Nein das war gerade erst, er hatte es selbst auf See erlebt, wenn in diesem Teil Tares das Dunkeltief nicht monatlich auftritt musste diese Erklärung ausscheiden. Vieleicht hatte er beim Sturm nur einen zu heftigen Hieb auf den Kopf bekommen, vieleicht hatte er nur jedes Zeitgefühl verloren, aber auch diese Theorie stellte sich als falsch heraus als Lazantin seinen Verdacht durch eine Sanduhr bestätigt sah. Er steckte hier inmitten einer fast windstillen See, umgeben von absoluter Dunkelheit, bar jeder Sterne und Monde, dazu noch mit einem noch immer defekten Kompass. Was sollte er blos tun, warten oder ins ungewisse Segeln, ohne lange zu Zögern entschied er sich für Letzteres. So trieb das Schiff mit voll gehissten Segeln langasm voran in die Dunkelheit.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 4.03.12, 16:55 
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Zehn vor Zwölf

Vier Wochen nach Eintreffen des Sturms...

Mit einem leisen Ratschen fuhr das raue Stück Flint an der Seite des Stahlstreifens entlang und entzündete das Öl am Docht der Laterne durch die aufstiebenden Funken. Im Inneren der vorher stockdüsteren Kajüte breitete sich das schwächliche, aber warme und willkommene Licht aus und erhellte die unmittelbare Umgebung. Das Logbuch und das Tintenfässchen samt Schreibfeder waren immernoch exakt dort, wo er sie zurückgelassen hatte - das hatte er sich im vergangenen Mond zügig angewöhnt. Es sparte Lampenöl, wenn man die Laterne so wenig wie möglich entzünden musste. Nötig war es kaum noch, denn er kannte sein Schiff nun besser als seine eigene Westentasche. Oder seinen Kurs.

Zitat:
Logbuch des Kapitäns
Anfang Duler


Habe mich entschlossen, ein wenig kostbares Lampenöl zu verwenden, um einen erklärenden Eintrag zu verfassen. Weiß' ja nicht, wem dieses Buch irgendwann einmal in die Hände fallen mag. Wurde von einem Sturm überrascht und mit gehörigen Tempo vorangetrieben. Habe das Gefühl, Land erblickt zu haben, doch wurde ich daraufhin in einen Malstrom gezogen. Wenn dies ungeheuerlich und fantastisch erklingen mag, verweise ich auf die Dinge, die mir bereits geschehen sind auf dieser Reise.

Habe auf unbestimmte Zeit das Bewusstsein verloren, schätzte vom Bartwachstum aber auf kaum einen Tag. Nicht, dass Tage hier eine Bedeutungen hätten - befinde mich nun einen ganzen Monat in vermaledeiter, niemals endender Dunkelheit. Kann kaum einen Schritt weit hinaussehen und weiß nurnoch, dass ich Fahrt mache vom Plätschern der Wellen gegen den Rumpf und das träge Flattern der Segel: Kaum Wind vorhanden, aber es muss reichen.

Vorräte sind verschwindend gering, bis auf Trinkwasser, mit dem ich den Hunger in Zaum halten kann. Moos, Fingernägel und Seepocken tun ihr Übriges dazu, doch kann niemand diese Askese lange aushalten, ohne wirr im Kopf zu werden. Kenne meinen Kurs nicht einmal ansatzweise und bete innig in den vielen, tatenlosen Stunden immer öfter zu den Göttern, dass sie meine Wege offenbaren mögen.

Muss aufhören, kaum noch Öl. Verfasse wieder einen Eintrag, wenn etwas Erwähnenswertes geschieht.

- Tintin.


Er befeuchtete zwei Fingerkuppen und drückte den Docht der Laterne aus. Mit einem leisen Seufzen erhob er sich wieder, tastete nach dem Buch und streute Trockensand über die feuchte Tinte, ehe er es schloss. So verharrte er für einen Moment, lauschend.
Tropf, Tropf, Tropf...

Ein zufriedenes Nicken. Die behelfsmäßige Wasseruhr, die er am zweiten Tag in der Dunkelheit konstruiert hatte, tat immernoch brav und zuverlässig ihren Dienst. Er hatte aus Segelstoff einen dicken Filter geformt, durch den das Wasser im Sekundentakt hindurchtropfte. Das zumindest hatte ihm sein Puls bestätigt, den er als Referenz nahm. Nun konnte er am Wasserstand immerhin nachvollziehen, wieviel Zeit vergangen war.

Kleine Dinge wie diese waren es, die seinen Verstand geschärft und beinander hielten, denn schon der eine Tag ohne jegliches Zeitgefühl war ein Horror gewesen. Seitdem bestimmte die Wasseruhr seinen Tagesablauf. Bei dreiviertel Füllung legte er sich in die Hängematte, und versuchte ein wenig Schlaf zu finden. Geweckt wurde er vom überlaufenden Wasser. Routiniert griff er nun nach dem Becher, leerte ihn aus und füllte das Wasser im Stofftrichter nach.

Wenn der Becher zu einem Viertel gefüllt war, war er mit seiner Morgenroutine soweit fertig. Jedes Mal drehte er im Dauerlauf zehn Runden an Deck, streckte sich ausgiebig oder erprobte seine Kraft an einem schweren Stück Holz, das es zu heben galt. Der Baum des Besanmasts bat sich an für Klimmzüge, der Mast für Kletterübungen. Mit improvisierten Pinzetten stutzte er seinen Bart, um sich zumindest ein wenig reinlich zu halten, und stocherte zwischen den Zähnen herum, bis diese zumindest nicht völlig verdreckt waren.

Bei halber Füllung war es Zeit für gedankliche Anstrengung. Bei kleiner Flamme saß er am Schreibtisch und widmete sich den Notizen, die er sich anfertigte. Manche Tage verbrachte er nur damit, das bisher Gelernte erneut niederzuschreiben um es zu festigen. So füllte er Seite um Seite mit Wissen über die elf Götter des galadonischen Pantheons und ihren Sohn, über die khalandrischen, nortravischen Variationen und die endophalischen Mächte. Er kritzelte Sternenskizzen und hängt sie an die Decke der Kajüte, damit er sein innig geliebtes Firmament nicht allzu sehr vermisste, und setzte sich an Deck um sich mit seiner mitgebrachten Laute die Stunden zu vertreiben. Letzteres wurde immer seltener, da er das unangenehme Gefühl hatte, dass er damit ungewünschte Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnte. So räumte er manchmal stattdessen die diversen leeren Vorratskisten an Deck beiseite, um sich konzentriert im Tanz zu üben, allein die Schritte nachvollziehend - im Kopf jedoch erfand er sich immer eine Begleitung dazu.

So gingen die Tage fließend ineinander über, während Lazalantin sich an den kleinen Mikrokosmos gewöhnte, der nun seine Heimat geworden war.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 7.03.12, 04:52 
Festlandbewohner
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Dunkelheit, nichts als Dunkelheit und Wasser, so lassen sich die letzten Tage des Lazantin treffend zusammenfassen. Wenn er nicht gerade schlief irrte er meist mehr oder minder orientierungslos auf dem Schiff umher, die einzige Ablenkung die ihm noch bleibt. Nichts, absolut gar nichts ist die letzten Tage geschehen, die Dunkelheit wurde weder schwächer noch stärker, es war keinerlei Wind zu spüren, höchstens mal ein schwacher Luftzug. Von sonstigen Wettererscheinungen fehlte ebenfalls jede Spur, kein einziger Regentropfen ist seither gefallen. Dementsprechend ruhig war die See, keinerlei Wellen waren auf ihr zu erkennen. Haben die Enhor dereinst etwa beschlossen die Erschaffung der Welt jenseits einer Grenze auszusetzen ? Eine Grenze die er ganz offenbar überschritten hatte, immerhin waren ihm auch keinerlei Berichte bekannt von Reisen so weit hinaus in die offene See, zumindest nicht von Schiffen die auch wieder zurück kehrten. Könnte es sein dass der Ozean endlos ist oder vielleicht das man ab einem bestimmten Punkt gar die erste Spähre verlässt? Schließlich kehrten seine Gedanken zurück zu den Säulen welche er dereinst vor Monaten bestaunte, was mögen sich Enhor oder Sahor dabei wohl gedacht haben? Wieso sollten sie riesige Stelen ins Meer setzen an eine Stelle wo Menschen eh nicht hinkommen sollten? Oder waren dort vielleicht dereinst Menschen? Doch konnte er sich nicht vorstellen dass eine ihm bekannte Rasse dieses Werk errichtet haben könnte, selbst die Zwerge oder Elfen hätten dazu kaum in der Lage sein können. Vielleicht eine andere untergegangene Rasse aus längst vergangenen Zeitaltern? Auf dem Festland hörte er einst von einer Stadt die in einem Sumpfgebiet errichtet wurde, getragen von unzähligen Holzpfählen. Waren die Säulen vielleicht die Reste einer uralten Stadt, errichtet inmitten des Ozeans auf titanischen Steintürmen? Eine Rasse so mächtig das sie ihren Lebensort überall wählen konnte, selbst hier inmitten der endlosen Weite des Meeres? Ein Ort wo niemand sonst sie hätte erreichen können. Die Bilder einer gewaltigen Stadt, hoch über dem Meer schwirrten durch Lazantins Geist, eine Stadt? Das Gebiet der Säulen wäre groß genug für eine ganzes Land. Vermochte es einen solchen Ort wirklich zu geben? Und was hatte es bloß mit diesem riesigen alles verschlingenden Algenteppich auf sich der mit einem mal mehr Meerestiere erbeutete als eine ganze Fangflotte in einem Monat? Kann es sein das Xan ein solches Wesen erschaffen hat? Mag es gar mehrerer solcher Kreaturen in den Tiefen des Meeres geben? Wie tief das Meer überhaupt wohl sein mag. Allmählich wurden die Gedanken immer phantastischer bis der Geist des Lazantin gänzlich in das Reich der Träume glitt. Träume von riesigen tintenfischartigen Monstern welche hunderte Kilometer tief inmitten der See lauerten, gigantischen drachenartigen Leviathanen der Tiefsee sowie von Schiffswracks die immer tiefer sinken ohne jemals auf festen Grund zu stoßen.

Mit einem mal Schreckte Lazantin hoch, er hatte etwas gehört, glaubte er zumindest, ein Poltern welches von Deck kam. Rasch griff er sich die Öllampe und entzündete diese ehe er das Deck absuchte. Schließlich fand er zu seinem Erstaunen eine kleine, etwa katzengroße Kreatur auf dem Schiff. Ein geflügeltes Wesen, jedoch ohne Federn, stattdessen bedeckte eine dünne steingraue Haut den gesamten Leib des Wesens. Der Kopf war verhältnismäßig klein und verfügte über einen spitzen braunen Schnabel, Augen hatte die Kreatur ganz offenbar keine, dafür jedoch 2 Paar Ohren wobei ein Paar nach schräg vorne und eines nach schräg hinten gerichtet war. Ganz offenbar ist die Kreatur im Flug gegen den Mast des Schiffes geprallt. Nach einer kurzen Untersuchung erlangte der Kapitän die Gewissheit, dass die Kreatur den Sturz ganz offenbar nicht überlebt hat. Nochmals blickte sich Lazantin um, doch er fand nichts. Schließlich entschloss er die Lampe zu löschen, nachdenken könnte er auch im Dunkeln. Dunkelheit kehrte ein, nichts blieb mehr außer der Stille und der .... mit einem mal schreckte Lazantin abermals auf, er hörte das Plätschern der See, zum ersten mal seit Tagen. Rasch entzündete er die Lampe abermals um im schwachen Lichtschein das Meer zu inspizieren. Zu seinem erstaunen stellte er fest, dass das Gewässer, ebenso wie das Schiff deutlich an Fahrt gewonnen hat. Nun bemerkt er auch, dass das hin und her Schaukeln des Bootes wesentlich stärker ist als die Tage davor. Kurz spielte Lazantin mit dem Gedanken zum Steuerrad zu sprinten, doch verwarf er diesen Einfall rasch wieder. Was hätte er auch tun sollen, ohne Wind gegen die Strömung segeln? Und wohin überhaupt. Langsam setzte sich Lazantin wieder und löschte das Licht, die Zeit würde schon zeigen wohin die See ihr treibt, hauptsache es geht voran.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 11.03.12, 00:53 
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Spielzeug der Götter


Zitat:
Logbuch des Kapitäns
Mitte Duler


Manchmal frage ich mich, ob ich mitten in den Sandkasten der Götter gerutscht bin. Vor unzähligen Äonen, einer sprichwörtlichen Ewigkeit, mag einst hier die Schöpfung mit wirren Experimenten begonnen haben. Das Absonderliche und Obskure, das sich mich hier so bereitwillig bietet und hinter jeder Ecke lauern mag, hat es wohl nicht in unseren Teil der Welt geschafft, doch hier reiht es sich auf wie alte Requisiten einer längst vergangenen Vorstellung, verstaubend in der düsteren Besenkammer der Schöpfung.

Nichts hier scheint einen Sinn ergeben zu wollen. Die schwarzen Stelen aus Stein, die diese See hier zu begrenzen scheinen - waren sie Herberge und Hort eines Volks fliegender Wesen oder gar steingewordene Warnung der Götter an die Sterblichen, hier umzukehren, auf dass sie geschont werden mögen von dem hier hausenden Wahnsinn? War der Algenteppich ein Freund dieses fraglichen Volks, ihr Beschützer und die Quelle ihrer Nahrung, oder ein Kescher um die allzu wagemutigen Sterblichen rauszufischen, bevor sie sehen können, was hier von statten geht? War dieses Wesen aus Algen allein, letzter Vertreter einer sterbenden Art, oder lauern gar noch mehr: Womöglich gerade direkt unter mir? In den mich marternden Träumen frage ich mich viel zu oft, was die Tiefsee noch für mich bereithalten mag.

Zwecklos, eigentlich, denn nun scheint die Bedrohung auch vom düsteren Himmel über mir zu kommen. Heute stürzte ein absurd aussehendes Wesen tot auf mein Deck. Anbei lege ich eine Skizze, den Kadaver habe ich als Beweis in ein leeres Pökelfass gesteckt, um ihn zu konservieren. Als ob mir irgendjemand glauben würde, was hier geschehen ist, wenn ich es nicht vorzuweisen hätte. Dieses katzengroße Dinge, einem Gargyl nicht unähnlich, wirkt bis auf den scharfen Schnabel nicht allzu bedrohlich. Es fehlen die Augen, was darauf schließen lässt, dass die Dunkelheit hier der Normalzustand ist. Warum da noch Augen besitzen.

Apropos Dunkelheit. Ich wünschte, sie würde endlich enden. Ich hatte bei dem Heraufbeschwören des Sturms gehofft, entweder endlich wieder die Zivilisation zu erreichen - oder zu sterben. Was geschah? Ich bin in absoluter Dunkelheit allein mit mir auf diesem Schiff gefangen, beraubt jeglicher Sinneseindrücke. Das war eigentlich das Schlimmste, das hätte passieren können. Erinnerung an die Zeiten auf Siebenwind oder, weiter zurück, im heimischen Ventria, verblassen im Angesicht der Sinnlosigkeit, die mir diese Düsternis herausfordernd demonstriert. Von jenseits der Reling flüstert sie mir zu, aufzugeben und die dunklen Fluten zu umarmen.

Ich fühle mich wie der Kauknochen der Götter - geliebt, gequält und letztenendes zum Zerbrechen verdammt.


- Tintin.



Er nutzte das wenige verbleibende Öl seiner Lampe, um herüber zum Spiegel zu schlurfen, um sein Angesicht zu betrachten. Er kniff die rötlich durchäderten Augen zusammen und musterte die kalkweißen, todesblassen Züge. Die dünne Haut, die so lange nicht mehr von Felas Strahlen liebkost worden war, ließ hier und dort Gefäße durchscheinen und wirkte zerbrechlich. So fühlte er sich auch - wie eine Glasvase in den Händen eines launischen Kinds, das mit einer falschen Bewegung ihn zerscheppern könnte.


- - -


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Er wußte nicht mehr unbedingt, wie er hierher gekommen war. Solche Spiele trieb das Zeitgefühl seit Kurzem immer öfter mit ihm. Doch stand er nun hier am eisenbeschlagenen Ankerspill - der zylindrische Holzpfahl mit den seitlich herausragenden Streben diente dazu, den Anker einzuholen. Um dem Druck standzuhalten, wurde er obenherum mit Eisen verstärkt. So häufte er hier altes und brüchiges Holz drauf, das noch von den anfänglichen Reparaturen an der Schiffshülle übrig geblieben war. Ein Schwenker mit der Laterne, und das scharfriechende Öl verteilte sich auf dem Holz und wurde sogleich gierig aufgesogen von dem trockenen Zunder. Zwischen den Fingerspitzen ließ er einen Funken entlangspringen, der ausreichte, um erst die kleinen Zunderstückchen, dann die ölgetränkten Holzbalken zu entfachen. Knackend und knisternd entfaltete sich ein stattliches Feuer vor ihm - so hell war es, dass er den Blick abwenden und die Augen mit einem Arm verdecken musste. Es tat weh, sich wieder an solche Helligkeit zu gewöhnen, wie er sie seit vielen, vielen Wochen nicht mehr erlebt hatte.

Es war eine Geste des Trotzes, als er nun das teils gepökelte, sonderbare Wesen nahm und mit einem Stoß auf einen Eisenspieß schob, von vorn nach hinten. Mit einem Ruck hievte er es hoch und hielt es knapp über der glimmenden Glut, die von dem stolzen Feuer übriggeblieben war. Die ledrige Haut des Dings schrumpelte zügig, riss hier und dort und offenbarte das Fleisch darunter. Der Schnabel verfärbte sich schwärzlich, der Bauch blähte sich auf - aber der Geruch bratenden Fleisches reichte aus, um ihm einen wohligen Schauer den Rücken herab zu senden. Der durch die Askese gequälte Magen knurrte vorfreudig, der Speichel lief ihm im Mund zusammen.

    Noch bis spät in die "Nacht" würde er dort sitzen, neben sich den Spieß mit frischgebratenem Fleisch, in den Händen einen Krug Grog und auf den Lippen trotzige, herausfordernde Seemannslieder, die er hinaus auf die dunkle See gröhlte, ermutigt und munter durch das knisterne Feuer hinter ihm.


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 Betreff des Beitrags: Die Landung der Ente
BeitragVerfasst: 13.03.12, 03:34 
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Die Landung der Ente

Unruhig lag Lazantin inmitten seiner Hängematte, immer wieder wälzte er sich hin und her während das Boot, getragen von der Strömung immer weiter voran trieb. Abermals träumte er von den Erlebnissen seiner Reise, von dem was er zu entdecken hoffte und dem womit ihn das Schicksal konfrontierte. Es war kein tiefer Schlaf und immer wieder schreckte er für kurze Momente auf, nur um wenige Augenblicke später erschöpft ins Reich der Träume zu versinken. Mit einem mal jedoch riss ihn lautes Poltern aus dem Schlaf, das ganze Schiff bebte geradezu ehe es mit einem mal ruhig wurde. Eiligst entzündete er die Laterne die er vorsorglich neben dem Bett platziert hatte und eilte an Deck. Zu seinem Erstaunen erblickte er Land im schwachen Lichtenschein. Ganz offenbar wurde das Schiff von der Strömung an ein steinernes Ufer getrieben an welchem das Schiff gestrandet ist. Glücklicherweise trug das Schiff dabei jedoch keinerlei größeren Schäden davon. Lazantins Herz raste als er vom Schiff kletterte, zum ersten mal seit Monden auf See hatte er festen Boden unter den Füßen, endlich hatte er nach all der Zeit Land erreicht, doch keinesfalls so wie er sich dies vorgestellt hatte. Skeptisch begutachtete er den kargen kahlen Steinboden, hier und dort ragten einige Stalagniten aus dem rauen Untergrund hervor, doch war dies das Einzige was er in seiner unmittelbaren Umgebung ausmachen konnte. Mit einem schweren Tau befestigte er das Schiff an einem der Stalagmiten.

Es folgte ein langer Marsch hinein ins Landesinnere, mit eiligen Schritten erkundete er die unmittelbare Umgebung in einem Radius von etwa 2 Meilen ehe er zum Schiff zurück kehrte. Offenbar befand er sich auf einer Art Felsplateau von dem einige recht steile Pfade herab führten zu tiefer gelegenen Gebieten, in der Ferne, vielleicht 5 Meilen entfernt meinte er über dies ein schwaches bläuliches Leuchten inmitten der Finsternis zu erkennen, doch war es zu weit entfernt als das er mehr als ein amorphes etwas erkennen konnte. Von lebendigen Bewohnern war weit uns breit weder etwas zu sehen, noch etwas zu hören, eine geradezu gespenstische Stille umgab ihn die ganze Zeit welche einzig vom lauten Hall seiner Schritte durchbrochen wurde. Hier und dort entdeckte er weitere Stalagmiten sowie mehrere dünne Spalten unbekannter Tiefe. Schließlich kehrte er zum Schiff zurück welches er Problemlos fand da er eine kleine Öllampe an der Spitze des Mastes entzündete hatte die ihm seinen Rückweg leuchtete.

Am Schiff angekommen ließ er sich vom Fußmarsch erschöpft nieder sinken, zum ersten Mal seit langer Zeit musste er wieder eine Entscheidung treffen, würde er das Schiff verlassen und das Landesinnere erkunden oder würde er das Schiff besteigen um entlang der Küste zu segeln. Rasch merkte er jedoch beim Durchsehen der verbleibenden Vorräte, dass dies keinen bedeutenden Unterschied machen würde. An Speise hatte er noch einige jener sonderbaren Meeresfrüchte, an Wasser vielleicht noch ein knappes viertel Fass. Vielleicht genug für eine Woche. An Lampenöl hatte er noch etwa 4 Liter zur Hand. Alles in allem eine erschreckend klägliche Ausrüstung um eine Expedition ins Unbekannte zu starten, in Gefilde die vielleicht noch nie ein Mensch zuvor erkundet hat.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 16.03.12, 13:17 
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An fremden Gestaden


Er holte mit dem Hammer weit aus und löste mit Wucht das verrostete Ankerspill - das fürchterliche Wetter auf hoher See hatte ein paar Kettenglieder verkanten und verrosten lassen, doch nun stürzte unter ohrenbetäubendem Poltern der Anker und traf auf den jungfräulichen Boden der Küste, an der er gestrandet war. Fest hatte er damit gerechnet, auf seinem Weg eine oder zwei neue Inseln ausfindig zu machen, oder vielleicht neue Fische und Vögel - soetwas kam immer interessant oder auch wahlweise sehr schmackhaft. Doch er hatte immer im festen Glauben gehandelt, dass er an Endophals Küste stehen würde, wenn er das erste Mal sein Schiff verlassen musste. Nun stand er vor dem Traum eines jeden Entdeckers: Erde, von Wind und Zeit glattgeschmirgelter Stein, den wohl noch nie ein Sterblicher betreten hatte.

Ein Entschluss war schnell gefasst. Er zückte sein Flößermesser und widmete sich dem Hauptmast, in dem er einige Zeichen einritzte. Seinen Namen, darunter einen groben Umriss der Insel Siebenwind und den noch viel gröberen Kurs mit einigen Piktogrammen, die die Erlebnisse auf seiner Reise zusammenfassten. Sollte er nicht mehr zurückkehren, könnte das Schiff so noch als Warnung oder Denkmal dienen, je nachdem. Nun galt es jedoch, sich um handfestere Dinge als die Zukunft zu kümmern. In den vielen Monden auf dem Schiff war ihm die Kleidung nach und nach förmlich zerfallen unter den täglichen Belastungen, unter Felas Strahlen und der Beanspruchung durch salzige Luft. Ein neuer Satz Kleidung zum Wandern musste her, etwas Lockeres, dass ihn trotzdem vor Wetter und Kälte beschützen könnte, wenn es denn darauf ankommen würde - tatsächlich war es in dieser Dunkelheit, fernab von Felas wärmender Gegenwart, arg frisch.

Die Lösung war ein improvisiertes Gewand aus Segeltuch, das er noch übrig hatte. Er schwang sich die Bahnen erst um den Oberkörper und ließ dabei soviel Stoff über, dass auch seine Beine gut bedeckt wurden. Zuletzt band er es sich um den Kopf herum zu einer Kapuze, bis die Enden an der linken Schulter mit einem Stück Schnur verknotet wurden. Schuhe würde er bei dem trügerischen Boden voller Spalten, Spitzen, Ecken und Kanten ebenfalls benötigen. Dafür hielt erneut das Segeltuch her, unterstützt von zwei Stück kleinem Kantholz.

Das Proviantpaket schnürte er sich wie ein Landstreicher. Ein langer Stock wurde im Sperrholz ausfindig gemacht, und als Stofftuch für das Bündel am Ende hielt die Malthuster Flagge her, die träge an der Mastspitze gebaumelt hatte. Hinein kamen die wenigen Meeresfrüchte und sein Logbuch, sonst nichts. Vom Wasser füllte er sich zwei Trinkschläuche ab, die er sich jeweils entgegengesetzt um die Schultern hing. Als Letztes noch zog er einen zweiten Stock aus dem Ölfass, in dem er sich vollgesogen hatte mit der stinkenden, harzigen Flüssigkeit. Ein Schwenker durch die Flamme der Schiffslaterne, und er hatte eine behelfsmäßige Fackel. Für die lächerliche Entfernung von fünf Meilen würde sie noch herhalten.


- - -

Es ging nur schwer voran, obwohl es kaum fünf Meilen waren - zu seinen besten Zeiten damals hätte er kaum einen Viertelzyklus dafür gebraucht. Der Boden hatte sich gegen ihn gewandt und entzog sich immer wieder den wackligen Schritten. Der glattgeschmirgelte Stein schien sich zu Heben und zu Senken, sodass ihm alleine bei dem Anblick fürchterlich schlecht wurde. Das kam davon, wenn man so viel Zeit auf hoher See zubrachte: Irgendwann gewöhnte man sich so sehr an das wiegende und schwankende Schiffsdeck, dass einem solider Grund und Boden suspekt vorkam.

Auf seinen Stock gelehnt blieb er für einen Moment stehen, um nicht noch einmal Erbrechen zu müssen. Die Augen geschlossen atmete er tief und gründlich durch, seine Lungen mit der kalten, frischen Luft füllend. Er ertappte sich selbst dabei, wie er mit dem Ende des Stocks kleine Spuren in den Stein kratzte. Zuerst kamen die kantigen Stelen, in einem Halbkreis. Dahinter ein verworrenes Etwas, das den Algenteppich darstellen sollte. Zuletzt, ganz links, das bläuliche Leuchten, auf das er zustrebte. Die Stelen verband er mit einer doppelten Linie, das Leuchten umkreiste er mehrmals. Ehe er sich versah, waren aus den Stelen Zähne geworden, aus den Algen eine Zunge und aus dem Leuchten ein Auge - ein Drache mit weit aufgerissenem Maul.

Ha, was für eine Fantasie.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 19.03.12, 17:08 
Edelbürger
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Vor leerer Leinwand


Mit einem leisen Zischen erlosch die improvisierte Fackel in seinen Händen. Den verkohlten Rest warf er achtlos beiseite. In aller Ruhe hielt er inne und richtete seinen Blick auf das blaue Leuchten, das mit jedem Schritt immer näher rückte. Die Gesellschaft des warmen Fackelscheins ließ die Dunkelheit im Kontrast nun viel düsterer, tiefer und bedrohlicher wirken. Nur hier und dort zeichneten sich Akzente ab, wenn eine Unregelmäßigkeit (ein kleiner Stalagmit, eine Felskante) hervorragte und vom matten, schwächlichen blauen Licht angeschienen einen schwarzblauen Schatten warf. Es war ein kompliziertes Spiel von Licht, Schatten und Zwielicht, das nach all' der Zeit in vollkommener Finsternis seine Fantasie anregte, die Lücken mit Erlebtem zu füllen.

    Als Kind hatte seine Mutter ihn immer dazu angehalten, mitzukommen, wenn sie im Wald nahe der Akademie Kräuter, Pilze und Obst sammeln ging. So enthusiastisch war sie, dass es nicht einmal darauf ankam, ob es hell oder dunkel war, oder ob Windstille oder schwerer Regen herrschten. Er konnte sich noch genau an den Abend erinnern - Astreyon stand niedrig, küsste den Horizont, und warf sein verwunschenes Licht durch das kahle Kieferndickicht, durch das die Beiden stöberten. Die vom Silberlicht geworfenen Schatten waren so scharf umrissen, dass er nur ganz verwundert zu seiner Mutter aufblicken konnte, um zu fragen: "Mama? Wer hat denn da die Laterne angelassen?".

    Zweiundzwanzig Jahre später stand der Astreyon erneut so niedrig, und wieder war es ein Kieferndickicht - auf der Insel Siebenwind nahe der Vorburg Seebergs. Voll Zuversicht auf die Heimat in nächster Nähe führten ihn seine Schritte den gewohnten Trampelpfad entlang, durch das Zwielicht inmitten der nahe beinanderhockenden, gekrümmten Baumstämme. Bald musste er lernen, dass in den reglosen Schatten solcher Nächte Dinge lauern konnten, die nicht den Frieden und die Idylle der Umgebung teilten. Kreaturen, von arkan begabter Hand dem Halbdunkel entrissen, die ebenso wenig habhaft waren, und trotzdem tiefe Wunden in ungeschütztes Fleisch rissen.

    Falkenstein, sechzehn Jahre nach Hilgorads Thronbesteigung. Die Abenddämmerung gesellte sich wieder zu ihm, gewährte ihm Schutz vor ungewünschten Blicken während er von Hauswand zu Hauswand schlich, hektisch um Ecken blickte nur um von Gasse zu Gasse zu hetzen, außer Sicht der patroullierenden Stadtwachen und ihrer scheinbringenden Laternen. Der Kiesel am Wegesrand knarzte unter den leichten Schritten, die ihn weiter und weiter trugen. Ein kleineres Steinchen wurde flink auserwählt und hochgeschleudert, gegen das Fenster direkt über dem Kopf des Schleichers. Direkt unter dem Giebel des stattlichen Herrenhauses befand es sich, dessen geputzte und wohldekorierte Fassade von Ansehen und Wohlstand kündete. Hinter den Fenstern im Erdgeschoss brannten Kohlebecken, die zu dieser Jahreszeit nicht nur Licht, sondern auch Wärme schenken sollten: So hielt er sich eng an die Wand gedrückt, von innen nicht zu sehen.
    Ein Grinsen zeichnete sich auf den erschöpften und geschundenen Zügen ab, als von oben eine Strickleiter herabgelassen wurde. Er ergriff eine der Sprossen, in Vorfreude auf den vor ihm liegenden angenehmen und erholenden Abend bei der endophalischen Schönheit am Ende der Leiter.

    Nicht immer hielt die Dunkelheit ein aufmunterndes Versprechen für ihn bereit, wie die baldige Heimkehr oder ein paar sorglose Stunden. Manches Mal fand er sich in prekären Situationen wieder - in der Bilge eines fremden Schiffs, gefesselt und hinter eisernen Gittern, mit der baldigen Aussicht von einer unberechenbaren Schwarzmaga magisch gebunden zu werden. In den Tiefen einer von Verbrechern und Tunichtguten bewohnten Stadt, im Sand einer Arena - zwei blutdürstige Novizen der schwarzen Magie vor sich. Im Herzen des Ödlands, unmittelbar vor einem der Zugänge in die Tiefen des Sammlerbaus, mit dem Rückweg versperrt und der alleinigen Möglichkeit, die Flucht nach vorn anzutreten.

Mit einem kehligen Lachen packte er den Stock mit seinem Proviantbündel am Ende fester und verfiel erneut in den Takt, der die Meilen unter den Füßen nur so dahinfliegen ließ. Durchweg entspannt in die Knie gehen, mit der gesamten Sohle abrollen und mit den Zehen schließlich wieder abdrücken.

"Na komm, alter Freund. Gehen wir noch ein Stückchen zusammen.", murmelte er mit Blick auf die düsteren Schemen der öden Landschaft vor sich.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 1.04.12, 02:56 
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Stunden lang trugen ihn die Füße durch die schier endlose Dunkelheit über einen kargen blassgrauen Steinboden. Leise seufzend lässt er sich schließlich hernieder sinken, noch immer hat er keinerlei Zeichen von Leben erblicken können, einzig das schwache Leuchten in der Ferne gibt ihm noch Hoffnung, ein Ziel auf das er zuhalten kann. Als er in seinen Gedanken abermals jene absonderliche Situation durchgeht dringt mit einem mal ein Geräusch über das Ohr in seinen Geist, ein schwaches, fast nicht zu hörendes Tropfen. Irritiert blickt er sich um, dabei genauer jenen Tönen lauschend, doch da war es tatsächlich, ein regelmäßiges, gleichförmiges Tropfen. Rasch greift er abermals nach seiner Ausrüstung und macht sich auf in Richtung des Tropfens, es konnte schließlich nicht weit sein.

Nach wenigen Minuten des Fußmarsches traft er auf einen kleinen Tümpel, etwa 3 Schritt im Durchmesser in dessen Mitte beständig Wasser tropft. Von woher vermochte Lazantin nicht zu sagen, wie Regentropfen scheint das Wasser geradewegs vom in Dunkelheit liegenden Himmel zu fallen. Das Wasser selbst ist klar, keinerlei Geruch geht von ihm aus. Nach kurzem Zögern entschließt sich Lazantin einen Schluck von jenem Tümpel zu probieren und zu seiner Erleichterung bestätigte sich der erste Eindruck, offenbar handelte es sich tatsächlich um reines klarer Süßwasser. Rasch stillte er seinen Durst an dem Wasserloch und füllte auch seine Vorräte auf ehe er frisch gestärkt weiter zieht. Weitere Zyklen vergingen, oder waren es Tage? Immer wieder rastete Lazantin kurz, zumindest glaubte er dies, sammelte neue Kraft für den beschwerlichen Marsch. Schließlich erreicht er jedoch die Quelle jenes sonderbaren Leuchtens, mit offenem Mund blickt der Reisende auf das Bild welches sich ihm offenbart. Inmitten der Dunkelheit erhebt sich ein Wald aus sonderbaren baumähnlichen Pflanzen. Jene Dinger sind sind allesamt mindestens 5 Meter hoch, manche scheinen jedoch bis zum doppelten oder gar dreifachen so hoch zu ragen, die Stämme sind ungewöhnlich gekrümmt, ebenso die recht dicken Äste, so dass jene Pflanzen ehr wie Ranken und nicht wie die im vertrauten Bäumen aussehen. Ein Blätterkleid trägt keiner der Bäume. Die mit Abstand sonderbarste Eigenart war jedoch ihre Farbe, jeder einzelne der Bäume erstrahlte in einem schwachen fluoreszierenden blauen Licht mit welchem sie den Ort gänzlich erfüllen. Als Lazantin schließlich von den Spitzen der Bäume zu seinen Füßen blickt bemerkt er mit einem mal, dass er nicht mehr auf blankem Stein steht sondern aus einem Teppich aus blassgrauem Gras welches offenbar im gespenstischem Licht der Bäume wächst. Schließlich tritt Lazantin näher an einen der Bäume heran um diesen näher zu untersuchen, die Oberfläche selbst ist recht hart und rau, zu seiner Verwunderung stellt er über dies hinaus fest, dass die Bäume recht warm sind, beinahe so warm wie er selbst. Darüber hinaus scheint ein leises Surren dem Baumstamm zu entfahren. Abermals lässt Lazantin seinen Blick über die geisterhafte Szenerie wandern ehe er sich entschließt weiter vor zu dringen in jenen geheimnisvollen Wald. Weiter und weiter tragen ihn seine Füße über den grasbewachsenen Boden, immer lauter werden dabei die Geräusche welche von allen Seiten zugleich in seine Richtung drängen. Aus dem Surren des einen Baumes wurden die unterschiedlichstes Töne welches sich zu einem hellen melodischen Summen zusammen fügen welches mal lauter mal leiser wird. Immer wieder scheint es dabei so als würde er aus dem Augenwinzel kleine Schatten erspähen die sich durch die Äste des Waldes bewegen doch jedes mal wenn er genauer hinsieht erblickt er nicht mehr als die sonderbar verdrehten Äste des Waldes. Schließlich lässt er sich erschöpft am Fuße von einem der größeren Bäume nieder, zu weit haben ihn seine Füße getragen als das er nun noch stehen könnte, zu viel haben seine Augen gesehen als das er sie nun noch offen halten könnte. Und so entglitt er binnen weniger Augenblicke in das Reich Lifnas.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 4.04.12, 22:07 
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Waldläufer


Zitat:
Logbuch des Kapitäns
Anfang Dular


Sollte wirklich regelmäßiger Einträge verfassen, stelle ich im Rückblick fest. Seitdem ich das letzte Mal zur Schreibfeder griff, bin ich inmitten dieser Düsternis unvermittelt und absolut unerwartet auf Land getroffen - es gab' keinen Moment der freudigen Erlösung beim Anblick des ersehnten Ziels am Horizont, irgendwann ging schlicht ein Ruck durch mein Boot und ich war an einer felsigen Küste aufgelaufen. Felsig ist es hier wirklich größtenteils, karg und glattgeschmirgelt wie vom Atem der Götter. Ich trau dieser Landschaft keinen Finger weit, musste ich doch bald feststellen, dass eine vermeintliche Strecke von fünf Meilen nicht weniger als einen halben Mond der Wanderschaft in Anspruch genommen hat - daheim wäre kaum ein Zyklus vonnöten gewesen. Ich glaube nicht, dass so ein wildes und ungezähmtes Land viel von der Logik geregelten Raumes hält.

Beschweren will ich mich beileibe nicht, denn meiner Meinung nach hat sich der gedehnte Spaziergang mehr als gelohnt. Nun sitze ich hier inmitten eines Waldes, der in tiefster Dunkelheit gediehen ist und sich zugleich sein eigenes Licht schenkt. Ich lehne mit dem Rücken an dem einzigen graden Baumstamm, den ich weit und breit finden konnte - sonst geht die Vegetation kreuz und quer durcheinander, in so abstrusen Kurven, dass sich manchmal der reinste Irrgarten ergibt. Ich habe versucht, eine Zeichnung anzufertigen, die ich hier zwischen die Seiten klemmen werden. Außerdem hob' ich einen jungen Setzling, noch kaum faustgroß, aus der Erde und wickelte ihn ebenfalls ein, als Mitbringsel. Wird die Riendiener freuen. Der Wald muss seinen Boden dem Stein mühevoll entrungen haben, denn nur eine kleine Schicht trockener und bröseliger Erde bedeckt das Steinplateau, kaum genug, um die Wurzeln zu halten - doch müssen sie weder Witterung noch Menschenhand fürchten.

So herrlich paradox wie dieser Ort auch sein mag, und wie gut es auch tun mag, endlich wieder (wenn auch botanisches) Leben zu erblicken muss ich eingestehen, dass es hier noch unheimlicher ist als auf hoher See. Ich könnte schwören, dass ich nicht alleine hier bin - doch wenn ich mich hektisch umdrehe und versuche, die wendigen Späher auf frischer Tat zu ertappen, so greife ich nur in die Luft. Aber ich würde meinen inzwischen vorhandenen Bart verwetten, dass es ihre Atemzüge sind, die ich erspüre.


- Tintin.


Er hätte wirklich seine Laute mitnehmen sollen. Die ätherischen Klänge, die von diesem Ort ausgingen, verdienten es wirklich, auf Notenpapier gebannt zu werden. So blieb ihm nichts Anderes über, schlussfolgerte er, sie als Inspiration fürs Pfeifen zu nehmen. Nur steckte ihm schon der erste Ton in der Kehle fest. Das Problem war nicht, dass er nicht den gewissen Frieden dieses Orts stören wollte. Es war eher, dass er das unbestimmte Gefühl hatte, dass er keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte. Keine unnötigen Geräusche: Kein Pfeifen, Summen, Brummen (und das fiel ihm als Wandersmann wirklich schwer), kein abendliches Feuer, weder zum Wärmen noch zum Kochen, er wollte nicht einmal einen Ast unter den Schuhen zertreten. Denn was auch immer in den bläulich geprägten Schatten jenseits der kleinen Lichtung lauern mochte, auf der er gerade ruhte: Es konnte nur Unheil bedeuten.

War er auf der Altvorderen Halbinsel am Fuße der Drachenschwingen-Gebirgskette gelandet, so würde dies zumindest die Dunkelheit erklären - es war der Weltenberg und die vielen, anderen zahllosen Gipfel, die Felas Schein rauben müssten. Dann würde er hier auf Gruppen verstoßener Dwarschim treffen, Gesetzesbrüchige aus den jahrtausendalten Stollen und Bingen, für die das Gebirge bekannt war. War er am unbekannten und nie erreichten Ostufer Ma'ahns gelandet, so konnte er mit dem Leben abschließen, denn jeder Seemann von hier bis nach Venturia wusste, dass niemand je von dort heimgekehrt war. Seine schemenhaften Begleiter würden die wilden, die wahrlich wilden Elfen dieser Region sein.

Von solch fantastischen Träumereien geplagt, fand' er nur unruhige Rast auf den zerdrückten bläulichen Gewächsen und Gräsern, die den Boden spärlich bedeckten.


- - -


Ein morscher Ast wurde von einem unachtsamen Schritt zerbrochen - unmittelbar neben ihm! Sofort rast sein junges Herz, der Schreck fährt ihm in die Glieder. Die Augen zusammengekniffen springt er auf und torkelt sogleich haltsuchend gegen den nächstbesten Baum, die Arme um den Stamm schlingend. Der Schwindel es überhasteten Aufstehens aus tiefstem Schlaf lässt die bläuliche Szenerie schwanken und verschwimmen. Da! Ein Schemen, schlank wie eine Weidengerte, zwei Arme, zwei Beine! Jetzt oder nie! Er verschränkt die Finger der beiden Hände ineinander, holt wuchtig aus und legt sich kräftig in's Zeug: Der Schwung reißt einen Stoß Luft voran, der den Weg ebnet für einen nachfolgenden Blitzschlag. Der glühende Spannungsbogen zuckt herüber, tänzelt ziellos hin und her und versehrt Holz und Stein mit gleichgültiger Naturgewalt.

Als sich die Holzspäne, der Staub und die generelle Aufregung wieder legte, stand er schwer atmend im Epizentrum eines fürchterlichen Chaos. Die Bäume waren nicht nur schwach verwurzelt gewesen, sondern sie waren auch allesamt fürchterlich überaltet gewesen, wo doch weder Gezeiten, noch Menschenhand, noch Getier sie hier aussortierten. Der rankenförmige Stamm, der das Meiste abbekam, zersprang förmlich und gab' all die Wucht an die umstehenden Bäume weiter, in einer verhängnisvollen Kette.

"Ah.. Möwendreck", murrte er leise, als er den Auslöser all dessen erblickte: Unter seinen eigenen Füßen lag' ein Stöckchen, auf das er sich im Liegen gedreht hatte.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 16.04.12, 23:47 
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Verschlungene Wege


Ein Sprung über ein Bündel verwobener Wurzeln hinweg, dann geduckt unter einem kopfhohen Ast entlangtauchen, dabei mit einer Hand an den nahen Stamm gestützt. Die knöchelhohen Gräser flüsterten förmlich als die flinken Füße des einsamen Wanderers sie beiseite strichen. Müdes, morsches Holz knackte unter seiner haltsuchenden Hand, frisches Pflanzengewebe wurde unter seinen Sohlen knackend zerquetscht. Diese Klänge begleiteten ihn nun schon den halben Mond, den er damit zugebracht hatte, diesen endlosen Forst zu durchstreifen, zu durchstreben. Organische Klänge waren es, doch fehlte das gewohnte Zwitschern von Vögeln, das leise Tapsen der Pfoten der größeren Waldbewohner, oder auch nur die Spuren, die sie hinterließen. Es zirpten keine Grillen, doch gab es auch keine Abenddämmerung dafür: Stattdessen gingen die Tage flüssig ineinander über im konstanten, blauen Licht, das die exotischen Bäume um ihn herum spendeten.

Er kaute noch einmal träge, ließ den Klumpen aus Unkraut dann in die andere Backe wandern und spuckte es schließlich beiseite aus. Das von violetten Dolden gekrönte Kraut war eins der Dinge, die ihn auf den Beinen hielten, seit der Proviant nun schon wieder (zum dritten Mal?) knapp geworden war. Den erweckenden, antreibenden Effekt hatte er vor einigen Tagen am eigenen Leib erfahren, als er mit dem Gesicht in der Pflanze erwacht war und sich lebhaft wie selten gefühlt hatte.


- - -


    Der Garten war nicht nur völlig vereinsamt, sondern auch gründlich verwildert.
Unter Ventusdienern fand sich kaum einer, der einen grünen Daumen sein eigen nennen konnte - den Meisten waren Obst und Gemüse als leichte Nahrung sehr recht, doch der Anbau wurde seit jeher als Sache der 'Dreckwühler' gesehen, wie man die Diener Riens liebevoll nannte. So waren die begrenzenden Steine der Beete längst gesprengt von wild wucherndem Windgras, dessen scharfe Holme in alle Richtungen davonstanden, wie das hellblonde Haar seiner Mutter, an deren Rockzipfel er sich festhielt.

    Mit einem seligen Lächeln führte die noch so junge Frau ihr Kind durch diesen vergessenen Urwald an Schachtelgräsern, Bodenkletten und Rienweben.
Der Weg war kaum noch erkennbar, denn die Zeit und die unaufhaltbare Vegetation hatte die Fugen der steinernen Platten auseinander gedrückt und sie schließlich teils gar mittig zerbrochen. Doch hier und dort lugte noch das eine oder andere hervor: Ein verheißungsvoller Schimmer von rot, beispielsweise, den die Mutter sogleich ausmachte. Als sie die wild gewachsene Erdbeere ihrem Sohn herabreichte, wuschelte sie ihm durch das ebenso unbändige strohblonde Haar und sprach mit sanfter Stimme:

"Manchmal verbirgt sich hinter den schärfsten Sträuchern die köstlichste Kleinigkeit."


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 22.04.12, 21:46 
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Zum Horizont


Seine Hände zitterten, als er sich an dem dünnen Stamm vor sich festhielt, um daran herabzurutschen, einen Höhenunterschied von wenigen Schritt überwindend, wo die karge Erde sich zu zwei verkanteten Platten aufgeworfen hatte. Als er seine Hände so vor sich sah: zerbrechlich, dürr und so fahl, dass man jedes bläuliche Gefäß darunter erkennen konnte, wurde ihm erst wirklich klar, wie lange er nun schon in dieser Dunkelheit zugebracht hatte. Das blaue Glimmen der Farne und Bäume um ihn herum war nur ein Abklatsch von Felas prismatisch vielfarbigen Strahlen - Menschen waren Kreaturen des Lichts, und richteten ihren Tagesablauf streng und treu nach Tag und Nacht. Nun plagte ihn schon seit einigen Tagen eine fürchterliche Schwäche in den Muskeln, die nicht mehr auf ihn hören wollten: Wahllos zuckten die Muskelbündel an der Schulter und am Oberschenkel und behinderten so sein Vorankommen.

Mit einem leisen Seufzen hielt er inne und sank auf die mit Gräsern überwucherte Erde herab, um sich mit der Seite gegen den haltgebenden Baumstamm zu lehnen. Er konnte seinen nagenden Hunger inzwischen kaum noch mit den wenigen nützlichen Pflanzen in Schach halten, die hier gediehen. Es war schon eine Qual gewesen, in sorgfältigem Selbstversuch herauszufinden, was ihm schaden und was ihn nähren würde. Stunden seiner Wanderschaft hatte er verschiedenste Pflanzenblätter vorsichtig zerrieben, sich auf die Haut und unter die Zunge gelegt, um zu sehen, ob es ihn jucken würde. Aber keines der schmerzlindernden und aufputschenden Kräuter in seinem Wanderersbündel vermochte, das Loch in seinem Magen zu füllen. Hätte er sich so sehen können, wäre er zu Tode erschrocken - schlicht umgefallen. Kaum Fett verblieb an dem Körper des vorher schon so schlacksigen, jungen Mannes. Durch die Lücken in den Lumpen aus Segeltuch konnte man immer wieder einen Blick bekommen auf die hervorstehenden Rippen, Schulterblätter und Hüftseiten, brüchig überspannt von fast völlig weiß erblichener Haut.


- - -


Stunden später erwachte er wieder, zumindest vermutete er das. Er war vor Erschöpfung eingenickt, sodass sich ein Abdruck der scharfen Baumrinde in seine Stirn gedrückt hatte. Seine müden Füße, hornhäutig und zerkratzt, brannten wie Feuer. Murrend stemmte er sich wieder auf die wackligen Beine und hielt sich dabei erneut an dem Stamm des Baums fest, dessen Äste bis auf wenige Fingerbreit über seinem Kopf hinabreichten und einen dichtgewebten Schirm aus harten Ästchen ausbreiteten. Nach einer Weile des matten Starrens auf die Baumrinde blinzelte erst einmal, dann zweimal, dann rieb er sich mit den Handballen den verbleibenden Schlaf aus den Augen.

Seine Hände umrahmten ein Gesicht in der Rinde - kein menschliches, zumindest nicht ausschließlich. Es waren Konturen, wie ein Relief im bläulichen Holz des Baums. Gefiederte Risse, wo Brauen sein sollte, Astlöcher für Augen, ein halb abgebrochener Ast, ehemals nach unten gewachsen, wie eine eingedellte Hakennase, dazu ein Stück fehlender Rinde in Form eines Munds mit gehobenen Winkeln. Je länger er diesen absonderlichen Zufall anstarrte, desto.. unangenehm bekannter kam ihm das Antlitz dort vor. Mit jedem verstreichenden Augenblick, den die Hände an das Holz gepresst verbrachten, kam stetig mehr Regung und Menschlichkeit hinzu, bis sich die wulstigen Borkenlippen teilten und in einer tiefen Stimme sprachen: "Ist das eine Art, das Familienoberhaupt zu begrüßen? Zeig ein wenig Haltung und Manieren, Lazalantin!" Die Worte trafen ihn tief im Inneren, sofort reagierte er - wie er es schon als Kind und junger Mann getan hatte, zu den wenigen Anlässen, an denen er seinen Vater zu Gesicht bekommen hatte, den autoritären Patriarchen seiner Familie und den ehemaligen Erzpriester des Ordens, in dem Tintin aufgewachsen war. Er salutierte förmlich, trotz des Protests seiner schmerzenden Muskeln. "Besser!", keifte ihn das hölzerne Gesicht an, die tiefen Furchen in der Stirn lösten sich etwas.

Die kurze Pause im Gespräch konnte Tintin jedoch nicht genießen, denn neben seinen Händen brachen erneut Gesichtszüge hervor, diesmal zweifellos die einer Frau in hohem Alter, geprägt von tiefen Krähenfüßen und Lachfalten, abgerundet von runden, durchäderten Bäckchen und gutmütig glimmenden Augen. "Jetzt sei doch nicht so ruppig, Liebling." Die sanften Worte waren wie Balsam für die einsame, geschundene Seele - was er da vor sich erblickte, konnte unmöglich real sein, doch verlieh es ihm den Trost, den er so bitter benötigte und der ihm so lange verwehrt geblieben war. Seine Mutter sprach erneut: "Nun lös' uns vorsichtig ab und nimm' uns mit hinauf in die Krone des Baums. Wir würden dir gerne etwas zeigen." Brav folgte der Sohn dem Wunsch und machte sich daran, mit seinem treuen Messer die Rinde rundum großzügig auszuschneiden, bis er die beiden Borkengesichter in den Händen hielt. Behutsam band er sie sich an die Kleidung, den Vater an den linken Oberarm, die Mutter an den Rechten.

Unter den zackigen Befehlen und dem ungeduldigen Antrieb des Familienoberhaupts kletterte er den gewundenen Stamm hinauf, sich von Ast zu Ast hangelnd. Um ihn herum: Nur undurchschaubares Grünblau ineinander verwobener Abzweige des Hauptstamms, die jedoch fest wie Stein seinen Tritten standhielten. Das bläuliche Glimmen und das warme Gefühl der mysteriösen Pflanze selbst war auf die Borkenteile übergegangen, die er entnommen hatte. Als er schließlich dem geschlängelten Verlauf, einer Wendeltreppe nicht unähnlich, bis zum Ende gefolgt war, fand' er eine kleine Lücke in dem sich gar bis hierher hochstreckenden Dickicht, die er mit etwas roher Gewalt und der Hilfe seines Messers gerade weit genug aufbrach, um hindurchschlüpfen zu können.


- - -


Zum ersten Mal seitdem die Dunkelheit ihn mit ihrem sinnesraubendem Schleier umgeben hatte, konnte er am Horizont mehr ausmachen als ineinander übergehende, dunkle Schemen. Wenig mehr, zugegeben, denn nun war es das endlose, gleichförmige Dickicht des Waldes, dessen blaue 'Aura' kaum mit dem sternenlosen, ewig düsteren Firmament kontrastierte. Doch es war.. etwas. Er hatte ein Ziel vor Augen: die dünne Linie, wo der Wald in den Himmel überging, wo die Bäume in der Ferne verschwammen und noch bläulicher wurden.

"Siehst du das, mein Sohn?", erklang die nun erstaunlich einfühlsame und besorgte Stimme seines Vaters. "Vielleicht ist die Zivilisation schon so nah. Vielleicht lauert hinter dem Horizont auch der sichere Tod, in Form von Hunger, Kälte oder seelenzernagender Einsamkeit. Oder aber es ist das gesamte Spektrum dazwischen: Uralte Bäume, ewige Quellen - die Heimat der schönsten Kinder der En'Hor, vielleicht wirst du noch mehr Tiere finden, deren Existenz sich nie ein Sterblicher erträumt hätte; Dinge jenseits aller Fantasie könnten dort darauf warten, endlich erblickt, endlich gefunden zu werden. Der Lazalantin, den ich kenne, scheut sich nicht vor einem kleinen Fußmarsch. Also los! Auf, fort mit dir!"

Still nahm er noch für einen Moment das Panorama in sich auf, ehe er mit einem Ruck das leichte Bündel über seine Schulter zurechtrückte und sich wieder herabbegab, um seinen Weg fortzusetzen - im stetigen, verbissenen Kampf gegen seinen eigenen, schwachen Körper.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 6.05.12, 23:58 
Festlandbewohner
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Immer weiter tragen ihn seine Füße, tiefer hinein in jene unwirkliche Welt. Es kommt ihm indes wie eine Ewigkeit vor in welcher er durch jenen sonderbaren Wald läuft, bar jeglicher Tageszeiten, stets begleitet von ätherischem Leuchten und den gespenstischen Klängen der Bäume. Als die Erschöpfung der Füße abermals ein Maß erreicht das ein Weiterkommen vorerst unmöglich macht entschließt sich der einsame Wanderer eine Rast einzulegen, neue Kraft zu sammeln. Wenige Handgriffe später steht auch bereits das provisorische Nachtlager, kaum mehr als ein paar ausgebreitete Decken, doch würde es genügen, kalt war es ohnehin nicht, und wurde es auch niemals, seit seiner Ankunft am fremdartigen Ufer blieb die Temperatur erstaunlich konstant, nicht nur die Tageszeiten scheinen keinerlei Einfluss zu haben, auch der Lauf der Jahreszeiten scheint an diesem Ort außer Kraft gesetzt.


Eifrig huscht Lanzantin über das Schiffsdeck, es gilt sich zu sputen das Schiff klar zu machen für den aufziehenden Sturm, blind konnte er inzwischen jeden Handgriff, Seile befestigen, die Ladung sichern, die Segel raffen. Binnen kürzester Zeit hatte er das Nötigste getan und scheinbar keinen Moment zu früh wenn man sich ansieht mit welcher Geschwindigkeit die nachtschwarze Wolkenfront auf das Schiff zuhält. Schon aus der Ferne hört man durch das Rauschen der Wellen hindurch das laute Plätschern der Regenmassen. Noch einmal warf er einen prüfenden Blick auf die Ente, sie würde dem Unwetter stand halten, sie musste es einfach. Schon wird das Boot von einer Welle getroffen welche es wie eine Nussschale umher wirft. Unbändig lehnt es sich zur Zeit, bloß um einen Liedschlag später zur anderen Seite zu fallen. Schließlich reist es Lazantin von den Beinen und er knallt geradewegs mit seinem Kopf gegen den Mast des Bootes.


Er reist die Augen auf und blickt sich hektisch atmend um, über sich sah er die filigranen schimmernden Zweige der Bäume. Da Begriff er das er geträumt hatte, schon wieder träumte er noch auf der Ente zu sein. Inmitten jener paradoxen Situation, er war frei, umgeben vom endlosen Ozean, nichts was ihn aufhalten könnte, und doch war er ein Gefangener inmitten seiner hölzernen Zellen. Ein bitteres Lachen entfuhr Lazentin ob der Ironie jener Situation. Mühsam drückte er sich wieder auf und verbannte die Gedanken aus seinem Kopf. Er müsste weiter, hier bleiben und nichts tun ist in jedem Fall das falsche. So trieben ihn seine Füße weiter durch den Wald, doch allmählich lichtete sich die Vegation, immer wenige Fahne bedecken den Boden, immer weniger Bäume stellen sich ihm in den Weg. Schließlich weicht der Wald mehr und mehr einer losen Steppe und als das Licht der Bäume allmählich nachlässt bemerkt er schließlich das ebenfalls schwache Glimmen welches vom Himmel auszugehen scheint. In einem tiefen dunklen Nachtblau erstrahlt der Himmel. Ungläubig blickt Lazantin hinauf, ehe er nach dem Fernrohr greift, in der Hoffnung Sterne oder vielleicht Wolken zu erspähen richtet er das Instrument auf das Himmelzelt. Der Anblick verschlägt ihm beinahe den Atem, statt des Himmels erspäht er in weiter Ferne ein bläulich schimmerndes Geflecht, ähnlich den Ästen des Waldes, dort hoch über seinem Kopf scheint es die Decke einer gewaltigen Höhle zu überwuchern, einer Höhle durch welche er offenbar schon seit Tagen wandert. Ungläubig senkt er das Fernrohr nur um es wenige Augenblicke später erneut anzusetzen. Ratlos sank er nieder, sinnierend ob der Bedeutung jener Entdeckung, doch vermochte er es nicht einen Sinn in all den Tatsachen zu finden die der Welt des logischen schon lange entwichen zu sein scheinen.

Perplex raffte er sich auf, er muss weiter, wenn auch sonst nichts einen Sinn ergibt, er würde sein ZIel schon erreichen, was auch immer sein Ziel sein würde. Schließlich endete auch die Steppe und vor ihm tat sich im schwachen Schein des künstlichen Himmels eine riesige Wüste aus weißgrauem Sand und Gestein auf. Friedlich, wie ein erstarrtes Meer lag sie vor ihm, umgeben von absoluter Stille. Noch einmal blickte Lazantin hinter sich, hinein in den Wald, dann wieder nach vorne. Abermals steht eine Entscheidung an, sein Glück in den Unbekannten weiten der Wüste zu suchen, oder doch noch einmal den gespenstischen Wald abzusuchen.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 13.05.12, 13:21 
Edelbürger
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Ballast

Vor fünf Tagen...


Zitat:
Logbuch des Kapitäns
Datum unbekannt


Meine Einträge werden immer spärlicher, die Abstände zwischen ihnen bedeutend länger. Einerseits fällt es mir schwer, die verstreichende Zeit noch im Gefühl zu behalten - der einzige Takt, den mein "Tag" noch besitzt, ist die mich scheinbar wahllos überkommende Müdigkeit, die mich zur Ruhe zwingt. Oder das Gefühl eines Krampfes, wenn ich meinem Körper wieder einmal zuviel abverlangte. Andererseits gibt es in dieser düsteren Ödnis nicht mehr viel, von dem ich in meinem Logbuch nicht eine Skizze oder eine Probe hinterlegt hätte. Selbst die Größenverhältnisse scheinen hier andersartig, fremd. Wo auf Tare findet man noch einen Wald, den man in einem Mond kaum durchwandern kann?

Zuletzt bin ich nun auf eine Art Wüste getroffen. Der Übergang von dichter Vegetation zu Sand ist fließend. Die Bäume wurden zierlicher, die Lücken zwischen ihren wirr umherwuchernden Ästen zunehmend größer, bis nurnoch ein kleiner Saum karger Büsche übrigblieb, der eine trostlose Grenze zu der Weite bildet, die sich vor mir auftut. Ich verbrachte die letzten Tage damit, den Wald noch einmal abzusuchen, nach den wenigen Pflanzen, von denen ich inzwischen weiß, dass sie mehr nützen als schaden. So füllte ich mein Bündel mit dem bitteren Fleisch einiger faulig aussehender Pilze und mehreren Stücken blauer Borke, die den Hunger zumindest für eine Weile hinauszögern sollten.

Ich bete täglich zu Ventus, dass ich von dieser Qual erlöst werden möge.


- Tintin.


Behutsam schloss er das Buch. Es tat unbeschreiblich gut, sich ab und an noch der galadonischen Sprache zu bedienen. Wo er doch nun schon seit sieben Monden kein vertrautes Gesicht mehr erblickt hatte. Manchmal hatte er sich noch selbst dabei ertappt, wie er Monologe füllte, um die schreckliche Stille zumindest mit ein klein wenig Sinn und Struktur zu füllen. Diese Reise hatte ihm alles genommen, das ihm lieb und wichtig war: Anders als seine oft asketisch veranlagten Glaubensbrüder hatte er gern und gut gegessen und getrunken - nun waren seine Lippen spröde, und es widerte ihn bei dem Gedanken an seine letzten faulen Mahlzeiten.
Er war ein echter Menschenfreund gewesen, hatte immer gern die Gesellschaft anderer genossen und bei jeder Gelegenheit versucht, neue Bekanntschaften zu knüpfen - nun war er so einsam und verlassen, wie es nie ein Sterblicher gewesen war.
Es hatte ihm Erfüllung bereitet, zu lernen, zu studieren, zu lesen und selbst zu verfassen, gleich ob es um die Musik, die Elemente oder die Sterne ging - nun war sein Geist schon so lange.. tatenlos, nur mehr in einer passiven Beobachterrolle gefangen.
Nicht zuletzt war der Wind immer der Dreh- und Angelpunkt seines Lebens gewesen, sein ewiger Begleiter und treuster Freund, sein vertrauensvollster Ratgeber und loyalste Kamerad im Kampf - seitdem er von Bord der Ente gegangen war, war er dieser ewigen Windstille nicht mehr entkommen.


- - -

Die Erlösung, die er sich jedes Mal erflehte, wenn er in unruhigen Schlaf fiel, kam auch dieses Mal nicht. Er erwachte mit schmerzenden Gliedern, spröden Lippen und trockenen Augen. Es kam kein göttliches Zeichen vom Himmel herab, keine plötzliche und hilfreiche Inspiration, nicht einmal ein wärmendes Gefühl aus der Tiefe seines Herzens - es herrschte schlicht allumfassende Lehre. Wie im Halbschlaf packte er einen der Pilze, zerbrach ihn und quetschte das brackige Wasser heraus, um sich zumindest das Gesicht zu befeuchten und einen Schluck zu trinken. Das so schwer wirkende Bündel schulterte er wieder, den Blick voran auf die Wüste gerichtet. Noch länger konnte und durfte er es nicht herauszögern, sich endlich dieser lebensfeindlichen Weite zu stellen.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 13.05.12, 23:58 
Edelbürger
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Perspektive


Als er die Augen erneut aufschlug, war er rundum von Wüste umgeben. In jede Himmelsrichtung erstreckte sich der blaue, kühle Sand bis zum Horizont. Ohne Hast ließ er sich noch einmal zurücksinken, halb gegen den kargen, vertrockneten Baum gelehnt, der ihm als Richtungsweiser diente. Wenn eines sicher war, dann immerhin die Tatsache, dass ihm hier noch nie auch nur etwas ansatzweise Feindliches begegnet war - kein Grund, wenigstens nicht noch einen Moment das schläfrige Dämmern zwischen Traum und Wachsein zu genießen.

- - -


Mit beiden, kleinen Händen klammerte sich der junge Lazalantin an den Saum des väterlichen Umhangs. Die großen Kulleraugen ruhten auf dem herrischen Hohepriester, der seinen Sohn mit einer Hand an der Schulter an sich gedrückt hielt, während sie die.. unfeinen Außenbezirke Ventrias durchquerten. Ein typisches Armenviertel, noch außerhalb der Schutz und Frieden verheißenden Stadtmauern, verlassen von den unwilligen Wächtern, die sich lieber überschaubareren Problemen widmeten, als dem allgegenwärtigen Gestank, der zum Himmel stinkenden Armut oder der widerwärtigen Kriminalität. Im Schlamm nahe des kaum befestigten Weges waren Männer dabei, eine Ratte zu häuten, um sie dann mit Schlamm und Kohle zu bedecken - zur Konservierung. Frauen bezahlbarer Neigung warfen sich Lazalantins Vater um den Hals und wurden von dem mürrischen Alten beiseite gedrückt. Eine ihrer Kolleginnen befand sich wohl gerade in den Geburtswehen, den Schreien nach, die aus dem verdreckten Rest eines ehemaligen Vitamahauses klangen. Oder war es das Röcheln eines Raubmord-Opfers?
"Vater? W-warum leben die Menschen hier so?", piepste der kleine Blondschopf hoch.
"Mein Sohn.. Sie haben keine Wahl und werden sie nie haben. Sie hatten das Pech, in diesem Dreck geboren zu werden - wenn schon die Eltern Vagabunde, Leibeigene und Kriminelle sind, was kann dann erst aus dem sprichwörtlichen Apfel werden? Es sind die verlorenen Seelen unserer Gesellschaft, um die sich kaum einer der feinen Geweihten oder der pflichtfernen Stadtwachen kümmern möchte."
"Aber warum versuchen sie nicht, sich ein besseres Leben zu schaffen? Sie könnten doch.."
"Oh, aber warum sollten sie?"
Das kurze Gespräch wurde unterbrochen, als ein aufgeschrecktes Huhn vor den Beiden entlangflatterte, dicht gefolgt von einer ganzen Bande dürrer Kinder, die teils schwerst bewaffnet waren mit Küchenmessern, Spitzhacken oder Heugabeln.
"Nach einer gewissen Zeit kann man sich wohl an alles gewöhnen. Sie kennen es nicht anders, und sollten sie je einen Geschmack des Lebens der Wohlhabenden erhalten, würden sie sich nur wieder zusammenraufen und gemeinsam darüber lachen, wie kompliziert und unnötig verstockt man sich das Leben doch machen kann."
Mit einer Hand holte der alte Patriarch weit aus, dass die Ventusrobe nur so flatterte.
"Quäle einen Mann jeden Tag mit der Aussicht auf den baldigen Tod, und er wird jeden Moment erleben, als sei es kostbares Gut. Lass einen Mann über Monate hungern, und selbst Moos und Schimmel werden ihn zufriedenstellen. Isoliere einen Mann und er wird seine Zuversicht in sich selbst entdecken. Wir Menschen sind körperlich schwach, nicht langlebig und keine allzu talentierten Magier von Geburt an - aber das eine haben wir, und das ist die Gabe der Anpassung. Das Leben findet immer einen Weg."
Der kleine Tintin lachte fröhlich - doch warum?


- - -


Irgendetwas kitzelte da doch. Das vermeintliche Ästchen schlug er achtlos beiseite - er machte sich nicht einmal die Mühe, die Augen aufzuschlagen. Viel schöner war die Aussicht, noch ein wenig seiner unbeschwerten Jugend hinterherhängen zu können, im Geiste. Als das Ästchen jedoch mit einem zu schweren, dumpfen Aufprall neben ihm landete und aufgeregt zu klackern begann, war er hellwach. Das kitzelnde Gefühl kehrte wieder, nun an beiden Unterschenkeln und der ruhenden linken Hand. Als er sich aufrichtete und die Hand wegzog, erblickte er erst das ganze Ausmaß der Misere. Skorpione, Schlangen, Krebse in sandfarbene Panzer und Schuppen gehüllt hatten sich seiner bemächtigt und waren dabei, ihn förmlich unter der krebsenden, schlängelnden, mit Scheren klackernden Masse zu begraben.

Mit hoch erhobenem Stachel tänzelte einer der mutigeren, faustgroßen Skorpione über seinen Oberkörper auf sein Gesicht zu und ließ angriffslustig die beachtlichen Scheren spielen. Fressen oder gefressen werden, hieß es in dieser unbarmherzigen Wildnis, und er war nicht geneigt, einem panzerlosen Beutel aus Haut, Fleisch und Blut gegenüber nachgiebig zu sein. Mit einem ersten Biss von hinten glitten zwei längliche Giftzähne der hinterlistigen Schlange zwischen seinen Panzer - erst war er paralysiert, dann schnell im Magen der geschickten Otter. Auf Tintins halb unter diesen Kreaturen begrabenem Körper brach ein förmlicher Bürgerkrieg aus. Krebse schnitten kleinere Schlangen und Eidechsen mittig entzwei, nur um daraufhin direkt von einem lauernden Skorpion mit einem Stachelhieb in die Weichteile beseitigt zu werden. Bald war das eigentliche Opfer, der Mensch, vergessen, um diese Revierstreitigkeiten endgültig zu klären.

Hektisch wischte er sich ein paar zögerliche Viecher vom Körper und sprang auf. Er fühlte sich elektrisiert! Leben oder Tod, gefressen oder gefressen werden! - Einfach! Er tänzelte hektisch hin und her, als ein paar Krebse sich anschickten, sich festzuklammern und hinaufzuklettern. Ein paar Tritte hier und dort, schon färbte Blut und "Saft" die trockene Wüste. Doch es wurden immer mehr! Für jede Kreatur, die er von sich trat, erschienen zwei größere Artgenossen in der Lücke. Er krallte sich mit beiden Händen in die Borke des nahen Baumes, lehnte sich zurück und trat noch mit beiden Füßen dagegen, die gesamte Kraft aufbringend. Als die Rinde schließlich großflächig riss, taumelte er zurück, fiel gar beinahe in die nahe Grube, die sich im Sand aufgetan hatte, und die offenbarte, was unter der Wüste lauerte - ein gigantisches Bausystem dieser kleinen Mistviecher, das schon bei der kleinsten Erschütterung sich auftat um ihre giftige Bewohner wie Dämonen der Niederhöllen auszuspeien.


Er warf das Rindenbrett vor sich auf den Sand, sein Reisebündel gleich darauf, damit er die Hände freihaben würde. Mit einem Fuß gab er sich hektisch Schwung, gerade, als größere Wesen den Platz der vergleichsweise harmlosen Schädlinge einnahmen. Nun waren es beindicke Schlangen, die, in ihrer Ruhe gestört, aus den tieferen Bauten sich emporbahnten, und sich einen zielstrebigen Pfad zu der einzig sinnvollen Beute bahnten - dem Menschen.

"Mich kriegt ihr nie! Ha-haha-ha!", rief er wie von Sinnen aus. Kein elendes Nachsinnen mehr, scheiß' auf die Sorge um die nächste Mahlzeit oder die Entfernung zum Ziel. Jetzt galt es! Er trat den Schlangen Sand entgegen und beförderte sich damit selbst auf dem Rindenbrett über die Kante der Düne. Hektisch ruderte er mit beiden Armen, völlig von dem lang vermissten (Fahrt-)wind überrascht. Sand preschte unter ihm auf wie Wellengischt als er das Brett in Schlangenlinien hin- und herführte, im Versuch, die halsbrecherische Geschwindigkeit zu mindern. Bald schon war er förmlich vom Sand und der rasenden Geschwindigkeit geblendet, mit der er die Dühne herabzischte. Unten angekommen holte er mit beiden Armen aus, krallte sich förmlich in die Luft um sich herum und verlieh sich noch mehr Schwung. Nur nebensächlich bekam er mit wie die Wüste um ihn herum zum Leben erwachte: Klappernde und klackernde Scheren, glänzende Krebspanzer, funkelnde Schlangenaugen wurden sichtbar als der Sand hier und dort auseinanderbrach, teils direkt hinter dem auf dem Brett Herabrasenden. "Ha-hahahaha!"

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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 22.05.12, 19:01 
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Segelsetzen


Genüsslich kratzte er auch das letzte Fleischbröckchen aus der harten Schale. Noch einmal leckte er über die geschmackvolle Innenseite des Panzers, ehe er die Hülle des Krebses beiseite warf. Dort unten, am Fuß des verdorrten Baums auf dem er sein Nachtlager aufgeschlagen hatte, bat sich ein entsprechender Anblick: Ein kleiner Haufen Schlangenhäute und -köpfe, zahllose Krebsscheren, ein paar ausgeweidete Eidechsen. Er leckte sich die fettschmierigen Finger sauber und griff wieder nach dem Federkiel, dessen anderes Ende nachdenkliche Kreise zog.

Zitat:
Logbuch des Kapitäns
Irgendwann


Heute speiste ich wie König Hilgorad selbst, mögen die Viere über ihn wachen. Es hat eine Weile gedauert, bis ich den Mut dazu aufbrachte, mich über meine kleinen Verfolger herzumachen, und noch länger dauerte es, bis ich ein gewisses Geschick dabei entwickelte. Doch hier draußen rinnt die Zeit im Überfluss dahin, und Hunger ist ein guter Koch. Ich brachte mir bei, die Schlangen direkt im Genick oder ganz am Schwanzende zu packen, sodass sie wehrlos sind. Das war das Schwierigste. Die Krebse zur Strecke zu bringen ist lachhaft einfach - man hebt sie auf wie reife Früchte und stößt das Messer vorne in die Panzerlücke. Eidechsen sind immernoch eine rare Delikatesse, denn sie sind verflucht schnell und größtenteils nichtmal besonders genießbar.

Es ist die Natur der Dinge in dieser kalten Wüste - die Kinder Vitamas und Riens passten sich den obskuren Gegebenheiten an, schufen sich ihre Nische. Auf dem Wasser betrachtete ich die Fliegenden Fische und die Algenteppiche, hier geht es brutaler zu. Die einzige Nahrung hier sind die Schwachen, über die alle gleichermaßen herfallen, vom selben Hunger getrieben wie ich. Das blasse, saftige Fleisch ist ausgesprochen nahrhaft und löscht zumindest den gröbsten Durst, sodass ich mich so wohl fühle wie lange nicht mehr.

Mir ist jedoch klar, dass Fleisch verdirbt und anderswo das Land kaum genug dafür hergibt. Mich beschleicht immer mehr die absolute Gewissheit nicht mehr umkehren zu können. Die Wüste und der Wald sind noch harmlos, doch noch einmal.. vier?.. Monde auf See würde ich gewiss nicht überstehen. Geschweige denn davon, dass ich nie mehr zur 'Ente' zurückfinden würde. Ein Schritt in die falsche Richtung, und ich würde auf die große Distanz umgerechnet mein geliebtes Schiff um dutzende Meilen verfehlen. Von den Stürmen, Todesfallen und Schwierigkeiten der Navigation will ich nicht mal anfangen. Das nimmt zumindest die Bürde des Zweifels von mir - hinter mir liegt der sichere Tod, vor mir das große Ungewisse, aus dem noch nie jemand wiederkehrte (lies: der relativ sichere Tod).

- Tintin, mit vollem Magen und guter Dinge.


- - -


Nach guten zwei Wochen in dieser Wüste folgten die "Tage" langsam einem recht geregelten Ablauf. Er würde wandern, einfach geradeaus, bis seine Beine krampften oder der Sand in seinen Sandalen die Füße wund gescheuert hatte. Bei dem nächsten verdorrten Baum, den er passierte, würde er innehalten, sich ein behelfsmäßiges Nachtlager mit Blick auf die weitere Marschrichtung einrichten.. und jagen gehen. Manchmal musste er nur etwas kräftiger trampeln, und aus dem Sand brachen die aggressiv zischelnden oder wagemutig mit Scheren klappernden Kreaturen vor, die dieses trostlose Ödland ihr zuhause nannten.

Ödland - wenn die Bewohner Siebenwinds wüssten, was wahre Öde bedeuten würde. Nicht die riesigen Wüsten Endophals, mit anmutigen, vom Wind geschliffenen Dünen und fantastischen Felauntergängen in allen warmen Farben, nicht das von den Vieren verlassene Ödland Siebenwinds, reich an Gelegenheiten für wagemutige Glücksritter und reich an Lektionen für junge Diener der Götter. Nicht die eisigen Gletscherebenen des Norlands, immerhin gelegentlich durchbrochen von verschneiten Tannenwäldern voll harten, zähen Wilds oder kleinen Siedlungen mit noch härteren, noch zäheren Männern.

All' dies ging ihm durch den Kopf, denn vor einigen Tagen hatte er in der Ferne dieser perfekt spiegelglatten Wüste etwas gesichtet. Erst war es nur ein bräunlicher Fleck, der sich kaum ersichtlich vom hellbräunlichen Horizont abhebte, umschlungen von der floreszierenden Dunkelheit der vermeintlichen Höhlendecke über ihm. Nach einem Tag beständiger Wanderschaft wurde das Etwas größer, unförmiger. Etwas Dünnes ragte von einem massigen, braunen, gleichförmigen Leib nach oben, mehr war nicht zu erkennen. Kein Schritt brachte neue Erkenntnis, eher waren es Viele - denn schließlich stand er vor dem Koloss, die Hände in die Hüften gestemmt.

"Sicher nur wieder ein Wunschtraum."

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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 23.05.12, 16:21 
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An Deck


Er kniete an der Seite des halb vergrabenen Skeletts nieder und strich behutsam mit zwei Fingern über die raue, poröse Knochenstirn des Gefallenen. Jede Rippe, jeder Fingerbreit der Extremitäten war ausgefranst, zerbissen und zerkaut von den wahllosen Kindern der Wüste. Einen Arm hatte er von sich gestreckt, wie ein Ertrinkender, der verzweifelt versuchte, schneller an die verheißungsvolle Wasseroberfläche zu gelangen. Keine drei Schritt war er entfernt von dem Schiff, dessen seepockenvernarbter Rumpf sich so unwirklich aus dem Sand erhob.

Er hatte selbst schon öfters an Schiffen Hand mit angelegt. Als junger Reisender, um sich ein warmes Mahl zu verdienen, später auch auf der Insel, beim Bau der 'Namikleris' und der 'Ente'. Aber was sich ihm hier darbot, das war weit jenseits der verkrüppelten Paddelversuche, die die traurige Geschichte der galadonischen Seefahrt füllten. Die Holzplanken der Schiffshülle waren lückenlos überlappend und von solcher Länge, dass man nur alle dutzend Meter einen haltenden Nagel eingeschlagen fand. Hier musste man im Traum nicht mit Teer und Pech Lücken füllen und abdichten. Weit über seinem Kopf hingen flach die gewobenen Segel des Schiffs herab. Sie zeigten definitive Gebrauchsspuren, Flicken und Risse zierten sie - seine 'Ente' hatte kein Bisschen anders ausgesehen, als er am Ufer der Felsebene angelegt hatte. Was fehlte, war ein Zeichen von Verfall.


- - -


Er ächzte leise als er auf dem Deck aufsetzte. Hinter ihm rieselte der Sand herab, den er bei dem ventusgestützten Sprung zuhauf aufgewirbelt hatte. Warum dies nötig war, wurde sofort offensichtlich: Kein Sand weit und breit, keine Spuren der allgegenwärtigen Krebse und Schlangen - keine abgeworfenen Schuppenkleider, keine alten Kadaver. Das Schiff war steinalt, und doch völlig unberührt. Wieso auch nicht? Die lückenlose, fast spiegelglatte, senkrechte Schiffshülle konnte man nicht erklimmen und nicht durchbrechen, wenn man sich nicht mit vier Schritt massiven Holzes anlegen wollte. Apropos steinalt: Das Holz unter seinen Füßen gab' nicht nach, es knarzte nicht einmal. Beim Sprung wippte es nicht, es gab auch kein morsches Knacken von sich. Es war hier an Ort und Stelle förmlich zu Stein erstarrt, hatte in der witterungslosen Wüste jegliche Feuchtigkeit aufgegeben.

Behutsam schloss er eine Hand um ein nahes Seil der Wanten. Ebenso. Es gab nicht nach, machte jedoch auch nicht den Anschein, als würde es unter Belastung vorhaben, nachzugeben. Ein paar Schritte hinauf Richtung Heck, und er konnte sich erst einmal einen ordentlichen Überblick verschaffen: Schiffe wie solche baute man in Galadon schlicht und ergreifend nicht. Wenn alles über Land schneller ging, als einen Umweg über die Küste zu nehmen, dann baute man lieber schwere Koggen, die möglichst viel Fracht in einem Törn transportieren konnten. Soetwas lohnte sich - nicht zuletzt für den Händler und Reeder. Das hier war anders.. drei Masten und Segelanordnungen, die er noch nie gesehen hatte und für die es keine Namen im Galad gab. Sie schienen einzig und allein darauf ausgerichtet auf verschiedensten Kursen selbst hart am Wind noch jeden letzten Knoten an Geschwindigkeit auszureizen.

Diesem Geheimnis galt es, auf den Grund zu kommen - zur Kapitänskajüte, zuerst! Die Treppe herab, zur Seite. Das Kastell des Schiffs, die Erhebung am Heck, war ungewöhnlich flach und schnittig gehalten, sodass das gesamte Hauptdeck fast gleichmäßig hoch und langgezogen war. Die nur angelehnte Türe zur Kapitänskajüte war deswegen nur halbhoch, sodass er sich hindurchbücken musste. Im Dunkeln ging es einige Stufen herab, sodass er kaum stehen konnte (seine Haar strichen spürbar über die niedrige Decke). Blind tastete er hin und her, über Holz, Stoff und Papier gleichermaßen, ohne sich irgendwie orientieren zu können. Schließlich bekam er Wachs in die Hände, zylinderförmig. Ein Schnipsen, und ein Funke sprang auf den staubigen Docht über, der zischend zum Leben erwachte.

Die niedrige Kabine zeugte von gewissem Reichtum. Die Kerze, die er hielt, war aus purem, weißem Fett - wie man sie daheim nur zu besonderen Anlässen entfachen würde. Die Umgebung wirkte noch enger, aber auch irgendwie heimeliger und gemütlicher, durch zahlreiche rote, inzwischen ausgeblichene Wandtücher. Ein kniehoher Tisch und ein zerfallenes Sitzkissen waren am anderen Ende des Raumes, beidseitig umgeben von einer offenen Seekiste mit alter Kleidung und einer leeren Waschschüssel, deren weiße Keramik immernoch glänzte. Was den Raum jedoch dominierte, war die Tatsache, dass mittig ein Toter lag. Kein zernagtes Skelett, leblos und unmenschlich, nein. Die Trockenheit, der absolute Mangel jeglichen Wetters und der Schutz vor den wilden Tieren hatten Sorge getragen, dass die Jahre ihr Werk tun konnten. Er (und es war ein 'er', den Gesichtszügen nach), war an Ort und Stelle zu einer Wüstenmumie geworden, ein treues, wenn auch staubtrockenes, Ebenbild seinerselbst.

Es war sonderbar, nach so langer Zeit wieder ein Gesicht zu erblicken, mit dem er sich identifizieren konnte. Ein gestutzter Bart, sorgfältig gerichtete Haare, eine vage militärisch wirkende Uniform. Zeitlebens musste er Probleme mit der Sicht gehabt haben, denn an einer kleinen Goldkette hing ein geschliffenes Glasstück. Die rechte Hand war verödet, wohl schon von der Kindheit an - was für eine Geschichte wohl dahinter stecken mag. Sicher war, dass er ähnlich gelitten hatte wie Lazalantin, denn die Uniform wirkte viel zu groß für den dürren, ausgemergelten Körper. Die gesamte Haltung wirkte friedlich und ruhig, als hätte er den Tod schon lange Zeit kommen sehen und ihn willkommen geheißen. Er hatte sich schlicht in die Raummitte gelegt, die Augen geschlossen, und war gestorben. Unvorstellbar.

Das Logbuch auf dem Tisch war auf der letzten Seite aufgeschlagen - er hechtete hinüber, begierig darauf zu erfahren, welche absonderliche Geschichte hinter diesem Fund stecken würde. Kurzes Innehalten, Stirnkrausen, dann wurde sein Gesicht schließlich lang. Wer auch immer diesen und sämtliche andere Einträge verfasst hatte, verfügte über eine so miserable Handschrift und so einen so veralteten Dialekt, dass es genau so gut Auriel, Linfann oder Zwergenrunen sein könnten. Ein Name jedoch zierte eine Art Datum überhalb jedes Eintrags: "Asodayr I. Ahm Erson". Zweitausendsechshundert Jahre.

Verdammt antik.



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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 31.05.12, 22:39 
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Im Tanz


Ein weitbekannter Almanach aus Lichtenfelde zeigte auf der Seite zum kommenden Triar das Bild einer schattenhaften Gestalt, umschienen Fela, inmitten eines weitläufigen, nur durch Schraffierungen angedeuteten Gerstenfeldes. Darunter wurde von dem Anblick geschwärmt, den ein umsichtiger Reisender erhaschen könnte, wenn er es vermag, unbemerkt einem Windtänzer, einen Diener des Ventus, bei einem seiner zwei Tagesgebete zuzusehen. In reißerischer Hingabe wurden dort die Vorzüge aufgelistet, die es brachte, wenn man einem reisenden Ventuspriester Gastfreundschaft erwies - gewogenes Wetter mit Regen und wolkenlosem Himmel in gleichem Maße, sowie eifrigen Vögeln, um das Ungeziefer in Zaum zu halten.

Weder von der Almanachseite wusste Tintin, noch von seiner unmittelbaren Umgebung. Teil des Tanzes war es, seinen Geist vollständig zu reinigen und rein zu halten - man agierte nurnoch aus Instinkt und als blitzschnelle Reaktion auf die Umwelt, wie ein Blatt im Wind. Jedes Mal, wenn er mit der Fußspitze auf dem Boden aufsetzte, verharrte er nur kurz, eine Richtung ausmachend, ehe er mit einem kräftigen Sprung schon wieder weiterhüpfte. Die Arme vollführten dazu absonderliche Verrenkungen, in gleichmäßigen Bahnen gehalten; doch blieben die Handflächen immer konstant, sowohl im Abstand als auch in der Ausrichtung zueinander. Wie ein kritischer Schneider ließ er sich den Wind durch die Hände gehen, im Tanz immer einen Schritt vor der leichten Brise, die durch die Unruhe entstanden war, die seine Bewegungen in der Windstille geschaffen hatten.

Wie gezupfte Wolle wand sich der Wind zwischen seinen Händen hin und her, wurde spindeldürr gezogen und gedreht, langgezerrt und behutsam immer weiter herausgefordert. Etwas Kühles regte sich, nicht sichtbar, in dem geformten Hauch und brachte vage Erinnerungen an laue Astraelabende voll schwüler Hitze und schwitzende Männer mit leeren Bierkrügen mit sich. Nurnoch ein Stück..


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Mit geballter Faust hämmerte er den Rand des Fassdeckels entlang, bis er endlich erst laut knackte, dann nachgab und fest eingeklemmt war. Das Holz war zäh und unnachgiebig wie das Schiff, auf dem er es gefunden hatte - und doch schwappte es im Inneren verheißungsvoll nach dem Wasser, das er der Luft um sich herum entrungen hatte. Auch das zweite Fass wurde ungeduldig verschlossen. Auch in Dieses hatte er im vergangenen Wochenlauf viel Zeit gesteckt: Er hatte sich jedes Stück Fleisch, das er sich erjagen konnte, so gut es ging vom Munde abgespart und stattdessen in der kühlen Trockenheit der Wüste lufttrocknen lassen, bis es faserig und zäh, aber haltbar wurde. So stapelte sich im Inneren des Fasses nun ein ganzer Haufer Schlangenringe und Bröckchen von Krebsfleisch.

Zuletzt noch beide Fässer am Bug seines Bootes festzurren. Eigentlich kein Wunder, dass die Seemänner damals nicht versucht hatten, ihr Beiboot zu Wasser zu lassen - als die Wüste noch Teil des inzwischen so fernen Meeres war, sah es sicher nicht öder und aussichtsloser aus. So war mit der kleinen Nussschale kein Erfolg in Aussicht. Aber immerhin verfügte sie über ein Segel, das er in aller Vorsicht hatte entfalten können, und das nun stolz gehisst, aber noch nicht von Wind gefüllt dort hing. Eines der Seile, mit dem man das Segel einholen konnte, ruhte in der Hand der Wüstenleiche des alten Kapitäns, den er unter einigem Aufwand hinabgeschafft hatte. Mit unnachsichtiger Gewalt und unfassbarer Geduld (aus Langeweile entsprungen) hatte er ihn zurechtgebogen, bis er dort aufrecht saß, in seiner Militäruniform.

"Erbitte Erlaubnis, heimkehren zu dürfen, Kapitän! Haben sowohl Logbuch der 'Ente', als auch das Logbuch unseres stolzen Schiffes im Gepäck, sowie mehr als genug Proviant für anderthalb weitere Monde.", krächzte Tintin die Leiche an, nur um danach in verstellter Stimme weiter seinen Monolog zu führen: "Erlaubnis verwehrt, Erster Maat! Kurs zwölf Uhr, mitten in das Große Unbekannte! Wir haben eine Mission zu erfüllen! Nun füllen sie unsere Segel endlich mit ein bisschen Wind, sie elender Windbeutel, sonst entkommen wir dieser staubtrockenen Ebene nie!".

Tief im Inneren erwachte in Lazalantin eine Erinnerung an den Astraelschwur, den er zu Beginn der Reise abgelegt hatte. Nicht nur, dass er nie lügen würde, was sämtliche Details seiner Reise angeht - sondern auch, dass er niemals umkehren würde. Er war Geisel seiner eigenen, unbedachten Worte. "Aye, Aye, Käpt'n", bellte er zurück zu der wortlosen Leiche. Trotzig richtete er dabei den Hut, den er sich samt eines neuen Satzes Kleidung aus einem Seesack an Bord zusammengeklaut hatte.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 20.06.12, 14:14 
Edelbürger
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Totenmanns Kiste


Das beharrliche Schmirgeln das Sands unter dem Bootskiel war kaum mehr als ein vages Hintergrundgeräusch, an das er sich längst gewöhnt hatte. Zusammen mit dem Flattern des Segels im geschaffenen Wind, dem Klimpern der metallenen Seilklemmen und dem Knarzen des alten Masts ergab es ein kakophonisches Durcheinander - aber eins, an dem er sich gründlich erfreute. Solange die Stille dieses gottverlassenen Ortes ihn nicht wieder umfangen würde, war ihm alles recht. Stundenlang legte er sich manchmal auf eine der Ruderbänke, die Arme hinter dem Kopf als Kissen verschränkt, den Blick an die ferne, fahl glimmende Höhlendecke gerichtet. So würde er für eine gefühlte Ewigkeit einfach nur der bunten Vielfalt an Geräuschen, Klängen und Larm lauschen, und dabei der Wegstrecke gedenken, die er schon hinter sich gebracht hatte.

Das Knallen eines Korkens kam dazu. Still betrachtete er die trübe Glasflasche in seinen Händen. Als er das Schiffswrack vor inzwischen sicher mehr als drei Wochen untersucht hatte, war er (im wörtlichen Sinne) über drei Fässer mit Rum gestolpert. Viel war schon verdunstet gewesen, doch hatte er immerhin noch eine Flasche zusammenbekommen, die er nur zu gern mit an Bord seines Boots genommen hatte. Alkohol: der beste Freund eines Manns in Einsamkeit. Er hätte wohl ein gesamtes Fass gebraucht, um mit der Situation zurechtzukommen, doch jeder kleine Schluck half zumindest ein wenig das Gefühl zu vertreiben, dass die Götter ihn im Stich gelassen hatten.


Zitat:
Logbuch des Kapitäns
Irgendwann


Nach all der Aufregung um das lebhafte Durcheinander unter der unscheinbaren Wüstenoberfläche und den Fund des alten Schiffwracks ist nun wieder ein geregelter "Tagesablauf" eingekehrt. Ein stumpfes, eintöniges Dahinfaulen in der Hoffnung, dass mein treues Boot uns irgendwann über die Wüste hinaus tragen wird. Wenn sich die Fahrt des Bootes verlangsamt, bringe ich es zu einem Halt, um den Wind in den Segeln für die kommenden Stunden wieder aufzufrischen - bei der Gelegenheit erfülle ich auch eines meiner täglichen Gebete und versuche, der Luft noch ein wenig Flüssigkeit für meinen Wasservorrat zu entlocken. Danach geht es wieder weiter wie zuvor. Ordentliche geistige Beschäftigung gibt es kaum, sodass ich die meiste Zeit damit verbringe, stumm und tumb an die weite Höhlendecke über mir zu starren.

Umso lieber sind mir die seltenen Momente, in denen ich mich aufraffen kann, etwas Gescheites zu tun. Sei es friedliche Meditation im Sinne meines Dienstes an Ventus, sei es Gedenken an die unermessliche Strecke, die inzwischen hinter mir liegen muss. Ich habe mich dem Logbuch des Schiffwracks gewidmet und arbeite daran, ihm seine Geheimnisse zu entreißen, denn hier habe ich die Zeit, diese Sprache mit purem Starrsinn und Hartnäckigkeit zu knacken. Inmitten der Seiten fand ich, gefaltet, eine Karte, mit der ich meine eigenen Aufzeichnungen wesentlich präziser gestalten kann. Wenn ich dieser Anstrengung müde geworden bin, so greife ich in letzter Zeit öfters zu der einzelnen Rumflasche und stimme mit meinem toten Kameraden hier jedes alte Seemannslied an, das mir noch in den Sinn kommt.

Was die zurückgelegte Strecke angeht: Ich brach auf am neunten Carmar des Jahres zweiundzwanzig nach Hilgorad. Ich nehme an, dass ich mich mit zwei galadonischen Meilen pro Stunde fortbewegte, denn an Bord der Ente war ich zwar wesentlich schneller, doch insbesondere die Steinebene und der Wald kosteten mich viel Zeit und Geduld. Es sind, sagen wir einmal ganz grob geschätzt, zweihundertfünfzig Tagesläufe vergangen. Macht.. etwa zwölftausend Meilen, also dreimal die gesamte Länge Falandriens von Nord nach Süd. Es sind diese müßigen Rechnungen, diese vagen Zahlen, die mich mit dem Mut erfüllen, mich jeden "Morgen" aufzuraffen und mein Boot weiter anzutreiben. Für jeden Schritt, den ich hinter mich bringe, werden mich die Götter womöglich mit einem glücklichen Ausgang dieser Reise beschenken.

Ich weigere mich, hier so elendig zu verrecken.

- Tintin, hartnäckig.


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 Betreff des Beitrags: Re: Der Flug der Ente.
BeitragVerfasst: 6.07.12, 10:58 
Edelbürger
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Lichthoch


Er hatte gründlich Dreck gefressen. Gewiss auch wörtlich, denn während er geschlafen hatte, hatte sich das Boot geradewegs in eine Düne gerammt, sodass der Bug unter einigen Schritt Sand verborgen war. Untätig flatterte das alte Segel in der schwachen Brise, die er zuletzt vor einigen Stunden heraufbeschworen hatte. Aber auch im übertragenen Sinne hatte er Dreck gefressen. Bevor er aufgebrochen war, hatte er die wildesten Träume gehabt von all den fantastischen Dingen, die am Ende Tares wohl auf ihn warten mögen. Er hatte sich lebhaft ausgemalt, wilde, unberührte Panoramen voll natürlicher Schönheit zu erblicken, als erster Sterblicher seit Anbeginn der Zeit. Er hatte sich liebevolle, detaillierte Skizzen angefertigt von den Kreaturen, die er entdecken und katalogisieren würde - und all diese Wunschträume hatten für die ersten paar Monate auf See auch Erfüllung gefunden. Doch nun seit vier Monden begleitete ihn diese leblose, kühle, erdrückende Dunkelheit, kaum gemildert von den glühenden Ranken an der unendlich fernen Höhlendecke über ihm.

Ein Mensch konnte nur soviel Einsamkeit, soviel geistige Untätigkeit aushalten, ohne gründlich überzuschnappen. Es half nicht, dass ihm jeder Muskel und jeder Knochen schmerzte, und er begonnen hatte, aus dem Mund zu bluten: Skorbut war es, der seinen Zoll forderte, denn seit einer gefühlten Ewigkeit ernährte er sich nurnoch von dem füllenden, aber kaum nahrhaften Fleisch der Wüstenviecher. Er gab sich einen Ruck und zog sich an der Reling entlang zum Bug des Schiffs, um mit bloßen Händen zu versuchen, die Last des Sands zumindest ein wenig zu mildern.


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Er war vor Erschöpfung an Ort und Stelle eingeschlafen. Die anderswo auf Tare herrschende, glühende Hitze war es nicht, denn in dieser ewigen Dunkelheit lag es viel näher, stetig leicht zu frieren. Er hatte sich die Hände aufgeschürft, blutig arbeitet im Versuch, sein Boot wieder halbwegs in Gang zu bekommen. Mit dem Gesicht im kühlen Sand erwachte er, immernoch gefangen in dieser hoffnungslosen, auswegslosen Situation - sein Traum von heimatlichen, grünen Weiden und einem schlichten Abendessen im Kreis seiner Familie hatte sich nicht als die Realität herausgestellt. Etwas Anderes war an die Stelle des traumhaften Echos getreten: ein schwacher Schimmer zarter Hoffnung, eigentlich völlig unbegründet. Die Schmerzen traten ein Stück weit in den Hintergrund, während ein vages Gefühl seinen Geist in Einklang brachte und ihn spüren ließ, dass das Lichthoch angebrochen war.
Die folgenden Worte klangen brüchig, krächzend, kaum verständlich - nun war es schon wieder Wochen her, dass er zuletzt gesprochen hatte:


Bellum, habe ich nicht genug Mut bewiesen, indem ich dieses Wagnis auf mich nahm?
Ehre, indem ich meinen Eid aufrecht hielt und wohl bis zuletzt verfolge?

Vitama, ich bitte dich, lass dein Kind Shilor - Patron der Wanderer - meine Wege begleiten,
Und nimm' meine körperliche Schwäche und Krankheit von mir,
denn irgendwann will ich wieder die Freuden des Lebens kosten können.

Astrael, gedenke des Schwurs, den ich an dich geleistet habe, zum Aufbruch dieser Reise.
Schenk mir die Weisheit, einen Weg zu wählen, der mich heim führt.
Und lass mich nurnoch einmal die Sterne erblicken, bevor ich die Augen schließe.

Morsan, ruf' mich noch nicht zu dir, so fern von geweihter Erde und dem Grab meiner Familie.
Ich bitte dich, schenke mir die Geduld und Ruhe, die ich so bitter benötige, meinen Pfad fortzusetzen.


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