Langweilige Akten
Es war nicht viel Zeit, um die Aufgabe ab zu handeln, und musste zum Teil auch darauf warten, dass man ihm Zugriff auf seine alten Akten gewährte. Vieles war in jenen dreieinhalb Götterläufen geschehen, natürlich das meiste nach dem ersten halben Jahr, als er plötzlich und ebenso unerwartet wie unverhofft plötzlich die Uniform des Marschalls hatte anlegen müssen. Knapp 3 Monde vor dem Dunkeltief. sinnierte er und lehnte sich mit der dicken Mappe in der Hand an das staubige Mauerwerk. Sein erster, einigermaßen wichtiger Fall war der Rosendieb gewesen, dessen Ausmaße geradezu ins Lächerliche gegangen waren: eigentlich nur ein paar Diebstähle hier und da, jedesmal mit einem Duftwässerchen, natürlich Rose, als Visitenkarte markiert. Dann hatte eine Frau reden wollen, Schutz erhofft, und er hatte sie in Sicherheit bringen wollen - ohne zu ahnen, dass bereits ein halbes Dutzend an Armbrustschützen auf Brandensteins Dächern verteilt darauf lauerte, der potentiellen Zeugin den Garaus zu machen. Die Attentäter hatten seinen Schützling direkt an seinem Arm vorbei ermordet; zwei Fingerbreit weiter rechts und der Bolzen hätte den Elf gleich noch an die Frau genagelt und ihn mit ins Grab gerissen. Er hatte das Opfer - das so unschuldig gar nicht gewesen war, wie er später heraus fand - bei einer Heilerin gelassen und war einem der Schützen in einer wilden Jagd über die Dächer gefolgt. Trotz seiner Fähigkeiten, starken Arme und Beine hatte er den Attentäter nur mit Mühe eingeholt und ihn gestellt - nur um dann im nächsten Moment von einer Dachkante zu baumeln, einen Bolzen vor Augen, dessen Glitzern im Felalicht besonders beunruhigend erschienen war - klar, auf die Nähe verfehlte man eigentlich nicht. Der Mann hatte ihn jedoch nicht getötet, oh nein... und am Ende hatte sich eine Verschwörung immensen Ausmaßes offenbart. Er selbst war, da kein Magier, schließlich nicht länger darin involviert gewesen, aber es war um Dämonen gegangen, Untote, einen Kult und schließlich auch eine mysteriöse, fremde Diebin und eine Mine voller Räuber. Einen Moment lang musste er lachen. Wenn er das irgendwem erzählte, würde man nach dem Groschenroman fragen, den er da gelesen hatte, und den Autor ob der Absurdität jener Geschichte belächeln. Langsam blätterte der Fey weiter. Das nächste war das Dunkeltief gewesen, mit jenen untoten Piratengeistern, die den Hafen fluteten und ihm seinen ersten großen Fehler, den Priesterin Nithavela ihm gerne noch unter die Nase rieb, abrangen; er hatte daraus gelernt. So oder so würde er nie vergessen, wie das geisterhafte Piratenschiff mit einem unwahrscheinlichen Tempo in die alte Werft gekracht war, während die Dienerinnen Maquiras sie mit der Macht des Wassers angriffen. Was für ein unbeschreibliches Chaos, Lärm, Wahnsinn! Noch schlimmer jedoch war der Sphärenriss in den Limbus gewesen. Er hatte die Magier vorab angewiesen, das Portal zur Akademie zu schließen, da er es als Sicherheitsrisiko betrachtete. Geschehen war natürlich nichts, und so hatte sich die eigentlich sonst so stabile Öffnung ausgedehnt, Myriarden verdrehter, kaleidoskopbunter, greller, schmerzhaft helle Farben ausgespieen, die schon beim Anblick schwindelig machten. Dort hatte er seinen ersten Soldaten verloren: weil er natürlich gesehen hatte, dass das Tor noch da war - es aber zu spät gewesen war, noch etwas zu tun und kein Magier zur Hand war - einen Soldaten dort platziert, um gewarnt zu sein, sollte irgend etwas heraus kommen. Das... hatte mehr oder weniger geklappt, leider aber auch den Wachposten in den Limbus geschleudert. Es hatte anstrengende Stunden gedauert, die aus dem Limbus höchstselbst reinschneienden Monstrositäten, kaum sichtbar und flackernd und flimmernd wie Irrlichter, aus seiner Stadt zu vertreiben, und kaum war das geschehen, kamen die nächsten Notrufe... Geister des Skelettfürsten, sich durch den Boden unter der Mauer hindurch grabende, verdorbene Feuerelementare und Zwerge als Sprengmeister für diese Tunnel, Untote, die aus dem geschändeten Morsanacker strömten, und das alles unter der Prämisse, dass ihn kaum jemand kannte und noch weniger ihn ernst nahmen. Nachdenklich strich er sich durchs Gesicht, ehe er die nächsten Seiten aufschlug und betrachtete. Ah, richtig, die verdorbenen Nortraven. Ein schwarzes Drachenboot - er hatte vergessen, wie die Dinger hießen - war erschienen und dann tauchten ungewöhnliche Nordleute auf, die Leute zu rekrutieren versuchten. Manch einer von ihnen besaß zugespitzte und gefeilte Zähne, einem Hai ähnelnd, und es mehrten sich Meldungen von zweifelhaften Geschehen. Die Nordleute, die hinter dem Schlachtenpass gelagert hatten und im Zwist mit Westhever lagen, schlossen sich ihnen zum Schein an: es war ein herrliches Schauspiel, wie der dortige Jarl nach einer kurzen Absprache Maik unter sinnlosem Geschimpfe vor dem düsteren Besuch fast den Kiefer brach und ihn hinaus warf. Es hatte Spaß gemacht, für ein paar Augenblicke lang, und die Freundschaft mit diesem Jarl war innig gewesen, er hatte später sogar an dessen Hochzeit teilgenommen und mit ihnen gefeiert, aber das war privat gewesen und hatte nichts mit den schwarzen Wölfen zu tun gehabt. Tatsächlich fanden sie erst viel später wirklich heraus, was es mit jenen merkwürdigen, aber bis dato nicht eindeutig als böse aufgetretenen Matrosen auf sich hatte, als ein Seemann ihres Bootes entkräftet an Land gespült worden war, und ab da wurde die Geschichte nicht mehr nur seltsam, sondern mysteriös und schwer glaubhaft. Laut dem angespülten Mannschaftsmitglied dienten jene schwarzen Wölfe dem Einen, ihr Schamane war ein Dämon - oder von einem besessen, ganz sicher war er sich da nie gewesen - und ihr Anführer war ein grausamer Mörder, der seinen Sohn als eben solchen erzog. Nach dem, was der Matrose, der später verstarb, erzählte, und sich dann auch bestätigen ließ, lief das Leben des schwarzen Drachenbootes wie folgt: Sie raubten Kinder und Jugendliche aus meist nortravischen Siedlungen, zwangen sie zum Glauben an den Einen- den auch der geflohene Matrose verehrte, trotz seiner wiedergewonnenen Freiheit - und ließen sie auf dem Schiff schuften. Insbesondere Frauen erging es dabei schlecht: sie wurden oft als Belohnung für fleißige Arbeit oder zwischen den Offizieren hin und her gereicht, und wenn sie nicht mehr zu viel mehr taugten, fraß der Sohn des Anführers sie bei lebendigem Leibe auf. Laut dem Matrosen genoss sein Herr derlei regelrecht. Der Schamane nun setzte alle beständig unter einen Nebel, der sie desorientierte und es ihnen schwer machte, sie selbst zu sein, und darum war der Matrose geflohen. Jener Nebel war es auch, der es schwer machte, das Boot zu entdecken. Schließlich wurden einige Leute entführt und dort hin verschleppt, aber durch etwas Magie konnte deren Aufenthalt aufgespürt werden. Er hatte seine sieben Sachen und alles, was er hatte, versammelt, und war dort aufmarschiert, um sich erst einmal durch Horden an Untoten, niederen Nortravenangamondiener und Bluthunde kämpfen zu müssen. Sie hatten eigentlich einen Plan gehabt, doch dann verlangte der Schamane, dass der Anführer der landgebundenen Armee - also Maik selbst - eintreten solle, sonst erginge es den Gefangenen schlecht... der Sohn des Anführers wollte verhandeln. Natürlich war es eine Falle, das war von vornherein klar, doch waren Geiseln nun einmal Geiseln... Also hatte er, um der Armee Zeit zu verschaffen, eingewilligt und war in den Nebel des Lagers eingetreten, wo er sich überzeugen konnte, dass die Gefangenen zwar misshandelt worden waren, jedoch noch am Leben und vollzählig. Vor ihm, er sah es noch in voller Deutlichkeit, lag das Drachenboot vor Anker, an einem eilends gezimmerten Steg, und der junge Bursche stand dort, grinste sein beunruhigendes Lächeln. Unter normalen Umständen hätte ich es als albern empfunden - alleine der Gedanke, was er wohl macht, wenn er sich mal auf die Zunge beißt, hätte mich zum Kopfschütteln gebracht. Papa, iff hab miff auf fie funge gebiffen... Aber in dieser Situation, verletzt und inmitten eines Lagers voll Nebel, die Gefangenen im Hintergrund und Hinterkopf, da war es nicht lustig gewesen, nicht albern: da hatte er verdammt nochmal Angst gehabt. Doch der Bursche hatte nicht nur die Grausamkeit seines Vaters geerbt, sondern auch dessen Überheblichkeit, und offenbar war der Vater auch nicht wirklich an des Sohnes Werdegang interessiert, denn der junge Nortrave, der so gerne unschuldige Sklavinnen auffraß, forderte den Marschall schlicht und mit erstaunlich viel Großmäuligkeit heraus zu einem Duell. Maik hatte ihm davon abgeraten - er war sich völlig im Klaren darüber, dass ein sechzehn, vielleicht siebzehnjähriger Bursche mit großer Gruselklappe und dicken Muskeln nicht zwangsläufig einem Fey gewachsen sein dürfte, der sich seit bald 60 Götterläufen im Kampf schulte. Er hatte ihm wirklich eindringlich geraten, Frieden zu schließen, und ihn gewarnt, doch der in der Seele entstellte, einsame, missbrauchte und misshandelte Knabe hatte auf dem Kampf bestanden, seine Axt gezückt und war auf Maik los gegangen. Die Gefangenen im Hinterkopf und hinter sich hatte er das einzig mögliche getan: seine Klinge gezogen, war dem ungestümen und wie erwartet stümperhaften Angriff aus dem Weg getreten und hatte seine Waffe einmal geschwungen. Einen Augenblick der Stille später - er entsann sich noch, als wäre es eben erst geschehen, selbst der Duft des Salzes lag ihm noch in der Luft - war er am Ende des Steges zur Ruhe gekommen, spürte noch immer, wie die Seeluft an Umhang und Haar zupfte. Hörte das Blut seine Klinge hinab rinnen. Ich drehte mich um, vage hoffend, dass es schnell gegangen war, und er nicht noch irgendwelche dämonischen Asse im Ärmel hatte, aber nein... seinem Vater hatte nichts an ihm gelegen. Niemand hatte ihm je Gnade und Güte erwiesen, und so hatte er sie auch nicht leben können... Damals hatte er sich umgewandt und beiläufig die Klinge vom Blut befreit, sie in ihre Scheide geschoben, noch ehe das Haupt des Burschen mehr als einmal auf dem nassen Holz des Steges aufgeschlagen war. Es hatte sich gedreht, er konnte das mild überraschte Gesicht sehen, die ratlos ahnungslose Miene eines vom Leben verratenen Kindes, dass nie eine Chance bekommen hatte. Dann war das beendete Leben reichlich unzeremoniell mit einem dumpfen Platschen im Wasser gelandet und versunken, der Leib einige Herzschläge später, noch ein, zwei mal mit den Fingern zuckend, zu Boden gestürzt.... Maik blinzelte die plötzliche Feuchtigkeit fort, die ihm völlig unerklärlich in die Augen gestiegen war, und sprach ein leises Gebet an Ajasendall.
Zuletzt geändert von Arin: 9.08.19, 17:03, insgesamt 1-mal geändert.
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