Narben.
Verstümmelung.
Das was sich im offenbarte, wenn er nackt vor dem Spiegel stand. Sein Körper war eine Chronik. Eine Chronik die nicht verborgen blieb, doch es hatten ungewöhnlich viele Beseelte genügend Respekt oder Zurückhaltung um ihn nicht darauf zu reduzieren. Oder fürchteten sie die Antwort? War er doch einer der wenigen Elfen, die die Zeichen des Krieges und des Lebens so eindeutig trugen. Vor allem einer der wenigen Elfen die kaum als erwachsen galten. Auch wenn er, und sein Umfeld, wussten, dass er kein Kind mehr war. Kein Kind mehr sein konnte. Es war auch lange her, dass man versuchte ihn auf sein Alter zu reduzieren.
Doch seine äußerlichen Zeichnungen kratzten nur an der Oberfläche dessen, was sein Geist erdulden musste. Nur er spürte das Narbengewülst, das sich über seine Gedanken legte. Wie schwer sich die objektive Meinung aus diesem herauspresste, wie ein Sieb, das bei der kleinsten Beigabe anderer Substanzen sich zusetzen würde. So oft musste er nachhelfen. Seine Gedanken ordnen, nachdrücken, bis endlich nur das aus seinem Mund kam, was der Situation angemessen war. Er schaffte es im Grunde. In manchen Situationen zuverlässiger als in anderen. Im Gespräch mit Rianna jedoch, dominierten die Schmerzen und Narben der Vergangenheit, die seinen Geist umwölbten.
Ihre Widerworte waren ihm gleich. Aber er duldete es nicht, wenn man ohne Nachfrage und Kenntnis der Umstände eine Meinung zum besten brachte und verteidigte. Wenn sie es besser wüsste, dann sollte sie auch die Verantwortung dafür nehmen. Und das war es, worauf sie sich einigten. Sie hatte in ein Wespennest unablässig geschlagen und hatte nicht damit gerechnet, dass die Wespen sich nicht zurückziehen würden nach dem ersten Angriff. Stattdessen blieb sie von dem Wespenschwarm umschwärmt, den sie selbst herausforderte.
Rianna war nun die Hauptverantwortliche geworden, weil sie in Tendarions Urteil keinerlei Vertrauen geben wollte, dass diese endophalischen Gäste Trinkwasser bekommen würden, ohne dass sich jemand daran, entgegen Xans Willen, bereichern konnte.
Sie wollte es zu einem Politikum machen und hatte keinerlei Vertrauen darin, dass Tendarion wusste, wie er vorzugehen hatte. Stattdessen hielt sie ihn von seiner Arbeit ab mit immer mehr Debatten. Ihre Worte waren nicht beratend sondern zeugten davon, dass sie daran zweifelte dass der Elf sich Gewahr war was er tat. Und das war die Grenze, die Tendarion selbst seine Liebsten nicht überschreiten ließ. Niemand musste ihn mögen. Niemand musste seine Taten mögen. Aber wer ihm absprach, dass er wusste, was er tat, wurde das Ziel seiner spitzen Zunge. Er hatte Rianna mehrere Male in dem Gespräch die Gelegenheit gegeben ihre Worte zu überdenken und vor allem ihr Verhalten ihm gegenüber. Doch sie machte den nächsten Fehler und wollte ihn mit emotionaler Erpressung dazu verleiten für sie Sanftmut und Verständnis aufzubringen. Ihre Enttäuschung und Trauer ihm gegenüber berührten ihn allerdings nicht. Er wurde bissig.
Und so entzog er sich vor Zeugen jeder Verantwortung. Wenn die Endophali nun ohne Wasser stünden und das ganze auf politischer Ebenen eskalieren würde, war es Riannas Verantwortung geworden dies zu bereinigen.
Tendarion empfand nichts bei der Entscheidung. Er hatte mit großer Wahrscheinlichkeit augenscheinlich emotional und zornig gewirkt, doch war es ganz im Sinne seines Herren, einer Frau, die Magistra war zu verdeutlichen, dass Worte nur dann etwas wogen, wenn man auch gewillt war, diese auszuführen. So würde er als guter Lehrer abwarten, bis sie an den Punkt kam, an dem sie Hilfe benötigte und ihr Umfeld im respektvollem Ton danach fragen würde. Bis dahin war sie allein auf sich gestellt.
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Die Endophali selbst haben Tendarion keinen ungewöhnlichen Eindruck vermittelt. Sie waren wie Kadir von sich selbst überzeugt und herablassend gegenüber jedem, der nicht so dachte wie sie selbst. Aber sie verbargen es hinter einer Maske aufgesetzter Höflichkeit und einstudierten Danks. Tendarion hatte allerdings nicht ganz verstanden was genau Suluther so erzürnte. Vielleicht hatte er eine Aussage der Endophali in der Seeschlange überhört, oder einen Blick übersehen, der eindeutig war. Doch war es Tendarion so oder so zuwider, dass alle Anwesenden dafür aus der Seeschlange entfernt wurden und diese sogar abgeschlossen wurde, während Xan sich über der Insel ergoß. Also wurde das Ordenshaus wieder einmal zur Taverne umfunktioniert und Tendarion verbarg seine Genervtheit, dass kein Vitamadiener anwesend war, der die Gastfreundlichkeit übernehmen konnte, und mimte den Gastgeber, kochte Tee, führte das Gespräch mit den Gästen und versuchte indes Gaisgeach zu zähmen, damit die große Raubkatze, die an der Seite der Endophali frei wandelte, keinen Luchs als galadonische Delikatesse erwählte. Iomine konnte ihm wenigstens diese Sorge nehmen.
Er lobte insgeheim seine Selbstbeherrschung als die Instrumente und Schmuckstücke aus Menschenknochen auf dem Ordenstisch verteilt wurden. Die Reaktionen seiner ihm bereits bekannten Gäste als er eröffnete, dass diese aus Menschenknochen waren, waren amüsierend unterschiedlich. Irritierte Verwunderung, schlichte Akzeptanz und stilles Bedauern, dass somit diese Stücke unerreichbar wurden. Mit respektvoller Erklärung, dass im galadonischen Raum soetwas als eher furchterregend als erfreulich gewertet wird, und dennoch ausgedrücktem Dank brachte Tendarion diese Stücke in die Krypta und schloß sich wieder dem Gespräch an. Ihr simpler Wunsch nach einem Handel mit Trinkwasser erschien Tendarion glaubwürdig genug um keinerlei Zweifel an der Intention der Endophali aufkommen zu lassen. Und auch sie schienen mit dem Gespräch und dem Empfang zufrieden genug um Tendarion ein außergewöhnliches Stück zu überlassen: Eine Spieluhr.
Oft hörte er von solchen Apparaturen, doch waren sie fast ausschließlich Schaustellern auf dem Markt vorbehalten. Alle paar Götterläufe war in Draconis ein Mann oder eine Frau zu sehen, die solch eine Spieluhr dem Volk präsentierte. Die metallenen Zupf- und Schlagklänge der Federn die sich langsam und zäh im inneren der Apparatur drehten. Sie spielten bekannte Weisen nach, in einer Präzision, die ein Barde nicht nachempfinden konnte. Doch Tendarion hatte in all der Faszination über solch eine herausragende Feinwerkskunst immer ein wenig Bedauern empfunden, wenn er diese Musikstücke hörte: Sie waren leblos.
Mechanisch wurden die Töne in einer festgelegten Reihenfolge abgearbeitet. Keine Mimik des Spielenden oder aber Improvisation schenkte dem Zuhörer das Gefühl einer einmaligen Situation, die sich nie wieder in aller Leben wiederholen würde. Die fehlbare Momentaufnahme verkam zu einer ewigen Melodie, die sich nie verändern würde, solange man diesen Kasten gut pflegte. Als Tendarion die Spieldose im Vitamaschrein abstellte, betätigte er den Mechanismus.
Ihm wurde bewusst, dass er wie diese Spieluhr war. Durch die Zeiten wandelnd, immer und immer in den selben Gedankenmustern gefangen. Immer wieder die selben Fehler begehen würdend, während sein Umfeld sich wandelte alle paar Jahrzehnte. Er würde soviele Guntrams, Lynns, Caieta und Riannas in seinem Leben treffen. Sie würden immer wieder die selben Verhaltensweisen ihm gegenüber zeigen und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt würde er immer mehr grämen, dass er für die Menschen nie jemand sein konnte, der einen Unterschied machen würde.
Melancholie durchflutete ihn.