Sanft glitt seine Hand durch das Haar der neben ihm liegenden Person. Der ruhige Atem, das entspannte Gesicht, diese vollkommene Vertrautheit - Tendarion wusste all jenes über alle Maße zu schätzen. Man wusste, dass es in der Anwesenheit Tendarions nicht zu befürchten galt. Dass Tendarion nichts tun würde, dass einem einen unruhigen Schlaf bescheren musste.
Doch das verminderte Schlafbedürfnis des Elfen, zusammen mit den Gedanken, die ihn stets erfüllten, sorgten auch diese Nacht dafür, dass es ihn nicht lange im Bett hielt. So stand er auf, als er sich sicher war, dass der Schlaf der Person, die sein Herz so sehr gefangen hielt, ungestört blieb und setzte sich an den Schreibtisch. Er hatte bisher nicht gewagt das Büro zu benutzen. Auch wenn er schon länger dort willkommen war, hatte er noch die Beklemmungen, die einen jeden verfolgten, wenn sie sich noch nicht ganz zu Hause fühlten.
Er nahm einen Packen unbeschriebener Pergamente aus der Schublade - die vollgeschriebenen Pergamente wollte er nicht ansehen. Zu groß war die Angst Dinge zu lesen, die ihn daran erinnerten, dass Tendarion nur ein Teil des Herzens des anderen war. Sein Herz wurde schwer und er schloss die Augen. Es war keine Eifersucht. Eifersucht hätte bedeutet, dass er all den anderen nicht gönnte, ein Teil dessen zu sein. Viel mehr war es die Tatsache, dass Tendarions Liebe ewig sein würde, während die Zeit die er diese Liebe ausleben durfte nur ein Bruchteil dessen sein wird, was er bereits an Leben hinter sich brachte und aller Voraussicht nach ein verschwindend geringer Zeitraum sein wird, in dem Leben das ihm bevorstand. Die Schwere die seinen Bauch erfüllte, ließ eine gewisse Übelkeit in seinen Hals steigen und manifestierte sich als fester Kloß in seinem Hals, der im Mühe bereitete zu schlucken, zu atmen. Mit zitternder Hand strich er sein langes Haar zurück und er atmete tief durch. Er durfte sich den Gedanken nicht ergeben. Die Liebe die er fühlte, erhellte die dunklen Schatten, die diese Situation verdunkelte.
Die Augen schließend lehnte er sich zurück und ergab sich seinen Gedanken. Er dachte an seine Familie - die die er bereits hatte, als er auf die Insel kam und die die er auf der Insel dazu gewonnen hatte.
Wie konnte er es wagen überhaupt an das Leid, das er fühlte, zu denken, wo es jene gab, die nicht einmal erklären konnten, was eine Familie war? Der neuste Bruder in seiner Familie, Sevis, war ein armes Geschöpf. Überforderung mit seinen eigenen Gefühlen und tiefes Leid saß in seinem wachen Blick. Tendarion konnte erahnen woher dieses Leid kam. Vernachlässigung und Ausnutzung. Womöglich noch weiteres Leid, das ihm unter diesem Hintergrund zusätzlich zugefügt wurde oder er sich selbst zugefügt hatte, da er der Meinung war er hätte es nicht anders verdient.
Die Augen öffnend blickte er auf die leeren Seiten Pergament. Sevis hat eine Familie gefunden, so wie auch er. Ein leichtes Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er die Schreibfeder aufnahm und die Spitze vorsichtig in die Tinte tauchte, ehe er sie abstreifte und im geschwungen Auriel einen Monolog an seine Familie verfasste.
Zitat:
Meine geliebte Mutter,
so meine Liebe zu Dir unverändert ist, schreibt doch ein anderer Sohn dir, als der, der dir vor wenigen Monden schrieb.
Viel ist geschehen. Freude und Leid gleichermaßen. Doch ich lebe, ich bin unversehrt und dennoch ist mein Leben nicht mehr das, was es war. Mein Dienst an der Herrin Vitama erfüllt mein ganzes Sein und die Herrin selbst eröffnete mir, dass auch sie der Meinung ist, dass ich seit jeher ein Diener ihrerselbst war und bin. Nicht lange ist es her, dass man mich in den Rang eines Novizen erhob und es erfüllt mich mit Glück das Band, das Herzen zueinander führen wird, an meinem Handgelenk nun tragen zu dürfen.
Doch erfüllt auch mein Herz andere Dinge. So wie ich innerhalb der Kirche nun eine Familie fand, fand auch eine bestimmte Person in meinem Herzen Einzug. Gerne würde ich an dieser Stelle schreiben, dass Vater nicht davon erfahren soll, doch würde es mir mein Herz erschweren, wenn du ihm diesen Brief deshalb vorenthalten müsstest. Da du dich nun zurecht wunderst, warum ich überhaupt darüber nachdenke, ein Geheimnis darum machen zu wollen, so wird sich dir sogleich erschließen, warum es so ist. Ein Mensch hat mein Herz eingenommen und will es nicht mehr loslassen. Die Herrin selbst scheint dem wohlgesonnen, denn diese Liebe wird erwidert. Du kannst dir jedoch denken, was, aufgrund Vaters mahnender Worte, ich nun empfinde. Denn ich sehe nun was es bedeutet. Welche Tragweite es hat. Und doch will ich es als das Geschenk annehmen, das die Herrin uns gab. Ich wünschte dennoch deine Trost spendenden Worte würden an mein Ohr dringen, denn so sehr ich liebe, so sehr leide ich auch. Doch ist mir auch bewusst, dass ich dies mit mir selbst und der Herrin ausmachen muss. Aber keinen Moment habe ich bisher bereut ihn getroffen zu haben und ich werde auch weiter an seiner Seite weilen und sein Andenken in meinem Herzen weitertragen, wenn die kurze Zeit, die uns vergönnt ist, vorbei sein wird.
Die allgemeine Situation auf der Insel ist nicht minder zu beschreiben, als dass hier Krieg herrscht. Cortan und die Diener des Einen sind eine tägliche Bedrohung und Verluste sind mittlerweile auf beiden Seiten zahlreich. Doch die Götter sind mit uns. Sie zeigen eine Präsenz auf der Insel, wie sie auf dem Festland kaum vorherrschte. Kleine und große Wunder stärken nicht nur den Glauben der Diener der Götter, denn sie zeigen sich auch in Präsenz der rechtgläubigen und andersgläubigen.
Die politische Situation hat sich, trotz des Krieges und der stetigen Kämpfe und Schlachten, die Zyklus um Zyklus gefochten werden müssen, ebenso gewandelt. Der Baron reiste vor nur wenigen Tagesläufen ab und ein Kanzler wurde eingesetzt. Erynnion Comari, ein Magier des Grauen Pfades. So er zu anfangs in mir nur eine Aufgabe sah, den neuen Diener der Mutter zu beobachten, entwickelte sich eine innige Freundschaft, die von vertrauter Ehrlichkeit, einer mir ungewohnten Leichtigkeit und einem humorvollen Biss durchwirkt ist. Auch wenn er sich nun in anderen Kreisen aufhält und sein Wirken sich nun auf einer Ebene abspielt, die der meinen fern ist, bin ich nach wie vor an seiner Seite und helfe ihm, wie es mir möglich ist. Denn gerade jetzt benötigt er denjenigen, der ihm unabhängig seines Standes unverblümten Rat und Tadel gewährt. Eine Sache, die dich gewiss ein wenig erheitern wird, meine geliebte Mutter.
So ich derjenige war, der stets Rat und Trost benötigte, so war mir nicht aufgefallen bisher, wie viel ich durch dich lernte. Alle Worte, die du an mich gerichtet hast. Als du mich ermahnt hast, mich herausgefordert hast, bis ich in Tränen verging, da ich mich allein gelassen und verraten fühlte. All das hat mich die Stärke gelehrt, von der ich nicht wusste, dass ich sie besitze. Auch wenn ich nun verstehen kann, wie schwer es um dein Herz gewesen sein musste, immer und immer wieder mich derart zu nötigen, dass ich über meine Tränen hinwegsehen konnte und schließlich selbst erkenne, dass nicht du es bist der mich tröstet, sondern ich selbst es bin, der durch deine mahnenden Worte Einsicht gewonnen hatte. Diese Erkenntnis ließ mich, ehe die Herrin mich in ihre Gunst aufnahm, zunächst zaudern. War ich den richtigen Weg gegangen? Sollte ich der Mutter dienen, wie ich es bisher glaubte zu tun? Oder war ich mehr dem Herrn Astrael zugewandt? Du weißt, dass ich immer gerne alleine war, mich in den Büchern vergrub, während andere sich mit den schönen Dingen des Lebens abgaben. Daran hat sich rein gar nichts geändert. Ich würde gar behaupten, dass es durchaus noch ausgeprägter als zuvor ist. Der Einfluss des Hochgeweihten Astraels, nun vom Herrn Astrael möglicherweise zum Erzgeweihten berufen, hat mir jene Gedankengänge kaum leichter gemacht. Doch habe ich in meinem Studium über die Kirche, die Inquisiton und über die Dämonen vieles gelernt, das mich so sehr abschreckte, weswegen ich meinen Pfad nun klar und unabdingbar sehen kann. Ich bin kein Mann der Schriften und des Rechts, auch wenn Feste und Musik mir auch nicht zu eigen sind. Ich habe gelernt, dass ich nicht jeden Aspekt der heiligen Mutter erfüllen musste um ihr ein Diener zu sein, der auch Ihr gefällt.
Ich muss nun selbst lächeln, als ich diese Zeilen überfliege, denn ich merke, wie sehr ich mich und sich mein Denken veränderte. So ich im letzten Brief nur an dich schrieb, Mutter, möchte ich meine Worte nun auch an Vater und meine Schwestern richten.
Geliebter Vater,
ich möchte um Verzeihung bitten. Nicht, weil unser Verhältnis nie so innig war, wie das, das ich mit Mutter pflegte, sondern, weil ich dir die Schuld für all jenes gab, das mich belastete. Du hattest recht. Du hattest immer recht.
Ich habe mehr Zeit benötigt, als du es dir gewünscht hast, aber ich habe meinen Weg schon lange beschritten, bevor ich es selbst bemerkte. Möglicherweise kann ich an dieser Stelle sagen, dass auch du es hättest sehen können, denn du wusstest durch Mutter und meine geliebte Schwester Dùlindwen, dass die Wege der Herrin sehr unterschiedlich sein können. Du sahst in mir einen Träumer, der keine Eigenverantwortung übernehmen wollte. Ich sah in dir einen Mann, der darunter litt, dass sein einziger Sohn mehr seiner Mutter zugewandt war. Du wünschtest dir, dass ich so bin wie meine Schwestern, weil du im Herzen weißt, dass meine Mutter nicht so sehr darunter gelitten hätte, wie du es tust. Doch, Vater, wisse, dass ich dich immer liebte und achtete, wie ein Sohn einen Vater achten kann. Ich werde nie den Weg gehen, den du als richtig erachtest, aber ich kann dir aus tiefstem Herze sagen, dass ich meinen eigenen Weg aus Überzeugung beschreite. Ich setze mein ganzes Sein ein um diese Überzeugung zu verteidigen.
Ich sehe dem Feind hier ins Auge. Mir wurde seine Waffe Angesicht zu Angesicht entgegengehalten. Ich sah Dämonen, Wiederkehrer, Geweihte des Einen. Ich hätte gehen können. Die Insel verlassen und wieder zu euch zurückkehren und den herkömmlichen, sanften Weg, fernab von Kampf, gehen können. Doch weiß ich, dass auch auf dem Festland die Situation mittlerweile nicht besser ist. Ich bete für dich und Tarawen, euch, die ihr vorne im Kampf stehen werdet, während Mutter und meine andere Schwester um euch bangen. Dein Schwert wird auf dem Festland einen Unterschied machen, wie auch meine Worte und meine heilenden Hände einen Unterschied hier auf der Insel machen werden. Wir beide sind Krieger, auch wenn es mir erst hier bewusst wurde.
Meine Verbissenheit und die Gewissheit, das einzig richtige zu tun, Vater, das habe ich einzig und allein von dir. Und dafür Danke ich dir vom ganzen Herzen.
Meine geliebten Schwestern Tarawen und Dùlindwen,
jeden Tag bete ich für euer Wohlergehen, jeden Tag erheitere ich mich an den Dingen, die wir zusammen erlebten.
So ernst du immer warst, Tarawen, so sehr du auch immer zu Vater aufgesehen hast und nicht verstanden hast, dass ich Mutter so sehr zugeneigt war, so sehr habe ich dich immer für deine gewissenhafte Geradlinigkeit und deine Stärke bewundert. Auch wenn du es ungern zugibst, und es wohl abstreiten wirst, nachdem unsere Schwester und unsere Eltern diese Zeilen gelesen haben, will ich mich bei dir ganz besonders dafür bedanken, dass du mich in der Nacht in dein Bett eingelassen hast, wenn mich wieder ein Traum quälte. Dank dir, weiß ich, die körperliche Näher anderer so sehr zu schätzen. Gräme dich nicht, dass es oftmals so aussah, dass ich unsere Schwester bevorzugte. Denn keinen Moment in meinem Leben, war dies der Fall. So ich mein Lächeln nach außen hin mehr Richtung Dùlindwen richtete, so warst du es, die ich beobachtete, wenn du mit Vater den Schwertkampf übtest. Du hast es gespürt, das weiß ich, doch wohl nie gewusst, dass ich mir stets wünschte, so zu sein wie du.
Dùlindwen, hier auf der Insel gibt es eine junge Menschenfrau, mit dem ungewöhnlichen Namen Zwilfy. Du und sie, ihr wäret wohl der Schrecken Draconis geworden. Wo du stets für Scherze aufgelegt bist und dich doch in Zurückhaltung geübt hast, so wäre Zwilfy die treibende Kraft, die dich dazu überredet hätte, deine kreativen Ideen umzusetzen. Bei der Herrin, bin ich froh, dass sie euch beiden nicht zusammenführte. Ich würde mich meiner Haut nicht erwehren können! Doch bin ich glücklich darüber Zwilfy hier zu wissen, denn sie zaubert mir ebenso ein Lächeln auf meine Lippen und in mein Herz, wie du es stets konntest. So viel habe ich von dir gelernt, deine Gründlichkeit und deine Hingabe in der Sorge um andere habe ich von dir und Mutter aufgesogen und versuche sie mit vollstem Herzen hier auf der Insel weiterzugeben. So uns fast hundert Götterläufe im Alter trennen, so gleichen wir uns in unserem Gemüt wie kein Fey dem anderen.
Sorgt euch alle nicht um mich, meine geliebte Familie, die Herrin ist bei mir, so wie sie auch über euch wacht.
Meine Herz und meine Gedanken sind bei euch,
Tendarion
Schnell wischte der Elf den Tropfen der neben seinem Namen auf das Pergament herabging weg. Sie würden wissen, dass dies ein Abschiedsbrief ist. Aber gleichsam war ihm bewusst, dass er sie nie wieder sehen würde. Sei es, weil er starb, weil sie starben - oder weil ihre Wege nicht mehr zueinander finden werden. Es war das Bewusstsein des Vergänglichen, das Elfen noch nicht so früh heimsuchen sollte, wie es bei ihm der Fall war. Er richtet sich auf und beließ den Brief offen auf dem Schreibtisch liegen. Er brachte es nicht über das Herz noch einmal darüber zu lesen, ehe er ihn abschickte. Es war ihm einerlei ob er von
ihm gelesen werden konnte, oder nicht. Tendarion hatte nichts zu verbergen.
Er schmiegte sich an den schlafenden Körper und ergab sich neben lautloser Tränen nach nur kurzen Momenten selbst Lifnas Segen..