Finsternis. Abgrundtiefe, alles beherrschende Finsternis herrschte um sie herum. Es schien als hätte das Dunkel jede Art des Lichtes verschlungen und mit ihm jede Spur der Hoffnung. Es war als wäre der Morgen der Welt, der Antrieb allen Seins, ja man könnte meinen, der Funke der Götter in dieser Welt selbst, erloschen. Winzig und allein stand Erianna in mitten den finsteren, allumspannenden Nichts. Sie war allein. Doch nicht, wie sie es aus ihrer Vergangenheit kannte und wünschte. Jene Einsamkeit war in ihren Augen eine warme Isolation gewesen, welche sie tief in ihrem Inneren vor jeder Gefahr der Außenwelt schützte und ihr zu der Konzentration verhalf, ihre Aufgaben ohne Einwände zu erledigen.
Die Einsamkeit dieser Finsternis jedoch versprühte eine unbeschreibliche Kälte. Sie drang durch jeden Spalt, jede Faser ihrer Kleider und die junge Frau spürte förmlich die Dunkelheit ihren Rücken hinunterkriechen. Sie war nicht in der Lage sich zu rühren, als wären ihre Glieder eingefroren und einzig ihr Geist war noch unter ihrer Kontrolle, dazu verdammt ohnmächtig dem Vormarsch der Finsternis beizuwohnen.
Plötzlich... ein Aufflammen. Ein Schein in der Finsternis hinter ihrem Rücken. Unfähig ihren Körper zu drehen, um ihre Augen auf die Suche nach dem Quell des schwachen, aber wahrnehmbaren Scheins zu schicken, stand sie inmitten der Dunkelheit, ein schwaches Glimmen hinter ihrem schmalen Rücken.
War es ein Zeichen der Viere? Hatte Morsan seine gläubiges Schäfchen in der Finsternis gefunden und leuchtete ihr den Weg ins Licht?
Ein Schnaufen in ihrem Rücken verjagte jeden Gedanken an Hoffnung und Licht. Vielmehr schien die bodenlose Dunkelheit um sie herum noch ein Stück finsterer zu werden.
Sie kannte das Schnaufen. Es war das röhrende, kehlige Atemgeräusch eines widerlichen Orken. Von einem Augenblicke zum nächsten stieg ihr der Gestank der Kreatur in ihrer kleinen Nase empor und beraubte sie beinahe des Verstandes. Ihre Gedanken malten ihr das Bild der gehörnten Kreatur hinter ihr auf die Innenwand ihrer Stirn. Sie sah die hünenhaften Umrisse der Kreatur, von einem schwachen Scheine eines unbeschreiblichen Glimmens am Boden beleuchtet. Das vom Boden empor scheinende Licht verlieh dem Bild in ihrem Kopfe ein zusätzlichen, bedrohlichen Eindruck.
Sie konnte förmlich spüren, wie er seine ledrige Pranke in ihren Rücken nach ihrem kleinen Halse ausstreckte. Sie riss den Mund, in dem wilden Versuche einen lautstarken Hilfeschrei vertönen zu lassen, weit auf. Doch aus ihrem Mund drang kein Ton, sondern vielmehr fühlte sie eine Art Erde auf ihrer Zunge, welche sich im Geschmacke, dem Geruch des Orken glich. Mehr und mehr der lehmigen Masse drang in ihren Mund und umspülte ihre Zunge auf dem Weg ihren Rachen hinab.....
Mit einer panischen Bewegung schreckte Erianna in dem weißen, schweiß-gebadeten Bettlaken empor, ihr Mund hastig nach Luft ringend weit aufgerissen. Mit ungläubigem, angsterfülltem Blicke sah sie sich in dem Raume um. Einen Moment lang dauerte es bis sie den glimmenden Schein des niedergebrannten Holzscheites im nahen Kamine als solchen erkannte. Zunächst dachte sie, der Ork hätte sie lediglich zu sich herum gedreht und sie könne so den Schein zu seinen Füßen sehen.
Mit einer zittrigen Handbewegung ihrer Rechten fuhr sie sich über die schweissnaße Stirn. Als sie ihre schlanken Beine aus dem Bett hob, wischte sie die feuchten Hände beiläufig in dem Bettlaken ab.
Während sie sich mit der linken Hand, um Gleichgewicht bemüht, an der Wand abstützte, knöpfte sie mit den zierlichen Fingern ihrer Rechten die kleinen Knöpfe ihres Hemdes zu. Ein vorsichtiger Blick ihrer grünen Augen hinüber zu dem Nebenbette zeigte ihr, dass ihre Begleiterin noch seelenruhig schlief.
Leisen Schrittes bewegte sie sich zu der hölzernen Balkontüre. Sie schlich sich leise hinaus und schloss die Türe hinter sich.
Draußen auf dem Balkon wartete sie dann die Nacht in sehnsüchtiger Erwartung an die ersten Sonnenstrahlen des nahenden Tages ab.
Als Erianna das leise Treiben hinter der Balkontüre vernahm, stand die Sonne an diesem freundlichen Vitama-Tage bereits hoch am Himmelszelte und streckte ihre wärmenden Strahlen bis auf das hölzerne Geländer des Balkones aus. Zögerlich gab sie ihren Platz an der Sonne auf und trat wieder in das kleine Zimmer in dem sich Lantea langsam anzukleiden begann.
Der ausgeruhten Freundlichkeit Lanteas, stand der Kontrast Erianna's dunkler Augenringe entgegen. Die letzte Nacht und die Angst wieder ins Bett zu steigen und sich den Träumen erneut stellen zu müssen, hatte deutliche Spuren hinterlassen.
Lantea frage besorgt, ob es Erianna gut ginge und wie sie geschlafen hatte, doch jene blockte diese Floskeln mit emotionsloser Miene ab.
Sie mochte Lantea, doch konnte sie sie nicht in ihrer Gegenwart haben. Sie gefährdete ihre "heile Welt" mit ihrer Gegenwart.
An diesem Morgen merkte Erianna, wie weit Lantea ihr bereits ans Herz gewachsen war. Jene kümmerte sich um die zierliche,schwarzhaarige Frau ohne Einschränkungen oder Urteile. Nie vernahm Erianna von der Ordenskriegerin eine negative Wertung bezüglich Eriannas Wesens oder ihrer Taten. Das Einzige was sie dafür umso deutlicher spürte, war ein Gefühl der Freundschaft und der Unterstützung. Sie war sich sicher, dass Lantea ihr in nahezu jeder Situation beistehen würde und das obwohl sie sich noch gar nicht allzu lange kannten. Es war als bestünde ein emotionales Band zwischen Ihnen, was sie auf abstruse Weise miteinander verband.
Doch genau diese Tatsache verhinderte paradoxer Weise, dass sie Lantea weiterhin in ihrer Gegenwart dulden konnte.
Erianna wurde verfolgt. Eine Gruppe lauerte ihr auf, wo immer sie war, dessen war die junge Frau sich sicher. Lantea hatte ihre natürliche paranoide Art beruhigt und sie somit unachtsam werden lassen. Durch die warme Art des schützenden Gefühles, welche die Gegenwart Lanteas in ihr auslöste, war sie achtlos geworden. Diese Achtlosigkeit hatte bereits zwei Übergriffe zur Folge gehabt und ein jeder Lehrmeister hätte sie für derartige Verfehlungen ausgepeitscht.
Doch mehr noch, gefährdete sie doch jetzt nicht nur ihr eigenes Leben, sondern das ihrer Freundin gleich mit. Sollte Morsan es für nötig erachten, dem rieselnden Faden im Inneren Erianna's Sanduhr des Lebens ein Ende zu bereiten, so ward dies ein unausweichliches Schicksal, dem sie sich ohne auszubegehren beugen würde. Doch keinesfalls wollte sie Schuld an dem Tode ihrer einzigen Freundin sein. Lieber sollte sie einsam, fern von Erianna ihrem Leben nachgehen, als dass sie der Gefahr ausgesetzt würde, den Verfolgern Eriannas anheim zu fallen.
Doch wie sehr die zierliche Frau mit den hohen Wangenknochen auch anstrengte, es schien ihr nicht gelingen der Ordenskriegerin deutlich zu machen, dass sie nichts mehr von ihr wissen wollte. Es folgte eine lange, drückende Stille und Erianna fragte sich ob ihre Entscheidung, Lantea zu deren eigenem Schutze von sich zu stossen richtig ward. Gerade als sie wieder ansetzte, auf die Kriegerin ein zu reden, sprach jene ihrerseits.
Sie erzählte Erianna Einzelheiten aus ihrer Vergangenheit, und der Schmerz dieser Erinnerungen war der grauhaarigen Frau deutlich aufs Gesichte geschrieben. Auf dem Rücken unter dem emporgezogenen Hemde offenbarten sich Erianna's Blicke eine Vielzahl grausamer Narben und die Geschichten aus der Vergangenheit der Kriegerin ließen ihrer Freundin die Tränen in die Augen steigen. Sie fühlte beinahe selbst den Schmerz der Ordenskriegerin, welche von ihren Erinnerungen, scheinbar aus dieser Welt entrückt, wie in Trance berichtete.
Als jene ihren langen Monolog beendet hatte, knieete Erianna mit tränennaßem Gesichte vor dem Bette, auf dem Lantea sass. Dies war der Moment in dem sie eine Erkenntnis packte, welche sie an ihrer Entscheidung dieser Nacht, sich von Lantea fern zu halten, zweifeln ließ. Plötzlich schien es als würde sie Lantea durch ihre Abweisung nicht schützen, sondern ihr größeres Leid antun, als es der Tod je vermögen würde.
Sie blickte in das sich langsam wieder aufhellende Gesicht Lanteas und erkannte für sich, dass jene die Mauern ihres Inneren Bollwerkes bereits weit hinter sich gelassen hatte. Nie hätte sie gedacht, dass jemand so weit an sie herankommen würde um dieses klaffende Loch der Verletzlichkeit in Ihr zu erschaffen, doch es war geschehen.
Sie verbrachten noch den Rest des Tages zusammen, doch sprachen beide, auf einen möglichst heiteren Tagesverlauf bedacht, nicht mehr über das Gespräch dieses Morgens. Und für einen Moment lang schien das Leben um Erianna herum, in Ordnung. Es war ein schöner Vitama-Tag- Die Sonne schien, die Blumen und Blätter begannen ihre Triebe in die wärmenden Strahlen zu recken und die Vögel begannen ihr lautstarkes Liebesspiel in den Wipfeln der Bäume Falkensees. Für einen Moment war die unendliche Finsternis ihrer Träume der letzten Nacht gebannt und erstaunlicherweise sollte diese Heiterkeit auch bis in die Träume der kommende Nacht anhalten.
Der nächste Morgen begann für Erianna früh. Sie hatte endlich einmal wohl geruht und erwachte erfrischt in diesen Tag, doch schien etwas in ihrem Unterbewusstsein etwas gegen lange Schlafperioden zu haben. Es war als versuche ihr Geist sie vor den Träumen der letzten Zeit zu bewahren.
Lantea schlief noch auf ihrem Bette und bei diesem Zustand wollte die Schwarzhaarige es belassen. So schlich sie leise aus dem Hause und machte sich auf in Richtung Marktplatz. Es war einer ihrer unzähligen Spaziergänge durch die Gassen und Plätze der Stadt und sie genoss die Freiheit des sorglos dahinfliessenden Tages.
Nachdem sie ein schnelles, anspruchsloses Frühstück zu sich genommen hatte, machte sie sich auf in Richtung Finianswacht. Sie wollte sehen, ob einige alte Bekannte zu treffen waren und so lenkte sie die gemächlichen Schritte ihrer Füsse in die Richtung der hoch über der Stadt aufragenden Zinnen.
Sie fand nach wem sie gesucht hatte, und es wurde ein mehr als ereignisreicher Tag. Sie sah Dinge, von denen sie nicht einmal gehört hatte, geschweige denn einen Augenzeugenbericht vernommen. Sie wusste das es Menschen mit merkwürdigen Fähigkeiten gab, doch eine derartige Demonstration mit eigenen Augen zu erleben, war ein gänzlich anderes Erlebnis.
Als sie die Gemäuer der Burg bei aufkommender Nacht wieder hinter sich gelassen hatte, fühlte sie sich etwas verwirrt. Ihr Geist würde einige Zeit brauchen, dass gesehene zu verarbeiten.
Als hätten die Ereignisse des letzten Tages die muntere Heiterkeit des fröhlichen Vitamatages vertrieben, kehrten in dieser Nacht wie Alpträume zurück und bescherten Erianna eine sehr als unruhige Nacht. Nicht nur, dass sie Dinge gesehen hatte, die nicht von dieser Welt zu sein schienen, auch war das Bett zu ihrer Rechten diese Nacht gänzlich unberührt.
Eigentlich hatte sie Lantea ja weit von sich stossen wollen, um jene vor den Verfolgern Eriannas zu schützen. Doch nun wo sie allein in dem kleinen Zimmer im Schein des flackernden Kamins lag, fehlte ihr die wärmende Gegenwart ihrer starken Freundin. Die Träume dieser Nacht waren von Finsternis und Dunkelheit gefüllt. SIe schlief nie lange Zeit durch und wachte mehrere Male schweißgebadet in den mittlerweile durchtränkten Laken auf.
Die kommenden Tage waren wolkenverhangen und regnerisch, ein passendes Abbild Eriannas Gefühlswelt. Sie hatte Lantea lange nicht getroffen und ging ihrem Tagewerk nach, so gut ihre schlaflosen Nächte ihr dies gestatteten. So suchte sie eines Tages Ruhe in dem Schrein des Träumenden. Sie schlenderte von dem Marktplatze hinüber zum Tempel der Viere. Auf den Stufen vor dem hellen Gebilde aus Stein und Marmor stand eine Frau in einem roten Kleid mit den Zeichen Vitamas.
Etwas in den Tiefen Eriannas Unterbewusstseins begehrte auf und sorgte für eine innere Unruhe in der zierlichen Frau, ohne, dass jene das Gefühl näher beschreiben konnte.
Auch Lantea traf sie unerhofft vor den Stufen des Tempels, welche sie in ihrer neuen Uniform nicht auf Anhieb erkannte. Doch blieb das Gespräch von denkbarer Kürze, ein endophalisch aussehender Mann rief sie zur Verdienstung ihrer Pflichten, was zum jähen Ende der Konversation führte.
Erianna wandte sich wieder der Frau in der Vitamabekleidung zu, Edora wie sie sich vorstellte, war ihr Name. Sie geleitete die schwarzhaarige Frau in den Schrein des Träumenden und ließ sie dort allein.
Es war Erianna als hätte sie diese Erscheinung bereits einmal gesehen, doch vermochte sie nciht zu sagen wo und wann.
Sie ließ sich resigniert auf den dunklen Teppich hinab und versank schnell in einer ruhsamen Meditation, die betenden Worte an den Träumenden gerichtet.
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