Event-Teamleiter |
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Registriert: 6.04.08, 20:14 Beiträge: 2868 Wohnort: USA
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Alles oder Nichts! Zitat: Logbuch des Kapitäns Wandeltag, der einunddreißigste Oner 23 nach Hilgorad Es reibt, nagt und zehrt an meinen Nerven, dass diese Reise kein Ende zu nehmen scheint - und wohl sobald auch keines finden würde. Des Nachts suchen mich Albträume schlimmster Art hin, selbst des Tags verfalle ich inzwischen zunehmend in trübseligere Grüblereien. Es hat eine ganze Weile gedauert, aber nun kann ich an erster Hand nachvollziehen, wie es sich anfühlen muss, wahnsinnig zu werden. Nur wenige Stunden pro Tag vermag ich, einen klaren Kopf zu bewahren. Nun sitze ich hier mit der letzten Flasche Rum in der Hand, darauf bedacht, meinen Geist zu betäuben, um meine selbstgeschaffenen Qualen zumindest ein klein wenig zu lindern.
- Tintin. Er senkte den Federkiel für einen Moment und starrte auf die kaum zu einem Viertel beschriebene Logbuchseite herab. Doch das würde genügen müssen. Sollte dieses Buch wider sämtlichem Erwarten irgendwann irgendjemand in die Hände bekommen, so wollte er doch zumindest den Anschein erwecken, dass er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte den Tod eines Seefahrers gestorben war. Was sich stattdessen in der Kajüte für ein Bild ergab, war ein ganz Anderes: Mit Blut, Tinte und Sonstigem hatte er die Wände vollgekritzelt mit Skizzen, geometrischen Zeichnungen und fahrigen Anmerkungen. Über Deck hatte diese Wahnvision Gestalt angenommen.
Er hatte noch haufenweise Holz und Segeltuch übergehabt, falls er auf der Reise Schäden am Schiff zu reparieren hatte. Das war gang und gebe, war es doch mitunter die einzige Möglichkeit, ein Leck zu stopfen. Nun hatte er das komplette Material anderweitig verwendet. Mit großer Mühe hatte er dem Schiff soviel zusätzliche Segelfläche geschenkt, wie auch nur ansatzweise möglich gewesen war. Mit Hammer und Nagel hatte er an jeder Ecke und Kante mit viel kreativem Freiraum gewütet. Das Resultat sah kaum noch seetauglich aus: Kaum einen Schritt konnte man noch an Deck gehen, ehe man sich unter der zusätzlichen Segelfläche zu ducken hatte, die wallend herabhing und befestigt war an Verlängerungen des Masts, mit Nägeln an der Reling oder einfach, indem er auf eine Tuchkante ein Wasserfass gestellt hatte. Mehrere Schritt ragten die abenteuerlichen Konstruktionen über den Rand des Schiffes heraus und flatterten träge im Wind. Von Bug und Heck hingen gar Seilgewirre, die kaum anders aussahen als Lenkdrachen, wie sie ein Kind aus zwei Stöcken und Tuch basteln würde.
Er zog den Knoten fester und ruckte einmal an dem Seil, bis er sich sicher sein konnte, dass es zuverlässig hielt. Drei Schritt Freiraum gab es ihm, aber so an den Mast gebunden würde er nicht von Bord gespült werden können. Nun fehlte es eigentlich nurnoch an einem.- - - Es war sonderbar, irgendwie. So lange hatte er sich kaum noch.. hiermit beschäftigt. So saß er dort wie ein blutiger Anfänger und versuchte krampfhaft, sich zumindest ansatzweise zu entspannen. Kopfkreisen, Fingerknacken, Schulternkreisen - gut. Er öffnete die haltenden Schnüre seines zerlumpten Hemds und zog es sich über den Kopf hinweg aus, nun obenherum nackt. Die Kälte war glücklicherweise nicht allzu präsent, brodelte um sein einsames Schiff herum doch noch immer die Quelle ohne offensichtlichen Ursprung, die ihn nun schon so lange begleitete. Er konnte spüren, wie der Wind an ihm entlangstreichelte, wie er sich an dem neuen Hindernis kräuselte und sich einen Weg drumherum suchte, immer auf den Pfad des geringsten Widerstands bedacht. Vom Bemerken dieses Sachverhalts war es nurnoch ein kleiner Schritt, sich vorzustellen, wo der Wind einmal hergekommen sein musste. Im nächsten Moment schon war er geistig auf den Spuren der zarten Brise, die Momente später erneut über seine Haut fahren würde. Es ergab sich ein Bild wie von einem Webstuhl, den ein Affe bedient hatte. Die Fäden - eher breite Ströme - fuhren ineinander, übereinander, miteinander und umeinander herum.
Es war ein angenehmes Gefühl: Als würde er für einen Moment nach Hause zurückkehren können, zurück in die Geborgenheit und Sicherheit, in der er aufgewachsen war. Und was er für ein Zuhause fand in den Winden, die sein Schiff umgaben. Sie kannten die Menschen nicht, nicht ihre Städte und die von ihnen veränderte Landschaft. Sie kamen nie in Kontakt mit dem elementaren Zwang, den die Magie ausstrahlte, oder dem aufbrausenden Chaos, das die Verderbnis des Einen wie ein Schatten voranwarf. Was er mit diesem naiven, frischen, unvoreingenommenem Wind vorhatte, versetzte ihm jetzt schon einen Stich an Schuldgefühlen.
Für einen Moment fühlte er die Schwäche und den Hunger wieder hochkommen, die ihn in den letzten Tagen treu und unablässig begleitet hatten. Aber ein anderes Gefühl war benötigt. Er schloß die Augen und sortierte seine Gedanken schrittweise, auf der Suche nach einem Moment in seiner Erinnerung, der hierfür herhalten würde. Wie es mit dem menschlichen Geist nun einmal so ist, begann er zügig herumzuhüpfen: Das Dunkeltief in Brandenstein in damals, als die Sammler mühelos die Verteidigung fortfegten und das verdorbene Relikt des Ignis durch die Straßen trugen, allen Widerstand zerstreuend.Seine Gefangenschaft bei der Schwarzmaga, und der gezwungene Dreikampf gegen ihre zwei Schüler. Die Verletzungen, die er an diesem Abend erlitten hatte, und der Zorn, der daraufhin in ihm hochgewallt war - ganz natürlich und instinktiv hatte er gehandelt, nur auf sein Überleben bedacht. Ganz ähnlich war es damals, als die Schattenkreatur der Hexen ihn im Wald angefallen hatte, kaum war sie von ihrem Ziel abzubringen gewesen, ihn trotz ihrer körperlosen Form zu vernichten.
Die Tode, die er mit ansehen musste, insbesondere solche, die ihm selbst nahegingen. Tarjas, die Magierin Hohenfels und noch so viele mehr.
Es reichte, nur daran zu denken. Seine Haltung spannte sich an, er biss sich auf die Unterlippe; doch die Reaktion des Windes um ihn herum jedoch fiel stärker aus, als auf diesen Eindrücke einströmten und übergingen, die fremd und furchteinflößend waren. Die stillen Brisen gerieten in Aufruhr, begannen hin- und her zu kräuseln und zu drehen, als sie versuchten zu verdauen, was ihnen da präsentiert wurde von einem so fremdartigen, exotischen Wesen wie einem Menschen, der zugleich ein Teil von ihnen zu sein schien. Kaum erhielt der Wind eine Gelegenheit, sich anzupassen oder sich daran zu gewöhnen, als mehr folgte. Zunehmend wurden die Gefühle, die auf die seelenlosen Elementare übersprungen, erratischer und zusammenhangloser - grotesker, delusionaler, irrationaler: Und so erlebten sie ihren ersten Albtraum.
Der Stein war ins Rollen gekommen, der Schmetterling hatte gewissermaßen seinen berühmten Flügelschlag getan. Für das geschulte Auge war offensichtlich, dass fundamentale Unruh in die seit Äonen sonst so gleichmäßigen und trägen Winde der Westsee geraten war. Ungelenk erhob er sich aus dem Schneidersitz und griff nach seinem Priesterstab, diesen in der Hand wiegend. Er hatte die kleinen Geisterchen angeregt, die sich darum kümmerten, den genaueren Verlauf der Luftströmungen zu gewährleisten. Was würden diese tun, wenn sie sich plötzlich einer solchen Bedrohung, einem solchen Mysterium gegenüber sahen? Sie würden es weitergeben, als Flüstern im Wind, bis es die Aufmerksamkeit auch der größten ihrer Brüder im Reich des Ventus auf sich ziehen würde.
Er hatte ein vages Gefühl, dass er bereits etwas vernehmen konnte. Die am Horizont in Sicht kommenden Wolken waren kaum mehr als solche zu bezeichnen, sondern gaben jedem Fantasievollen bereits mehr als genug Stoff, um darin die obskursten Gestalten ausfindig machen zu können. Eine Böe brachte einen Einschlag der kalten Luft aus der Ferne mit sich - so festigte er den Griff um seinen vertrauten Stab. - Nun galt es nurnoch, dem Drang des Windes die Zügel anzulegen.
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