Draconis im Triar 27 nach Hilgorad
Behutsam legte die schwarzhaarige Elfe die Gänsefeder mit der aufwendigen aus Gold gefertigten Federspitze auf das Hölzchen das verhindern sollte, dass der kostbare Eichentisch, mit den Tra'avain-Verzierungen in Form eines Kelches und einer Unzahl an Ranken und Blüten, mit Tinte beschmutzt werden konnte. Ihr Raum, der direkt an den großen Garten ihres gemeinsamen Hauses anschloss war ihre letzte Verbindung zu ihrer Herkunft geworden. Sie war bestrebt soviel der Kunst und des Wissens ihres Volkes - der Fey'amrai - aufrecht zu erhalten, wo sie doch mit ihrem Glauben und ihrem jetzigen Leben schon so sehr mit ihren Wurzeln gebrochen hatte.
Und doch war es nicht ihr Wille in dieser Stadt ein Zuhause zu finden. Es war auch niemals ihr Wille sich den Vieren zuzuwenden. Und schon gar nicht einen Fey'haim als ihren Seelengefährten auserkoren zu haben. Und doch wollten es die Viere so wie es kam. Sie war da zu verpflichtet worden Grenzen zu überwinden. Das Terthao zurückzulassen um zu erkennen, dass ihr Volk doch schon solange den Vieren diente. Gleichgültig wie sie es nannten, ob sie Kirchen bauten, ob sie Symboliken verehrten.
Sie dachte nicht mehr oft daran wie sie Telendarion und seinen Bruder Celedir kennenlernte. Denn so sehr diese beiden Männer ihr Leben lebenswert machten, war ihr Zusammentreffen stets eng verbunden mit dem Tod all jener die in der kleinen Gemeinschaft lebten, in der sie einst lebte. Lange gab sie den beiden Fey'haim und allen die gegen Galadon und für Galadon und die Krone kämpften die Schuld daran, dass ihr Heim verbrannte, ihre Familie unter Qualen sterben musste. Celedir zerbrach unter ihrem Zorn. Telendarion zähmte sie jedoch, wie die ungezügelte, untröstliche Bestie die sie geworden war. Und so ging er mit ihr jeden Tag, unter dem verurteilendem Blick seines Vaters, zum Ordo Vitamae um ihr wieder eine neue Perspektive zu geben. Ihre Kenntnisse in der Heilkunst für das Rechte einsetzen zu können. Und am Ende war sie es nun, die ihr Knie vor der Krone beugte, als eine Hochgeweihte der Herrin Vitama.
Als ihr Blick über den in Auriel verfassten Brief glitt, zog sich ihre Brust eng zusammen. Sie wollte diese Zeilen noch ein letztes Mal lesen, ehe sie den Brief an den nur ihren bekannten Aufenthaltsort Celedirs sandte. Ein Geheimnis, das sie nun schon seit einigen Jahrhunderten vor ihrer Familie verbarg.
Zitat:
Mein geliebter Bruder,
es ist nun schon einige Götterläufe her, als ich dir zuletzt schrieb und dann will ich dich auch mit einer Bitte behelligen die selbstsüchtiger nicht sein könnte.
Ich weiß, dass es dein Wunsch war dich mit Telendarion auszusöhnen und die Kinder deines Bruders wieder zu sehen. Doch ich kann dir nur davon abraten. Telendarions und die deinen Eltern sind nach Draconis zurückgekehrt. Auch wenn dein Vater dich vor den Augen deines Bruder glorifiziert und als etwas für deinen Bruder unerreichbares darstellt, spüre ich den unterschwelligen Groll, den dein Vater dir gegenüberhegt. Es schmerzt mir in diesen Zeiten einem Kind der Viere davon abraten zu müssen seine Familie anzutreffen, doch möchte ich nicht deine guten Absichten und dein hehres Ansinnen zerstört wissen, ehe du noch dazu kamst, dich mit deinem Bruder ausführlich unterhalten zu können.
Telendarion, unsere Kinder und auch ich sind wegen des Krieges von den frühen bis in die späten Zyklen stets unterwegs oder arbeiten von zu Hause unsere Arbeit ab. Wir mussten gar dazu übergehen jemanden zu bitten, für die Ordnung im Haus zu sorgen. Du weißt, wie sehr es mir stets widerstrebte, die Arbeiten, die das Wohl meiner Familie beinhalteten, nicht selbst erledigen zu können. Demnach wirst du schon alleine an diesen Umstand erkennen, dass sich vieles in Draconis verändert hat, das mich dazu veranlasst, dir davon abzuraten, hierher zu kommen. Denn hier wirst du kein ruhiges Heim finden, in dem man dich mit offenen Armen aufnehmen wollen wird, sondern viel mehr einen Hort von Angst, Unsicherheit und nicht zu bändigender Arbeit. Wo meine Worte in deinen Augen sich zurecht wie ein Flehen lesen, unter keinen Umständen herzukommen, so will ich dir auch den Grund nennen, warum ich dich nicht hier, an einen Ort, an dem du nur Unbill und Ablehnung erfahren würdest, wissen will, sondern viel mehr an einen Ort, wo deine Anwesenheit genauso benötigt wird und auch den Grund meiner Bitte erklärt.
Tendarion lebt nun schon seit einem Götterlauf nicht mehr in Draconis. Das ständige Drängen Telendarions, dass sein Sohn sich höheren Aufgaben zuwenden sollte, verschüchterte meinen lieben Sohn derart, dass er ganz das Festland verließ und sich nach Siebenwind aufmachte. Der Inhalt der Briefe, die ich seither von ihm bekam, waren bewundernswert und erschreckend zugleich. Mein geliebter Sohn ist über alle Maße über sich herausgewachsen und hat die Weihe im Namen der Herrin empfangen und gleichsam hat ihn sein neues Leben derart verändert, dass ich die zarte Pflanze, die ich vor nicht allzu langer Zeit aus meinen Schutz entließ, nicht mehr wiedererkenne. Einst war er eine Knospe einer Pflanze, deren Art sich noch herausstellen sollte und nun war er binnen kürzester Zeit zu einem unnachgiebigen Baum geworden, der sich gegen alle Elemente stellt, als gäbe es nichts, was ihm trotzen könnte. Sage mir, mein geliebter Bruder, was muss mit einem Fey geschehen, dass so ein schneller Wandel ihn nicht mehr wiedererkennbar macht? Was muss auf dieser Insel Siebenwind geschehen, dass ein so unschuldiges Wesen jedweder Unschuld beraubt wird? Er sprach von der Liebe zu einem Menschen. Ich sorge mich darum, dass er manipuliert wird in seiner Naivität, dass er nicht erkennt, dass man ihn ausnutzt und zu etwas macht, was er selbst nicht werden will. Oh, Celedir, wie wünschte ich, ich könnte diese meine Ängste ablegen und zu ihm gehen.
Du erinnerst dich gewiss daran, als ich dir den Brief schickte, als mein geliebter Sohn geboren wurde. Wie du uns aufsuchtest, als Telendarion für einige Wochenläufe aufgrund seiner Arbeit nicht zugegen war. Das einzige Mal wo du ihn sahst und nie habe ich das Bedauern in deinem Blick vergessen, als du mich ansahst und du mich stumm fragtest, warum du nicht sein Vater sein konntest. Doch wisse, das Kind, dass du damals in den Armen hieltest, das nun ein Mann und ein Geweihter der Herrin ist, wurde uns beiden von Vitama selbst geschenkt. An dem Tag als dein Bruder bei mir lag und ich Tendarion empfang, habe ich deinen Brief erhalten, in dem du mir zwischen den Zeilen so unmissverständlich deutlich machtest, wie du dich noch nach all dieser Zeit nach mir sehntest. Telendarion und ich wollten kein weiteres Kind mehr. Doch war es dein Gesicht was ich sah, als ich die Augen schloss und ich spürte, dass die Herrin nicht mir und deinem Bruder ein Kind schenkte, sondern dass dieses Kind das deine sein sollte. Vitama weiß, wie sehr ich deinen Bruder liebe und ihm all die Jahrhunderte nicht einmal untreu war und auch fortan nicht sein werde. Doch sie wollte dir, Celedir, mein geliebter Bruder, etwas schenken, was ich dir nicht geben konnte und geben kann.
So bitte ich dich, als die Frau die du liebst, dich um meinen Sohn zu kümmern, wo ich es nicht kann. Sei ihm der Vater, der dein Bruder nie für ihn sein konnte, da er die Distanz zwischen ihm und Tendarion stets spürte. Nimm dich diesen jungen Elfen an, wo er doch auch dein Blut in dir trägt.
Wenn dieser Krieg ein Ende findet, dann werden wir wieder vereint sein und ein für alle Mal jedwede Fehde beiseite wischen.
In ewiger Liebe.
Selarian
Schnell steckte sie den Brief in den Umschlag und träufelte Siegelwachs darauf. Die Worte zu schreiben erfüllten sie mit Unwohlsein, sie jedoch noch einmal so zu lesen, zerrissen ihr Innerstes. Tat sie es für ihren Sohn? Oder war sie im Grunde in ihrer Selbstsucht nur darauf bedacht Celedir weiterhin an ihr Herz gebunden zu wissen, obwohl sie ihm nicht mehr bieten konnte, als sie bereits tat?
Als das Siegelwachs getrocknet war, flüchtete sie regelrecht aus dem Haus und beauftragte im Handelsviertel einen der teuersten und schnellsten Boten, der den Brief zu Celedirs Aufenthalstort bringen würde. Diese ewige Geheimniskrämerei brachte sie um den Verstand, doch konnte sie mit niemanden darüber reden. Sie würde sich heute wieder Telendarion hingeben, auf dass er von ihrer Aufgewühltheit abgelenkt wird. Die einzige und größte Schwachstelle ihres Mannes - sie selbst in allen Facetten. Würde sie ihn nicht so lieben, wäre sie amüsiert darüber, wie einfach es doch war ihn zu manipulieren.
Doch so empfand sie nur tiefe Scham.