Eine seltsame Verwandlung
Der Fährmann hatte tatsächlich ein gutes Gespür für Geschäfte. Bei jeder Überfahrt machte er mehrere tausend Dukis Gewinn und dabei war sein Risiko mehr als überschaubar. Kurz vor der Abfahrt bot sich Rod ein bekanntes Bild, die bekannten Gesichter. Die Jungs aus dem Hafen waren dort, außerdem Rianna und Tanja. Auch wenn es ab und an kleine Reibereien gab, konnte er nicht behaupten, dass ihn ihre Anwesenheit stören würde. Sie kamen mit der schroffen Art der Hafenjungs gut zurecht, hatten selbst oft einen lockeren Spruch auf den Lippen und tranken mehr Bier und Rum als manch ein männlicher Tavernenbesucher vor ihnen. Und das Wichtigste war: Sie waren für fast jedes kleine Abenteuer zu begeistern und zogen gemeinsam an einem Strang, ohne große Moralpredigten oder Vorschriften. Rod war gar ab und an dankbar für ihre Unterstützung, sei es im Kampf oder bei der Lösung von Problemen. Sie waren unkompliziert und genossen die Freiheit, genau wie die Hafenjungs es hielten. Bei ihren Erkundungen drängte sich niemand zu sehr ins Rampenlicht und jeder konnte seinen Beitrag leisten. Das gefiel ihm und auch den anderen im Hafen.
Mit an Bord waren auch noch ein sehr wortkarger Mann, dem man ansehen konnte, dass er gerne auf diese Gesellschaft verzichtet hätte. Er stellte sich nicht vor, wirkte überheblich und hatte auch nur seine eigenen Ziele im Blick. Was die anderen machten, interessierte ihn nicht. Anders als Angelique, die Rod als erfrischende Ergänzung der Truppe empfand, wurde er aus dem Unbekannten nicht klug.
Wie immer wurden sie im kleinen Hafen, in der malerischen Bucht, von einer der Wachen begrüßt. So fremdartig wie sie zu Beginn noch waren, erfreute der Anblick ihn mittlerweile. Er genoß die Wärme auf der Haut, die leichte Brise im Nacken und die exotischen Gerüche, die von den Ständen und dem Treiben im Dorf zu ihnen herüber wehten. Doch hielt die Begeisterung nur eine kurze Zeit an, denn die Wache überbrachte schlechte Neuigkeiten. Man hatte einen Späher aufgegriffen, der sich in den verbotenen Teil der Insel durchschlagen wollte. Auf dem Weg nach Schluchtental wurde er von den Wachen am Grenzwall aufgegriffen und festgesetzt. Die Wache erklärte, dass dies die Beziehung gefährde, wenn Siebenwindbewohner derlei im Sinn hatten und sich nicht an ihre Regeln hielten. Sie wurden zu dem Gefangenen geführt und schon nach kurzer Zeit traf es Rod wie es heiterem Himmel.
Die Warnungen von Alena zu dem Fährmann nahmen Gestalt an. In Form eines heruntergekommenen Mannes, der nach Fisch stank und kein Wort sprach. Ein Dieb, ein Halunke in einer Gestalt, die nicht sein wahres Äußeres zeigte. Er war froh, dass Rianna an seiner Seite war und sie damals gemeinsam mit Alena gesprochen hatten. Sie hatte den selben Gedanken, eine Echse in Menschengestalt. Ein Gestaltwandler. Natürlich konnte er nicht sprechen, er sprach wahrscheinlich kein Wort galadonisch.
Ob es der Bier-Blick oder das Wirken von Angelique war, lässt sich nicht schlussendlich sagen, doch es brachte Klarheit für die Anwesenden: Eine Echse, leibhaftig vor ihnen. Die Wache war erzürnt, dass wir unsere Probleme auf der Insel zu ihnen schleppten. Aber Rod befürchtete bereits, dass es umgekehrt war. Die Wache hielt sich äußerst bedeckt mit Informationen über den verbotenen Teil der Insel, aber aus ihrer Expediton wussten sie mehr.
Das Bild fügte sich zusammen. Sie waren auf dem Vormarsch, sie erwarteten die Ankunft. Die Hafenjungs hatten die Zeichen gesammelt, auf einer Karte die Orte gekennzeichnet, die Hinweise zusammengetragen. Ihm fiel das alte Schriftstück von Korvo wieder ein, die Zeilen waren eindeutig. War es eine Prophezeiung oder ein Hirngespinst? Die Zeichnung brannte sich wieder vor seinem inneren Auge ein. Eine gewaltige Echsengestalt mit Flügeln.
Die Endophali wollten ihren Gefangenen behalten, doch die Zeit lief ihnen davon. Die Schwierigkeiten auf Siebenwind mussten beseitigt werden. Es wird nicht der letzte Versuch der Echsen gewesen sein, zu dem geheimen Ort auf der Insel zu gelangen. Was würden sie dort machen? Es befreien? Nach Siebenwind bringen?
Es gab eine Person auf Siebenwind, die mit dem Schutz betraut wurde. Er hatte einen Idee, doch sie mussten dem Hinweis vorsichtig nachgehen. Wer sonst konnte informiert werden? Die Blaumänner konnte er nicht ansprechen, die würden sie nicht ernst nehmen und wahrscheinlich direkt in den Kerker stecken. Die Kirche? Dort hatte er bereits schon einmal Rat erhalten und fühlte sich gut aufgehoben. Der direkte Weg zum Kanzler? Nein, der würde sie nur zur Seite drängen und behandeln wie das was sie waren: Die Jungs vom Hafen. Als Ritter war er nur ein weiterer Arm der Blaumänner. Die Schwarzen? Sie hatten sich bisher genau so wenig um sie geschert, wie der Rest der Insel. Es könnte unkomplizierter mit ihnen ablaufen, aber er wusste, dass sie machtbesessen und gierig waren.
Die Auswahl war gering, doch alleine konnten sie es nicht schaffen.
Die Bergung
Umso erfreulicher war nach diesen Erkenntnissen der gemeinsame Ausflug zum Strand. Sie ließen sich nach den Erlebnissen einfach in den noch warmen Sand fallen und blieben dort eine ganze Weile. Das Mondlicht schimmerte auf der Wasseroberfläche, der Rum schmeckte herrlich und Angelique ging sogar ins Meer um zu schwimmen. Die Temperaturen ließen es tatsächlich zu. Es war ein friedvoller Augenblick, ein weiterer Moment, den er auf der Insel so genoss. Was hielt ihn eigentlich auf Siebenwind? Hier sein Zelt aufzuschlagen rückte immer intensiver in seinen Fokus.
Gemeinsam beobachteten sie diesen magischen Fela-Aufgang. Fela ergoss sich mit glänzendem Licht über die malerische Bucht, kitzelte ihre Gesichter und tauchte die hohen Sandsteinklippen in eine unwirkliche Atmosphäre. Die Felsen zogen lange Schatten, die Wellen rauschten sanft zum Strand und in diesem perfekten Augenblick fehlte nichts weiter.
Die Wärme weckte ihre müden Geister und bald schon brachen sie zur Westküste auf. In einer verborgenen Bucht, die sie erst erreichen konnten, als sie eine riesige Schlange austricksten, erblickten sie die Überreste eines zerschlissenen Segels. Augenblicklich war der Abenteurwille gepackt und sie fanden den steilen Pfad hinauf auf die Kippen wieder. Nach einer Weile in der brütenden Hitze erreichten sie eine tiefe Schlucht, ein Seil war dort befestigt und so stiegen sie der Reihe nach in eine unterirdische Höhle hinab. Es sah wie das perfekte Schmugglerversteck aus, das Wasser stand hoch und so mussten sie nach einigen Schritten bereits schwimmen. Das Wrack des Schiffes lag verlassen am Grunde der kleinen Bucht. Neugierde und Aufregung durchfloss jede Körperzelle und gemeinsam machten sie sich daran die Beute zu bergen. Es muss sich um eine Waffenlieferung gehandelt haben, schwere Last, die sie an die Wasseroberfläche brachten. Eine reiche Beute für jeden von ihnen. Ihre Anwesenheit lockte seltsame, riesige Fische an. Ihre Flossen standen nach oben hin ab, ein ganzes Rudel zielte auf sie ab. Die Abenteurer suchten bald das Weite und machten sich schwer beladen wieder auf den Rückweg.
Auf den Spuren vergangener Tage
An einem anderen Tage hörten sie im Hafen einige Gerüchte. Die Reisenden sprachen von Dwarschim, die aus dem Ödland unerledigter Geschäfte zurück kehrten. Und jeder wusste, dass wenn die Dwarschim loszogen, hatten sie ihre dicken Knollnasen in den Wind oder unter den Stein gehalten und gewaltige Schätze entdeckt. Dieser Spur mussten sie natürlich nachgehen und im Handumdrehen war eine kleine Truppe zusammen um sich die Stelle genauer anzusehen. Es war ein alter Bereich der Insel im Gespräch, der der durch den Vulkanausbruch verschüttet wurde, auf den Siebenwindkarten sah man den Bereich gut eingezeichnet.
So zogen sie los und fanden nach kurzer Zeit den frei gelegten Pass, hinüber zu diesem Teil der öden Lande. In geringerer Anzahl wäre hier kein Durchkommen gewesen, denn Horden von Untoten strömten ihnen entgegen. Leichen, Skelette, Trolle und sogar monströse Spinnen kreuzten ihren Weg, doch sie fanden einen beschwerlichen Pfad durch die unwirkliche Landschaft. Immer wieder hatten sie dort mit neuen Gefahren zu kämpfen, doch gemeinsam schafften sie die Wesen in die Schranken zu weisen. Sie waren eine gut eingespielte Truppe, jeder nahm auf den anderen acht und kaum einmal wurde es brenzlig.
Doch plötzlich wehte ihn ein besonders modriger Geruch aus den Mooren entgegen. Horden von Skeletten stürzten sich auf sie, angeführt von einem alles überthronenden Lich. Bolzen und Pfeile zerschlugen die Knochen, bis sie splitterten, Äxte zertrümmerten die gebrechlichen Wesen und Flammen schossen in die Höhe und tauchten den Kampfplatz in eine lodernde, verzehrende Ebene. Sie hatten es geschafft und auch diesen Kampf überstanden. Erleichtert suchten sich in einem verlassenen Stützpunkt Zuflucht. Der Bereich wirkte ruhig und verlassen, die dahinterliegende Höhle sollte ihnen aber das Gegenteil beweisen: Dort lauerte eine riesige Gestalt, von Kopf bis Fuß ragte sie beinahe bis zur Decke der hohen Höhlendecke. Jeder Hieb des Grubenschrecken brachte die unheilvolle Stärke des Wesens mit sich und traf die Abenteurer schwer. Nur durch den gemeinsamen Einsatz all ihrer Fähigkeiten, konnten sie diese vergessene Bestie bändigen: Fledermäuse schossen aus allen Winkeln der Höhle auf das Wesen und umkreisten den Kopf, schwere Wurzeln schlugen aus dem Boden hinauf und umklammerten die riesigen Füße des Wesens, Pfeile und Bolzen durchschlugen den Torso und in seiner Unbeholfenheit fraßen sich die Flammen an seinem Leib empor, bis er unter einem markerschütternden Schrei, der die Höhle beben ließ, zusammenbracht.
Erschöpft und glücklich über ihren Erfolg plünderten sie die verlassenen Lager und gönnten sich einen Augenblick der Erholung, die von einem kleinen, flatternden Wesen unterbrochen wurde.
Ein Botendämon? Der mit ihnen plaudern wollte? Er schien neugierig und wenig bedrohlich. Er erzählte nur kurz von dem restlichen Teil der Insel und flog bald wieder davon. Noch merkwürdiger konnte dieser Teil der Insel nicht werden.
Doch an dem bewachten Brückenkopf der Steinbrücke wurden sie eines Besseren belehrt. Sie wurden zu der Herrlichkeit des Skelettfürsten eingeladen, so sie denn treue Diener seien. Unter Vorwand beschlossen sie einen Blick auf die andere Seite zu wagen. Doch mehr als verbranntes Land, eine zertrümmerte Burg, die größer war als halb Brandensten und große Lavaströme, konnten sie nichts mehr finden. Blauäugig stießen sie ihre Rückreise durch ein seltsames Portal an. Geschafft.
Dieser Teil der Insel bot noch eine Menge mehr, nicht im Ansatz hatten sie dort alles erkundet und die Wesen schienen in ihrer Abgeschiedenheit zahlreicher und stärker als im restlichen Ödland. Es wird gewiss nicht ihr letzter Ausritt dorthin gewesen sein.