"Mein Onkel ist hier auf Siebenwind. Er möchte dich kennenlernen.
Die Worte verließen ohne zu zögern den Mund des Elfen, doch konnte er nicht im geringsten erahnen welche Reaktion ihn erwarten könnte. Ein Gemisch an Emotionen schwappte zu dem Elfen und er konnte nicht einschätzen ob Ablehnung oder Verwunderung überwog und was diese anderen Emotionen, die sich nur im innersten des anderen widerspiegelten, zu bedeuten hatten.
"Ich werde darüber nachdenken."
Diese Worte waren wieder diese sanfte Abweisung, ein Gewinn an Zeit, in der Hoffnung, dass die Bitte verjährt, die Tendarion nur allzu gut mittlerweile kannte. Doch würde er es nicht forcieren. Celedir würde seinen Willen letztendlich bekommen, auch wenn es nur der Wille von Tendarions Mutter war den er erfüllte. Und Selarian bekam stets ihren Willen ohne Kompromisse eingehen zu müssen.
Tendarion dachte an Janus' Worte, welche er stets zu beschwichtigen versuchte, wenn es um Ihn ging. Er war nicht unbedingt gesellschaftsfähig, wenn ein Gespräch nicht zu seinen Gunsten oder nach seinen Wünschen verlief. Als Tendarion über die Art und Weise, wie Fey miteinander sprachen nachdachte, wurde der junge Elf ein klein wenig unsicher, wie das Gespräch zwischen Celedir und Ihm verlaufen würde.
An Schlaf war diese Nacht nicht zu denken. Er vermisste liebevolle Arme um sich und es war ungewohnt alleine auf dem Sofa zu schlafen. Doch konnte er auch nicht in den Schrein der Herrin, in dem sein Onkel ruhte. Nicht weil er ihn ablehnte oder sich an seiner Anwesenheit störte. Ganz im Gegenteil, war das Treffen mit Celedir endlich der zündende Moment, an dem Tendarion die Ratlosigkeit verloren hatte und seine Angst um seine Familie auf ein erträgliches Maß herabkühlte.
Celedir bestätigte die Umstände auf dem Festland. Auch dass Draconis für den Moment noch sicher war.
Tendarion war dennoch verwirrt. Nicht ob der Geheimnisse, die seine Familie vor ihm verbarg. Er war kein Fey'haim wie er es stets gedacht hatte, sondern wie seine Geschwister ebenso ein Kind der Fey'amrai. Der Gedanke war verwunderlich und tröstend zugleich. Wenn man anderen Ursprungs war als jene, in deren Gemeinschaft man aufwuchs, war es einfacher zu akzeptieren, dass man anders war. Doch fühlte er sich nicht mehr wie ein Ausgestoßener unter seinesgleichen, sondern wie ein Fey dessen Familie eine Geschichte hatte, die erzählenswert war. Tendarion hatte das erste Mal das Bedürfnis mehr über seine Eltern, seine Großeltern und vor allem über den verschollenen und wiedergekehrten Onkel zu erfahren.
Tendarion wusste erst nicht viel mit dem Aussehen seines Onkels anzufangen. Er war ihm vertraut und er versuchte die Gesichter seiner Familie hervorzurufen um Vergleiche anzustellen. Die Ähnlichkeit zu seinem Vater waren nicht von der Hand zu weisen. Doch war sein Vater kantiger. Kräftiger. Sein Blick und seine Mimik steinern und abweisend. Seine Mutter war von ganz anderem Aussehen. Sehnig, elegant und wild zugleich. Tarawen war wie Mutter. Nur etwas weicher in ihrem Aussehen. Die größte Ähnlichkeit sah Tendarion in dem anderen Elfen zu seiner Schwester Dùlindwen. Eine sehr liebevolle, weiche und zarte Version seines Vaters.
Erst in der Nacht wurde Tendarion bewusst, was ihn so sehr irritierte: Celedir sah Tendarion selbst am ähnlichsten.
Nicht dass es ungewöhnlich war, denn er sah bei einigen Menschen und auch anderen Fey, dass manche Personen ihren Tanten und Onkeln ähnlicher waren als ihren eigenen Eltern. Es war für Tendarion nur verwunderlich dass erst sechzig Götterläufe verstreichen mussten, bis ihn jemand darauf hinwies, oder aber er es selbst feststellen durfte. Doch war es nicht weit zu der Erkenntnis, dass genau diese Ähnlichkeit sein Verhältnis zu seinem Vater erschwerte.
Mit einem sachten Lächeln erinnerte er sich an die Mimik und Gestik Celedirs zurück. Wie eine aufkeimende Überforderung oder peinliche Berührtheit dazu führte, dass die plötzlich trockenen Lippen mit der Zungenspitze befeuchtet wurden. Wie er den Blick abwandte, wenn er sich nicht sicher war, dass die Worte, die er aussprechen wollte, überhaupt seine Lippen verlassen konnten, wenn er Augenkontakt zu dem anderen herstellte. Es war naheliegend, dass Mutter, die Celedir wohl über die Jahrhunderte nie von der Familie vollständig distanziert wissen wollte, Tendarion so sehr behütete, da sie nicht ein weiteres Familienmitglied gehen lassen wollte. Und im Umkehrschluss war es naheliegend, dass sein Vater, der seinen Bruder aufgrund nicht beeinflussbarer Umstände verlor, in Tendarions Antlitz eine stete Erinnerung darin fand, dass er seinen Bruder verraten hatte.
Es erschien Tendarion nur logischer von Moment zu Moment, warum sein Vater ihn aus dem Haus haben wollte. Nicht Abscheu oder Unzufriedenheit über den eigenen Sohn, sondern der Spiegel seines Bruders der Telendarion stets vor Augen gehalten wurde, je älter Tendarion wurde.
Sein Herz wurde leichter. Seine Gedanken wurden leichter. Es war als lösten sich die Schnüre, die seinen Hals umschlingten und seinen Atem erschwerten, immer dann, wenn er an seinen Vater dachte. Tendarion atmete tief durch - das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit. Er richtete sich vom Sofa auf um auf den Balkon zu gehen und er blickt über die Insel. Neue Hoffnung erfüllte ihn. Und ein Lächeln zierte seine Lippen.
Ein jedes beseelte Wesen hatte sein Leid zu ertragen. Die Prüfung war nicht, das beste aus der Situation zu machen. Die Prüfung war nicht, jede Gefahr richtig zu behandeln. Die Prüfung der Viere an ihre geliebten Kinder war einzig und allein, nicht die Hoffnung zu verlieren. Aufzustehen, egal wie oft man lag. Und wenn man nicht mehr stehen konnte, dass man auf allen Vieren vorankroch. Und wenn man keine Kraft mehr hatte, wenigstens den Blick weiterhin auf das Licht zugewandt lassen, bis man genug Ruhe fand, um die Kraft zu erhalten, die einen wieder näher an das Licht führen konnte. Sein Blick fiel auf Falkensee - Luth Chalid - und auch da merkte er, wie diese Erkenntnis ihn so sehr beruhigte, dass er nur noch ein müdes Lächeln fand.
Sie haben sich Machtgier und dem Wollen nach mehr ergeben. Die Fehler anderer wiederholt und stümperhaft umgesetzt. Dieser Ort war so dunkel wie Finsterwangen selbst. Die Lichter erloschen. Die Steine die erbaut wurden, waren jetzt noch makellos und unversehrt. Doch vor Tendarions Auge, würde er hier stehen, wo er jetzt ist, lange nachdem ein jeder Mensch, egal ob er in diesem Moment noch ein Säugling oder ein alter Mann war, bereits tot sein würde, und die Ruinen dieser Stätte Angamons besehen. Der Eine hatte wieder mit Versprechen gelockt und sie alle sind dem erlegen, weil sie tatsächlich davon ausgingen, dass Angamon ihnen Macht schenken würde. Doch noch immer hatten sie nicht verstanden, dass Angamon, seine Dämonen und all die anderen Wesenheiten, die ihm zugetan waren, nichts erschaffen konnten. Das einzige Ansinnen des Einen war, diese Stadt hier zu errichten um noch mehr Chaos auf der Insel des Schicksals zu stiften. Noch mehr Hass und Leid zu schüren. Noch mehr gegen die Diener und Geschöpfe der Sahor und Enhor aufbegehren zu können. Tendarion hatte kein Bedürfnis mehr diese Stadt dem Erdboden gleich zu wissen. Was interessierte ihn eine handvoll Endophali, die ihn erniedrigen und beleidigen wollten? Wenn es sie glücklich machte, so zu handeln, dann war es doch im Sinne der Herrin ihnen diese Freude zu gewähren.
Tendarion hatte nur noch tiefes und aufrichtiges Mitleid für jene, die sich an die Hoffnung klammerten, dass sie mit politischen Machenschaften meinten etwas starkes und nachhaltiges aufzubauen. Doch die einzig wahre Macht auf Tare waren die Götter selbst. Egal ob es die Sahor, Enhor oder auch der Eine waren. Es gab für Tendarion nur noch einen Kampf: Den Kampf gegen die Diener dessen, der Tare zerreißen wollte.
Als Fela ihr Antlitz zeigte schloss Tendarion die Augen und das müde Lächeln gewann an Wärme, als hätte Ignis selbst ihm die Kälte aus den Gedanken geküsst. Tendarion hatte nie daran gedacht, wie Ignis und Vitama sich im Grunde auch nahestanden. Wärme als Synonym für Geborgenheit. Die heiße Zeit, trieb die Freude und Unbeschwertheit in die Gesichter und Leiber aller. An den Stränden hörte man das erfreute Quietschen und Kreischen der spielenden Kinder, denen er Krapfen und Kekse vorbeibrachte. Die Schwertstreichs freuten sich nach wie vor den Elfen anzutreffen, wenn er sie besuchte. Als Khaleb zu den Höhen des Balkons eine warme Brise trug, kam Tendarion nicht umhin in seinem unbändigen Glück die Tränen zurückzuhalten.
Er lebte. Seine Liebsten lebten. Vitama war bei ihm und hatte ihn nie verlassen - selbst in seinen Momenten der Verzweiflung, war sie wie eine mahnende Mutter zur Stelle.
Tendarion schloss die Augen und atmete tief die Brise, die nach Salz, Fela und Wald roch, durch die Nase ein. Und als hätte seine Herrin es sich nicht nehmen lassen, seine Gedanken und seine Gefühle zu belohnen, hatte er das Gefühl, dass er mit dieser Brise auch das Glück, die Zufriedenheit und die Liebe, eines jeden einzelnen auf der Insel, einatmete.
Ein Brief an seine Mutter wurde ihm aufgetragen. Tendarion wandte sich nach innen und begab sich in die Schreibstube um Pergament und Tinte zu nehmen. Diese hellblaue Tinte, die Er stets benutzte, würde er nicht anfassen. Vielleicht sollte Tendarion sie verstecken um Ihn einmal von seinen brütenden Gedanken abzulenken? Ein schelmisches Schmunzeln wurde dem Elfen entlockt, als er ernsthaft einige Momente darüber nachdachte. Doch griff er stattdessen nach dem Tintenfässchen mit der dunklen Tinte und nahm seine eigene Schreibfeder hervor. Der Schnitt seines eigenen Federkiels wurde den Runen in Auriel gerechter. Die subtilen Nuancen von Punkten und Strichen, die einem Wort eine ganz andere Bedeutung beimessen konnten, waren von äußerster Wichtigkeit. Ihm wurde bewusst, welche Bürde sich die Fey'haim damit auferlegten den Gesang des Auriel in eine einheitliche Schrift zu fassen. War es doch ein fast unmögliches Unterfangen die Aussprache vieler Worte, die identisch war, zu verschriftlichen und für gewöhnlich nur durch die andere Intonierung ihrer wahren Bedeutung zugeführt werden konnte.
Zitat:
Geliebte Mutter,
zunächst möchte ich dich darüber informieren, dass Celedir und ich wohlauf sind. Nie wurde mir bewusst, dass das Ausbleiben meiner Briefe solch eine tiefe Sorge in dir hervorrufen konnte, doch muss ich gestehen, dass ich wie so oft auch nicht weiter darüber nachdachte, was dies für dich bedeuten konnte. Überheblichkeit und Selbstsucht, scheint wohl nicht nur in den Augen der Menschen mich zu beseelen. Möglicherweise war es auch der Einfluss von dir und Vater, die dafür sorgten, dass ich diese Dinge für mich adaptierte. Denn wenn ich an Selbstbewusstsein denke und es in eine Form bringen müsste, dann würden wohl meine geliebten Eltern mir zunächst in den Sinn kommen.
Doch möchte ich dir nicht vorenthalten, dass Celedir sehr offen mit mir sprach. Er brachte Dinge an, die mir nicht bewusst waren, dass sie überhaupt in eurer - unserer - Vergangenheit lagen. Und auch wenn du nun vermutest, dass ich so einige Dinge nun mit Unzufriedenheit und Vorwürfen besehen könnte, so kann ich dich sogleich beruhigen, dass dies nicht der Wahrheit entspricht. Im Gegenteil. Auch wenn es mir schmerzt, dass du deine Familie verloren hast auf diese grausame Weise, bewundere ich dich nur umso mehr, wie du daraus für dich einen neuen Weg gewoben hast, den du so stark und selbstsicher beschreiten kannst, als wäre nie etwas anderes für dich vorgesehen gewesen. Auch habe ich das Gefühl Vater endlich nähergekommen zu sein. Es hätte diese Wände zwischen ihm und mir nie geben müssen, wenn er nicht selbst die Mauersteine vor mich gelegt hatte und nur darauf wartete, dass ich Stein um Stein setzte, um sie selbst noch mit Mörtel zu fixieren, anstatt sie wieder abzutragen. Doch wie konnte ein Kind der zwei stursten Fey auf Tare nicht auch selbst ein Sturkopf werden? Als ich diese Worte schrieb, wurde mir ein Lächeln entlockt.
Mutter, ich bin zufrieden. Zum ersten Mal seit langem. Oder aber in dieser Form zum ersten Mal in meinem gesamten Leben. Nicht, weil Tare ein vollkommener Ort ist und mein Leben perfekt ist und Siebenwind ein Lothorien in dieser Sphäre ist. Sondern weil ich das erste Mal meine Gedanken in eine Richtung lenken kann, die mich weg von Unsicherheit und noch mehr Fragen führt. Ich kann offen umarmen, dass ich fehlbar bin, aber nicht der Quell für allen Übels bin, das um mich herum geschieht.
Und deshalb muss ich dir und Vater aus tiefstem Herzen danken. Nicht nur, weil du dich so sehr sorgtest, dass du Celedir hierherbatest, sondern weil ich mehr denn je sehe, welch eine wunderbare Mutter mir die Herrin zugesprochen hat. Welch einen tatkräftigen und eindrucksvollen Vater sie mir zugestanden hat. So unterschiedlich ihr auch sein mögt, so perfekt habt ihr in all euren Erfahrungen das Beste aus unser aller Leben geschaffen. Erst unlängst fragte mich jemand, als ich über euch sprach, ob meine Erinnerungen an euch im Guten sind und ich konnte ohne zu zögern antworten:"Jeder Gedanke an meine Familie ist ungebrochen gut."
Mir wird bewusst, dass ich es an diesen Worten stets mangeln ließ, da ich so selbstverständlich davon ausgegangen war, dass diese Gedanken und Gefühle normal gegenüber der Familie wären. Doch die Distanz und die Zeit die verstreicht, lässt mich immer mehr erkennen, dass ich von den Vieren reich beschenkt wurde. Du und Vater, ihr wurdet dafür belohnt, dass ihr euch nicht auf die Knie bezwingen lassen wolltet, als ihr jeden Grund dazu hattet, genau dem nachzugeben. Und ich zweifle keinen Moment daran, dass Tarawen, Dùlindwen und auch ich, dafür ebenso belohnt wurden um euch zu zeigen, dass die Hoffnung nie vergeht. Dass auch nach dem Ableben unserer Ahnen, das Licht weiterhin auf Tare hochgehalten wird. Dass jeder Fey, der sein Licht nach Lothorien trägt, als Stern auf dem Körper Rilamnors sich verewigt und nie mehr vergehen wird.
Mutter, wenn du einmal das Gefühl hast, dass dich dieser Krieg und Tare erdrücken will, dann nimm dir Vater auf den höchsten Punkt in der Stadt und atme tief ein.
Nie habe ich mich näher der Herrin und den Enhor gefühlt, als den Moment, als ich eben jenes tat. Ich wurde von neuer Hoffnung und neuer Motivation beseelt. Alles was mir so schwer und als unüberwindbar erschien, war so leicht wie Khalebs Hauch geworden. Mein Herz würde es erfüllen, wenn ich dieses Gefühl mit euch teilen kann. Egal wie viel Weg und Zeit zwischen uns steht, ich werde es fühlen, wenn es euch gut geht. Und dann werde auch ich von Glück beseelt.
Erwarte weitere Briefe von mir.
Dein dich liebender Sohn,
Tendarion
Das Schreiben ließ er auf dem Tisch offen liegen, bis die Tinte vollständig getrocknet war. Er musste sich nun an sein Tagewerk machen und sich auch um einen Boten kümmern, der zu diesen Zeiten noch gewillt war, einen Brief nach Draconis zu bringen.