Der Name des Herrn ist ein starker Turm; wer das Rechte tut, findet bei ihm sichere Zuflucht.
Aus: dem persönlichen "Buch des Wissens" des Astraelhochgeweihten Salman de Voraginee aus Falkenstein
Mit auf dem Rücken verschränkten Armen stand der breitschultrige Astraelgeweihte in der dunklen Kammer. Sein Blick war düster und erinnerungsschwanger. Keiner wußte um den Aufbau des Kapellenturms und den Sinn dahinter. Der Turm war ein Abbild seines Lebens, ein Sinnbild für alle Erlebnisse die ihn prägten und noch prägen.
Sein Blick schweifte umher in der dunklen Kammer, dem Geheimraum des Turmes, dem Giftschrank. Reliquien aus gereinigten Schreinen des Ungenannten und gefährliche Schriften befanden sich darin. Der Zugang war nur ihm bekannt. Wie zu seinen Erinnerungen.
Die Liebäugelei mit der Dienerschaft am Namenlosen, die Macht und die Kraft die sich dadurch scheinbar eröffnet hatten. Langsam führten ihn seine Schritte durch den feuchten Gang. Das Schwitzwasser lief die dunklen Mauern hinunter. Das Moos hatte hier schon seinen Einzug gehalten. Die blakende Fackel beleuchtete zwei Ausgänge, einen nach außen und einen in den Turm. Er wandte sich der Geheimtür im Turm zu und öffnete sie mit einem kruden Schlüssel. Fast geräuschlos glitten die Steine beiseite und öffneten die Sicht auf eine Folterkammer. Streckbank, eiserne Jungfrau und eine Esse mit den entsprechenden Gerätschaften eines Folterknechts lagen dort. Der Astraeli trat hindurch und schon schloß sich die Geheimtür auch wieder und nichts erinnerte daran, dass hier einmal ein Durchgang gewesen war.
Die Folterkammer des Turmes, bisher ungenutzt, außer als abschreckendes Beispiel für die Verbrecher, die in die Hände der Gerichtsbarkeit des Ersonter Bundes fielen. Und natürlich auch oft Handlungsort der weniger angenehmen Träume des Astraelgeweihten sowie Symbol der Folter der Vergangenheit, als die Söldner von Bellodor Franzen an ihm herumschnitten und ihre Lust dabei hatten. Leicht ließ er die Schultern kreisen und wurde dabei wieder der vernarbten Haut auf seinem Rücken gewahr, ewige Erinnerung an diese Zeit, Narbe auf Narbe, verheilt, bedeckt von der Kleidung, aber präsent.
Er wandte sich der Treppe zu und ging sie langsam hinauf. Das verschloßene Törchen, mehr ein symbolisches als ein echtes Hindernis, wurde geöffnet und der Astraeli trat ins Erdgeschoß des Turmes. Beherrscht wurde der Raum von dem ausgestopften Sammler, der sich in der Mitte auf dem Podest erhob, nicht mehr erfüllt von der Bosheit dieses Volkes, sondern nurmehr mit Stroh, Federn und Drähten.
Das Kabinett war eine Erinnerung an die vielen Kämpfe, die er gefochten hatte, alleine oder mit anderen. Hier lagen die offenkundigen Erinnerungen, die jeder einsehen oder erfahren konnte, wenn er wollte. Fanale der Überlegenheit der Menschheit des Galadonischen Reiches allen anderen Völkern gegenüber. Hierauf war es erlaubt stolz zu sein.
Langsam wandte er sich der nächsten Treppe zu und strich dabei vorsichtig mit den Fingerspitzen über die Vitrinen, ein schmales Lächeln erschien auf den Lippen. Sein Schritt wurde sicherer und kräftiger mit jeder Stufe, die er nahm, sein Haupt aufrechter, sein Blick füllte sich mit Stolz und einem Glanz, der nur durch wahren Glauben und Sicherheit darin hervorgerufen werden konnte.
Er erreichte die Kapelle des Schloßes über die Treppe und berautete sich viermal. Die Kapelle war astraelgefällig geschmückt und gebaut. Kein Wehrtempel, keine engen Schießscharten mehr, durch die kaum das Licht Felas eindringen konnte. Hoch und offen gebaut, mit riesigen Fenstern, die mit prächtigen Butzenscheiben verschlossen waren. Das geschmückte Buch des Wissens lag dort auf einem erhöhten Podest, die Waage Astraels gegenüber. Hier konnte man Ruhe finden und der Kontemplation nachgehen. Reinigung, Erleuchtung und Seeleneinheit, hier konnte man all das erreichen.
Die Kapelle war ein Symbol dafür wie er zu den Vieren zurückgefunden hatte, weg von den Schmeicheleien und trügerischen Versprechungen des Ungenannten. Er hatte sich gereinigt von seinen Sünden und tat es immer noch, er wurde erleuchtet und nun war nur noch der letzte Lebensschritt zu tun, die Seeleneinheit mit Astrael zu erreichen. Leise führten in die stolzen Schritte an den Statuen der Sahor vorbei, wie auch an den Büsten der beiden Heiligen, die Siebenwind hervor gebracht hatte. Er strich einen Teil eines Wandbehanges zur Seite und öffnete dann eine weitere Türe zu einer Treppe. Sein Atem ging ruhiger als er sich auch an diesen Aufstieg machte.
Tief atmete er ein als er seine Gemächer betrat. Es roch nach dem Tee, den er jeden Morgen trank, etwas nach dem Rauch aus dem offenen Kamin und nach alten Büchern. Hier war er zuhause. Es war eine lange Suche gewesen, doch er hatte den Ort, den man so nennen konnte, letztlich gefunden. Siebenwind war seine Heimat geworden und hier wollte er sein Leben wirken und beenden. Hier hatte er gefunden, was er brauchte, was jeder Mensch brauchte. Liebe, Geborgenheit, Schutz, Sicherheit und... eine Herausforderung. Langsam wandte er sich zu der Außentreppe des Turmes und stieg sie hinauf.
Auf der Aussichtsplattform des Turmes angekommen, breitete er seine Arme aus und schloß die Augen. Denn dies war der letzte Schritt, würde der letzte Abschnitt seines Lebens sein. Nur noch der Himmel, nur noch Astraels Wille sollte die Grenze sein.