Und Astraels Auge sollte Tendarion fortan tatsächlich nicht mehr sehen.
Die verbalen Anweisungen der Gardisten befolgend, als er verwirrt und desorientiert im absoluten Dunkel tappte, fühlte er sich entwürdigt und erniedrigt. Er steuerte direkt auf eine Wand zu, die Worte des Mannes, den er nicht einmal namentlich kannte, drangen zu ihm wie durch einen Schleier. Ein leises Schluchzen der Überforderung und Hilflosigkeit entkam ihm und er irrte weiter. Führungslos und - er musste es sich eingestehen - ziellos irrte er dann weiter. Eine Erhebung im Boden ließ ihn stolpern. Ein Stein verkeilte sich unter seinem Stiefel und er wäre fast daran ausgerutscht. Der Frust stieg. Und mit ihm die Angst. Doch verging der Moment, als er Maichellis' Stimme hörte. Schlagartig wurde Tendarion daran erinnert, dass er lebte. Seine Würde war irrelevant. Er lebte. Er konnte sich erneut beweisen. Die Stimme des anderen Elfen von Verwirrtheit und schließlich unterdrückten Zorn gepresst, erinnerte ihn an alles wofür Tendarion je lebte und kämpfte.
Er wurde nicht entwürdigt. Keine Ketzerei warf man ihm vor. Man hat ihm Gnade erwiesen. Und er war fortan von jeglicher weltlichen Schuld befreit. Alles andere musste er mit sich und den Göttern selbst ausmachen.
Als er die Wärme des anderen Fey spürte, war Tendarions einziger Gedanke in den Schrein der Herrin umgehend zu gehen um ihr zu danken. Und das ist es was er tat. Er erkannte seine eigene Stimme nicht, als die Worte träge und etwas lallend von ihm kamen. Ein beständiger Druck pochte an seiner Stirn. Die wenigen klaren Gedanken die er hatte, analysierten seinen Zustand aus einer losgelösten Perspektive. Der Perspektive eines Heilers.
Ein leichter Brandgeruch haftete seinem Gesicht an, doch war sein Gesicht selbst unversehrt. Die Augen allerdings waren verborgen. Es roch nach reinem Alkohol. Eine Ginsenglösung wurde benutzt. Man hatte ihn fachmännisch miss- und behandelt. Sein Geist war von der Betäubung benebelt. Doch die Dumpfheit des Schmerzes, ließ darauf schließen, dass man ihm auch schmerzbetäubende Substanzen gab.
Tendarion berechnete im Geist die Dosis an Nachtschatten die er später noch zu sich nehmen könnte, ohne dass er sich damit selbst umbrachte. Er könnte in einem Zyklus eine weitere Dosis nehmen um sicher zu stellen, dass der volle Schmerz nicht hervorbrach, ehe Diana sich seiner annehmen könnte. Und so wies er Edelmut an. Wäre er ganz bei Verstand gewesen, hätte er sich einem Alchemisten oder anderen ausgelernten Heiler anvertraut, da die Möglichkeit, ihn schlichtweg mit einer Überdosis umzubringen mehr als greifbar war. Aber zu Edelmuts Glück, war er es nicht. Und der Elf überlebte tatsächlich diesen Tag, nachdem er blind darauf vertrauen musste, dass sie seine Anweisungen penibel eingehalten hatte.
In seinem benebelten Geist, der seine Emotionen ebenso dämpfte wie seinen Schmerz, beschwichtigte er bekannte Stimmen, die von Zorn verzerrt waren. Sie alle versuchten vor ihm zu verbergen, was er nicht sehen konnte, doch das leichte Zittern ihrer Stimmen, oder der keineswegs zurückgehaltene hörbare Zorn, verzerrte die Stimmen derart, dass er erahnen konnte, wie sie ihn ansahen. Doch er ließ sich nichts anmerken. Beschwichtigung war sein oberstes Ziel. Er wollte nicht noch schwächer vor Dunquert dastehen, indem man Tendarion vorwerfen konnte, dass er nun gegen die Inquisition predigte.
Egal wie sehr man ihm Eidbruch vorwarf. Er hatte nicht einmal die Inquisition verraten. Und er würde sich auch weiterhin an den Eid halten.
Und so tadelte er jeden, der gegen den Inquisitor sprach. Ermahnte von Rachegelüsten Abstand zu nehmen. Aus einer unpersönlichen Sache keinen persönlichen Feldzug zu machen. Immer wieder erwähnend, dass er lebte. Und wer lebte, konnte Dinge wieder richtig stellen. Wer lebte konnte Gnade erwarten. Tendarions Vertrauen in die Götter war ungebrochen. Sollte er fortan ohne seine Magie und blind seinen Dienst vollrichten, dann war er genau so von Astrael gewollt. Dann sollte er genau so sein um ein Exempel zu statuieren an jenen, die alles hatten und dennoch an den Göttern zweifelten. Wer immer nur dann glaubte, wenn er davon profitieren konnte, glaubte nicht. Er war dann nur berechnend, selbstverherrlichend und wollte sich bereichern.
Tendarion wusste, dass er stets an der Grenze zum Hochmut diente. Dass er Wände einriss, die andere hochziehen versuchten. Dass er nicht zögerte sich von einer großen Menge abzuwenden um in die genau gegengesetzte Richtung zu gehen. Und dass er niemanden davon abhielt, der diesem Beispiel folgte, sondern schlichtweg an der Hand nahm und weiterzerrte. Er war den Göttern gegenüber demütig. Sein Vertrauen absolut. Doch die Menschen haben ihn immer und immer wieder enttäuscht. Immer dann wenn er meinte, seinen Frieden mit ihnen geschlossen zu haben, vollführte einer von ihnen etwas, was diesen Frieden in Unmut, Hilflosigkeit und Zorn kehrte. Die Menschen hassten Tendarions Hoffnung und wollten sie zerstört wissen. Mit Tritten und Worten wirkten sie auf ihn ein. Und dennoch stand er immer wieder auf und bot ihnen die Stirn.
Sie wollten ihn demütig und merkten nicht, wie sehr sie dafür sorgten, dass er nicht demütig sein konnte. Solange er liegen blieb, waren andere die Ziele der Tritte und Worte. Und das konnte und wollte er nicht zulassen. Tendarion bezog seine Kraft nicht aus seinem eigenen Wohl. Er liebte sich. Er liebte die Viere. Und er liebte eine jede ihrer Schöpfungen.
Und wer sich an ihnen vergehen wollte, musste Tendarion zunächst vollständig vernichten.