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 Betreff des Beitrags: Lektionen.
BeitragVerfasst: 22.01.12, 23:42 
Edelbürger
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Wind, Wetter und Umstände der letzten Monde hatten den marmornen Stufen
des Tempelgeländes arg zugesetzt und eine Patina aus Schmutz auf ihnen hinterlassen.
Beständig strichen die Reisigborsten des Besens über den hellen Stein, trieben Staub,
vertrockneten Matsch und Dreck auf der Stufe von links nach rechts, von rechts nach
links. Altes, faulig gewordenes Blattwerk sammelte sich in dem Häuflein aus Unrat;
Holzreste, ein paar Stofffäden...


Und seine Gedanken schweiften umher. Zu den
Menschen, Elfen und Zwergen, die er in diesem
einen Mondlauf, den er nun schon auf der Insel
zubrachte, kennen gelernt hatte.



...Glassplitter, zwei Vogelfedern...


"Menschen, die sich einen Namen gemacht hatten.
Bruder Malachai. Alchemist Panscher. Die Edeldame
und Kanzlerin Aldorn. So viele Charaktere, wie sie
unterschiedlicher kaum sein könnten."



...eine Glasperle, ein Hadernfetzen...


"Und alle können auf etwas zurückblicken. Auf Arbeit,
Leistung, Strebsamkeit.
Ordnung."



...ein alter Knochen, Katzendreck.


"Ob ich das auch einmal kann?
Auf ein Werk zurückblicken?"



Er betrachtete sein Werk und bemerkte die Unregelmäßigkeit. Hier noch etwas
Schmutz, dort noch einige Krümel - irgendwie halbherzig. Er fegte erneut; begann
oben, arbeitete sich über die erste Stufe vor und schubste den Kericht hinab zur
nächsten. Mit stoischer Gelassenheit trieb er das Häuflein in die andere Richtung,
bis er schließlich alle Stufen freigekehrt hatte.


"Geradlinigkeit - darauf kommt's an."


Nach einer Weile tauchte er erneut am oberen Ende der Treppe auf und stellte
den kleinen Wassereimer ab. Das weiße Tuch band er mit einer Kordel um die
Besenborsten und tränkte es ins kalte, klare Wasser. Er begann, den festsitzenden
Dreck vom Treppenabsatz zu schrubben.


"Manchmal braucht man viel Mühe, um Herrlichkeit zu sehen."


Er war bei der letzten Stufe angelangt, als ein Gläubiger die Stufen hinabstapfte
und mit seinen matschigen Stiefeln den beinahe spiegelnden Marmor beschmutzte.
Ein tiefes Durchatmen, als er den Putzlumpen erneut ins Wasser tauchte und die
Trittspuren entfernte.


"Ruhig muss man bleiben. Fehler verzeihen können."


Irgendwann war er unten angekommen und hatte die Treppenstufen zu neuem
Glanz gebracht. Stolz und bewundernd betrachtete er den fast weißen Stein mit
den schwarzen, feinen Äderchen darin. Und dann hörte er das Poltern, ehe er
bereits von einigen Gerüsteten in nachtblauen Uniformen angerempelt wurde.
Ein Trupp von fünf, sechs Mannen stapfte die Stufen hinauf und verunreinigte
den prachtvollen Anblick erneut. Abermals griff er mit leisem Seufzen zum Mopp.


"Ärger wegstecken. Das Ziel nicht aus den Augen verlieren."


Er brauchte einen knappen halben Zyklus, ehe er wieder zufrieden war mit dem,
was er geleistet hatte. Gerade schüttete er das mittlerweile dunkel verfärbte
Wasser in den Rinnstein, als er wieder das Gepolter hörte und die Gruppe aus
dunkel uniformierten Männern die Stufen hinabstampfte. Reflexartig griff er zum
Putzlumpen, mit dem er gerade die letzten Spuren aus Katzendreck aufgewischt
hatte und holte aus, um ihn mit aller Kraft dem Größten der Gruppe ins Genick
zu werfen, ehe er den Arm dann doch wieder sinken ließ.


"Selbst mit Arschlöchern umgehen können."


Er grinste in sich hinein und pfiff leise, als er fröhlich erneut die Treppe wischte.


Zuletzt geändert von kaffeekind: 2.02.12, 12:41, insgesamt 1-mal geändert.

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 Betreff des Beitrags: Re: Lektionen.
BeitragVerfasst: 24.01.12, 02:36 
Edelbürger
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Unruhig wälzte er sich auf dem schweren Kissen umher. Zu aufgewühlt waren seine
Gedanken, die ihn von Lifnas schützenden Armen fernhielten.


Der Pfeil zitterte in der Schulter der Hohepriesterin. Die schwarze Befiederung aus
Rabenfederkielen wippte auf und ab. Aus der Entfernung sah er, wie sich der Stoff
um die Schusswunde dunkel färbte.



Er starrte an die Decke, wischte sich über die Stirn, strich das wirr umherstehende
Haar beiseite und seufzte erneut tief, als er sich auf die Seite drehte.


Der Priester hatte ihm seinen Langbogen abgenommen, den er erst kurz nach seiner
Ankunft auf der Insel geschenkt bekommen hatte. Angefahren hatte er ihn, was ihm
einfalle, wer er denn überhaupt sei, dass er ein Nichts sei; nicht würdig, eine solche
Waffe zu tragen, und vielerlei mehr.



Abermals schluckte er schwer, seine Züge verkrampften sich und die Farbe wich aus
seinem Gesicht. Wie hatte das passieren können?


Bruder Malachai hatte ihn zur Seite genommen, Gnaden Degner beruhigte ihn ruhigen
Tonfalls, und er selbst... saß da und kämpfte mit den Tränen. Nie zuvor hatte er auf
einen Menschen geschossen. Und schon gar nicht absichtlich.



Er dachte an Malachais Worte, die ihn erneut beruhigten. Das lange Gespräch - tief
unten in der dunklen Krypta, in der keine anklagenden Finger auf ihn zeigten - hatte
ihm geholfen, sich nicht sofort von der nächsten Brücke zu werfen.


Die Qual, dennoch auszuharren; die Vorwürfe, die ihm durch den Kopf geisterten;
der Selbstzweifel, der an ihm nagte; der Tatendrang, wenigstens irgendetwas sinn-
volles zu tun; und letztenendes diese hoffnungslose Verlorenheit, die dumpf in ihm
hin und her wallte; sie ließen ihn beinahe nur noch auf Zuruf reagieren, während er
ansonsten lethargisch herumstand und auf weitere Schelten und Prügel wartete.



Gut gemeint hatte er es, wollte er doch den Pfeil über die Truppe hinweg befördern
und den angreifenden Wall aus Feuerbestien unter Beschuss nehmen. Warum auch
immer der Pfeil vom Kurs abkam - die Viere würden ihren Grund haben. Und wenn
es nur eine der härtesten Lektionen sein sollte, die ihm Vater Morsan bis jetzt auf-
gebürdet hatte: Die Macht über den Tod - und sei er auch unbeabsichtigt.


In der Stadt sah er sie noch einmal, als er stoisch mit Malachai Verwundete versorgte
und transportierte. Mit beschämtem Blick senkte er das Haupt und erbleichte erneut.
Ihr Blick war undeutbar. Ein weiteres Mal kämpfte er gegen Tränen der Scham an.



Lifna spendete ihm irgendwann doch ihren Segen. Er schloss die Augen, als er noch
leise sich selbst schwor, dass er sich dafür entschuldigen würde - ganz gleich, ob sie
ihm die Augen auskratzte oder wer-weiß-was anstellte. Schließlich war er Morsanit.


Zuletzt geändert von kaffeekind: 2.02.12, 12:41, insgesamt 1-mal geändert.

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 Betreff des Beitrags: Re: Lektionen.
BeitragVerfasst: 28.01.12, 13:02 
Edelbürger
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Die weißen Blüten des kleinen Blumengebindes öffneten sich, als Fela sie mit
ihren warmen Strahlen berührte. Das Wasser in der Vase hatte er gewechselt,
damit sie noch etwas länger frisch blieben. Ein wenig müssten sie wohl noch
aushalten. Gleich daneben lag auf dem Tisch das kunstvolle Brett aus weißen
und schwarzen Edelholz-Quadraten; ebenso gekonnt geschnitzte Figuren lagen
in einem kleinen Samtbeutelchen verpackt darauf.


Er dankte Bruder Malachai für seine Hilfe. Er hatte ihm innerhalb der wenigen
Wochen auf der Insel bereits so vieles gelehrt wie sonst niemand zuvor. Wäre
er nicht gewesen, hätte er sich nicht für ihn eingesetzt, würde er bestimmt
schon irgendwo rottend an einem Galgen baumeln.



Sein Blick hob sich vom Schnee und wanderte wieder über die Tempelvierung.
Er berautete sich und dankte Lifna im Stillen, dass ihm doch etwas Nachsicht
gegönnt worden war. Anstatt nur einem Zyklus pro Nacht hatte er nun doch
einmal zwei geschlafen und sah nicht mehr ganz so lädiert aus. Wenn ihm nun
wenigstens noch das Glück zuteil würde, erholt aufzuwachen...


Gebete hatte er zuhauf gen Äther gesandt. In den ersten Stunden hatte er
um Erlösung gefleht, weil er sich schämte. In den Nächten darauf um Gnade,
weil er sich wach durch die Nächte quälte. In den Folgetagen um die nötige
Ruhe, um klare Gedanken zu fassen. Und nun... wofür betete er jetzt?



Es war kälter geworden. Der Stoff der schwarzen Robe glitzerte etwas, als
Fela schließlich ihre Strahlen über die Kuppel des Bellumsschreins reckte.
Rauhreif. Interessiert beobachtete er, wie Fela gegen den Frost auf der ge-
fütterten Laiendienertracht ankämpfte. Ein Lächeln schlich sich auf seine
Lippen.


Schließlich war er in den Orden aufgenommen worden. Durfte nun die Robe
tragen und wurde über noch interessantere Dinge unterrichtet. Irgendwie
stolz schritt er an diesem Tag aus dem Tempel, irgendwie beflügelt, irgend-
wie gelöst. Er hatte sich gut gefühlt und voller Tatendrang.



Langsam erhob er sich und wandte sich aus dem Tempel hinaus, die Hände
wie so oft in die weiten Robenärmel geschoben. Sie würde sicherlich nicht
nach ihm suchen und Gerechtigkeit einfordern. Er würde sie suchen und
auf ihre Gerechtigkeit hoffen.


Zuletzt geändert von kaffeekind: 2.02.12, 12:40, insgesamt 1-mal geändert.

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 Betreff des Beitrags: Re: Lektionen.
BeitragVerfasst: 2.02.12, 12:40 
Edelbürger
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Sorgsam legte er die in dünnes Pergament gewickelten Bahnen
Leder und Felle übereinander in eine hölzerne Transportkiste.
Dies war die fünfte, und ein paar würden noch folgen. Die Göt-
ter hatten es gut mit ihm gemeint. Wann sonst kam es vor, dass
jemand die Hälfte eines gesamten Lagerbestandes aufkaufte?


Vielleicht hatte er es sich auch irgendwie verdient. Schließlich hatte
er in den letzten Tagen alles dafür getan, um mit seinen Mitmenschen
und vor allem sich selbst ins Reine zu kommen. Er hatte um Vergebung
für seinen schrecklichen Fehler gebeten und sie erhalten, hatte ruhig
und bedacht seinen Dienst am Herrn getan und wieder einiges an wert-
vollen Lektionen erhalten.



Und doch... fühlte er sich noch so unzulänglich. Er wollte mehr
wissen, mehr lernen, mehr erfahren. Nicht, um hinterher stolz
und prahlerisch da zu stehen, sondern um sich selbst besser hel-
fen und der Gemeinde mehr zurückgeben zu können.


Adelle zum Beispiel. In ihrer Gegenwart kam er sich vor wie ein ungebil-
deter, gering geschätzter Dummkopf. Auch Schwester Casarea verwirrte
ihn oft mit Fragen und Sätzen, die ihm kompliziert erschienen. Bruder
Markus war sowieso ein Gelehrter, an dessen Intellekt er nicht heran
kam, doch die Brüder Malachai und Philip hatten viel Geduld mit ihm und
erklärten Sachverhalte wiederholt und in einfacheren Worten.



Er griff zu einem Zettelchen, auf dem er konzentriert und mit
ungeübter, aber bemüht ordentlicher Schrift Bestandszahlen no-
tierte. Falkner schmunzelte von seinem groben Holzstuhl hinter
der vergitterten Durchreiche. "Endlich wirds hier etwas leerer."
Er erwiderte das Schmunzeln zaghaft und streckte die Zunge kon-
zentriert zum Mundwinkel heraus, als er rechnete und die Finger
zur Hilfe dazunahm, nur kurz die Schwielen betrachtend.


Gestern Abend hatte er das Grab ausgehoben, wie es ihm erklärt worden
war. Gut zwei Zyklen lang hatte er den hartgefrorenen Boden aufgehackt,
gelockert und aufgegraben, ehe die Grube die richtigen Maße hatte. Zu-
mindest war er nicht allein, hatte ihn Schwester Ilinca doch begleitet.
Als er fertig war, lächelte sie nur matt und meinte, er solle sich darauf vor-
bereiten, es am nächsten Tag wieder zuzuschaufeln. Das wäre bestimmt
nur eine Übung gewesen.



An diesem Abend schlief er grübelnd auf den Meditationsdecken
im Obergeschoss des Schreins ein. Mit den Verkäufen war er sei-
nem Traum - einer kleinen Jagdhütte - ein Stück näher gekommen.
Und Lifna gönnte ihm endlich wieder mehr Schlaf als in den Tagen
nach dem Vorfall.


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 Betreff des Beitrags: Re: Lektionen.
BeitragVerfasst: 9.02.12, 18:37 
Edelbürger
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Als er den Stift absetzte, zwickte seine Schulter wieder. Seit ein
paar Zyklen konnte er seinen Arm zwar wieder besser bewegen,
doch noch immer machte ihm die Handhabung einfacher Gegen-
stände Schwierigkeiten. Aber warum sollte er sich beschweren...


...hatte ihn der Wüstenmann doch nicht getötet. Der Pfeil war einem Faust-
hieb gleich oberhalb seines Herzens in die Schulter gedrungen. Die gehärtete
Spitze hatte seinen Knochen getroffen und jenen in Mitleidenschaft gezogen.
Und wieso? Wegen ein paar Ellen Fell und Leder. Dieser vermaledeite...



Er rief sich selbst zur Raison. Hass, Wut. Keine Gefühle, die sich
für einen Bruder schickten. Doch Enttäuschung fühlte er dennoch.
Dass auf ein Mitglied der Kirche geschossen worden war, hatte ihn
schockiert, entsetzt - und da er es selbst gewesen war, der plötz-
lich als Zielscheibe diente, sogar noch fast das Leben gekostet.


Einige Tage der Schonung und des Verzichts folgten. Keine Jagd, keine schwe-
ren Tätigkeiten, Schmerzen bei den einfachsten Handgriffen, selbst beim An-
und Auskleiden, stets hielt er den linken Arm eng an den Körper gewinkelt, um
die Schulter zu entlasten. Und dann entdeckte er das Zeichnen.



Mit dem kleinen Stift aus Kohle hatte er schon einige Skizzen ge-
zeichnet, doch nun arbeitete er an etwas, das seine ganze Aufmerk-
samkeit erforderte. Hier ein Balken, dort ein Grashalm, nicht zu ver-
gessen ein paar Blumen hier und dort... und noch etwas Textur da...


Er hatte sich an die kleine Behausung seiner Eltern erinnert, in der er und seine
Geschwister zusammen aufgewachsen waren. Nichts besonderes, aus Bruchstein
und Holz gebaut; kein handwerkliches Meisterwerk, doch zweckdienlich und ge-
mütlich. Und so hatte er zu grübeln begonnen: Mit dem Stift in der Hand.



Auf den Tresen gestützt zog er die letzten paar Striche auf dem
kleinen Hadernzettel. Wie man Grundrisse zeichnete, war ihm fremd,
auch die Dimensionen mochten hier und dort nicht stimmen, und letz-
tenendes war es auch nur ein Ausschnitt aus seiner Wunschvorstellung.
Aber es war seine Hütte. Und träumen durfte man ja wohl noch...


Versteckter Inhalt bzw. Spoiler :
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 Betreff des Beitrags: Re: Lektionen.
BeitragVerfasst: 15.04.12, 11:37 
Edelbürger
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Beinahe fünf Monde war er jetzt auf der Insel, und als er seinen
Blick durch die kleine Werkstatt schweifen ließ, konnte er sich
ein Lächeln nicht verkneifen. Lederlagen stapelten sich ellenweise
bis zur Zimmerdecke; Felle schichteten sich in Holzrahmen daneben.


Zyklen, Tage und viele Nächte hatte er in den Wäldern, Lichtungen und
Auen verbracht - lauernd, ansitzend, pirschend, treibend -, immer nur für den
zielsicheren Schuss. Und an einer Hand konnte er abzählen, wie oft sein Pfeil
nicht ins Ziel gefunden und sich stattdessen in einen Baum gebohrt hatte.



Als er Wilhelm gestern Abend bat, sein Fach schon zu öffnen, hatte
dieser nur stumm genickt, harrend der Dinge, die da kamen. Wilhelm
war froh, dass Emmerich seine Lagerbestände endlich geräumt hatte,
um sie woanders unterzubringen. Doch nun hievte jener die schweren
Dukatensäcke hinein, bis zum Platzen mit klimpernden Münzen voll.


Die Kanzlerin verdrehte gekünstelt die Augen, als er ihr seine lange Inventur-
liste vorlegte und murmelte nur "Ihr macht mich Arm, Bruder Emmerich. Wie soll
ich nur noch etwas zu essen kaufen können?" Innerlich rief er sich zur Besinnung.
Bloß nicht die eigene Gutmütigkeit ausnutzen lassen - das geschah schon zu oft.



Bei einem Becher Kräuteraufguss saß er am Fenster und spähte auf
einem Hocker sitzend hinaus in die abendlichen Gassen. Was für eine
Stadt. So viele Menschen, so viele Begebenheiten, so viel zu sehen.
Und mittendrin: Er, ein Junge vom Lande, etwas schüchtern...


"Und gegen Eure... verzeiht. Gegen Deine Schüchternheit werden wir auch
schon noch etwas finden." Sie lächelte ihn an und erforschte seine Reaktion mit
klarem Blick aus himmelblauen Augen. Wieder spürte er die Röte in seinen Zügen
aufwallen. Es war ein schöner Abend auf der Lichtung gewesen, bei Wein und
guter Gesellschaft. Und wenn er an ihr Kleid dachte... raubte es ihm den Atem.



Er blinzelte und schüttelte sich. Frauengesellschaft hatte er noch nie
im Übermaß genießen dürfen, und aus dem Stand ins kalte Wasser
wollte er ganz gewiss nicht springen. Immer schön langsam. Dennoch
fragte er sich insgeheim, was sie zu dem kunstvollen Armband sagen
würde, wenn er es ihr in der kleinen Goldschatulle überreichen würde.


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 Betreff des Beitrags: Re: Lektionen.
BeitragVerfasst: 28.05.12, 18:47 
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Fingerbreit um Fingerbreit wuchs der Erdhügel neben dem Loch im
Boden an, Fingerbreit um Fingerbreit wurde das Loch selbst tiefer, als
er immer wieder mit der Schaufel losen Grund, Steine und Pflanzen-
reste hinauswarf. Was am Anfang nur eine Mulde war, wurde zum Grab.


Beschwerlich war der Aufstieg gewesen, hier hinauf in die Berge, mitsamt der
ganzen Ausrüstung, die es für das Begräbnis brauchte. Doch diesen Gefallen war
er Freund Arn schuldig. Und wer sollte es sonst machen? Ein Grab hob sich nicht
von selbst aus, und auch die anderen Vorbereitungen mussten getan werden...



Er schnaufte leise. Die kühle Bergluft kondensierte auf seinem Ober-
körper, das Ornat hatte er schon vor einer Weile beiseite gelegt, um
etwas unbeschwerter weiter arbeiten zu können. Der Ausblick von den
Berghängen hinab ins Tal war wunderschön. Ein guter Ruheort für ihn.


"Das erinnert mich zu sehr an Ringe, Emmerich." Wieder einmal gingen seine Ge-
danken mit ihm durch, kaum dass er sich nicht konzentrierte. So hatte sie sein
Geschenk ausgeschlagen. Mit Bedrückung hatte er etwas Abstand gesucht, um
kurz darauf ihr Geheimnis zu erfahren, das sie ihm so lange verschwiegen hatte.



Er blinzelte und schüttelte sich. Frauengesellschaft hatte er noch nie
Nein, leicht war es nicht. Da wollte er einmal die Frauengesellschaft
suchen und war sogleich zurückgewiesen worden. Und nebenbei hatte
sie ihm dann auch noch einen Teil ihres Wesens vollkommen verheim-
licht. Emmerich grub im Nieselregen am Bergplateau weiter vor sich hin,
durchnässt, durchweicht, still, grübelnd.


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 Betreff des Beitrags: Re: Lektionen.
BeitragVerfasst: 9.06.12, 16:59 
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"Ichhhhhhh versssssschone dichhhhhhh, Männchhhhhhen... versssssschhhhhhwinde...",
zischte das riesige Schlangenwesen und funkelte ihn aus
rot glühenden Augen an.

"LAUF, PHANA! LAUF!"
Der schuppige Leib umklammerte ihn, kalt, glitschig, ekelerregend,
obwohl er immer wieder auf das Biest einstach.

"Emmerich! Nein!"
Ihre Stimme verklang in der Dunkelheit der Nacht,
als sie durch das hohe Gras rannte.


Schmerz. Eine gewaltige Klinge. Feuer.
Unsichtbare und unbändige Kraft, die die
Luft aus den Lungen presste. Eine klaffende
Wunde und gesplitterte Knochen...

...und schließlich die weichen Federn eines
Bettes, kühles Laken auf der Haut des dürren
Körpers, der mit jeder Faser zu schmerzen
schien. Und diese überwältigende Müdigkeit.


(Wer das Hospiz in Falkensee passiert, kann
vielleicht das Getuschel über den jungen
Morsaniten aufschnappen, der sich mit einem
Sammler angelegt haben soll.)


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 Betreff des Beitrags: Re: Lektionen.
BeitragVerfasst: 26.06.12, 11:13 
Edelbürger
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Seine Finger strichen durch das kurze Haupthaar, als er sich im
Spiegel betrachtete. Es hatte zwar etwas gedauert, aber mittler-
weile hatte er auch wieder Augenbrauen. Er nahm das Kopftuch
von der Anrichte, zog es sich wieder auf und rückte es zurecht.


Die Genesung war alles andere als leicht, lief man den Heilern nur hinterher. Er
schonte sich tagelang, doch irgendwann kam die Ungeduld. Mit der Krücke hatte
er die ersten Gehversuche gestartet und war alsbald sogar schon wieder auf dem
Marktplatz unterwegs gewesen, unsicher und wackelig, aber zurück im Leben...



Seine linke Schulter zwickte ein wenig, als er den Umhang umlegte.
Es würde wohl noch eine Weile dauern, bis er wieder zum Ansitzen
in die Wälder gehen konnte. Auf seinen groben Gehstock gestützt,
zog er die Türe hinter sich ins Schloss und humpelte zum Markt.


Als ihre Finger über seinen Nacken strichen und ihre Lippen die seinen berührten,
durchfuhr ihn ein angenehmer Schauer. Wie lange hatte er sich nun schon danach
gesehnt? Tage? Wochen? Monde. Er schlang die Arme etwas enger um sie und hob
die Mundwinkel. Wein, warmes Wasser, sie - er fühlte sich wohl.



Ein weiteres Mal tockte der Stecken im Wechsel mit seinen Schritten
an den Aushängen vorbei. Noch immer war kein Haus frei geworden.
Noch immer wurde ihm die Zeit in der Stadt lang, wenn er nichts zu
tun hatte. So streunte er auf der Suche nach Beschäftigung weiter...


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 Betreff des Beitrags: Re: Lektionen.
BeitragVerfasst: 12.07.12, 11:34 
Edelbürger
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Beiträge: 1693
Weißer Grund, weißer Horizont, weißer Himmel, trübes Felalicht, das alles erhellte.
Der Schnee war nicht kalt, und obwohl er nur eine lederne Hose und seine Stiefel
trug, fror es ihn nicht. Schneeflocken tanzten durch die Luft, streiften die nackte
Haut, wirbelten fort von ihm, und verloren sich in der Weite des Raumes.

Sein Atem kondensierte. Leichter Wind strich durch die rabenschwarzen Locken,
tastete über seinen Körper, schien ihm eine Richtung weisen zu wollen. Jene, in
der er Stiefelspuren entdeckte. Der Schnee knirschte leise, als er ihnen folgte und
über das pulvrige Weiß lief. Es waren mehrere Spuren, die nebeneinander verliefen.

Er gelangte an plötzlich endenden Spuren vorbei. Blut färbte den Schnee in helles
Rot. Und doch hatte er keine Angst. Er sah Fetzen von dunklen Kleidern. Stickerei-
en von Sanduhren, Rabenschwingen, Sternen. Stoffstücke von Ornaten des Herrn.
Dennoch setzte er seinen Weg fort, die anderen Spuren im Blick.

Dort waren Löcher im Schnee. Das Weiß unter seinen Stiefeln wurde tiefer, und
ein-, zweimal wankte er, als der Grund unter seinen Füßen zu schwinden drohte.
Er sah, dass weitere Spuren am Rande der Gruben ins Nichts führten - hinein in
stockfinsteres Nichts, das sich unter der gefrorenen Hülle aufgetan hatte.

Wenige Spuren führten nun zu etwas hin, das sich im Schnee bewegte: Schwarzes
Gefieder glänzte im matten Licht, Federn stoben ein paar Flocken auf. Der Rabe
lag zuckend dort, seine Augen fixierten ihn. Die restlichen Spuren endeten direkt
vor ihm, manche führten sogar in einem Bogen um ihn herum.

Er beugte sich nieder zum Raben, der ihn nicht aus dem Blick ließ. Behutsam nahm
er ihn auf die flachen Hände und hob ihn vorsichtig an, um ihn zu betrachten. Er
schien verletzt, doch einen Raben töten? Nein, das würde er gewiss nicht. Nicht
das Tier des Herrn. Nicht einmal... hier. Egal, wo das Hier war.

Der Vogel hob den Kopf, der Schnabel richtete sich gen Himmel, und mit einem
Mal breitete er die Schwingen aus. Mit markerschütterndem Schrei schwang sich
der Rabe zum Himmel empor, in weiten Kreisen schraubte er sich höher und blieb
als schwarzer krächzender Punkt in der Höhe.

Als er selbst seinen Blick senkte, lag eine Feder im Schnee. Als er jene aufhob, er-
tönte von neuem der Rabenschrei. Der Vogel drehte noch immer seine Bahnen am
Himmel, schien aber eine Richtung deuten zu wollen - immer weiter verlagerte er
den Flug. Der Schnee knirschte leise, als er sich wieder in Bewegung setzte und...

...dem Weg des Raben ins gleißende warme Licht folgte.


***

Als er sich aus der Schwarzschimmermeditation erhob, raschelte das
schwarze Ornat leise über das Sitzkissen. Er benötigte eine ganze
Weile, um sich rühren zu können - das Gefühl des wärmenden Lichts
ließ ihn nicht los. Nachdenklich trat er die kalten Marmorstufen aus
der Meditationskammer hinab, hinaus aus dem Schrein...

...um vor den Türen eine schwarze Rabenfeder in einer Wasserpfütze
zu finden. Am Himmel schrie ein Rabe und verschwand in der Nacht
des letzten Dunkelzyklus.


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