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 Betreff des Beitrags: Vitamastreuner
BeitragVerfasst: 25.12.15, 11:03 
Edelbürger
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Der Kohlestift hatte schwarzpulvrige Spuren an seiner Haut hinterlassen, färbte Finger, Handfläche, aber mittlerweile auch Wange, Nase und Stirn dunkler, teils flächig, teils mit einfachen Strichen. Immerhin juckte die von der Kälte strapazierte Haut, das musste gekratzt werden!
Unzufrieden blickte er auf die Blätter aus verklebten Wollfasern, die Fyonn ihm samt einer improvisierten Kladde überlassen hatte, drehte das letzte, was er geschrieben hatte, hin und her und drehte es auf den Kopf. Nein, egal, wie er es wandte, es sah.. oh, wenn er es umdrehte und die leere Seite anblickte, war es wieder hübsch. Hah.
Achtlos wischte er beim Aufstehen die erste Übung vom Tisch, bemerkte gar nicht, wie das zerknüllte Papier über den Boden sprang und von der untersten Kante eines der vielen Regale der Bücherei gestoppt wurde, ließ den zur Hälfte aufgebrauchten Stift liegen und rieb sich die vom Lesen und Schreiben müden Augen. Danach ähnelte er einem Waschbären.
"Fleissig warst du heute." plapperte er beiläufig, während er seine Tasche griff und sie sich neben dem schlichten Dolch wieder an den Gürtel band, "aber gebracht hat das irgendwie gar nichts. Aber es ist ja auch wahnsinnig langweilig."
Bar- und leichtfüßig wand er sich zwischen Stuhl und Tisch hervor, durchquerte den Raum, mit den schwarzstaubigen Fingern die Buchrücken streichend, als wären es Zaunlatten, nur dass sie keine fröhlichen, lauten Geräusche machten, nur ein leises "Flupp", wenn die Fingerkuppen abglitten und auf den nächsten Einband trafen. Hübsch war es hier, angenehm vollgestopft und gemütlich, aber eindeutig auf Dauer zu langweilig!
Er hatte sich durch einen (halben) Anatomieband gequält - meist nur die Bilder angeschaut, weil die vielen fremden Worte ihm einfach nicht das geringste sagten, wenn er sie überhaupt entziffert bekam - und gestern einige Märchen gelesen. Eins davon war echt gruselig gewesen, mit uralten Völkern und der Vernichtung der Welt und Widerstand gegen die Götter!
Brr.
Wer konnte schon Vitama widerstehen, deren Lieblichkeit nur übertroffen wurde von Dingen wie Wein, Liebe und Keksen?
Widerstand gegen die Götter.
In einigen Tagen begann Dunkeltief, der Aufstand des Einen, der die Sterblichen daran erinnerte, dass er noch immer da war, noch immer Macht besaß und sie noch immer zu vernichten trachtete - warum eigentlich? Er, Arin, hatte mit dem Göttersohn keinen Zwist, warum auch? Gut, zugegeben, er hatte eine wahnsinnige Angst vor dieser nebulösen, bösartigen Monstrosität, und er ging in seiner jugendlichen Annahme, alle würden so empfinden wie er, davon aus, dass es praktisch jedem so erging. Das war wahrlich keine gute Ausgangslage, um irgend etwas anderes als einen Zwist entstehen zu lassen.
"Klar, der will uns ja auch alle vernichten, Arin, Mann. Natürlich haben wir Streit! Ich mag nicht vernichtet werden." führte er die innerlichen Überlegungen lauter weiter, wie so oft, wenn er sich alleine glaubte.
Seine Finger erreichten das Ende der Bücherreihe, und damit die Wand, hinter der das Hospiz lauerte.
"Hah. Das hat echt Spaß gemacht, nicht? Meist.. äh.. nein, warte. Herr will er auch nicht genannt werden. Also, das hat echt Spaß gemacht, an Tendarion zu arbeiten!" gluckste er vergnügt, sammelte seine Kleidung vom Boden auf, das abgetragene, aber herrlich weinrote Fell aus der Spendenkiste nahe des Schreins, und schlüpfte in Stiefel, Handschuhe, Umhang, Mütze und wand sich den Schal um de schlanken Hals. Das war leider das einzige Grüne, was er noch trug, aber im Ernst: die frühlingsgrünen Gewänder hatten ihn kaum gegen den eisigen Wind geschützt, das Fell war definitiv besser dazu tauglich.
"Aber zugegeben, das Spinnen und Weben mit Fyonn war auch nicht ohne! Stimmt." er nickte vor sich hin, ein breites Grinsen reichte bis fast zu den Ohren. In Fyonn hatte er einen Seelenverwandten gefunden, jemanden, der genauso wie er nur einen Haufen Unsinn zwischen den Ohren sitzen hatte, sich nicht zähmen ließ, dabei aber nicht zu so einem scheusslichen Plagegeist wurde wie Eriff, den er zu Hause zum Glück hatte zurücklassen können. Oder zu so einer Verrückten wie Athasha, der Halbendophali, die sich nach ihrer Ankunft in Minnfurt nur mehr berauscht hatte. Mutter Annabeth sagte, Atasha hätte schreckliches durchgemacht und nicht mehr die Kraft, sich auf zu raffen, man solle nachsichtig mit ihr sein...sie hatte allerdings auch nicht mit bekommen, wie dieser Schützling des Tempels stahl, um sich Rauschkraut kaufen zu können, und das auch bei den anderen Flüchtlingen, den Schützlingen und den Schülern des Tempels. Arin hatte ihr einmal Einhalt geboten und dafür ordentlich Prügel von der weit kräftigeren Frau kassiert. "Das hat weh getan." murmelt er, halb amüsiert, halb beleidigt. Sie hatte ihn ordentlich verdroschen, dabei hatte man ihn in den Grundlagen der Selbstverteidigung unterwiesen. "Ich frage mich, ob Mutter ihr mittlerweile auf die Schliche gekommen ist. Wäre schön. Mir hat sie ja nicht zugehört." ein bisschen beleidigt war er deshalb noch immer: hatte Mutter ihn so wenig geschätzt, oder hatte sie einfach zu viel zu tun gehabt, um zuzuhören? Wahrscheinlich.
Eisig kalte Luft ströhmte in die Bücherei, als er hinaus schlüpfte, wie immer ohne die Türe vollständig zu öffnen - wozu, er kam mit seinem bisschen an Körpermasse doch auch problemlos durch schmale Spalte!
"Wo steckt Fyonn heute eigentlich?" nörgelte er, warf achtlos die Tür hinter sich zu und sprang munter die Stufen hinab, Schnee vom Geländer wischend, immerzu zwei auf Einmal nehmend. Die letzen drei überwand er mit einem Sprung, reckte und streckte sich wie ein Akrobat nach der Landung, um sich dann vor dem verwaisten Hof in alle Richtungen zu verneigen.
Lachend schritt er über den frischen Schnee hinüber zur Statue, erklomm sie leichtfüßig und drückte dem eiskalten Stein einen liebevollen Kuss auf die Stelle des leeren Gesichts, wo bei einem echten Menschen (oder Elfen oder..) die Wange wäre. "Guten Morgen, Mutter! Willst du mich nicht loben, ich war heute fleissig wie eine Ameise! Und ich hab keinen Unsinn gemacht. Waas, das ist dir zu langweilig? Ich soll Unfug anstellen? Dein Wunsch ist mir Befehl!" und sofort ließ er sich fallen, landete im Schnee und begann, Schneebälle zu formen.
Der nächste, der nicht aussah als könnte er ihn ungespitzt in den Boden rammen (und würde das auch tun!) würde eine eiskalte und fröhliche Überraschung erleben.
Zu Ehren Vitamas!

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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamastreuner
BeitragVerfasst: 27.12.15, 03:12 
Edelbürger
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Noch ein Tag bis Dunkeltief, und er war nie zufriedener gewesen als in diesen Tagen. Sollte er Morgen sterben müssen, würde er es mit einem Lächeln tun - nachdem er sich mit Händen und Füßen gewehrt hatte!
Die Näharbeit auf seinem Schoss sah schon besser aus als noch vor zwei Tagen; mittlerweile hatte er die Idee gehabt, sich mit Kohlestift Markierungen zu setzen und das gefaltete Tuch an den Rändern grob zusammen zu stecken, so dass es nicht dauernd verrutschte. Das vereinfachte die Arbeit erheblich und erlaubte ihm, regelmäßige Stiche zu setzen, so dass er Routine bekam. Ob er rechtzeitig für die Kämpfen zur dunklen Stunde bereit wäre, zu nähen, konnte er nicht annähernd vorhersagen, jedoch mochte es schlussendlich gleich sein, ob eine Naht sauber gesetzt wurde oder krumm und schief war. Hauptsache, der Patient krepierte nicht elendig.
Arin schauderte, löste die Stiche sorgfältig wieder aus dem Tuch. Weiter üben.
Zwar waren seine Hände ohnehin schon strapaziert - heute Morgen war wieder Schnee schippen dran gewesen - doch der Gedanke daran, dass ab Morgen Leben von seiner Hände Arbeit abhängen würden, trieb ihn erstaunlich intensiv an.
Vielleicht spielte auch noch mehr hinein, überlegte er, ließ den Blick hinauf zur Statue schweifen, deren Haupt vom Schnee gekrönt wurde.
"Hast du mir mit Absicht ausgerechnet hier Leute vorgesetzt, die ich auf keinen Fall verlieren möchte?" erkundigte er sich bei der Göttin, die, wie üblich, ausnehmend schweigsam war. Natürlich hatte sie. Was sonst sollte ihn an einen Ort binden, wenn nicht so etwas? In Minnfurt war er auch nur wegen Mutter Annabeth geblieben, nichts sonst hatte ihn dort gehalten. Schon gar nicht mehr, nachdem die Diener des Einen die kleine Stadt vor rund 2 Jahren für einige Monate gehalten hatten.
Für eine handvoll Herzschläge verschob sich sein Blick, zeigte ihm ungefragt und unerwünscht den Marktplatz mit den eilends aufgerichteten Pfählen und ihrer Last. Wenigstens ein Dutzend Personen hatte man daran fest gebunden, grob und rücksichtslos, dass sich die Riemen tief ins Fleisch schnitten. Doch den Gestalten war es völlig gleich: man hatte ihnen das Leben genommen, als Strafe für den Dienst an den Vieren. Als Opfergabe für den einen Gott, dessen Name niemand hören wollte.
Der Platz hing einige Augenblicke still in seinen Gedanken fest, verwaist, im schwachen Schein des von Wolken verhangenen Vitamalin, das die Wunden nicht enthüllte, die man den Leibern zugefügt hatte, dass die Gesichter verbarg, die in Qualen erstarrt waren. Freunde waren es gewesen, Bekannte, ein Liebhaber - Menschen, die ein solches Ende nicht verdient hatten.
"Au!"
Er hatte sich die Nadel beim Weiterarbeiten in den Finger gestoßen und zog sie missmutig aus der Haut wieder hervor, steckte die Kuppe in den Mund und sog leicht daran. Wenigstens waren die Bilder fort, würden ihn nicht daran erinnern, wie er auf den Platz schlich, um wenigstens einen Leichmahm zu retten...
"Reiff diff fufammen.." schalt er sich selbst und lehnte sich zurück, tiefer in die warme Decke, die er sich aus dem Schlafzimmer mit genommen und um die Schultern geschlungen hatte, schloss die Augen und roch den an der Wolle haftenden Duft. Helle, zarte Rose, aber auch der weit intensivere, dichte Geruch eines Mannes. Dessen Quelle ging bereits jetzt wieder fleissig seiner Arbeit nach.
Gestern hatte er sich so gefreut ob dessen, was ihm gelungen war, diese eigenartige Liedergeschichte, die Arin zwar nicht verstand, aber sehr wohl die Freude und das Sinnen seines Freundes. Würde er auch, wenn er könnte, lernen, zu verteidigen? Hätte er den nötigen Mut dazu?
Vermutlich nicht, beschied er in Gedanken; er wusste nur zu genau, dass sein Leib nicht dazu taugte, ernsthaft zu kämpfen, und mit Kochlöffel, Nähnadel oder Besen ließ sich ein Dämon oder auch nur ein Bär eher weniger beeindrucken.
Arin zog den Finger aus dem Mund und beäugte den kaum wahrnehmbaren roten Punkt auf seiner Fingerkuppe. Nein, er würde lernen, zu heilen, um Tendarion zu entlasten und nicht erneut mit ansehen zu müssen, wie jemand starb und völlig hilflos dabei zu sein.
Mit unvermindertem Eifer widmet er sich wieder der Näharbeit, von deren Ergebnis womöglich ein Leben abhängen würde.
"Keine Angst. Später male ich dir einen Bart!" versprach er der Statue, als hätte sie ihn gerade einen Langweiler genannt.

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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamastreuner
BeitragVerfasst: 3.01.16, 10:08 
Edelbürger
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Er musste raus hier.
Und wenn es nur für ein paar Stunden war.
Ein kurzer Blick zum Bett zurück, ein stummes Versprechen der Rückkehr ableistend, und zog sich das abgetragene Fellhemd über. Die letzte Stunde hatte er im Hospiz alles überprüft, die Patienten das Viertel einer Stundenkerze beobachtet. Ihrer Atmung gelauscht, ihre Temperatur überprüft, und ihnen schließlich frisch aufgebrühten Tee hingestellt, jedem eine abgedeckte Karaffe und einen Becher dazu. Auch hatte er nochmals nass durchgewischt und mit dem Alkohol die Liegeflächen gereinigt, wie Tendarion es vor gemacht hatte, und dann den Eimer mit den blutigen Überresten des gestrigen Hospizschlachtfeldes in einen Kessel gekippt, den mit Wasser gefüllt und auf den frisch angefeuerten Ofen gepackt. Das ließ er kochen, während er den Rest der Arbeiten erledigte, und nun würde er das gleich vom Feuer nehmen und stehen lassen - auswaschen konnte er es später, es sollte nur nicht noch mehr stinken.
Seine Sinne waren völlig überreizt nach dem vorran gegangenen Tag, und jedes Geräusch machte ihn gerade nervös und ließ die Anspannung steigen.
Angekleidet kehrte er zum Bett zurück, hauchte dem Schlafenden einen sanften Kuss aufs Ohr und verzog sich dann hinaus. Oben griff er sich mit ein paar Lappen als Schutz für seine Hände den Kessel, dessen Wasserinhalt sich drastisch reduziert hatte nach fast einer Stunde des Kochens, und ließ ihn behutsam auf dem Stein nieder, weit fort von allem, was seine Hitze entzünden konnte.
Das war ein Fehler, den er nicht wiederholen würde!
Ein letzter Blick ringsum, gut, alles soweit sauber für einen neuerlichen Alptraum, also raus, raus, raus hier!
Er hatte sich eine handvoll der schrumpeligsten Äpfel aus dem Ordenshaus mit genommen, und würde nun mit seinem Pferd ... spazieren gehen.
Ein Pferd.
So ein richtiges. Mit vier Beinen, einem Kopf, Schweif und Mähne und einer weichen, großnasigen Schnauze, wundervollen riesigen Augen und beweglichen Ohren, ganz Wille zu Laufen und Schönheit und Kraft und Sanftmut und Anmut und so!
Unwillkürlich huschte ein Grinsen über seine angespannten Züge, während er den Umhang enger um sich schlang und hinaus trat. Nur um direkt zwei Dinge fest zu stellen:
Erstens, es war verflucht kalt.
Zweitens, auch Pferde spürten Kälte, und so waren die beiden Rösser überaus missgelaunt.
Fyonn und er hatten die armen Tiere einfach in der Kälte stehen lassen und waren erschöpft zu Bett gegangen!
Bestürzt und beschämt brachte der junge Vitamastreuner die zitternden und unruhigen Tiere in den Stall, wobei er sie mit den Äpfeln bestechen musste, weil er keinen Schimmer hatte, wie er sie sonst zur Kooperation bewegen sollte. Drinnen rieb er sie mit Händen voller Stroh ab, lief zurück zum Hospiz, um alte Decken auf zu treiben, die er den beiden älteren Tieren hernach über hängte. Dann besorgte er Heu für eine handvoll Münzen vom Stallburschen, und sah eine Weile zu, wie die Tiere, nun erheblich zufriedener, ihr Frühstück verdauten.
Das mahlende Kauen, eintönig und gleichmässig, beschwichtigte sein aufgewühltes Gemüt und ließ ihn sogar eine Weile dösen, im Sitzen, an die Boxenwände angelehnt.

"Wie soll ich dich nur nennen?" überlegte der Bursche, der mit seinem Pferd Spazieren.. ging. Das samtgoldene Ross trottete seinem neuen Herrn mit mild iritiertem Blick hintendrein, folgte aber lammfromm dem durchhängenden Zügel.
"Ob Rodrik es lustig findet, wenn ich dich einfach Rodrik nenne?" überlegte er. "Dann könnte ich ihn besteigen und vielleicht bringt ihn das zum Lachen?"
Das Huftier schnaufte leise, schnuffelte mit langem, anmutig gebogenen Hals an Arins Tasche. "Ja ja, noch ein Apfel, hm?" lächelte der und ließ tatsächlich den vorletzten der schrumpligen Äpfel auftauchen, sehr zur Zufriedenheit von Beinahe-Rodrik.
"Hmm. Oder Erik. Nein, ich glaube, das würde Fyonn nicht gefallen, hm, mein Schöner?" sinnierte er, während ihn die eigenen Füße die Straße hinab trugen. Hinaus durfte er nicht, vermutlich ließ Tendarion auch das Pferd als "Begleiter" nicht zählen, zumal Arin ja auch nicht reiten konnte.
"Nein, würde ihm nicht.. hm! Melodie?"
Das Pferd stellte ein Ohr auf, eines drehte es nach hinten, und blickte ihn mit sanftbraunem Auge an. "Gefällt dir nicht? Wie wäre es mit.. warte.. ich hab' es gleich... was brauchen wir hier am dringensten?"
Er dachte an den Streit gestern zurück, den er am Rande mit angehört hatte, an den dunklen Ritter, den er hatte vorbei gehen sehen, an das viele Blut und die erschütternd dunkle Wolke, den sichtbaren Schmerz Yeels. Was brauchten sie hier?
".. Harmonie!"
Beinahe-Rodrik schnaufte tief und zerbiss den Rest des Apfels, wobei ihm süßer Saft von den dicken, weichen Lippen tropfte. "Gefällt dir das? Harmonie?"
Keine Antwort.
Zugegeben, er hatte auch keine erwartet.

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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamastreuner
BeitragVerfasst: 7.01.16, 16:02 
Edelbürger
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Gegen den scharfen Wind half nur der hochgestellte Hemdkragen und der darum gewickelte Schal; die Mütze hatte er tief ins Gesicht und über die Ohren gezogen und sich fest in den Umhang eingemummelt, die Beine angezogen und mit drunter. Nur die Augen und die Nase waren der bitteren Kälte ausgesetzt, aber das störte ihn nicht weiter. Noch nicht.
Es hatte fast einen halben Hellzyklus gedauert, einen Weg auf das Dach des Hospizkomplexes zu finden, bei dem ihn keiner erwischte, und nochmal bis fast zum Dunkel des nächsten Zyklus, um die Dächer vom Schnee zu befreien. Irgendwie gefiel ihm der Gedanke nicht, dass mitten im Dunkel plötzlich zu viel Schnee auf den Dächern lag und die Schindeln oder Balken so vielleicht nach gaben und brachen..
Er hatte niemandem Bescheid gegeben, was er vor hatte, allein schon um zu verhindern, dass irgendwer ihm das ab nahm weil es zu gefährlich war. Hah! Als wäre es gefährlich, auf Dächern herum zu turnen, nur, weil sie ein bisschen glatt waren von Schnee und Eis. Pff.
Nun kauerte er am Kamin, der ein wenig Wärme spendete, und genoss die relative Stille hier oben. Unten, weit über 2 Stockwerke tiefer, ratterten Karren und Kutschen über das Pflaster, stampften Soldatenstiefel, schlugen Hufe auf Stein, schrien sich Menschen auf dem Markt an. Noch herrschte hier Leben, doch spätestens Morgen Abend würden die friedlicheren, nicht so wehrhaften Bewohner der Stadt von den Straßen verschwinden. Hinein in gesicherte Keller, in die umliegenden Festungen, in sichere Häuser oder in den Tempel.
Er selbst würde dieses Mal nicht mit ihnen gehen, wie es sonst der Fall war: es wäre sein erstes Dunkeltief oberhalb der Erde, denn dieses Mal wurde er gebraucht und würde nicht im Weg herum stehen wie ein unmündiges, verschrecktes Kind.
Wie das wohl war, wenn stundenlang am Himmel nur Dunkelheit herrschte? Er hatte oft die Verwüstung, die einem solchen Ereignis folgte, gesehen, die Verletzungen, manches Mal auch einen erschreckenden Blick auf Tote erhascht, deren Zustand er sich nicht in Erinnerung rufen wollte. Eigentlich, befand er, wäre es besser gewesen, sich nicht zu fügen, keine Hilfe zu sein, und so irgendwo in Sicherheit kauern zu können, während andere...
..ja.. für ihn kämpften und starben?
Nein, schalt er sich. "Mutter hat dich nicht ohne Grund hier her geführt." flüsterte er dem Kamin zu, der ihn ignorierte. "Und sie hat es dir immer wieder gezeigt. Willst du noch einmal jemanden sterben sehen, hilflos zuschauend?"
Er verstummte wieder, schauderte und schloss die Augen, das Gesicht im warmen Pelz des Umhangs bergend. Seine Augen waren kalt. Kein Wunder.
Mittlerweile waren die Vorbereitungen für das Kommende fast fertig: die Palisaden standen, Türen und Schlösser eingebaut, regelrechte Wehrgänge errichtet (was es ihm erheblich vereinfacht hatte, auf die Dächer zu kommen - vielleicht etwas, worauf er noch hinweisen sollte), Eimer mit Sand zum Löschen von möglichen Bränden verteilt. Vorräte lagen bereit, Wasser zum Trinken war gebunkert worden, und auch die Fässer für Wasser, dass man zum Putzen des Hospizes oder Waschen von Bandagen und dergleichen mehr benötigte, standen mittlerweile bereit; Fyonn, Tendarion und er hatten sie am Morgen mit einiger Mühe aufgestellt und befüllt.
Und dann waren da natürlich noch die gewirkten Wunder.
Erst die Rettung des Bellumsgeweihten Rodrik, der so versehrt war, dass Arin sich schämte, manches Mal inne zu halten und seine schmerzenden Hände zu schonen, während der Geweihte immer zu weiter machte. Ganz gleich, wie sehr man seinem Körper schon zugesetzt hatte!
Arin hatte das ganze Blut aufgewischt, dass der einäugige Recke vergießen musste, nach jener unnötigen Schlacht, und auch die Wunden gesehen, die verheilt waren: das Wunder, dass Vitama und Astrael gemeinsam an ihm gewirkt hatten, war so unbegreiflich, so wunderbar, dass ihm auch jetzt noch Tränen in die Augen stiegen beim Gedanken daran. Nicht zuletzt aus schlichter Dankbarkeit.
Auch die faszinierenden Tränke aus goldenem Licht, mit welchen Tendarion bedacht worden war: auch sie waren ein all zu deutliches Zeichen der Viere. Arin trug sein Fläschchen nah am Herzen, an einem Band darum gebunden, in ein Stück Leder eingewickelt, damit es nicht versehentlich zerbrach. Sollte er es anwenden müssen, würde er hernach die Phiole behalten und vielleicht Opfergaben an Vitama - getrocknete Blüten, ein Tropfen Wein, Kekskrümel, Glückstränen, die Saite einer Harfe oder derlei mehr - darin aufbewahren, hatte er überlegt.
Nicht zuletzt war da noch das Gottesurteil, in dem der Geweihte Tion gegen einen der dunklen Streiter angetreten war; zu gerne hätte Arin das mit angesehen, wie Licht auf Dunkelheit prallte und den Sieg davon trug, aber auch so war dies ein Leuchtfeuer der Hoffnung. Die Macht des Einen, so kurz vor seinen unheiligen Tagen, war nicht größer als die der Viere, als die des Herrn des ehrenhaften Kampfes!
Das Überwältigendste jedoch hatte am Abend zuvor stattgefunden, bei der Messe. Die hatte sich, wie er fand, ganz schön doll gezogen, und auch wenn er sich viel Mühe gegeben hatte, zuzuhören, war seine Aufmerksamkeit abgeschweift. Über all die Leute, die Gesichter, die er kaum kannte; die Frau, die sich als Erzmagierin heraus stellte und geschmückt war wie eine Adlige, oder der Ritter neben ihm, aber auch einfache Leute, Handwerker, Bauern, Soldaten. Dann hatte etwas faszinierendes seine Aufmerksamkeit wieder gefangen: die seltsame, herrlich verzierte Silberschale in den Händen des Geweihten, dessen Augen so hell strahlten, dass er gewiss Nächtens gut lesen konnte (sicherlich das größte Geschenk des Herrns des Wissens!), leuchtete und erzeugte ein Gleißen, dass sich über dem Tempel ausbreitete. Später brannte die Schale in silbernem Feuer mittig der vier Säulen, die den Schutz des Tempels trugen, die Reliquien, auch noch während sich die Menge zerstreute.
Arin hatte die Gelegenheit genutzt, und den freundlichen, einarmigen Geweihten, ein Elf, dessen Namen er kaum auszusprechen wagte weil er seine Zunge stolpern ließ, und den gutmütigen Seemann mit dem einen Holzbein in eine Schneeballschlacht zu verwickeln. Sie war kurz, aber heftig, und hah, er war als Sieger im Namen Vitamas hervor getreten. Der Seemann hatte schneeige Rache geschworen, und Arin besänftigte ihn mit einem Schluck Met aus der Flasche, die ihm einer der Rabensteyn-Brüder zugesteckt hatte.
Und das war im Grunde das, was ihm noch viel mehr die Hoffnung gab, dieses Dunkel zu überstehen.
Nicht das heilende Wunder, nicht die offensichtlichen Zeichen der Viere.
Nein.
Das größte Geschenk jedoch war dieses klammheimliche, dass Vitama ihm und den anderen Sterblichen gemacht hatte:
Es war diese Freundlichkeit, die allerorten herrschte, die Fähigkeit, im Angesicht des drohenden Verhängnisses ein letztes Mal der Dunkelheit ins Gesicht zu lachen, und sei es nur, weil man eine Schneeballschlacht verlor.

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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamastreuner
BeitragVerfasst: 10.01.16, 18:26 
Edelbürger
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Leise Musik, der vertraute Klang einer endophalischen Oud weckte ihn aus dem tiefen, nahe zu Traumlosen Schlaf. Es dauerte eine Weile, bis er realisierte, dass er wach war, und dass er auf hartem Boden lag. Das war nicht weiter schlimm, das war er gewohnt. Eigentlich hätte ihn aber der fremde Ort erschrecken müssen, doch wie er fest stellte, tat er das nicht.
Warum?
Die schöne, getragen klingende Musik setzte kurz aus, kehrte dann zurück, von vorne beginnend. Ah.. darum fürchtete er sich nicht. Natürlich.
Ein Lächeln huschte über seine Züge, als er sich aufrichtete und den Rücken durchstreckte. Irgendwie tat ihm alles weh, auch an Stellen, wo er gar nicht gewusst hatte, dass da Muskeln waren, die schmerzen könnten. Oder taten Knochen weh?
Egal.
Es war ohnehin gleich, im Augenblick: gerade konnte er noch die Welt da draussen davon abhalten, die kleine Seifenblase zum Platzen zu bringen, die sie sich hier geschaffen hatten, als sie gestern in völliger Erschöpfung hier hineingetaumelt waren. Der Alptraum, aus dem man sie sang und klanglos entfernt hatte, um nun in einem anderen fest zu sitzen, nicht wissend, ob ihre Freunde noch am Leben waren oder bereits tot, mit keinerlei Möglichkeiten, das heraus zu finden. Das Beben der Erde, das Feuer am Himmel, die schattenhaften Gestalten Maynaghs und des.. Dings, gegen dass der La'fay gekämpft hatte...
Halt!
Er schloss die Augen, zwang mit aller Disziplin, die er aufbringen konnte, die Erinnerungen zurück. Die Musik setzte neuerlich aus und begann von vorne, und dieses Mal setzte die Stimme des Barden ein, ruhig und tragend, in perfekter Harmonie zum Klang der Oud, auf der vor 2 Nächten ein anderer Mann gespielt hatte. Einer, für den Arin eigentlich Hass übrig haben sollte, oder bestenfalls Verachtung, aber nicht anders konnte, als widerwilligen Respekt zu empfinden.
Fyonns Stimme wurde kräftiger, lauter, und formte nach einem Moment des Summens die ersten Worte und Arin erkannte das Lied sofort, räusperte sich und merkte kaum, wie sein Mund sich öffnete, um mit zu singen. Auch wenn er die ersten Zeilen mehr flüsterte, so hatte er bald zum Sänger aufgeschlossen.

Die Hymne des ersten Morgens:

Dunkeltief,
Die Hoffnung flieht.
Stähl' dein Herz,
Die Dämm'rung naht.

Die Nacht hält an,
Dunkel liegt der Pfad.
Zum Himmel blick,
Denn bald, oh bald,
Die Dämm'rung naht.

Des Sohnes Pfad,
In die Irre führt,
Halt fest am Licht,
Die Dämm'rung naht.

Die Nacht hält an,
Dunkel liegt der Pfad.
Zum Himmel blick,
Denn bald, oh bald,
Die Dämm'rung naht.

Zieh dein Schwert,
Streck es hoch empor,
Halt' weiter durch,
Die Dämm'rung naht.

Die Nacht hält an,
Dunkel liegt der Pfad.
Zum Himmel blick,
Denn bald, oh bald,
Die Dämm'rung naht.


Eine Weile noch klang die Oud nach, widerholte den Refrain wortlos, und Arin hatte Zeit, sich die Tränen aus den Augenwinkeln zu wischen. Verdammte Heulerei!
Er griff sich die Heilertunika, deren viele Flecken ihn daran erinnerten, dass Blut sich schlecht auswaschen ließ, streifte sie über und kroch zu seinem Bündel, um ein einfaches Frühstück für zwei zusammen zu stellen: ein bisschen von Tendarions köstlichem, silbergrauen Elfenbrot, trockenem Hartkäse und ein paar Waffeln, dazu ein Becher mit Tee aus einer geschnitzten Feldflasche, Kürbis oder so.
Kurz hielt er inne, blickte zu den Ornamenten ringsumher und flüsterte ein Gebet.
"Gib gut auf sie acht, Mutter... schenk ihnen mein Glück, wenn es nur hilft! Hab dich lieb."
Von draussen verklang die Musik, und jemand stand auf, näherte sich und betrat alsbald den Raum. Arin strich sich nochmal über die Augen und konnte nicht anders als zu lächeln.
Die Dämmerung naht.

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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamastreuner
BeitragVerfasst: 12.01.16, 17:52 
Edelbürger
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Die Frau sitzt gebeugt am Tisch und stopft alte Socken. Es sind gute Socken, weich und warm und dick, perfekt für den Morsan. Socken, die ihr Sohn gern hat, mit lustigen bunten Mustern am Saum, von ihrer eigenen Hände Arbeit eingestickt ins fertige Strickwerk. Er würde traurig sein, müsste er andere anziehen, er war doch noch so klein, also stopft sie die alten Dinger noch einmal... nochmal, und sie könnte den Saum auch ab trennen und auf neue Socken aufnähen, überlegt sie. Ein kurzer Blick zur Seite, zum Feuer, wo der Sockenfreund auf dem Boden kauert und versucht, der Katze bei zu bringen, auf Zuruf zu kommen. Das dürre Tier beobachtet miauend die angebotene Belohnung, bleibt aber in argwöhnischem Abstand sitzen. Der Knabe hat sie aus einem Beutel gezogen, in dem sie ertränkt hatte werden sollen, und ihre Geschwister waren auch diesen elenden Weg gegangen; sie fragte sich, welcher Narr so dumm war, Katzen zu töten, und freute sich insgeheim über diese kleine Gnade der Götter: ein Segen für ihr Haus, während ihr Mann, ein Soldat, für den König streitet!
Sie blickt hinauf zum Portrait an der Wand, das die kleine Familie zeigt. Sie hatten nur ein gemeinsames Kind; die erste Vitamafrucht war zwei Tage nach der Geburt am Kindbettfieber gestorben, und das dritte Kind hatte sie durch einen Unfall noch in ihrem Leib verloren. Danach hatten sie es bei Arin belassen und ihm all ihre Fürsorge und Liebe geschenkt.
Zurückhaltend freundlich blickt der große, hellhaarige Mann aus dem Portrait hinab zu ihr, ein gutmütiges Lächeln unter dem kräftigen, ordentlich gestutzten Schnauzer, das Haar lichter werdend an den Schläfen. Braune Augen hatte er; Arin hatte sein Haar geerbt, die Augen jedoch von seiner Mutter.
Sie selbst ist auf dem Bildnis noch so jung, 20 vielleicht; sie sind seit 3 Vitama zusammen gewesen, als er dieses Portrait in Auftrag gegeben hatte, und halten den zweijährigen Knaben im Arm, der ihr Glück krönte. Dunkel und schwarz wie die Schwingen des Raben ist ihr Haar, doch von hellem Blau die Augen - kleine Sterne nennt ihr Gemahl sie, und sie selbst heisst er seinen Vitamalin.
Hübsch ist sie gewesen, vor 5 Vitama, oh ja - eine Schönheit, und wäre sie nicht das Kind einer Hure, hätte ihr schönes Gesicht womöglich mehr Türen geöffnet als zugeschlagen, aber so? Aber undankbar war sie keineswegs: nur so war sie ihrem Gemahl begegnet und hatte das Glück ihres Lebens gefunden. Rasch dankte sie der Göttin mit einem Kelch.
Es klopft, und das reisst sie aus ihren Grübeleien. Sie will sich erheben, doch Arin ist schneller; flink schnappt sich der Knabe das Kätzchen und springt auf, läuft zur Tür und öffnet sie.
Sofort sinkt ihr das Herz in die Hose und sofort zittern ihre Hände; sie legt die Näharbeit fort und starrt den uniformierten Soldaten an, dessen Kuriertasche ihn kennzeichnet. Langsam erhob sie sich, das Herz heftig pochend, sie hört ihr Blut in den Ohren rauschen.
"Frau Marie?" erkundigt er sich freundlich, wenn auch zurückhaltend, und sie nicht dem jungen Kerl zu, der kaum alt genug ist um sich den Flaum zu schaben. Er salutiert und holt einen Brief heraus, den er ihr gibt.
"Ich.. kann nicht lesen." wehrt sie matt ab und tritt näher, die abgearbeiteten Hände in ihrer Schürze vergrabend. Arin steht da und beobachtet sie mit diesen hellen Augen, die so viel mehr zu sehen scheinen als gut für sie ist. Er krault das Kätzchen und blinzelt nicht.
"Natürlich." der Bursche nickt, wirft dem Knaben einen bedauernden Blick zu, und sie muss sich zwingen, nicht einen Stuhl heran zu ziehen. Der Bote erbricht das offiziell anmutende Siegel und entrollt das kurze Pergament.
"An Marie, Gemahlin von Feldwebel Erik.
Das Oberkommando bedauert, euch mitteilen zu müssen, dass Feldwebel Erik vom 3. Kronregiment gefallen ist."
Den Rest hört sie nicht mehr: es ist formelles Blabla, leer und bedeutungslos. Wo er gefallen ist, in welcher Schlacht, wie heldenhaft er gekämpft habe, dass nur seinetwegen der Sieg für Galadon sicher gewesen sei. Sie weiß, als der Bote ihr noch ein Kästchen mit einer Medaille in die Hände drückt, betreten sein Beileid murmelt und verschwindet, nicht einmal, gegen wen ihr Mann zu Felde gezogen war: es ist auch schlicht nicht wichtig.
Tot.
Sie will für Arin stark sein, doch als sie sich ihm zuwendet, um ihn zu trösten, ist er es, der auf sie zu tritt, sich zu ihr reckend auf die Zehenspitzen stellt und ihr innig ins Ohr flüstert: "Mutter liebt uns."
Ja, das tut sie... sie hat immer noch ihren Jungen.
Weinend fällt sie dem Knaben um den Hals, was die Katze empört fauchend davon springen lässt, und weint. Wie die Tränen des Knaben ihren Hals benetzen, bricht ihre Welt in sich zusammen.

"Nein... nein... nicht..."
Eine sanfte Hand legt sich auf seine Stirn und reisst ihn aus dem Traum, der sich wie Nebel und Tau an einem Astraelmorgen auflöst.
Es war nur ein Traum.
Warum schmerzt sein Herz so sehr?

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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamastreuner
BeitragVerfasst: 22.01.16, 18:43 
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Es hat gedauert, auf das Dach zu klettern, aber jetzt ist er oben, und hält sich am Dachfirst der alten Scheune fest. Ein bisschen wackelig kauert er da, läuft Gefahr, auf den vom kürzlichen Regenschauer glatten Schindeln ab zu rutschen, zumal darauf auch ein dünner Film aus irgendwas schleimigem zu finden ist. Dies war sein neunter Versuch, hier drauf zu kommen und von oben in die Küche des Herrenhauses spähen zu können. Was es wohl heute feines für ihren Herrn zu Essen gab? Mit viel Glück könnte er vielleicht, wenn es etwas feines war und reichlich, ein bisschen was für seine Mutter stehlen und ihr bringen. Sie war so schmal geworden, seit sie hier für den alten Grafen Morgis arbeitet. Nicht zuletzt, weil Arin nur eine halbe Ration bekommt - er zählt erst elf oder 12 Vitama und gilt als wenig nützlich, also gibt Mutter ihm von ihren Mahlzeiten ab. Er müht sich, nicht zu viel zu essen, doch sie lässt es dann einfach stehen..
Der Bursche verliert den Halt bei seinen Grübeleien, rutscht ein Stückweit das Dach hinab und kann sich mit gespreizten Armen und Beinen genug abbremsen, um wieder hinauf zu klettern. Sein Herz rast, der Wind pfeift ihm um die Ohren, zaust das grob kurz geschorene Haar. Die Obermagt hatte ihn gestern aus einer Laune heraus gegriffen und mit einem Messer alles einfach abgesäbelt, und behauptet, der Herr hätte goldenes Haar in einer Suppe gefunden. Natürlich hatte es obendrein eine Tracht Prügel gegeben, aber die hat er längst verdrängt, wie immer. Mutter war sehr traurig gewesen, und so hofft er, heute ein bisschen was leckeres stibitzen zu können. Vielleicht würde er dafür noch einmal Prügel kassieren, aber es war ihm gleich.. die liebliche Mutter würde sich freuen, Marie lächeln zu sehen, und das wäre es allemal wert.
Er braucht eine halbe Ewigkeit, um nach vorn zu krabbeln, und späht dann hinab, sucht das Fenster zur Küche, die sich im Erdgeschoss des Herrenhauses befindet, und dass den Tag über fast immer offen steht. Doch bevor er es entdeckt, wandern seine Augen einen Moment lang über die Fenster im oberen Stock, um zu sehen, ob vielleicht rein zufällig gerade wer in der Nähe war und ihn entdecken könnte. Nein, niemand da; er wendet den Blick hinab und stutzt. Sofort zucken seine Augen zurück, er beugt sich vor. Was war das.. oder eher, wer war das?
Es dauert einen Augenblick, bis sich sein Blick geschärft hat, und er im Halbdunkel des Gemachs seines Herren eine Gestalt deutlicher wahr nimmt, und sich sicher ist, dass es nicht etwa eine seltsam da liegende Decke ist. Nein, da liegt wer, aber er weiß von niemandem, der krank ist und den Tag über im Bett liegen müsste... und der Graf ist allein, sein Weib ist vor wenigen Jahren gestorben.
Eine Weile beobachtet Arin den Schemen, entdeckt dann eine Bewegung, und die Gestalt rutscht näher ins schräg einfallende Licht. Es ist ein Mädchen, ein bisschen älter als Arin, mit einem erblühenden Körper, langem schwarzem Haar - und einem Knebel im Mund. Einige Augenblicke starrt er sie nur an, ist sich ganz sicher, direkt in ihre Augen zu sehen, entdeckt seltsame Details, die erst nach und nach Sinn ergeben. Spuren von groben Händen sind in ihrem Gesicht zu sehen, ein Strick liegt um ihren Hals, ihre Schultern sind seltsam verdreht - nein, die Arme sind ihr auf dem Rücken zusammen gebunden! Wieder hat er das unbestimmte Gefühl, sie starre ihn an, hat ihn entdeckt, ihr Kopf ruckt, sie versucht, nach vorne zu rollen, was ihr nach einigen Versuchen gelingt. Sie stürzt fast aus dem Bett, auf dem sie liegt, und er sieht ihre Kleider, die einfache Machart einer Bauernmagd, grob und derbe mit schlechten Nähten. Er trägt das Selbe, nur ohne Rock. Ja.. sie hat ihn entdeckt, blickt ihn flehend an, Tränen in den Augen, nackte Angst. Er nickt ihr zu, blickt sich hastig um, sieht wieder zurück und entdeckt Bewegung an der Tür des Zimmers. Auch sie wendet sich um, schaut noch einmal zu Arin, verzweifelt flehend krampft ihr Körper, da fliegt die Türe auf. Hastig nickt er ihr erneut zu, ohne zu wissen, was er ihr da wortlos verspricht, und rutscht hastig vom Dach, schwingt sich über den hervorstehenden Balken hinab und hört seine Mutter rufen. Er soll ihr beim Kamin säubern helfen.
Warum, denkt er, als er landet, hat der Graf ein gefesseltes Mädchen in seinem Zimmer?


Er muss eingenickt sein; seine Beine tun ihm weh, denn er kniete noch immer vor dem Altar im Schrein der Herrin. Sein Kopf ruhte auf dem heiligen Nest und fühlte sich an, als hätte er ein Gittermuster als Abdruck zurück behalten - kein Wunder eigentlich. Arin richtet sich auf, setzte sich richtig hin und streckte die Beine, nach dem Weinkelch greifend mit dem süßen, endophalischen Wein. Der Becher war zur Hälfte geleert, betrunken hatte er sich wahrlich nicht - nur zwei Mal hatte er bisher diesen Fehler gemacht und beide Male schwer bereut! - und so erlaubte er sich noch ein paar Tropfen zum Benetzen seiner trockenen Kehle.
"Vergib mir, Mutter.." wisperte er dann, sicherlich zum hundertsten Male in dieser schier endlos langen, kalten und unbequemen Nacht. Immerhin fühlte er sich nicht länger, als stürze er in bodenlose, tiefschwarze Löcher, was er gewiss nur Fyonn und Tendarion verdankte. Wären sie nicht gewesen.. er hatte seine Zweifel, dass selbst die merkwürdigen Funken die aus dem Feuer gestiegen waren, etwas geändert hätten. Was verdienten sie schon den Schutz und die Nähe der Götter, wenn sie diese so schmählich im Stich gelassen hatten? Waren sie ihrer denn noch würdig? Gewiss, sie liebten ihre Kinder, das war mehr als deutlich, wenn sie sich sogar bei ihren Anhängern entschuldigten, doch das hatte alles nur noch schlimmer gemacht: die mächtigen Viere, geschlagen, zurück gedrängt? Der verlorene Tempel so wichtig, dass sie sich gezwungen sahen, ihre Diener um Vergebung zu bitten, weil er verloren war?
Das alles machte nicht viel Sinn in seinem halb betäubten Verstand, der völlig übermüdet und mit genommen sich zäh und träge durch seinen Schädel quälte. Vor wenigen Wochen - war es wirklich erst eineinhalb Monate, dass er hier verweilte? - hatte er zwar das Wunder der Mutter das ein ums andere Mal erlebt und ja, sie auch inbrünstig verehrt, doch die Präsenz der Götter an diesem Ort, gleich welcher Art, war verheerend offensichtlich und zehrte an seiner Fähigkeit, die Dinge zu erfassen, zu sortieren und zu verarbeiten. Nicht zuletzt, weil er mit dem "Feind" selbst zu tun gehabt hatte.
"Worauf soll ich bauen, Herrin? Mein Grund ist Sand, mein Stein brüchig... sag mir, wie kann ich dir dienen, so voller Makel wie ich bin?" rezitierte er ein Mantra, dass er Erik, seinen Mentor, häufig hatte flüstern hören. Damals hatte er es nicht verstanden: der Mann erschien ihm so standhaft im Glauben, und wie konnte man auch an Vitama zweifeln? Oder an seinem Platz, seinem Weg?
Nun wurde ihm klar, dass es töricht war. Es ging nicht um den Zweifel an den Göttern: ihre Existenz war erwiesen, war nicht weg zu reden. Auch nicht, ob man ihnen folgen wollte oder nicht, oder ob sie ihre Kinder liebten.
Es war mehr die Art, um die es ging: wie - und ob! - man es tat, und ob und wie man den größten Nutzen für die Götter, aber auch ihre Kinder heraus bekam.
Konnte er das, war er bereit dazu, alles zu geben? Womöglich sogar sein eigenes Leben, seine große Liebe, seine geliebte Freiheit? Seine Seele gar?
Eine Weile grübelte er noch darüber, dann kippte sein Kopf wieder auf den Tisch und er schlief wieder ein, während Fela Rilamnors Mantel entflammte.

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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamastreuner
BeitragVerfasst: 27.01.16, 11:30 
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Mit einem Lappen wischt er sich den schmierig-fettigen Ruß von den Händen. Den Ofen zu putzen hat Stunden gedauert, und sein Rücken schmerzt von der verkrümmten Haltung, die er in dem backsteinernen Monster hatte einnehmen müssen, um überall ran zu kommen. Er sieht fürchterlich aus, aber wenigstens sind die radikal kurzen Haare nun ein Vorteil: sie sind einfacher zu säubern. Rasch eilt er zum Brunnen, immer noch mit dem Lappen an seinen schlanken Fingern zu Gange, schubst den Eimer in den Schacht und wartet auf das verräterische Platsch, um ihn mit der Kurbel wieder hoch zu holen. Er wird sich gründlich säubern müssen, sonst lässt man ihn nicht zum Abendbrot in die Gesindeküche.
Es dauert eine Weile, in der er mit der groben Kernseife hantiert, und in der relativen Kälte des beginnenden Vitamas bibbert, bis ihm klar wird, warum er ständig auf das Haus starrt.
Natürlich.
Das Mädchen! Während der Arbeit hatte er ständig an sie gedacht, und daran, was das zu bedeuten hatte - und wie er ihr würde helfen können. "Gar nicht", war die Antwort schlussendlich gewesen - was sollte er auch tun? Er war kaum ein Dutzend Jahre alt, galt seiner kleinen, schwachen Gestalt wegen und weil er keinen Vater hatte als Sonderling, als Ausgestoßener, Abschaum, und niemand würde ihm glauben. Und selbst wenn: der Herr war bekannt als Grobian, dem seine Leute nichts gelten, die austauschbar sind, und das Gesinde munkelt, er hat sogar schon im Zorn eine Magd zum Krüppel geschlagen. Nein, Arin kann nichts tun, und doch wächst die zunehmende Gewissheit in ihm heran, dass er etwas tun muss, egal was ihn das kosten wird.
Er gießt einen letzten Eimer Wasser über sich aus, greift sich ein schäbiges Tuch, um sich so gut es geht vom Wasser und dem Rest des Rußes zu befreien und schlüpft in seine fadenscheinigen Kleider aus grobem, schlecht zusammengenähtem Wollstoff, fröstelt spürbar. Der Vitama war in diesem Jahr spät erst gekommen.
Langsam macht er sich auf den Weg in die Gesindeküche, in der es laut, lärmig und stickig war, eine einfache Mahlzeit aus gekochtem Getreide mit Rüben und Bohnen stand auf dem Tisch, dazu Kräutertee und verdünntes, billiges Bier, dass nach einhelliger Meinung kaum besser schmeckte als Wasser. Arin schlängelt sich durch das Gewirr aus Beinen und Hinterteilen, schlenkernden Armen und hölzernen Löffeln, und noch während er überlegt, ob noch Platz neben seiner Mutter ist, findet er sich auf dem Gang wider, der in das Innere des Herrenhauses führt. Er kennt sich hier ein bisschen aus, muss hier ab und an beim Putzen aushelfen, Nachrichten überbringen oder Dinge tragen, Hilfsdienste eben, für die man die Kinder des Gesindes stets heran zieht. Es dauert nicht lang, da hat er den Bereich der Hausdiener verlassen, richtet sich auf und tut beflissen, stellt sich vor, er muss eine Nachricht überbringen, ganz fest, denn er weiß: lügen und sich zu verstellen, das hat er nie so richtig gelernt, er findet es blöd, zu lügen. Sich aber vor zu stellen, er hätte eine Aufgabe - das gelingt halbwegs und so kann er tun, als hätte er das Recht, nein, die Pflicht, genau hier zu sein.
Es geht gut, er begegnet ohnehin nur einer Enkelin ihres Herrn, die ihm gar keine Beachtung schenkt, während sie mit einem hübsch gekleideten Püppchen mit Porzellangesicht achtlos in einer Hand an ihm vorbei schreitet. Bald hat er das Herrenzimmer erreicht, späht umher, lauscht dann eine Weile an der Türe.
Nichts.
Vorsichtig öffnet er das schwere Holzding, doch ein Blick ins Innere des oppulent eingerichteten Raumes verrät ihm: das Mädchen ist nicht hier. Noch ein Blick umher, und er fasst Mut, tritt mit rasch hämmerndem Herzen hinein, späht in Ecken, unter das Bett, wagt sich sogar zum Kleiderschrank, doch auch unter den gewaltigen Mengen an aufgehangener Kleidung, deren Wert er nicht einmal im Ansatz erahnen kann, findet sich kein Bein, kein schwarzer Haarschopf.
Erleichterung wogt in ihm auf, er hat sich das alles nur eingebildet, er kann rasch zurück und niemand würde von diesem Unsinn erfahren, den er hier angestellt hat.. er wendet sich herum, ein letzter Blick zum Bett.
Dort liegt ein Riemen, auf dem Boden auf einem dichten Läufer; er hat ihn zuerst übersehen vom Eingang aus. Rasch huscht er hin, hebt ihn auf. Das Leder ist mit etwas rötlichem verfärbt, und auch wenn er sich eine Menge Mühe gibt, seine Fantasie nicht überlaufen zu lassen, braucht es doch nicht viel davon, um zu ahnen, was das wohl sein mag.
Er steckt den Riemen ein, sieht sich nochmal unbehaglich um und huscht aus dem Zimmer, die Türe rasch schließend. Wo könnte das Mädchen sein?
Selbst ihr Herr konnte nicht einfach ein gefesseltes, misshandeltes fremdes Mädchen am hellichten Tag quer durchs Haus tragen ohne wenigstens auf zufallen.. oder? Wo würde er, Arin, eine solch grausame Kuriosität verstecken?
"Im Keller..." überlegt er, und saust bereits los, ehe er den bewussten Entschluss gefasst hat. Es ist ihm, als ziehe ihn etwas hinter sich her, aber er folgt trotz dass er weiß, dass er nicht erwischt werden darf - oh Vitama, bitte lass sie mich nicht erwischen! - bereitwillig. Was ist schon ein strammgezogener Hosenboden, selbst mit dem Kochlöffel, gegen das Unbill, in dem das Mädchen steckte?
Wieder begegnet ihm praktisch niemand, auch die Enkelin ihres Herrn ist verschwunden - vermutlich sitzt sie im Speisesaal und diniert mit dem Vater und ihren Geschwistern; soweit er weiß sind die Eltern in Draconis oder so. Wo das wohl sein mag? Er hat keinen blassen Schimmer, kennt nicht einmal eine Karte Vandriens, aber was soll er auch damit? Das Wissen, wo man war, verlor an Bedeutung, wenn der Ort, an dem man sich aufhielt, den Geist verkümmern ließ und nichts als tägliche Mühsal und Hunger und Angst bereit hielt. Man wollte einfach nur nicht "da" sein, konnte schlussendlich aber ohnehin nicht fort und musste sich fügen. Daran änderte sich auch nichts, wenn man wusste, wo man war.
Im Keller ist es duster, und er greift sich eine Talgkerze, steckt sie in den angelaufenen Messinghalter, entfacht sie an der letzten Fackel, die im Zugang blakt, und wagt sich mit ihr in der Hand hinab zu den Vorräten.
Griff man ihn hier auf, würde man glauben, er wolle stehlen, und das bedeutet weit mehr als nur eine simple Prügelstrafe; er wusste nicht, was ihm drohte, nur, dass es keine Gnade für Diebe gab. Er saugt tief die muffige, trockene Luft des tiefen Kellergewölbes ein, und macht sich auf die Suche; er hat hier schon häufiger sauber gemacht, Ratten gejagt und Besorgungen gemacht, er kennt den Weg, auch einige Kammern, die man nicht sofort sieht, deren Zugänge.. schwieriger zu öffnen sind. Diese sucht er zuerst auf, öffnet mühsam eine schwere Türe nach der anderen, halb betend, dass er nichts finden möge und sich all das nur eingebildet hat, auch den gefundenen Riemen, dass das Farbe war, der Herr einfach gerne malte... ja, gewiss, der Mann, der Kunst nur zum Angeben schätzte, malte mit einem Lederriemen auf seinem Teppich...
Er hielt inne. Hat er gerade Blut gerochen? Ein nervöser Blick ringsum verrät vor allem eines: es ist dunkel abseits des Scheins seiner Kerze, aberwitzig dunkel. War da gerade eine Bewegung? Er hört etwas Rascheln, eine Ratte, schlägt rasch eine Raute gegen das Gezücht des Namenlosen und huscht zur nächsten Türe, lauscht in die lauernde Dunkelheit jenseits des schwachen, flackernden Lichtscheins. Ja, da ist etwas....
Arin presst sein Ohr an eine solide anmutende Mauer, wissend, dass das nur eine Verkleidung ist, die eine Türe preis gibt, wenn man den richtigen Stein drückt; er war unter einer größeren Last getaumelt und hatte den Mechanismus mit dem Ellbogen betätigt, als er gestürzt war, an einem seiner ersten Tage, und erinnert sich vage daran. Drinnen hört er ein seltsames Geräusch; es klingt wie ein Hund, den jemand geschlagen hat, ein eigenartiges Winseln, durchsetzt von Keuchen und Schnaufen. Er schluckt mühsam, fängt hastig an, die Wand nach dem Stein ab zu suchen, findet ihn nicht.
"Vitama, hilf.." wispert er mit zunehmender Angst, rasendem Herzen, wischt sich den Schweiß von der Stirn, der ihm in die Augen zu laufen beginnt. Was tu ich hier? fragt er sich und weiß es doch längst: das Mädchen steckt in der Kammer und der Herr hat ihr irgend etwas übles angetan. Warum? Das war nun gleich: er hat keine Wahl, als ihr zu helfen.
Mühsam zwingt er sich, die Mauer neuerlich ab zu tasten und nun fest jeden Stein zu drücken; es dauert, dann merkt er an einer Stelle, wie etwas nach gibt, presst die Hand darauf und stemmt sich dagegen, es gibt einen Ruck, der Stein gibt mit einem mahlenden Geräusch nach und die Wand neben ihm springt ein Stückweit auf; die Verkleidung ist nur eine handbreit dick, gibt eine Türe preis, die ganz gewöhnlich ist. Er stellt die Kerze ab, stemmt sich gegen den Stein, drückt das kühle Zeug aus dem Weg und starrtd die tiefer im Mauerwerk eingelassene Holztüre an. Er schluckt, greift nach der Kerze, tritt in die Kuhle und drückt die Klinke, halb im Glauben, es sei ohnehin verriegelt, doch dem war nicht so.
Als er die Türe aufschiebt, schlägt ihm ein entsetzlicher Gestank entgegen, und er muss erst einmal würgen, keucht erbärmlich, denn hier herrscht Verwesung, Fäkalien, Erbrochenem und Blut, eine wilde, scharfe Mischung, er sieht eine Ratte davon rascheln durch das verdreckte, klebrige Stroh, fort von einem skelettierten Leichnam, an dessen Knochen noch Fleischfetzen hängen. Er starrt voller Entsetzen die vage erkennbare Erscheinung an, lässt fast sein winziges Licht fallen, fasst sich ans Herz, hört erneut das Wimmern und fährt herum. Neben dem Eingang liegt das Mädchen, nun noch schlimmer zugerichtet als noch am Mittag. Ihre Kleider, einfache Bauerngewänder, sind blutig und zerrissen, und ihr Körper von Wunden übersäht. Zahlreiche kurze Schnitte hat man ihr zugefügt, allesamt tief und viele davon immer noch blutend; ein Auge ist zugeschwollen, ihre Lippen aufgeplatzt, und die wettergegerbte Haut weist Blutergüsse auf, fast so viele wie die übel tiefen Schnitte. Sie ist blass, ihre Augen sind geschlossen, der Knebel blutig vollgesogen, das Haar grob geschoren, noch kürzer und rücksichtsloser als bei Arin. Er sieht die Spuren der Schnitte auf ihrem nunmehr kahlen Haupt, presst wimmernd eine Hand vor den Mund. Was soll er tun? Er hat keine Ahnung, wie man jemandes Wunden versorgt, aber er sieht deutlich die Lache aus Blut, die sich unter ihr gebildet hat, die dünne Strohschicht hat keine Chance, das zu verbergen, schwimmt regelrecht im Körpersaft.
Etwas drängt ihn vorwärts, er stellt die Kerze ab, zieht sein kleines, stumpfes Messer, um ihr wenigstens die Fesseln zu lösen. "Hab.. ha.. hab keine Angst.." stöhnt er angestrengt, doch sie erschreckt nur und fängt unartikuliert an zu schreien. Angst, Schmerz, aber auch Wahnsinn liegen in diesem Schrei, der für Arin klingt wie ein Geist, eine Banshee aus den Märchen seiner Kindheit, und er hält sich die Ohren zu, schreit einen Moment lang instinktiv mit, zwingt sich dann zur Ruhe und greift beherzt zu, muss mit dem Messer ganz schön arbeiten, um die dünnen Riemen, die sich in ihre Handgelenke gegraben haben, zu durchtrennen. Schweiß läuft ihm neuerlich in die Augen, er spürt, wie er zittert, das Geschrei lässt nicht nach, der Gestank überreizt seine Sinne, der Anblick des schreienden, blutigen Mädchens...
Kurz, bevor er es geschafft hat, hört er Schritte, hastige, schwere und es ist ihm, als setze sein Herz aus. Eben noch rast es in seiner Brust, da scheint es auf zu hören zu schlagen, während ihm ein Amboss in den Magen zu fallen scheint. Die angelehnte Türe fliegt auf, ehe er noch mehr tun kann als sich herum zu drehen, und eine Gestalt kommt herein, überragt ihn drohend.
Graf Morgis' Leibwächter, ein als brutal und abgebrüht geltender Mann, ein Veteran aus den Kriegen gegen diesen ketzerischen Fürsten - wobei Arin ja fast vermutet, es war eher für jenen - stürmt herein, starrt kurz verwirrt auf das Geschehen. Ein Schritt vor, er tritt dem Mädchen achtlos in die Seite und folgt dann dem Knaben, der aufgestanden ist und zur Wand zurück weicht. Das Mädchen verstummt mit einem Keuchen.
Arin hält das lächerliche Messer zur Abwehr erhoben, starrt verstört auf den Mann, der ihn nun an geht und mit einem grausamen Lächeln zu schlägt, vorbei an der schwer dürftigen Deckung des Knaben, und schmettert ihm den Schädel mit spielerischer Leichtigkeit gegen den Stein der Kammer.
Lichter explodieren hinter seinen Augen, sein Herz holpert einige Augenblicke in seiner Brust, dann verlöschen die Lichter ringsum und er stürzt in tiefe, beängstigende Schwärze.

Arin stöhnte, rollte sich ruckartig zur Seite, Fyonn die Decke dabei klauend, wickelte sich darin ein und kippte vornüber aus dem Bett. Er schrie vor Schreck und dem belanglosen, unerwarteten Schmerz des Aufpralls, geriet in Panik, weil er sich dank der Decke kaum bewegen konnte. Es dauerte ein bisschen, bis ihn der Barde beruhigt bekam, viel länger, als ein einfaches, unsanftes Aufwachen rechtfertigen würde.

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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamastreuner
BeitragVerfasst: 14.02.16, 10:25 
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Fela scheint, und eine leichte Brise sorgt für angenehme Abkühlung an diesem strahlenden Vitamatag, kurz vor dem Astrael. Vater und Sohn stehen auf dem Damm eines Flüsschens, dass benutzt wird, um die Felder die sich ringsum ausbreiteten, mit Wasser zu versorgen. Schmale Kanäle sind gezogen worden, und unablässig rattern Wasserräder, um mit einfachen Eimerkonstruktionen Wasser aus dem Fluss zu schöpfen und in die schimmernden Linien zu füllen. Gitternetzartig breitet sich die Bewässerung aus, versorgt Gemüse und Kräuterbeete. Und wohin man auch blickt, überall breitete sich Vitamas Pracht vor einem aus, und sei es die endlos vielen Wildblumen auf den schmalen Streifen zwischen Gehwegen, Kanälen und auch auf dem Damm.
In der Ferne sieht Arin einen Treidelpfad, ein Ochsengespann schleppt einen tief im Wasser liegenden Kahn den Flusslauf hinauf, angetrieben von ihrem Herrn, und am Himmel hängt ein Falke, wie fest gefroren, eine Momentaufnahme in der Schönheit und Pracht des Tages, an dem er rare, kostbare Zeit mit seinem Vater verbringen darf.
"Sieh hin, Arin." spricht der große, breite Mann freundlich. "Schau hin, auf diese Männer und Frauen, deren Hände Arbeit uns ernährt." er weist auf die vereinzelten Bauern, die auf den Feldern arbeiten, Unkraut jäten, hier und da wo die Reife fort geschritten ist, bereits die erste Ernte einbringen. Weiter hinten sieht man ein schweres Ross vor einem Pflug, das mit seinem Herrn ein abgeerntetes Feld neu pflügt.
"Respekt ist es, was wir ihnen schulden, und Dankbarkeit."
Arin nickt, klammert fest die Hand seines Vaters. Er hat nur eine vage Ahnung, was Respekt bedeutet, aber Dankbarkeit, die empfindet er gerade. Dafür, dass der Vater wieder zu Hause ist und jetzt hier mit ihm steht, wo sie diese herrlichen Dinge sehen können.
Der Soldat greift hinab, nimmt seinen so viel schmaleren Sohn hoch, der freudig quietscht, und setzt ihn sich auf die Schulter, schreitet, die riesigen Hände auf den nackten Schienbeinen abgelegt um ihn zu sichern, den Treidelpfad entlang. "Weißt du, die Gaben Bellums erlauben uns, unsere Familien zu schützen, und Ehrbar zu leben. Die Gaben Morsans gestatten uns tiefen, erholsamen Schlaf und schützen uns, wenn wir einmal nicht mehr auf Tare wandeln. Astrael schenkt uns die Klugheit, solche Dinge wie diese dort.." er nickt zum näher kommenden Wasserrad, dass unermüdlich klappernd Wasser befördert, "..zu fertigen und das Mühsal der Arbeit zu verringern. Doch weißt du, wem wir schlussendlich die Früchte der Erde selbst verdanken?"
"Vitama!" plappert der kaum 5 Vitama zählende Knirps. "Richtig, Arin." bekräftigt der Vater. "Und ganz gleich, wie klug wir sind, oder wie ehrbar, oder ausgeruht.. es ist ehrlicher Hände Arbeit, die Korn und Beeren und Rüben und Bohnen und Äpfel in unsere Häuser bringt."
"Ich mag Äpfel."
Der Vater lacht, tief und erheitert. "Natürlich. Die Liebliche hat alles so geordnet, dass es genug gibt, dass genug Dinge einem jeden schmecken und uns glücklich machen."
"Warum?"
"Weil sie uns liebt, mein Sohn. Weil sie uns liebt."
Arin lacht und hascht nach einem Schmetterling. Er versteht nicht - die Götter kennt er, natürlich, aber sie sind abstrakte Wortgebilde, die irgendwo im Himmel sitzen oder so. Ganz sicher ist er sich da nicht. Aber wenn Vitama leckere Äpfel verschenkte, und Blumen wachsen ließ, dann mochte er sie.
"Vergiss das nie, mein Sohn. Eltern lieben ihre Kinder.. und wir sind die Kinder der Viere."
"Aber du bist doch mein Papa?"
Wieder lacht der Soldat, gutmütig und liebevoll.
"Ja, Arin. Aber wir sind auch die Kinder der Viere."
"Also sind sie Großmama und Großpapa?"
"Hmm... so ungefähr."
"Boah!" Arin gluckst heiter. Plötzlich hat er Bilder von Vitama im Kopf, wie sie ein Häubchen trägt, und einen Gehstock.
"Du wirst verstehen, sei unbesorgt." versichert ihm der Vater und bleibt an einem Baum stehen, der einsam auf einem breiteren Stück des Damms steht; man hat den Damm für ihn breiter gebaut, um ihn nicht fällen zu müssen. Bunte Bänder hängen in den Zweigen, teils verwittert, teilweise frisch. Einfaches Leinen, in einfachen Farben gehalten.
"Was ist das, Papa?"
"Ein Segensbaum. Ein jeder Bauer bindet hier zu Beginn des Vitama einen Streifen Tuch an, um Vitama zu danken, dass ihre Zeit beginnt, und sie mit der Arbeit beginnen können. Sie bitten damit auch um eine gute Ernte und um Schutz für ihre Familien."
"Nur mit einem Tuch?"
"Gefällt es dir nicht?"
Arin schweigt und beobachtet die im Wind flatternden Bänder im Baum. Es gefällt ihm, all die Farben in den grünen Blättern, das Flattern, das zarte Geräusch.
"Es ist wunderschön!" stellt er schließlich fest.
"Immer noch ein 'nur'?"
"Nee..."
Der Vater lächelt zufrieden und setzt sich mit dem Sohn zusammen in den Schatten des Baumes, lässt ihn von seinen Schultern herunter und nimmt ihn fest in die starken Arme.
"Vergiss das nie," wiederholt er sich. "Eltern lieben ihre Kinder. Und wir sind die Kinder der Viere."
"Ich hab dich auch lieb, Papa."
Vater und Sohn sitzen noch bis zum Untergang Felas dort im Schatten des Baums, zum ersten und zum letzten Mal.


Valuni.
Arin stöberte das nächste Regal durch, und fischte alles heraus, was er über Horwen, La'fay, Gangreji und Larisej entdecken konnte, stapelte es auf seinen Armen und trug es hinüber zum Tisch, so dass Fyonn es später durch gehen konnte. Viel war es nicht mehr: er hatte fast die gesamte Bücherei abgesucht und allmählich kitzelte der Staub seine Nase, und er sehnte sich danach, hinaus zu gehen und mit Stinker zusammen über die Felder zu toben.
Leider war das Wetter gerade ein Alptraum aus scharfen Schneeflocken und pfeifendem Wind, und so musste das noch etwas warten!
Hoffentlich kam der Vitama bald, schoss es ihm durch den Kopf.
Ob es hier auch einen Segensbaum gab?
Noch immer waren sie nicht sicher, wofür die alte Frau stand. Heilung? Aufopferung? Selbstlosigkeit? Mitgefühl, Gnade? Gut, einiges davon ließ sich ausschließen, zumindest soweit er selbst wusste, hatte jeder La'fay und Horwah seine ureigensten Aufgabengebiete und da überschnitt sich nichts.
Ein Buch über Schmiedekunst sprang ihm in den Blick und er zog es heraus.
"Hmm." sinnierend kratzt er sich die juckende Nase. Nicht, dass es wirklich half.
"Wen kennst du, der schmieden kann.. eigentlich niemanden, oder? Aber ich kann wirklich Mirandil fragen." gut, das musste auf die Liste der Dinge, die er zu tun hatte. Immerhin war noch ungeklärt, warum das Trollkind eine geschmiedete Schmuckkette um den Hals getragen hatte. Einen Moment war er versucht, sie als Fessel zu interpretieren, aber dann hätte sie fester gesessen, nicht?
Grübelnd trug er die restliche Ausbeute zu dem weit größeren Stapel an Büchern und hoffte, dass Fyonn sich freuen würde über die Vorarbeit und nicht schimpfen, weil er die Ordnung durcheinander brachte.
"Wer bei Mutter beschenkt Trollkinder mit Schmuck.. und sind Trollkinder immer freundlicher als ihre Alten?"
Er hatte bislang nur einmal die Auswirkungen eines Trolls auf Menschen gesehen, und die waren ziemlich fatal gewesen; Fyonns Arm zierten noch immer die Narben dieser Begegnung. Und die Reaktion der Bannersoldaten, insbesondere Maluks, waren sehr, sehr eindeutig gewesen. Trolle waren keine friedlichen, sanften Geschöpfe.
Und doch.. und doch hatte ihm dieser eine, junge Troll die Blume geschenkt. Dabei hatte er, Arin, nichts weiter getan als ihm ein bisschen beruhigend zuzureden.
Na gut, und zusammen mit Tendarion zu verhindern, dass man den Troll niederstreckte.
Hm.
Beinahe hätte er in Gedanken Fyonns kostbare Bücher auf den Tisch fallen lassen, entsann sich im letzten Moment aber daran, wie wichtig die Dinger seinem Gefährten waren, und legte sie sanfter ab. Ein paar Schritte führten ihn zum nächsten Fenster, dass er aufriss und kräftig hinaus nieste.
"Brr. Oh, schau an, der Wind legt sich!" freute er sich, und auch die tanzenden Flocken wurden weniger. Vielleicht konnten sie heute Abend die Messe feiern ohne dabei auf Kohlebecken sitzen zu müssen!
Novizen.
Valuni hatte sie geprüft, und Tendarion fest gestellt, dass Vitama Fyonn und Arin berührt hatte. Sie waren in den Augen ihrer Göttin würdig, den Weg zu gehen, den sie sich erwählt hatten... und heute Abend würde jeder davon erfahren.
Sie würden ihren ersten Segen sprechen - gemeinsam, wie sie diesen Weg auch begonnen, wie sie ihre erste, niedere Weihe erhalten hatten.
Ein gutes Omen.
Er schloss grinsend das Fenster, bevor ihm die Kribbelnase abfror, und löschte die Lichter in der Bücherei.
So viel war noch zu tun, bis es heute Abend daran ging, zu feiern, und er hatte nicht vor, sich bis da hin zu langweilen!

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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamastreuner
BeitragVerfasst: 22.02.16, 00:24 
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Es ist dunkel. Sehr dunkel. Und er hat Hunger. Das ist das Auffälligste, aber er hat auch Durst. Nicht so sehr, aber doch spürbar. Und es tut ihm alles weh. Die Beine, die Arme, der Rücken, das Gesicht, der Bauch, der Brustkorb, die Hände. Sogar ein Ohr tut weh. Es stinkt, er stinkt, es riecht nach Erbrochenem und Fäkalien und Blut, nach moderndem Stroh und feuchtem Keller. Und es ist dunkel.. seine Augen haben nichts, an dem sie hängen bleiben können, während sie durch die Finsternis irren, und bisweilen gaukeln sie ihm Bewegung vor, oder ist es wirklich einer der Foltermeister, die ihn wieder aufsuchen, in der Dunkelheit, getarnt und plötzlich und erbarmungslos?
Wie lange er schon hier ist, kann er nicht einmal ansatzweise abschätzen, und zu all den Schmerzen und der Angst gesellt sich Langeweile. Der Drang, sich zu Bewegen, zu Klettern, sich vielleicht zwischen den Gitterstäben hindurch zu quetschen, ist längst erstorben, und auch sein Geist ist mittlerweile lethargisch. Dennoch zieht sich die Zeit so unfassbar lang, es scheint, als erdrücke sie ihn mit ihrer Masse, ihrer Unvergänglichkeit, zerreibe seine geschundenen Gedanken zu Staub und verwehe sie im Wind...
...etwas quietscht und Licht fällt in den Zellentrakt. Arin blinzelt, kriecht vor dem stechenden Schmerz des Lichts in seinen Augen in die hinterste Ecke seiner winzigen Zelle, hebt die fleckigen, schmutzigen Arme vor das geschundene Gesicht und wendet sich ab.
Bestimmt kommen sie, um mir weh zu tun, denkt er, weiß er, und sein Herz rast in der mageren Brust, und hätte er etwas im Magen gehabt, er würde es nun erbrechen, soviel ist sicher.
Schritte nähern sich, schwere, genagelte Soldatenstiefel, das kennt er schon, und das Knistern einer Fackel. Ob sie die angedrohten Gluteisen heute benutzen wollen, schießt es ihm panisch durch den Kopf, als sich seine Zelle öffnet und der Mann herein tritt.
"Du kleine Ratte.." amüsiert sich der eintretende Mann. "Lichtscheu.. dreckig.. verkommen." er spürt eine Hand, die in sein mittlerweile wieder länger gewordenes Haar krallt und ihn auf die Füße zerrt. Angekettet hat man ihn nicht: dafür ist er zu schmal, die Anlage ist für Erwachsene ausgelegt. Aber wie sollte er auch fliehen?
Der Mann schleift ihn gegen sein Zappeln und Wehren gnadenlos hinaus ins Licht, lässt Arin nicht einmal die Chance, sich auf die Füße zu strampeln, so schwach seine Knie auch sein mochten.
"Jetzt geht es in die Rattenfalle..."

Seit Wochen geht die Verhandlung nun.
Er hört seine Mutter heute nicht mehr hinter sich Weinen, aber er hat sie vorhin kurz gesehen.
Man hat ihm den Mord an dem Mädchen vorgeworfen, dass er im Keller des Anwesens gefunden hat. Und noch weitere Morde, Folter, Anbetung des Einen, Unzucht mit Hexen und zweiköpfigen Stieren - er hatte noch nie einen gesehen und auch keinen Schimmer, was Unzucht überhaupt wer - und Verführung von Seelen um sie dem dunklen Gott zu opfern. Eine ganze Mordserie werfen sie ihm vor, und behaupten, er sei im Dunkeltief geboren, gezeugt von einem Dämon der bei der Hure, die seine Mutter schließlich war, gelegen hatte, auch zum Dunkeltief. Und Arin hat zu allem Ja gesagt, tonlos und sich leer gefühlt, hat nur Angst vor den Hieben und den Grausamkeiten seines Bewachers, der ihn beständig am Genick gepackt hält.
Bitte tu mir nicht weh, denkt er, hört gar nicht richtig zu, was da geschieht, was man ihm vor wirft. Es ist ihm ohnehin egal: sie haben ihm zuvor eingeprügelt, was er zu sagen hat, aber er wird nicht einmal wirklich gefragt. Er darf nur ab und an eine Frage beantworten. Und immer sagt er: "Ja, euer Ehren. Das habe ich." oder "Ja euer Ehren, das ist wahr."
"Lasst mich zusammenfassen, euer Ehren. Dieses Kind ist gezeugt im Dunkel, von einem Dämon im Leib einer Hure, geboren im Dunkel und hat jetzt mit gerade mal 12 Morsan bereits 12 Tote auf seinem Gewissen. Mag er noch so harmlos und schüchtern anmuten.. das ist eine Dämonenbrut, die seine verdorbene Mutter unserem Herrn an den Busen gelegt hat. In seiner Treue und Fürsorge hat er das Balg genährt und so vergilt es ihm dies! Ich fordere die Höchststrafe." schwadroniert irgendwer salbungsvoll, aber Arin hört nicht so recht zu.
Wut bildet sich in seinem ausgemergelten Leib. Höchststrafe. Für was?
Ein Hammer klopft auf Holz.
"Somit verurteilen wir dich im Namen des Königs und der Gerechtigkeit der Viere zum Tode, Arin Magdsohn."
"Ich war es nicht!"
"Oh Arin.."
Die verzweifelte Stimme seiner Mutter durchschneidet den Knaben wie ein glühendes Messer, während er gepackt wird und man ihn davon schleift.
Die mitleidlosen Wachen des Herrns seines Herrn, Markgraf Wiesbruck, schleifen den sich wehrenden Knaben hinter sich her. Natürlich hat er keine Chance, wie denn auch?
"Halt."
Eine Frauenstimme durchschneidet den Tumult aus Leuten, die lautstark ihre Zustimmung kundtun und dem Geschrei der verzweifelten Mutter, die nunmehr nicht nur Witwe ist, sondern auch einen bald gehenkten, verurteilten Mörder zum Sohne hat.
"Ich fordere diesen Knaben für den Tempel."
Der Richter klopft mit dem kleinen, lackierten Hammer auf das Holz seines Tisches und die Narren, die keine Ruhe einkehren lassen, werden von kräftigen Hieben seiner Wachleute zur Raison gebracht.
Arin starrt die Priesterin in ihrer weit ausgeschnittenen Robe an. Eine Schönheit ist sie nicht, oh nein, dafür war sie zu alt, aber ihre leuchtenden grünen Augen fesseln den Blick. Gebieterisch weist sie mit anmutiger Geste auf Arin. "Dieser Knabe soll uns dienen und so seine Schuld an der Gesellschaft abbezahlen. Er ist ein Kind und damit stelle ich ihn unter meinen Schutz."
"Aber er ist ein Mörder, Priesterin." kontert der Richter, während die Soldaten den verzweifelt zappelnden Arin fixieren, aber wenigstens nicht länger in der Gegend herum zerren.
"Daran glaube ich nicht." gibt sie kühl zu verstehen und schreitet vor, wobei sich die Menge ehrerbietig vor ihr teilt; niemand wagt es, sich einer Dienerin Vitamas in den Weg zu stellen.
Marie schluchzt in ihr schmuddeliges Taschentuch und beobachtet mit nassen Augen die letzte, schmale Hoffnung für ihren Sohn an ihr vorbeischreiten.
Die Priesterin, Annabeth, soweit Arin weiß, ließ sich nun auch noch von einer Wache das Törchen öffnen, dass die Zuschauer vom Verhandlungsbereich abschneidet.
Nach all den Wochen im Kerker unter der harten, brutalen Hand der Wachen seines Herrn sieht er der Frau ängstlich entgegen. Er windet sich, als Annabeth die Hand nach ihm ausstreckt und auf seine geschundene Wange legt.
"Arin." spricht sie sanft, aber bestimmt. "Du blickst in die Augen einer Dienerin der Göttin! Wagst du es, ihr zu widerstehen?"
"N.. nein.." wispert er heiser und wimmert, will vor ihr zurückweichen. Er weiß selbst nicht mehr, ob er das Mädchen ermordet hat; nach Wochen im Kerker hat er nicht mehr gewusst, ob er nicht noch viel mehr Tote auf dem Gewissen hatte, nach all den Befragungen, dem Schmerz und der Angst und dem Hunger.
Die Wachen gestatten ihm keinen Fingerbreit Spielraum, einer greift sogar grob in sein schmutziges Haar, um den Kopf zu fixieren. So blickt er in ihre herrlichen Augen, die Eigenen weit aufgerissen, erschrocken, voller Angst.
"Hast du dieses Mädchen getötet, Arin? Die Göttin will es wissen."
"Nein! Nein! Ich war es nicht, die Viere sind meine Zeugen!" wimmerte er, und der Richter schnaubt abfällig.
"Weißt du, wer es war?"
"Nein.. a.. aber ich sah sie.. gefesselt und mit.. mit Leder im Mund.. " "Bringt dies zu Ende!" donnert sein Herr, der bis eben still zugehört hat, wenn auch mit verengten Augen. Und dann bricht neuerlich der Tumult los, als seine Wachen auf seinen Wink hin eingreifen.
Sie stürmen in die Menge, greifen nach dem Knaben, wollen die Dienerin davon treiben. Doch sie breitet die Arme aus, Licht umgibt sie, zart grün und golden, wie Ranken umschlingt es sie und sie tritt auf Wiesbrück zu. "Sieh mich an." fordert sie und klingt, als spräche eine zweite Stimme in ihrer Kehle. Der dicke Mann erschauert und weicht vor ihr zurück. Sie drängt nach, als die Wachen Arin erreichen und plötzlich wird alles dunkel um ihn, etwas schweres drückt ihn nieder.
"Alles wird gut, Arin." wispert Mama. "Alles wird gut. Ich liebe dich."
Sie klingt seltsam, während der Lärm rings herum gedämpft ist, angestrengt, aber ruhig. Dann verstummt sie und er riecht Blut, hört Schreie, klammert sich an den Körper seiner Mutter, weint leise.
"Mama... Mama, was passiert hier.. warum passiert das!"
Sie antwortet nicht.
Erst, als man sie später von ihm herunter nimmt, wird ihm klar, wieso.
Eine Wache hat versucht, ihn zu ermorden, während Wiesbrück floh - als Ablenkung, vermutlich. Schlussendlich war der Grund für Arin völlig egal: seine Mutter hatte den tödlichen Streich abgefangen und dafür mit ihrem Leben bezahlt.


Als er erwachte, verflog der Traum dieses Mal nicht wie Federn im Wind, und er starrte mit tränennassen Augen an die Decke.
Fyonn war nicht da... vermutlich hatte er nicht schlafen können, aber das war in Ordnung. Schlussendlich hatten sie Beide ihre eigenen Probleme, die es zu lösen galt, und Arin war längst nicht bereit, darüber zu reden, dass er für den Tod seiner Mutter verantwortlich war.
Und doch.. und doch.. war sie zu ihm gekommen, als was immer sie da jagte - der Dämon? - und hatte sich offensichtlich gefreut, ihn zu sehen. Ja, natürlich - Mütter liebten ihre Kinder, das war so, darum opferten sie sich auch, aber das nahm nicht die drückende, erstickende Schuld von ihm, die jedes Mal, wenn er sie beiseite schob, schwerer und schrecklicher wurde, einem Klingenball gleich, den er herunter zu würgen versuchte. Vielleicht war dies eine Möglichkeit, die Schuld ein wenig zu erleichtern, in dem er ihrer Seele half, wieder in Sicherheit zu kommen?
Vielleicht konnte er ihr dieses Mal sagen, wie sehr er sie liebte und sie vermisste?

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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamastreuner
BeitragVerfasst: 3.03.16, 21:10 
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Ein etwas krakeliger Brief, aber mit relativ wenigen Fehlern, findet sich im Ordenshaus. Die Handschrift ist deutlich die eines Anfängers.

Zitat:
Galadon, Vandrien, Minnfurt, Tempel der heiligen Winnara
Zu Händen von Mutter Annabeth


Liebe Mutter!
Das hier ist der dritte Versuch, einen Brief zu schreiben, und nur dank Tendarion und Fyonn ist er überhaupt lesbar. Sie haben so viel korrigiert! Meine Schreibkünste sind eine Schande für Astrael!
Vergib mir, dass ich so lange gebraucht habe, mich das erste Mal zu melden, aber es ist hier so unfassbar viel geschehen, dass ich kaum je dazu komme, mir Gedanken zu machen, was ich dir überhaupt erzählen sollte, weil alles kann ich nicht nieder schreiben. Mir tut jetzt schon die Hand vom Halten der Feder weh!
Wo fange ich an? Am besten am Anfang!
Wo ich bin, willst du sicher zuerst wissen.
Siebenwind!
Die legendäre Schicksalsinsel. Wie ich hier gelandet bin?
Das ist ganz einfach: ich war in einer kleinen Hafenstadt irgendwo im Herzogtum Taras, und hatte, naja, eine Meinungsverschiedenheit mit einem Händler. Ich bin davon gelaufen und irgendwie ganz zufällig auf einem Dach gelandet, von da ins Hafenviertel gelaufen und über ein Lagerhaus vor den Wachen, die er mir nach geschickt hat, auf ein auslaufendes Schiff gesprungen... ich bin in der Takelage hängen geblieben, und hab die verdutzten Matrosen gefragt, ob ich Arbeit haben kann. Die haben gelacht, mich eingefangen und zu ihrem Kapitän gebracht, und der war einverstanden, auch wenn ich kein Geld dafür gekriegt habe. Trotzdem waren sie alle sehr nett und ich habe viel gelernt!
Mitten im Morsan, gut 3 Wochen, bevor das Dunkeltief begann, bin ich angekommen, und ziemlich direkt hat mich ein geflügeltes Monster (Tendarion sagt, es war eine Harpiye) angegriffen! Aber ein Fey (so nennen sich die Elfen selbst! Das klingt hübscher, oder?) und ein Magier haben mich gerettet und der Fey hat mich nach Falkensee begleitet. Das war zu dieser Zeit die Hauptstadt des Lehens, und auch der Haupttempel stand dort. Ich fand mich sofort zurecht und wurde von der Gemeinschaft hier herzlich aufgenommen, und wurde sofort eingebunden. Ich hab gelernt, Wunden zu säubern und zu versorgen und kann sie mittlerweile sogar nähen, und wie du siehst, übe ich mich sogar im Schreiben (brr). Ah, so viel ist passiert!
Nicht nur gutes, nein.
Während ich noch mit meinem Mentor (Tendarion sagt, das heisst so, auch wenn es komisch klingt) Tendarion Silberglanz (auch ein Fey!) und den Barden Fyonn Sperling näher kennen lernte, gab es hier gewaltige Schlachten zwischen Galadon und Cortan! Galadon ist hier wirklich nicht gut aufgestellt, irgendwie hat der damalige Kanzler soweit ich das mit bekommen hab eine Menge unfassbaren Mist gebaut, was das Ganze nur schlimmer gemacht hat.
Im Dunkel habe ich dann sogar einen Satai gesehen - mehrmals sogar, und er sagt von sich, er wäre (hier ist ein Astraelauge zum Schutz gegen die Dunkelheit aufgezeichnet) der höchste Heermeister des Einen (hier neuerlich das Auge). Und der griff mit seiner Armee Falkensee an, nahm es im Handumdrehen wie damals die Dunklen Minnfurt - sogar noch schneller, irgendwie - und belagerte dann den Tempel!
Wir, das heisst Fyonn und ich, wurden weggeschickt, dann haben wir gesehen, wie in Falkensee Feuer regnete und dann ist ein gewaltiger Dämon am Himmel erschienen, höher als.. ein Gebirge, glaube ich, und Maynagh! Da staunst du, was?!
Sie haben sich geschlagen und sind wieder verschwunden.
Gleichzeitig ist diese Sache mit dem Weltenstein passiert, ich glaube, du weißt, was ich meine, der Horlaf! Der Splitter von diesem Kampf ist HIER gelandet! Auf Siebenwind! Die Dunklen haben ihn sich geschnappt, während wir verzweifelt den Tempel zu halten versucht haben, aber Gnaden Myrandir, ein weiterer Fey im Dienste Bellums , musste ihn aufgeben, als die Dunklen drohten, die Stadt mit allen darin an zu stecken, wenn wir nicht endlich gehen. Wir bekamen freies Geleit nach Brandenstein, wo wir mittlerweile leben, in einer großen Kathedrale, und der Tempel wurde geschleift, Falkensee ist nun eine "freie Stadt" unter endophalischer Herrschaft, Brandenstein gehört weiter Galadon und der große Teil vom Rest ist entweder cortanisch oder kairodunitisch. Tendarion guckt mich kritisch an, während ich das vorlese, ich glaube, es ist so nicht ganz richtig.
Wo war ich?
Während des Dunkels sind hier ständig irgendwelche Seelen herumgeschwirrt, die haben wir eingesammelt und dann dem dritten Sohn Galtors, Feran, übergeben. Der hat Flügel und ist ein Horwah! Er kam in Falkensee auf dem Markt das erste Mal, später dann in die Kathedrale, wo er die Seelen eingesammelt hat. Aber es sind noch einige hier - stell dir vor, sogar die von meiner Mama! Aber irgendein (neuerlich das Auge Astraels) Dämon (wieder das Auge) jagt diese Seelen und wir müssen sie retten. Sie hat mit mir geredet, Mutter Annabeth... und ich hatte nichts besseres zu tun als verwirrt zu sein... Wir werden sie retten!

Ausserdem bin ich nun Novize im Orden des lieblichen Kelches.
Da staunst du, was?!
Fyonn und ich sind gemeinsam als Anwärter eingetreten und haben vor vielleicht 3 Wochen die Weihe erhalten. Das war so: ein Kind tauchte auf und erzählte, dass seine Großmutter im Schnee liegt, verletzt, und Hilfe braucht. Wir sind sofort hin und wollten ihr helfen. Sie war in einem Tellereisen gefangen! Scheussliche Dinger. Wir haben sie befreit und die Wunde im Bein versorgt, und die ganze Zeit hat sie geschimpft, uns beleidigt, war ganz schrecklich unausstehlich, aber ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass ich gute Laune gehabt hätte, wenn mein Bein in diesem hässlichen Ding gesteckt hätte...
Dann plötzlich aber ist sie von einer Menschenfrau zu einem grünen Leuchten geworden und wir haben uns glücklich gefühlt und warm (trotz eiskaltem Regen) und sind umgekippt und haben dann lauter Hospitäler und Siechhäuser auf ganz Tare gesehen, wo die Oma bei den Leuten saß, sie versorgte, die sonst keiner mehr versorgen wollte, weil sie schlimme Sachen hatten wie die Pest. Die Leute flüsterten Gebete zu Mutter und zu Valuni - wir glauben, dass die Frau Valuni ist, und sie jagt soweit wir wissen nun sogar den Splitter vom Weltenstein, zusammen mit Feran!
Wir glauben auch, dass sie ein Horwah ist, hast du schon mal etwas von Valuni gehört?
Jedenfalls hat uns die liebliche Mutter damit gezeigt, dass wir ihr willkommen sind in ihren Diensten und darum sind wir nun Novizen. Tendarion sagt immer, wie stolz er auf uns ist!
Ausserdem war ich mit der Litheth unterwegs, einem Schiff das unter Kapitän Lazalantin (ich darf ihn Tintin nennen, das ist viel angenehmer..) und wir haben eine böse, gehörnte Hexe erledigt (also eigentlich haben Tintin und Halgrim und Herr Tasandana sie erledigt, ich habe nur panisch geschrien) und wir haben einen alten Mann und seine Frau gerettet, dabei hat mir die gütige Mutter anscheinend erlaubt, sie vor dem Ertrinken zu bewahren!
Als Belohnung gab es ein bisschen magisches Explosionszeug, das hat Tendarion aber weggeschlossen. Besser ist das!
Ich werde hier einen Segensbaum pflanzen, du weißt schon, wie der auf dem Damm, und ich leite mit Fyonn zusammen eine Kunstakademie in Falkensee. Und ich hab' ganz viele Tiere, wie Stinker den Hund.

Jetzt stell ich dir ein paar meiner Freunde vor, aber es ist zu viel, um alle zu erwähnen, ich mag nur dass du einen kleinen Eindruck kriegst.

Bruder Rodrik, der Kaplan von Burg Schwingenwacht, hat Fyonn und mir Pferde geschenkt, Harmonie heisst meine Stute und ich lerne durch viel Ausprobieren das Reiten.Ich hab ihn sehr lieb, auch wenn er gerne grummelig tut, und bringt sich dauernd in Schwierigkeiten. Klar, er ist ein Bellumsdiener, ich glaube, die müssen das so machen, oder? Rodrik hat mir von Rorsa erzählt und gesagt, er war bei Erik bei dessen letzten Kampf, und ich habe für ihn eine Kerze in einem Rorsaschrein in der Ritterburg entzündet. Er isst gerne Tintenfisch auf Brot, das ist sooo igitt!

Vater Tion Altor ist Hochgeweihter des Bellumsordens und ein älterer, gestrenger Mann, aber ich glaube, er tut gerne nur so, weil er mir auch erlaubt hat, auf dem Tisch zu sitzen und zu singen, aber er mag es nicht, wenn ich mich aus ziehe zum Umziehen, da kriegt er jedesmal fast einen Herzanfall. Die sind hier manchmal so prüde!
Aber er stützt und beschützt uns. Neulich hat er sich einem Dämon als Opfer angeboten und ihn überlistet! Das muss man sich mal vorstellen! So viel Mut hätte ich nicht.

Vater Philip, ein Diener Morsans. Er ist sogar noch älter als du, aber total lieb und freundlich und findet es nicht schlimm, dass ich die Krypta gruselig finde. Er hat vor dem Dunkel die Predigt abgenommen und war dabei so sanft, dass ich mich nicht einmal gefürchtet hab (und wenn man sich beruhigt hat, ist es da unten gar nicht mehr so gruselig! Aber pscht!). Er betet immer vor dem Essen zu Morsan, dass er sich nicht mästen will - warum? Sollte ich ihn vielleicht einmal fragen, und ihm sagen, dass wir ihn bestimmt nicht schlachten wollen!

Halgrim Goldaxt, ein weiterer Novize vom Orden des heiligen Schwertes ist, wie du dir bei dem Namen bestimmt denken kannst, ein Zwerg, oder Bart oder Dwarschim, wie sie sich selbst nennen. Er mag es nicht zu Baden, findet abgesehen von Fleisch und Brot alles andere Essen doof (auch wenn er mein Rührei mit Käse gegessen hat!) und hatte trotz einer unfassbaren Abscheu gegenüber Wasser den Mut, auf der Litheth mit zu fahren (zum Glück! Wer weiß, wie das ohne ihn ausgegangen wäre...).

Anwyn Seelenspiegel, noch eine Fey. Sie ist im Orden des allsehenden Auges und eine wahre Schönheit, aber viel toller finde ich, dass sie klug, selbstsicher und scharfzüngig ist - und wahnsinnig gerne lacht. Sie nennt Fyonn und mich gerne ihre Musen, und tut, als schimpfe sie gestreng, nur ist sie das nicht. Leider steckt sie ihre schöne Nase ständig in irgendwelche Bücher und ist so kaum da!

Lazalantin, den hab ich ja vorhin schon erwähnt. Er ist ein Priester von Ventus, und arg wechselhaft, aber wenn er Ruhe hat, ein ausgesprochen gutgelaunter Geselle. Er hat mir während des Dunkels das Leben gerettet, als mich irgend so ein Eisdämonendingsbums angegriffen hat, das war genauso beängstigend wie es klingt und mindestens ebenso spannend. Bei der Schiffsfahrt sagte er, das wäre völlig harmlos und ungefährlich, und jetzt weiß ich, dass wenn er das sagt, man wenigstens einen oder mehr Bellumsdiener dabei haben sollte!
Was wohl erstmal ist, wenn er sagt, etwas wird gefährlich?

Maluk ist ein junger Soldat, der einiges durchgemacht hat, und manchmal arg launisch sein kann. Trotzdem ist er immer für mich da, hat mir sogar ein Wachhorn geschenkt, falls ich in Schwierigkeiten gerate. Ich hoffe echt, ich brauche es nicht. Er war auch ganz schön sauer auf mich, als ich dem Trollkind Hrogar geholfen hab, weil er dachte, das frisst mich, aber das hat es nicht. Ehrlich!

Tendarion hab ich ja nun ein paarmal schon erwähnt, der ist hier der Leiter des lieblichen Kelches, obwohl er für einen Fey arg jung ist. Mutter höchst selbst hat ihn kurz nach dem Dunkeltief erwählt als Geweihten, erschien als eine Nebelgestalt - so schön! Ich finde keine Worte dafür! - und ihn geküsst, nun trägt er auf der Stirn ein Mal in Form eines Kelches, dass nicht mehr fort geht.
Er kommt aus Draconis und sein Vater ist ein Kommandant der Stadtgarde dort, und womöglich kannte er meinen Vater, er schreibt ihm und fragt ihn, vielleicht erfahre ich dann mal ein wenig mehr von Vater...

Fyonn Sperling - mein Lebensgefährte, Mitnovize, ein umtriebiger Barde. Er ist halb Endophali und war früher Schafzüchter, und jetzt ist er irgendwie Stadtradt in Falkensee und Leiter der Hospize und der Kunstakademie und Archivar der Bücherei und ich bin echt froh, wenn ich ihn zwei, drei Tage die Woche mal sehe, aber das ist es wert! Du würdest ihn lieben, glaube ich, fröhlich, aufgeweckt und klug, wie er ist.

Ich könnte noch soooo unfassbar viel erzählen, aber langsam kann ich die Feder nicht mehr gerade halten.. ich schreibe dir ein andermal weiter, das Schiff, auf dem der Brief mit reisen darf, fährt in der Frühe und ich muss ihn noch zum Hafen bringen.
Hab dich lieb, Mutter Annabeth, gib auf dich acht!


Möge die Mutter dich beschützen,

Novize Arin Sperling

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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamastreuner
BeitragVerfasst: 5.03.16, 01:01 
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Ein krakelig beschriebenes Hadernblatt voller Fehler findet sich auf dem Tisch im Ordenshaus. Viel ist durchgestrichen, neu geschrieben, es ist ein Krampf, das zu lesen.


Zitat:
Gebete

Astrael

Kluges Auge
weises Wort
treibe unsre
Schwäche fort
Lug und Trug
bestehen nicht
unter deinem Angesicht!

Morsan

Herz das rast,
Geist der schweift,
Blick der irrt,
der Rabe trägt
zu deinem Kind
mit schwarzer Schwing
nur Ruh' und Frieden.

Bellum

Angsterfüllt,
Schweißgebadet,
fürchtet sich
das treue Herz
vergib die Angst
stehn wollen wir
nicht entfliehn
dem Schrecken,
dem Schatten,
der Finsternis,
glühen wir
in reinstem Licht
dir zur Ehr!

Vitama

Immerdar und Immerfort
dir treu ergeben.
geliebte Mutter
Freudentränensammlerin
sei mit uns,
wir sind mit dir
immerdar und immerfort
dir treu ergeben!

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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamastreuner
BeitragVerfasst: 18.03.16, 12:27 
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Es ist nicht wahr - es ist nicht wahr - es ist nicht wahr - es ist nicht wahr - ES IST NICHT WAHR!
Diese zum Mantra gewordenen Worte halfen ihm, die Angst zurück zu treiben, als er aufgeschreckt ist, und für einen Moment völlig orientierungslos im Zwielicht der nächtlich stillen Kathedrale da sitzt. Die kalte Wand in seinem Rücken, der warme Körper an seiner Seite, an seinem Kopf holen ihn rasch zurück in die Realität, in das Hier und Jetzt, und er schmiegt sich in Fyonns Arme hinein, dreht den Kopf, späht zu seinem Gefährten hinauf. Gut, dessen Kopf sitzt noch genau da, wo er hin gehört, da, wo er ihn am liebsten hat: fest verbunden und kerngesund auf dem Hals, den er so gerne küsst. Er schaudert vor Erleichterung, schließt die Augen, reisst sie aber sofort wieder auf, als ungebeten die Bilder der Mission vom Vorabend zurückkehren, doch er kann sie nicht stoppen: der Kerker einer Burg - vielleicht die in Brandenstein? - und Tion, Tendarion um ihn, die Anderen fehlen. Die Vizekanzlerin stand vor dem Gitter, gut zu sehen ein blutiger Richtblock.
"Hexer!" hat sie geschrien, voller Verachtung, und erklärt, sie hätten sich dem Dämon angeschlossen und mittlerweile alle gestanden.. der Rest wäre bis auf einen bereits tot. Dann öffneten sich irgendwo schwere Türen, Schritte, Tendarion hatte ihn fest gehalten und beständig auf ihn eingeredet, ihn daran erinnert, dass dies alles nicht echt war, eine Illusion, darauf abgezielt, ihrer aller Wille zu brechen. Und fast hätte es geklappt!
Tions Stimme hatte laut und vehement ein Gebet rezitiert, gegen die Bösartigkeit dessen, was man sie nun mit an zu sehen zwang...
Trotz, dass er durch Tendarions Haar und Tions Beine auf dem Boden knieend nicht alles sehen konnte, war nur zu deutlich gewesen, wer dort auf den Hof geschritten kam, demütig seine "Schuld" eingestehend, um sich dann vor den Richtblock zu knien. Die falsche Marnie hatte die Axt erhoben und während Arin noch verzweifelt an Tendarion klammerte und atemlos 'es ist nicht wahr' hinunterbetete, war das Mordwerkzeug hernieder gefahren und hatte Fyonn seines Hauptes beraubt.
Arin hatte nur zu deutlich das Blut vor Augen, den herab fallenden Kopf, der traurig und mit eingefrorenem Entsetzen davon gekullert war, um vor der Zelle liegen zu bleiben, die geliebten Augen weit aufgerissen, anklagend erhoben...
Lichter waren erschienen, Seelen, hatten die falsche Marnie angegriffen, ihre Hilfe mit sirrenden Stimmen verkündet und die drei Gefangenen befreit, und Arin war sich sicher, dass Tendarion genauso erschüttert war wie er selbst, auch wenn der Elf weit besser damit um zu gehen wusste als der Novize selbst. Natürlich, Tendarion war ja nicht umsonst Geweihter!
Die Seelen hatten sie mit genommen, in eine furchtbare, alptraumhafte Version Falkensees, voller Leichen und Blut und Trümmer, Ratten und Rauch und Lärm. Doch dort hatten Guntram, Philip, Janus und Fyonn auf sie gewartet, diesmal die Echten, und sie konnten sich sammeln, von dort weiter ziehen, mit Hilfe der entflohenen Seelen. Arin hatte sich an Tendarion und Fyonn fest gehalten, hatte vage geahnt, dass er alleine hier an diesem Ort verloren gewesen wäre, dass er das "schwächste Glied" in der Kette dar stellte, weil er zwar wusste, ganz genau wusste, dass nichts hier von echt war, aber keinen Schimmer davon hatte, wie man damit um ging, sich ab schirmte, seine Gefühle, sein Herz schützte.
Die Seelen hatten sie in einen unterirdischen Komplex gebracht, wo die restlichen Seelen gefangen waren, die sie letztendlich befreien konnten und den Angstdämon aufsuchten. Der verbarg sich hinter Statuen, doch die Gebete der Geweihten zerschmetterten die falschen Körper mit der Macht der Viere, und die Kreatur, groß und unfassbar alptraumhaft verzerrt, hatte sich zum Kampf gestellt - sehr zu seinem Nachteil, denn die Geweihten waren nicht willens, ihn entkommen zu lassen und zerschmetterten die abscheuliche Monstrosität. Schlussendlich wurde der Dämon in seine Ebene zurück geschleudert, und Philip besänftigte die hilfreichen, befreiten Seelen, um sie zu Morsan zu schicken.
Tion gestattete Arin sogar noch, sich von der Seele seiner Mutter zu verabschieden, was er schlussendlich tat.
"Ich wollte dir nur sagen.. ich.. danke dir.." hatte er unter Tränen hervor gebracht, und sie hatte nur geflüstert, wie stolz sie auf ihn war: "Mein größter Dank ist, dass du zu so einem wunderbaren Jungen herangewachsen bist."
Dann war sie fort - dieses Mal für immer, und er würde nicht länger um sie trauern müssen.
Endlich endete der Gedankenstrom, der ihm die Tränen in die Augen getrieben hatte, und hastig, verstohlen, tupfte er sich die Augen trocken, küsste sanft den schlafenden Fyonn und schloss die Augen wieder. Tendarion hatte recht... es half, darüber nach zu denken, gleich wie weh es tat.... beruhigt und erleichtert schlief er wieder ein, und dieses Mal schreckten ihn keine Alpdrücke; Lifna hatte ein Einsehen und hielt schützend ihre Schwinge über den jungen Novizen und seinen Gefährten.

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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamastreuner
BeitragVerfasst: 8.04.16, 09:23 
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Sorgfältig zog er den Streifen Stoff um den Knotenpunkt der Äste des kleinen Bäumchens und führte ihn vorne zusammen, um eine feste Schleife zu binden. An den Rändern franste das Material bereits aus, aber das störte ihn nicht weiter. Er ließ den Streifen los und beobachtete vergnügt, wie er sich im Wind bewegte, nach einer Weile über die noch junge, glatte Rinde glitt und zu flattern begann.
Arin hatte den Streifen fest gebunden, in der Hoffnung, wenn das Bäumchen wüchse, nähme es diese Gabe, dieses Dankesgeschenk an die Mutter, in sich auf, denn es handelte sich um ein Stück des Lakens, auf dem Fyonn und er ihre erste Nacht als Rosenbundpartner verbracht hatten. Es war mit ihrer Beider Duft getränkt und erschien ihm als angemessene Gabe: eine kraftvolle Erinnerung einer Nacht voller Liebe, Leidenschaft, Zärtlichkeit und Geborgenheit.
Langsam sank er vor dem Bäumchen in Valunis Refugium auf die Knie. Noch war es kühl, Fela hing noch ein wenig verschlafen in Rilamnors Mantel fest, hatte aber die Sterne bereits in großen Teilen zum Verlöschen gebracht und auch die Monde hatten sich bereits vor dem Himmelsdrachen geflüchtet. Kurz schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass sie flohen, weil Fela womöglich dereinst mit ihnen Ball gespielt hatte? Wer weiß, ob so ein Drache sich nicht von Zeit zu Zeit auch einmal langweilte!
Sorgfältig zog er eine Raute in die Luft, dann ließ er einen Kelch folgen und senkte das Haupt, die bloßen Hände in die feuchte Erde zwischen den frischen Wurzeln pressend. Dort ruhten die ersten Gaben und Wünsche und Hoffnungen, dort glomm ein zartes Licht der Freude.
Valuni selbst war herabgestiegen - na gut, eher aus der Kathedrale gezuckelt.. durfte man so etwas über einen Horwah denken? - und hatte ihnen ihren Segen geschenkt. Und doch war ihm klar, warum sie obwohl sie es gewiss mühelos hätte tun können, den Baum nur zur Hälfte hatte sprießen lassen:
Er musste noch wachsen, so wie die beiden Novizen noch wachsen mussten, und er ahnte vage, dass Fyonns und seine Taten, ihr Weg, eng mit diesem Baum verknüpft sein würde.
"Hörst du, Vater?" flüsterte er den sanft rauschenden Zweiglein und Blättern entgegen. "Hörst du das Lied des Segensbaumes? Noch klingt es leise, doch bald, bald schon wird man es in Morsans Hallen hören, und dann weißt du, dass ich dich nicht vergessen habe."
Arin hatte keine Ahnung, warum er das so sagte, nur, dass es sich richtig anfühlte.
Langsam richtete er sich wieder auf und blickte in den heller werdenden Himmel, auf dem sich heute Morgen mal nur wenige Wolken tummelten; es versprach, ein sonniger, klarer Tag zu werden, vielleicht sogar ohne Regen. Er würde Fyonn schnappen und ein Picknick mit ihm veranstalten, sobald er die Tiere gefüttert hatte: auch direkt nach dem Bund war das eine Pflicht, der er sich nicht entziehen konnte und wollte.
Munter sprang er auf, ächzte, als er wieder spürte, wie ihm eigentlich so gut wie alles weh tat, lachte heiter und beschloss, erst Einmal mit seinem Gemahl ein Bad zu nehmen, bevor er sich über weitere Details des Tages Gedanken machte.
"Gute Idee, Herr Sperling." summte er und wandte sich ab, um davon zu rennen - wie fast immer war "normales Gehen" eine Geschwindigkeit, die er zu ignorieren pflegte.

Das klang gut: Arin Sperling.

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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamastreuner
BeitragVerfasst: 10.04.16, 13:53 
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Mittlerweile war er ziemlich durchgeweicht und fror. Es war kaum noch aus zu halten, also stand er auf, wobei seine Glieder im ersten Moment den Dienst versagten, und streckte sich lustlos, ohne Elan. Ein trauriger Blick zu dem heiligen Bäumchen, dass ihm die letzte Nacht über mehr schlecht als Recht Schutz vor dem dauernden Regen geboten hatte, dann trottete er auf das Ordensgelände, dieses Mal ohne die Templer zu grüßen. Zwar hatten sie ihm Nächstens Decken angeboten oder ihn ins Haus zu bringen, aber er hatte sie ignoriert - nicht bewusst, einfach tief in Gedanken versunken, die sich beständig, auch jetzt noch, in trägen Kreisen bewegten.
Tendarion hat mich in Watte gepackt und tut das jetzt nicht mehr. Tion sagte, ich soll so bleiben, wie ich bin, aber ich soll auch nicht mehr so kindisch sein. Was jetzt? Warum werden wir bestraft, ohne dass klar ist, was eigentlich falsch ist? Warum ist Tarnuk so über uns drüber gefahren, unsere Bitte um Hilfe ignorierend, Fyonn alles nehmend, was ihm etwas bedeutete? Und dann auch noch tuend, als mache er ihm damit ein großes Geschenk? Erst hatte er es als Vorschlag klingen lassen, dann, als Arin mit wachsender Sorge um Fyonn um Hilfe bat, den Wahnwitz im Zwist zwischen Tendarion und Fyonn endlich zu beenden, hatte der neue alte Abt sie abgekanzelt und vor die Wahl gestellt, den Anweisungen - nicht Vorschlägen, wie es zuvor geheißen hatte - zu gehorchen oder zu gehen.
In diesem verwirrenden, absurden Moment, in dem sie Tarnuk ausgeliefert waren, war etwas in Arin kaputt gegangen, das konnte er fühlen: die Scherben brannten in seinem Bauch, in seiner Kehle. Er hatte, überlegte er, während seine nackten, kalten Füße ihn aus dem Tor hinaus auf die Felder trugen, eine ganze Weile gebraucht, bis er begriffen hatte, was genau ihn so unfassbar ermüdete, was er eingebüßt hatte:
Vertrauen.
Das hatte er verloren, in dem Augenblick, wo der ihm und Fyonn fremde Tarnuk sich ohne sich für das, was geschehen war, zu interessieren, eingemischt hatte. Sicher, er hatte das Beste gewollt, aber wie konnte er erwarten, dass die beiden Novizen ihm einfach vertrauten, wenn er obendrein die Bitten um Hilfe in den Wind schlug? Er wolle sich nicht einmischen.. ja, das tat er doch aber, wenn er Fyonn bestrafte und ihn abkanzelte wie einen Soldaten, ohne zu wissen, was eigentlich los war?
Er wusste nicht so recht, wo er hin wollte, und wunderte sich einen Moment lang, als er beim Schafsgatter an gelangte und ihn die Tiere begrüßten, hungrig, aber auch freudig. Doch das Geblöke verlor sich rasch, als er mit matten, steifen Bewegungen auf die Weide kletterte und sich daran machte, die geliebten Schafe und Ziegen zu versorgen, ohne mehr als eine flüchtige Berührung für sie übrig zu haben.
Dass Tendarion sie abgegeben hatte, weil er überfordert war, verstand er. Das warf er ihm auch nicht vor. Dass er sie jedoch einfach Tarnuk überlassen hatte, offenbar mit dem Auftrag, Fyonn irgendwie gerade zu biegen - was war überhaupt falsch mit ihm? - das war schon etwas, dass ihn wütend machte. Und das mochte er nicht. Er wollte nicht wütend sein, weder auf den geliebten Mentor und Freund, noch auf Tarnuk noch auf irgendwen sonst.
Also blieb nur, die Wut nach Innen zu richten, wie zuvor stets die Sorgen und Ängste, und sie zu vergraben. Ganz tief.
Tions Worte am Abend hatten nicht geholfen, im Gegenteil - er war noch müder aus dem Gespräch hinaus gegangen als er hineinbeordert worden war. Der Alte verstand nicht, was das Problem war, vermutete Arin während er arbeitete, aber er bedachte dabei nicht, dass er als einzelner Ausbilder mit Erfahrung nicht an seinen Novizen herum zerrte, und dass sie ihn kannten und ihm vertrauten.
Als er fertig war, kauerte er sich in einer Ecke der Weide zusammen und merkte kaum, wie die drei Lämmchen zu ihm kamen und ihn zum Spielen aufforderten, sich schließlich, als er nicht reagierte, an ihn schmiegten und ein wenig schliefen. Ihre Wärme tat seinem ausgekühlten Leib gut, aber er merkte es nicht.
Es hatte nicht lange gedauert, seine magere Habe aus zu sortieren und mit dem bisschen Gold, was er besaß, eine Passage für sie Beide zu erwerben. Venturia.. er hatte keine Ahnung, wie es dort aussah, und es interessierte ihn auch nicht. Er wollte hier bleiben, aber mit ansehen, wie es Fyonn zerriss, weil alle an ihm herum zerrten, das kam auch nicht in Frage.. Tarnuk hatte in einem Punkt völlig recht: er war der Abt, sie hatten zu gehorchen.
Was sollte, was konnte er, Arin, schon tun?
Nichts.
Und mit dieser erschöpfenden Erkenntnis schlief er endlich ein, eingemummelt zwischen lebendigen, warmen, weichen Schafspelz.

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