Ihr brannten die Lungen und sie schnappte keuchend nach Atem. Schwindel überkam sie und ihr Herz schlug wild und schmerzhaft in ihrem Brustkorb. Dafür blieb es ihr erspart die vielen Kratzer zu spüren, welche das Unterholz in ihre Beine gezogen hat, überall rote Striemen zurücklassend.
Kauernd lag die kleine, dunkle Gestalt in der Höhle und rollte sich auf ihrem Felllager zusammen. Das Heim, von der Natur oder einer Hacke aus Stein und Erde geschlagen, war kühl, doch war der Boden feucht und oftmals fand sie Pfützen im unebenen Boden vor, welche das Ruhen unangenehm gestalteten. Deshalb hatte sie begonnen Äste wie einen Steg auszulegen.
Runen und endophalische Schriftzeichen zierten den Höhleneingang, sollten sie vor Menschen und Tieren im Schlaf schützen. Was für ein furchtbarer Tag, was für ein wundervoller Tag und was für grässliche Ängste sie ausstehen musste. Noch immer zitterten ihr die Hände, die sie gegen ihre Brust drückte, zusammen mit dem Knochen, den sie fest umklammert hielt.
Mit bezauberter Faszination dachte sie an die Armee der Skelette zurück, die sie am Wall sah. Welch ungemeine Macht dahinter stecken mochte, welch Fähigkeiten, welch eine Größe! Für sie war es seit ihrer Geburt nicht fremd, sich mit den Imtephihi auseinander zu setzen. Doch hatte sie jemals in ihrer Heimat eine Armee aus Sayad'imtephi gesehen? Es war eine andere Kunst, die Toten als Knochen auferstehen zu lassen als die noch fleischlichen Körper Verstorbener zu lenken. Es schauderte sie abermals. Dieses Mal weil sie sich vor der Macht dahinter fürchtete. Und vor ihrem inneren Auge erschien ein Knochenschädel und das breite Grinsen der lippenlosen Zahnreihen. Ein Kopf, der ohne Haut zu sprechen vermochte… Ob 'sie' diese Skelette lenkte? War es 'ihr' Stamm? Würde sie sich an ihr rächen?
Sie fürchtete sich einen Moment so sehr vor der Gewalt hinter dieser Düsternis und vor den heutigen Androhungen der Orken gegen sie, dass ihr zwei Tränen heiß über die Wangen liefen, allem Trotz zu wider. Sie war noch nicht stark genug sich zu wehren, suhlte sich in einem Gefühl der Schwäche, die der körperlichen Überlastung verschuldet war. Einen Knochen hatte sie vom Wall mitgenommen, in der Hoffnung sie könnte Zeichen hinein schnitzen und könnte ihn als Talisman verwenden, wie es einst ihre liebe Mekila getan hatte.
Als sie versuchte sich das Gesicht ihrer Großmutter vor Augen zu rufen, war es nicht mehr so klar wie vor einigen Jahren. Vergaß sie wirklich ihre Vergangenheit?
Bahiyah spürte einen tröstenden Druck auf ihrer Schulter, während sie in der Dunkelheit lag, ihren Gedanken lauschte und das Lied des Regens vernahm, der im Wald auf das Blätterdach seine Melodie trommelte. Sie schlug schlagartig ihre Augenlider auf, als sie plötzlich glaubte Worte zu vernehmen, die nicht von Rashida stammten.
"Was siehst du, Schelmin?"