Leidenschaftslos.
Tendarion war sich nicht sicher, ob er in dem Moment lachen sollte, oder sich selbst beglückwünschen, dass er diesen Eindruck erweckte. Dass man ihm vorwarf, dass er alles gesehen, erlebt und getan zu haben schien und diesen Anschein nicht nur erwecken wollte, sondern offenbar pflegte.
Tendarion empfand immer mehr - kurz musste er leise zu sich selbst Lachen - Gefallen und Freude daran, wir konträr er bewertet wurde. Wie nah man teilweise an der Wahrheit dabei war und wie weit weg sie waren, wenn es um die wirklich essenziellen Dinge ging. Er fühlte sich verspielter und die Reaktionen die andere in seiner Anwesenheit hatten und seinen Blicken und seiner Worte folgten, erheiterten ihn. Wie jemand unter seinem Blick nach und nach einknickte oder unsicher wurde. Wie jemand aufgrund des Elfen Reaktion wieder zurückruderte in seinen Worten und seinem Gebaren. Und keinen Moment musste Tendarion sich dafür verstellen. Er war wie er sein wollte und sich selbst treu sein konnte und sein Umfeld war verwirrt, verunsichert oder aber zweifelte an Tendarions Aufrichtigkeit.
Nicht kritikfähig.
Es war amüsant zu sehen, wie eine Frau, die es gewohnt war, auf andere einen Eindruck zu machen und sogleich ihr Innerstes erkannte, Tendarion stets weismachen wollte, dass sie ihn in irgendeiner Form berührte. Was sie nicht erkannte war, dass sie sich demontierte und jede Form von Respekt mit jedem folgendem Wort abtrug, den der Elf pauschal einem jedem Lebewesen entgegenbrachte. Ja, ihr Prozess war eine reine Formsache. Und als Diener Astraels musste er auch darauf bestehen. Er hatte ihr ein Zugeständnis gemacht, als sie anfing sich wieder wie ein vernunftbegabter Mensch ihm gegenüber zu geben. Wer vernünftig sprach, wurde angehört. Egal wie mühselig es für Tendarions Umfeld war, dass er selbst sich immer in den Kreis zu reden wünschte. Doch erkannten viele Personen erst dann, wenn sie begannen sich zu wiederholen, dass sie möglicherweise der Grund für diesen Kreislauf waren, dass man sie so nicht ernst nehmen konnte, geschweige denn sie anhören wollte. Der Himmel wurde nicht blauer, wenn man jedesmal nur predigte, wie blau der Himmel war. Man musste anfangen auch die Gestirne, die Dunkelzyklen und die Vögel dort oben zu erkennen und zu benennen, damit man die Aufmerksamkeit eines anderen behielt.
Vielleicht war es die in den Gedanken aufkeimende Tatsache, dass Menschen, die nur halb so alt waren wie Tendarion es war und dennoch deutlich älter aussahen, die ihm allmählich verdeutlichte, dass er in der Tat länger lebte als andere. Mehr Zeit hatte, sich mit augenscheinlichen Nichtigkeiten und schwierigen Situationen derart intensiv abzugeben. Wenn er Tions Gesicht sah, die Furchen, die sein Leben und seine Gefühle prägten. Das weiße Haar. Guntrams Gesicht, das die ersten Anzeichen seines Alters mit sich brachte. Tendarion stellte sich vor, wie Guntram in Tions Alter aussehen würde. Er stellte sich vor, wie er noch zwei Jahrzehnte später aussehen würde. Würde Guntram sein Spiegelbild ertragen können, wenn Tendarion dann noch an seiner Seite war und ihm seine größten Ängste Tag um Tag nur mit seiner bloßen Anwesenheit und seinem jugendlichem Aussehen vorlebte? Leise Zweifel, ob der Elf tatsächlich auf lange Sicht einen positiven Einfluss auf den Erzgeweihten haben könnte, beschlichen ihn. Aber er versprach es. Vor den Vieren, vor Guntram. Und auch gestern versprach er es wieder, als diese Frau wieder ihr Gift versprühte, mit Halbwissen und alten Tatsachen und Fakten um sich werfend, als hätte sie erst gestern mit Guntram darüber gesprochen und wüsste sich in allem bestätigt, was sie dachte. Ihr war nicht bewusst, dass man nicht blind, oder missgünstig sein musste, um Fehlbarkeit zu erkennen, oder über die Fehlbarkeit anderer hinweg sehen musste, damit man jemanden lieben konnte. Sie verstand nichts von Liebe, denn sie kannte nur eine pervertierte Art von Liebe, die stets einen Preis forderte. Sie verstand nicht, dass man niemanden pervertieren musste um jemanden liebenswert machen zu können. Manchesmal war es die simple Tatsache, dass eben nicht das unumkehrbare vernichtende Urteil über die absolute Fehlbarkeit und das deutlich machen der Unliebsamkeit, das damit zwangsweise einherging, dafür sorgte, dass andere sich bessern konnten. Den Fehl in anderen aufzuzeigen und sich gönnerhaft als Erlöser dieses Fehls in anderen aufzuspielen führte zu solchen seltsamen Konstrukten wie den Tardukai oder der Inquisition. Akelas war amüsiert über die Offenheit, die Tendarion bezüglich seiner Unsicherheiten und seiner Fehlbarkeit, darlegte. Und dennoch war es genau diese plumpe Offenheit, wieso Tendarion es schaffte das Vertrauen anderer zu gewinnen. Viele dachten, er würde sie belügen, indem er sich selbst herabspielte, aber im Grunde vollkommen von sich überzeugt war. Selbst wenn er sagte, dass er sich selbst als besser als andere erachte, gestand er sich offen ein, dass er hochmütig und fehlbar war. Wenn man sich jedoch selbst akzeptierte, konnte man an Kritik nicht vergehen. Wenn man seinen eigenen Fehl und seine eigenen guten Seiten akzeptierte, konnte man auch die guten Seiten in anderen erkennen.
Was nichts kostet, ist nichts wert.
Wie oft sprach sie die Worte, als müsste sie sich dieses Mantra selbst einreden, damit sie ihren Weg ertragen konnte. Tendarion dachte an sein privilegiertes Leben zurück. Nie hat er etwas vermisst, außer abstrakte emotionale Dinge, die er wahrscheinlich nicht einmal angenommen hätte, wenn man sie ihm aufgedrückt hätte. Aus irgendeinem Grund wollte er an seinem Schwermut festhalten, ihn fest umarmen und nie loslassen. Er fragte sich oft, warum er es nicht konnte. Die schwere Last abzustellen und davon zu fliegen. Und dann dachte er an diese Personen, die mit wenigen Worten ihn zum Schweben brachten. An diese Personen, die mit einem simplen Streicheln, direkt sein Herz berührten. Die mit einer simplen Umarmung ihn emporhoben, so dass er eins mit den Gestirnen war. Vielleicht war es der Schwermut, der diese Momente so klar und besonders werden ließ. Ihn so leicht wieder aus einem Tief hervorholen konnten. War es das - dieser Kontrast - der eigentlich glückliche Sterbliche dafür umso mehr abstürzen ließen, wenn sie einmal etwas negatives erlebten? Hatte Tendarion einen Weg gefunden mit all dem Schlechten umzugehen, indem er einfach das Schlechteste als die Norm ansah und die guten Sachen als die erstrebenswerte Ausnahme?
Er dachte an Maichellis und seine Mundwinkel zierte ein überzogenes Lächeln. Tagträumerei war ihm selten vergönnt, aber er würde lange davon zehren. Dass Myrandhir mit einem Mal in der Türe im Ordenshaus stand, konnte Tendarions gute Laune ein für alle Mal besiegeln. Egal welches Thema aufkam, egal welches Wort gesprochen wurde, es war irrelevant. Tare war ein guter Ort. Und er würde dafür sorgen, dass auch andere an seinem Glück teilhaben konnten, indem er Tare dabei verhalf sie zu einem noch besseren Ort zu machen. Tendarion schloss die Anklageschrift, die er mit ihr noch einmal der Form halber durchsprechen musste.
Schritt um Schritt auf dem Weg zu einem besseren Tare.