Hoffentlich konnte er nun baden. Wie viele Tagesläufe waren vergangen? Drei? Vier? Tendarion war äußerst selten solange ohne Bad. Sein Körpergeruch war kein Indikator mehr für die zurückliegende Zeit. Nachdem er Maichellis in der Bibliothek nach einem kurzen Moment der Zweisamkeit und Frustbewältigung dort auf einem Thron mit einem Fell zurückließ, setzte sich Tendarion neben den Ofen und kämmte die Eiskristalle und das gefrorene Blut aus seinem Haar. Es war ungewohnt ohne Augenklappe zu sein. Aber ein jeder war derart beschäftig und abgelenkt, dass er keine verschreckten Blicke vernahm. Oder er selbst war so abgelenkt, dass er die Blicke ignorierte. Während der Kamm durch sein störrisches und schon etwas verfilztes Haar arbeitete, ließ er seine müden und gleichsam rasenden Gedanken schweifen...
~~~
Tendarions Blut in den Adern gefror, als der haarlose Mann, mit Schmuck behangen, wie ein endophalischer Gewürzverkäufer auf dem Marktplatz im Bürgerviertel von Draconis, sich gerade in den Astraelschrein begeben wollte.
Bilder und Informationen der letzten Wochen schossen in des Elfen Kopf: Die Verhandlung mit dem Dämon; das Trugbild vor Irolan; das überzeichnete Interesse an den Echsen; die Entschuldigungen Irolans für das Verhalten des Magus; die Rune am Tempel.
Die gebundene Rune am Tempel.
Tendarion gebot dem Mann augenblicklich und ab sofort auch nie wieder den Astraelschrein zu betreten. Mit Widerwillen berichtete der Elf die Eigenheiten der ihm bekannten Dämonen. Nichts erfand er dabei. Nichts ließ er weg. Doch die nagende Unsicherheit und das schlechte Gefühl ob des Mannes vor ihm, der diese Informationen falsch oder unvollständig an die Tardukai weitergeben würde, verblieb. Er wollte jedoch nicht den Informationsfluss behindern, indem er darauf bestand einen anderen Informationsaustausch mit Ewigwacht ab sofort zu bevorzugen.
Doch dieser Gedanke änderte sich, als der Mann vor ihm nach jenen fragte die von den Dämonen betroffen waren. Wollte er weitere Verbündete? einen Zugang zu den Dämonen um sie gegen Ewigwacht zu lenken? Waren die Angriffe der Echsen und Feuerwesen sein verschulden? Hatte Tendarion was in den Ausflug zum Vulkan übersehen? War das Ritual am Gipfel des Vulkans tatsächlich nur eine Überprüfung, oder hatte er bereits etwas gebunden, was den Dämon dort hinlocken sollte? Warum wollte dieser Mann wissen wer von den Dämonen betroffen war? Tendarion ruderte mit all seiner bemühten Intention zur Zusammenarbeit mit diesem Mann zurück.
Er würde diesem Mann keine persönlichen Informationen geben.
Das Gespräch war danach nur noch kurz gehalten und man bevorzugte beim nächsten Rapport einen Tardukai selbst in die Kirche zu entsenden. Tendarion war dankbar. Ein kurzer Informationsaustausch ohne das nagende Gefühl zu haben den seinen gerade einen Dolchstoß zu verpassen oder zum Opfer eines Größenwahnsinnigen zu machen, der seine Jünger um sich scharte und nicht müde wurde noch mehr seiner persönlichen Sammlung hinzuzufügen.
Tendarion dachte an Caieta und Vincent zurück.
Sie beide waren willensstarke Menschen und dennoch waren sie es die in Versuchung geraten sind. Vincent hatte zumindest eine Erklärung die Tendarion auf emotionaler Ebene verstehen konnte. Es war im Moment der Panik und um einen Menschen das Leben zu retten. Ein letzter Griff nach dem seidenen Faden, von dem der Ritter nicht ahnen konnte, wie fragil er war. Tendarion aber ließ seine gesamte Wut, die er auf Caieta hatte an ihm aus. Brüllte ihn an ob seiner Dummheit. Ohrfeigte ihn. Noch jetzt fragte sich Tendarion, ob er jemals jemanden aus Zorn geschlagen hatte. Er wusste es nicht mehr. Es war ihm jedoch mehr als klar, dass dieser Moment sich in sein Gedächtnis brennen würde. Aber er merkte auch keinerlei Schuldbewusstsein, auch wenn der Zorn klar Caieta galt. Aber er hatte tatsächlich Vorbehalte eine Frau unvorbereitet, abseits einer realen Kampfsituation, zu schlagen. Nicht weil sie schwächer wären. Sondern weil sie allesamt Abbild Vitamas waren. Lebensbringer. Es spielte keine Rolle welche Art von Frauen sie waren, doch ihnen allen wurde die wichtige Aufgabe zu Teil den Nachwuchs in ihrem Leib zu nähren, zu behüten, unter größten Schmerzen auf Tare zu bringen. Während Männer in der Regel nur einen halben Zyklus Freude bei dieser wichtigen Aufgabe zu verbuchen hatten. Tendarion wollte keine Frau schlagen - egal wie sehr sie es verdient hätte. Und Astrael weiß, wie oft Tendarion auf dieser Insel gerne so manche Frauen links und rechts an den Schultern gepackt hätte und solange geschüttelt, bis deren Geist wieder an der richtigen Stelle saß, damit Astrael wieder die Gelegenheit hatte ihn wieder mit Verstand zu füllen.
Doch Caieta hatte Tendarion nicht als Frau enttäuscht. Nicht als Mensch enttäuscht. Sondern sie hatte zum zweiten Mal die Quintessenz seines Lebens und seines Dienstes aus vollem Anlauf mit den Füßen getreten. Tendarion war sich nicht zu stolz um vor jemanden zu knien und zu betteln etwas zu unterlassen. Und er tat es. Er kniete vor ihr und bettelte sie an es nicht zu tun. Doch sie tat es. Und als sie wiederkam und ihre erste Reaktion war, Tendarion eingeschnappt den Rücken zu kehren, weil er außer sich war und sie zur Rede stellte, verlor sie in seinen Augen jeden Anspruch auf Mitleid und Trost. Wenn sie Liebe suchte, musste sie sich an jemand anderes wenden. Tendarion konnte sie fortan nur noch mit Strenge und Erziehungsmaßnahmen behandeln. Sie war einst eine der Personen, denen Tendarion sein Leben ohne zu zögern in die Hände gelegt hätte. Mittlerweile hatte er Sorge, was geschieht, wenn sie alleine mit Maichellis war. Seine Liebe für sie blieb. Doch sie war bitter und schmerzhaft geworden.
Doch sie war eine Lebensbringerin, er würde sie nicht falsch behandeln. Er würde sie nur wie eine Magistra behandeln, die wusste was sie tat und nun mit den Konsequenzen leben musste.
Lazalantin hingegen, war wie er war. Intuitiv schlichtweg das falsche tuend und dann am Ende die größten Probleme habend, die sich nach seiner Rettung in seinem Mund als gar nicht so schlimm anhörten. Tendarion war frustriert. Wer, bei Astrael, schlief im Dunkeltief auf dem Marktplatz im Zelt ein, um ein Nickerchen zu machen? Wieder musste Tendarion jemanden anbetteln. Dieses Mal Sullin. Adhemar hatte Recht, als er sagte, dass Lazalantins Rettung zu einem Politikum würde. Und es dauerte auch nicht lange, als Sullins Gedanken, dass er Lazalantin nicht hätte helfen sollen, als Adhemar einen ungeliebten Befehl gab, zu Tage kamen. Tendarion war an diesem Punkt innerlich nur noch dabei seine Haare zu raufen und mental schreiend im Kreis zu rennen.
Er fühlte sich wie in seiner Arbeit im Waisenhaus. Wo seine Hauptaufgabe war, neben der Heilung, diese Kinder einzusammeln, die wie eine Herde kleiner Lämmer herumirrten und nur Spiel und Unfug im Kopf hatten. Nur dass in diesem Dunkeltief die Lämmer allesamt von Wölfen angefallen wurden, ehe er sie erreichen konnte.
Lazalantins Albtraum war ein Grauen. Tendarion fühlte mit zunehmender Zeit die Grenzen zwischen Realität und Wahn verschwimmen und er wusste, dass sie schnell sein mussten. Sullins Begleiter, der Auserwählte Angamons, Aulos, war offenbar ebenso von Angst beseelt, denn er wirkte tatsächlich disziplinierter, als Tendarion befürchtete, als Sullin ihn als seinen Begleiter erwählte. Er war letztenendes der Retter Lazalantins, was Tendarion durchaus wohlwollend zur Kenntnis nahm. Die gemarteten Überreste des Kapitäns waren dennoch selbst für einen gestandenen Heiler wie den Elfen ein grausamer Anblick. Eine blutige, verwundete Masse, deren übriges Bein abgehackt wurde. Überall Blut, die Klage- und Schmerzensrufe. Doch nicht einen Moment zögerte Tendarion Lazalantin auf seinen Rücken zu nehmen und ganz im Vertrauen seiner Begleiter, dass sie sie beschützen, trug er Lazalantin mit sich. Er konnte nicht umhin zu hoffen, dass der Ventus-Priester keinen unverhofften Ausbruch hatte und Tendarion wieder einmal mit Blitzen strafte. Aber das ließ den Elfen keinen Moment davon abhalten ihn retten zu wollen um jeden Preis.
Und das tat er. Mit einem Schlag gegen Lazalantins Kopf.
Sie wachten auf und Lazalantin beklagte nur einen schlechten Traum. Tendarions Anspannung wich und er fiel in einen tiefen, erschöpften Schlaf, wo er noch kurz an die herumtollenden, unkontrollierbaren Lämmchen dachte.
~~~
Tendarion hatte es wieder in den Zuber geschafft. Das Wasser war jedoch kalt geworden mittlerweile. Es war ihm gleich, er würde sich danach neben den Ofen setzen. Hauptsache Wasser und Seife. Er konnte baden, während er außerhalb des Vorhangs das ungleichmäßige Schnarchen, Wimmern und die leisen Gespräche der im Tempel schlafenden anhörte.
Hatte er in den Augen der anderen überhaupt seinen bisherige Verantwortung gemeistert? Weder Zweifel, noch Selbstsicherheit erfüllten den Elfen.
Er würde das harsche Urteil abwarten. Und nach einer Ruhepause würde er etwas tun müssen, was ihm widerstrebt, aber es blieb ihnen keine andere Wahl: Sie würden die Magier aus Ewigwacht benötigen. Tendarion wollte sich Sullins Reaktion darauf nicht ausmalen.
Tendarion tauchte unter. Er wünschte er müsste nicht mehr auftauchen. Eine Blubberblase, wo sein Mund sich befand stieg auf, als er unter Wasser resigniert ausatmete.