Das letzte Versprechen
Schweißgebadet schreckt er auf. Schwarze, samtene Kissen um ihn herum und dieser penetrante Geruch nach verbrannten, einschläfernden Kräutern der Messen. Wieder eine alptraumreiche Nacht war es gewesen. Die drei Wochen im Ödland haben seine Spuren hinterlassen. Dazu der modrige, versucht überdeckte Geruch nach Verwesung, welcher aus der Krypta strömte.
Jede Nacht hörte er die Geräusche des Ödlandes in seinem Kopf. Das Schlurfen von untoten Leibern über den Boden. Schmatzend, wenn sich die fauligen Stummel, welche sich einmal Zähne nannten, in das Fleisch einer Beute bohrten. Das Fleisch hinaus rissen, um es dann gurgelnd zu verschlingen. Oftmals musste er in den Nächten zu seiner Klinge greifen, um fauliges Fleisch zu durchtrennen. Doch auch wenn die Nahrung knapp wurde und die Umstände immer härter für ihn, so fühlte er sich an eben jenem Ort fast heimisch. Der Wind, der durch die Mauerlöcher pfeifte, hatte etwas von Freiheit. Hier hatte er eine Aufgabe und wandelte nicht heimatlos durch riesige Straßen.
Alsbald fingen ihn die Kissen wieder auf.
Wo, wenn nicht an diesem Ort sollte er Schlaf finden? Er sah in die Flammen der Kohlebecken. Wie sie sich empor hoben und die Kohlen unter ihnen zu silbrig-grauen Stücken versengten.
Vorbereitungen wurden getroffen. Kleidung, Haare und Statur. Nichts durfte mehr ihm gleichen. So wurden die Haare immer länger, der Bart zotteliger. Nur das Minimum an Nahrung hatte er zu sich genommen und schon bald wurde er immer untersetzter und schwächer. Die Kleidung musste gut gewählt werden. Die Farben durften ihn nicht verraten, sondern ihn mit der Umgebung dort verschmelzen lassen. Eine Täuschung musste her. Doch wie bekommt man ein Mahnmal entwendet, ohne dass es auffällt? Leiche für Leiche hieß das Prinzip in diesem Fall. Ein Zombie musste es richten. Und seine ausgesuchte Umgebung lieferte genug davon. Er wusste, dass er eine Art der Leichenschändung beging, als er einen der Untoten, durch identische Wunden des Zieles seiner Täuschung, niederstreckte. Den aufgedunsenen und verwesten Leichnam in einfache Kleidung packte und ihn für das große Vorhaben präparierte. So war es vorbereitet. – Zumindest zu einem Teil.
Es hätte wohl nicht ohne Hilfe geklappt. Doch wie es immer gepriesen wird, kann „dein Feind auch dein bester Verbündeter werden. “
Sie war verloren, das wusste er. Ihre Seele konnte niemals Ruhe finden und er war auch nicht der, der ihr jenes ermöglichen wollte. So hatte Sie es sich vor langer Zeit selbst ausgesucht. Und doch waren sie sich nicht sehr verschieden. Beide verband ein Versprechen, welches sie auf hartnäckige Weise einhalten wollten. Die gewisse Distanz von vorherigen Tagen wich allmählich, als sie sich noch nicht einmal den Rücken zukehren wollten in ihren Planungen und Treffen. Stete Fassaden von Unnahbarkeit wurden aufrechterhalten und man kam niemals vom Ziel ab. Doch auch Sie schien etwas an diesem Ort zu verspüren, an dem Sie gezwungener Maßen mit ihm verweilen musste. Rausgeholt aus ihrer gewohnten Umgebung wich die Aufmerksamkeit für einander. Das Gefühl wich, sich mit dem jeweils „Bösen“ einzulassen und verraten zu werden. Und die Gespräche schweiften von ihrem Versprechen ab. Zogen sie aus der Realität und ließen sie kurzzeitig das Vorhaben vergessen.
Und wieder wachte er aus einem seiner Träume auf. Dieses mal war es die Fratze des Todes, welche in seinem Kopf erschienen ist. Eitrige Rückstände und Säfte der Verwesung sprenkelten in sein Gesicht, als die Fratze hämisch lachte. Auf welch verfluchten Ort hatte er sich nur eingelassen, wenn selbst im Schreine Morsans ihn diese Bilder noch jagten.
Schnell musste es gehen, fast gehetzt. Und obwohl die Planungen über Wochen verliefen und alles klar war, fühlte er sich nicht vorbereitet genug. Dieser von ihm stets gemiedene Ort wäre über die Tage verlassen hieß es.
Doch wie verlassen kann ein Ort sein, an dem eine abstruse Gottheit wohnt? Sie stellte sein Vertrauen erneut auf die Probe, als Sie ihn mit verbundenen Augen durch die Sphären lotste. Geradewegs in die Hochburg des Übels, welche er seit Götterläufen bekämpfte. Er merkte wie sich sein Magen bei jedem neuen Riss zusammen zog und die brodelnde Galle nach oben presste, seine Speiseröhre verätzte. Sein Körper zitterte und die Beine wurden immer schwerer je näher sie kamen. Und auch wenn er kein äußerst gläubiger Mensch war, oder den Vieren näher stand als jeder beliebige Freie, so spürte er die Macht des gefallenen Sohnes ihn immer weiter zu Boden ringen. Doch er musste weiter. Sein Ziel war so nah wie nie zuvor und Verlorene schien recht zu behalten. Die schwarzen Mauern sahen verlassen aus. Gewaltige Mahnmale zu den Schwellen des Ungenannten. Zielgerichtet führte Sie ihn durch die Bauten und überall fühlte er sich, als wenn tausende Blicke auf ihn gerichtet wären. Hinter jeder Ecke vermutete er jemanden zu sehen, der seinen Plan vereiteln könnte. Doch dem war nicht so. Gar friedliche wirkte jener Ort für einen Moment lang. Er sah aus wie jede andere Stadt auf dieser Insel, wären da nicht die abstrusen Symbole, Banner und das unablässige Gefühl, als wenn ihm etwas im Nacken sitzen würde. Zeigte ihm seinen Fluchtweg und schlussendlich den Grund für seine Taten.
Dort hang er also. Der regungslose Körper seines Freundes. Auf gehangen als Zeichen all jener, die dem gefallenen Sohn absagten. Doch vergessen hing er dort schon seit Monden. Der Körper wirkte aufgedunsen und gleichzeitig verfallen. Die Kleidung wurde schon von der Witterung angefressen und wies unzählige Flecken der Flüssigkeiten auf, welche bei einer Verwesung entstehen. Das Gesicht war eingefallen, kaum mehr zu identifizieren und von getrockneten Blutflecken entstellt. Die Schlinge um den Hals des Toten zeigte ebenfalls die Achtlosigkeit, welche diesem Mann gezeugt wurde, da sie sich langsam aber stetig in das faulende, nachgebende Fleisch frass und schon bald den Kopf vom Rumpf zu trennen schien. Einzig die zu erahnende Statur des Mannes und die vereinzelten, blonden Haare, die noch in der Kopfhaut gehalten wurden, machten den Toten als
Arn Toron identifizierbar.
Und auch hier musste es wieder schnell gehen. Der Ort seiner öffentlichen zur Schaustellung lud förmlich dazu ein, ihr Vorhaben zu entdecken. Der präparierte Untote wurde von dem Packpferd geladen und in ihre Arme gedrückt. Er selbst machte sich da dran, die feinen Leichentücher für den toten Körper auszubreiten. Die dann folgenden Minuten vergingen für ihn wie ein paar Zyklen. Ausharrend stand er unter dem schwarzen Tor, der Blick immer wieder paranoid um ihn herum geworfen, ehe er wieder den baumelnden Toten fixierte. Jeden Moment, wie Sie auf die Zinnen stapfte, um den Austausch zu beginnen, hätte nur ein Schaulustiger die ganze Vorbereitung beenden können und ihn in arge Schwierigkeiten bringen können. Dann ging es jedoch ganz schnell. Sie durchkappte das Seil, an welchem der Tote hing und jener fiel genau auf ihn zu. Die Arme empor gestreckt landete das menschliche Mahnmal in seinem halb verwesten Zustand in seinen Armen. Die Wucht, mit welcher der Tote in seinen Armen landete, lies ihn in die Knie gehen und gen Boden sinken. Für mehrere Augenblicke, die er so in die Fratze des Todes blickte und die Verwesungsreste sich auf ihm verteilten, spürte er, wie sich eine eigene Schlinge um seinen Hals zog. Ihm wurde die Luft geraubt und er fühlte sich der Ohnmacht nahe, als er die menschliche Mahnung in den Händen hielt, die so viel Hass, Zorn und Abscheulichkeit für die Bewohner dieses Ortes darstellte. Doch schon bald wurde er aus jenen Gedanken gerissen, als über ihm der präparierte Zombie über die Zinnen geworfen wurde. Die Kleidung glich exakt die, des Leichnams in seinen Händen und, durch den Verwesungsgrad war auch nicht ohne größeres studieren und vergleichen der beiden zur Schau gestellten, ein eindeutiger Unterschied festzustellen. Eiligst wurde der Körper in die feinen Leichentücher eingewickelt und fest auf dem bereitgestellten Packpferd verschnürt. Als seine Komplizin dann wieder von den Zinnen zurück war, machten sie sich auf den Weg zurück. Er spürte nun, wie sich Krallen nach ihm austreckten. Ihn und seine Fracht ergreifen wollten und nicht einverstanden waren mit dem Fortgang des unheiligen Mahnmals. Und noch einmal betrat er ein abscheuliches Symbol auf dem Boden, Sphären wurden durchschritten und er fand sich alleine mitten im Ödland wieder, in welchem er keine Zeit mehr bleiben wollte. So führte er sein Packpferd ungesehen durch den Falkenwall in Richtung Falkensee.
Der Sarg, welcher in der Krypta schon bereit stand, wartete nur auf seine wertvolle Fracht. Das feinste Holz wurde für jenen benutzt, geschwärzt und auf Hochglanz poliert. Feine Ornamente und Gravuren zierten ihn mit Zeichen der vier Göttlichkeiten. Der Innenraum war gepolstert mit rotem Samt. Und so bettete er ihn in jenem, bis zu der Zeit, bis Sie ihn bekommen sollte.
Sie war es, für welche er das ganze tat.
Ihr gab er ein Versprechen, in der Hoffnung ihre Vergangenheit abschliessen zu können. Vieles hatte er schon dafür getan.
Sie befreit aus vielen Lagen,
ihr Ballast abgenommen und Leben geschenkt. Stets fühlte er sich
ihr für ihre alten Taten verpflichtet. Doch nun war es damit
beendet. Das letzte Versprechen war eingehalten und ihre Reaktion, ihr ausbleibendes Interesse für ihn, lies ihn verstehen.
Noch einmal führten ihn seine Wege in das Haus. In dieser lieblosen Stadt, die niemals sein Zuhause sein sollte. Doch es war leer. Keine Zukunft lag in diesem Gebäude für ihn. Nichts, was ihn binden wollte. Ein Neuanfang? – Nein.
Es war Zeit zu gehen…