„Verdammt, verdammt, verdammt, verdammt. Das hat dieser Mistsack, doch nur gemacht, weil er mich nicht ausstehen kann.“ Henry tritt einen kleinen Stein über den Schulhof und starrt vor sich hin. „Wie geht es deinen Händen, Henry?“ Vorsichtig griff Ina nach den Händen des Jungen und betrachtete sich eine Weile lang das Farbspiel, welches sich dort bot. Seine Hände waren geschwollen und schwankten zwischen roten Striemen und blauen Flecken. Zimmermann hätte wirklich nicht so fest zuschlagen müssen. Henry hatte doch gar nichts Schlimmes gemacht. Gut, er hatte versucht ihr einen Zettel zu zuschieben, aber ihn deshalb gleich so mit dem Rohrstock zu schlagen, war wirklich übertrieben gewesen. Ina hatte schon angst gehabt, dass er Henry blutig schlagen würde. Es war wirklich grauenhaft gewesen, dass Geräusch des herabsausenden Rohrstocks, welcher die Luft durchtrennte und dann das klatschende aufkommen auf Henrys Haut. Sie hatte sie so beherrschen müssen, nicht aufzuspringen, um dem Lehrer seinen Stock zu entreißen und ihn damit selbst zu schlagen, aber was hätte sie ihm schon groß entgegen zu setzen gehabt, eine Zwölfjährige war für den doch weniger als Dreck unter den Füßen. Es war alles so ungerecht. Sicher, es war gang und gäbe, dass man Schüler auf diese Art und Weise züchtigte, aber das hier ging weit darüber hinaus. Zimmermann konnte Henry nicht ausstehen, er misstraute ihm, Ina glaubte sogar fest daran, dass er Henry hasste. Das ganze steigerte sich so langsam, schaukelte sich von selbst immer weiter auf und begonnen hatte es damals nach dieser Fernandosache. Seit dem beobachtete er Henry und bei jeder Gelegenheit ließ er ihn seine Überlegenheit spüren, aber heute war er wirklich zu weit gegangen. Henry würde seine Hände sicher eine Woche kaum nutzen können, so schlimm sah es aus.
Tatsächlich dauerte es ganze vier Tage, ehe die Hände wieder soweit nutzbar waren, dass es nicht mehr so anmutete, als würde ein Gorilla mit seinen Pranken versuchen Feinarbeiten zu leisten. Noch immer schmerzte es ihn zum Teil, je nachdem was er tat, aber er gab Zimmermann kaum die Genugtuung des sichtbaren Schmerzes. Er fraß es in sich hinein und lächelte ihm gerade zu todesverachtend an. ER würde ihn nicht klein kriegen! Niemals! Was machte ihn eigentlich so stur und derart stark, wirklich normal war es nicht unbedingt in seinem Alter. Dann fiel sein Blick auf Ina, welche sich bei ihm untergehakt hatte und ihn munter vollplapperte und er musste lächeln. Ina, ja, sie wahr wohl wirklich seine Stärke. Er wollte sich vor ihr einfach nicht wie ein kleines Kind benehmen, sie hatte es verdient einen starken Menschen neben sich zu haben. Sie brauchte schließlich jemanden der auf sie aufpasste und in dem Fall war eben er das, er war so etwas wie ihr großer Bruder und das würde auch so bleiben. „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“ Ina blickte zu ihm auf und legte den Kopf leicht schräg. „Ich glaub ich war kurzzeitig, sagen wir, abgelenkt.“ „Das hab ich gemerkt. Ich hab im Übrigen gesagt, dass ich das ganze mit Zimmermann keinen weiteren Tag mehr ansehen werde.“ Henry nickte eher langsam und wollte gerade wieder mit den Gedanken abschweifen, als Ina ihn auch schon zu Quint hinüberzog. „Na, Storchenhals, hast du das, was ich von dir haben wollte von deinem Vater besorgt?“ Quint zuckte zusammen, als er nicht nur Ina, wie am Vortag, sondern auch Henry bei ihr sah. Henry, warum musste dieser Kerl nur immer bei der schönsten aller Blumen sein? Sie war so schön und so zerbrechlich. Ein leises Seufzen kam über seine Lippen und ein dümmliches Lächeln überzog sein Gesicht. „Quint!“ Ina verdrehte die Augen. „Warum träumen heute alle um mich herum? QUINT!“ Patsch, für einen Moment hallte die Ohrfeige nach, die Ina Quint einfach so verpasst hatte. Ihr Schlag war nicht sonderlich heftig, aber heftig genug um ihn wieder ins Hier und Jetzt zu holen und auch noch heftig genug um einen leichten roten Abdruck auf seiner Wange zu hinterlassen. „Wieder anwesend? Ja? Fein! Also, hast du es nun oder nicht?“ Wie vom Donnerschlag gerührt nickte Quint recht schnell einige Male. „J..j..ja, i..i..ich hab e..e..es.“ „Braaaav! Na gib schon her, bevor uns hier noch wer zusammen sieht.“ Zwei Fläschchen wechselten den Besitzer und schon zerrte Ina Henry Richtung Schultüren. „Was ist denn das?“ „Wirst du schon noch sehen, sei doch nicht immer so neugierig. Das Ganze wird meine Überraschung für dich.“ Mit einem Schmunzeln ergab er sich dem Mädchen und ließ sich von ihr einfach weiter führen.
Sie ließ ihn tatsächlich zappeln, den ganzen Schultag über. Nicht ein Wort über die Flasche oder was sie damit vor hatte. So langsam wurde Henry unruhig, die Neugier wurde so langsam doch stetig größer. Dann endlich war es an der Zeit, dass sie nach Hause gehen konnten, es war schon später am Tag und nur noch wenige Schüler würden jetzt noch Unterricht haben. Ein perfekter Moment für die Umsetzung ihres Planes. Als Henry Richtung Ausgang strebte, hielt sie ihn zurück. „Warte, Henry. Wir haben noch etwas zu erledigen.“ Die Beiden schlichen durch die Flure und immer wieder schob oder zog Ina Henry in eine Bestimmte Richtung, in die Richtung des Lehrerzimmers. Sie hatte Quint vor zwei Wochen dazu abgestellt, herauszubekommen wer da, wann drin war und jetzt, um diese Uhrzeit dürften nur noch drei Lehrer dort drinnen sein, Reginold Zimmermann, Amnalena Disentis und Ghime Lionell. Irgendwo war es ja dumm, dass er nicht allein war, aber wie sagte man so schön? Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Als sie gerade um die Ecke bogen, kam ihnen allerdings unverhofft dieser Elf entgegen. Lionell bedachte die Beiden mit einem fragenden Blick. „Was wollt ihr denn hier Kinder?“ Ja, was wollten sie hier? Was? Noch als Ina am überlegen war, hörte sie Henry, der ganz souverän, so als wäre es die Wahrheit, antwortete. „Ich sollte für meine Eltern einen Brief im Rektorat abgeben und ich lasse Ina doch nur ungern, allein.“ Sein Lächeln in Worten, hätte wohl gesagt, dass alles in Ordnung ist und man sicher keinerlei Sorgen machen müsste. Lionell nickte und ließ sie gehen, während er nun selbst in das Lehrerzimmer ging. „Aber haltet euch hier nicht mehr zu lange auf und geht nach Hause.“ Dann schloss sich die Tür hinter ihm. Ina blickte über den Gang und atmete erst einmal tief durch. Sollte sie es jetzt noch machen oder es lieber verschieben? Ach, jetzt oder nie. Sie lugte durch das Schlüsselloch und tatsächlich, nun waren genau die Drei dort drin, die drin sein sollte. Als sie sich wieder aufrichtete, schnappte sich einen der Holzstühle, welche überall auf dem Lehrergang verteilt waren und schob ihn so leise wie möglich unter den Türgriff. „Drück bitte mal richtig fest.“ Nur leise war ihr Flüstern zu hören. Henry reagierte sofort darauf und drückte den Stuhl etwas fester unter den Türgriff, so dass dieser vollständig blockiert wurde.
Ina nahm die Flasche aus ihrer Tasche hervor und machte sich daran zuerst einige Tropfen auf die dicken Vorhänge vor den Fenstern zu verteilen, dann auf die Stühle, sie zog eine kleine Spur von der Tür bis zum Gang und besprengte schließlich sehr vorsichtig die Tür. Als das vollbracht war, zog sie die zweite Flasche hervor, die Flüssigkeit darin, war deutlich dunkler und sie goss es auf den Boden, so dass es sich in den Ritzen des Bodens und der Tür verteilte. Henry verfolgte das Ganze und so langsam wurde es ein wenig mulmig. Sie hatte sie doch nicht etwas von Quint so einen Explosionstrank geben lassen? Da könnte doch wer weiß was passieren. Als alles vorbereitet war, zog sie Henry zur Seite und holte einen Kerzenstumpen aus ihrem Rucksack hervor. „Ina, du hast doch nicht…?“ „Doch hab ich. Ich werde das ganze hier anzünden.“ „Das ist viel zu gefährlich. Ich will nicht, dass dir etwas passiert.“ „Ich habe alles genauestens durchdacht. Vertrau mir einfach. Das Zeug hier vorn ist nicht pur, zumindest nicht, wenn Quint es hinbekommen hat, wie ich es ihm gesagt hab.“ Sie entzündete den Kerzenstumpen an einer der Kerzen, die den Gang erhellten und stellte ihn direkt in die Pfütze der Explosionsmischung. Sie hatte sich von Quint genau erklären lassen, wie dieser Trank reagieren würde. Man durfte ihn nicht zu sehr schütteln, werfen schon gar nicht und auf zu große Hitze reagierte er auch. Sie hoffte nur, dass er auch Recht behielt und das Ganze nicht vorher hochging. Wenn jetzt alles genau so funktionierte wie geplant, dann würde es ausreichen, dass die Hitze der Kerze, sobald sie weit genug hinab gebrannt war, das Ganze zu entzünden. Kaum war die Kerze aufgestellt, griff sie nach Henrys Hand und rannte mit ihm zusammen nach draußen auf den Pausenhof, einen Blick noch hinauf in Richtung des Lehrerzimmers, dann machten sie sich auf den Weg nach Haus. Sie hielten extra noch bei einigen Läden an, in denen sie die Verkäufer genug stressten, dass sie sich auf jeden Fall an sie erinnern würden, dann hörte man auch schon das Glockengeläut, wie man es bei Feuer hören konnte. Ina hielt den Atem an, ob es wirklich geklappt hatte? Am liebsten wäre sie ja zurück gelaufen, aber es wäre einfach nicht gut, wenn man sie dort jetzt sehen würde, also gingen beide genau in die andere Richtung. „Ina, ich hätte nicht geglaubt, dass du für mich so etwas tun würdest.“ „Aaaach, dass war doch nichts. Er hat es schließlich verdient!“ Leicht röteten sich ihre Wangen unter seinem bewundernden Blick.
Was die Beiden nicht mitbekamen war das was an der Schule vor sich ging. Alles lief genauso, wie es sich Ina in ihrem kindlichen Geist ausgemalt hatte. Als der Kerzenstumpen weit genug hinab gebrannt war, wurde es zu heiß und so wurde die Kettenreaktion in Gang gesetzt. Die dünnen Spuren und kleinen Flecken, welche überall auf dem Gang verteilt waren und tatsächlich nicht pur, sondern verlängert waren, entbrannten eher, als dass sie explodierten, nur ging das Ganze so schnell von sich, dass der Gang innerhalb von Sekunden unter Feuerstand. Als der erste Rauch unter der Tür durch in das Lehrer Zimmer kroch, war es Ghime Lionell, der es als erster bemerkte, doch kaum, dass er es gerochen hatte, explodierte auch schon die Pfütze an der Tür, sprengte diese zwar dabei, aber zog auch gleich ein Flammeninferno sondergleichen nach sich, so dass es keine Möglichkeit mehr gab, der Flammenhölle zu entfliehen. Brennendes Holz, Rauch, so vieles was den Raum erfüllte. Zimmermann, lag bereits tot am Boden, er war von einem dicken, brennenden Holzsplitter mitten ins Auge getroffen worden, Amnalena Disentis lag an der anderen Seite des Zimmers und hielt sich röchelnd die Kehle, irgendetwas hatte ihr den Hals tief aufgeschnitten und die ersten Flammen griffen auch bereits nach ihr. Nur Ghime Lionell stand noch, doch brannten seine Sachen bereits, die Flammen leckten an seiner Kleidung hinauf und verwandelten ihn in eine brennende Fackel. Mit letzter Kraft stürzte er auf das Fenster zu und schrie so laut er konnte zwei Namen hinab. „Ina und Henry….“ Wohl wollte er noch weiteres sagen, doch brach er zuvor schon tot zusammen. Die Worte vergingen nicht ungehört, denn einige Leute standen bereits unten auf dem Hof und schauten hilflos zu, wie das obere Stockwerk in Flammen aufging. Das Feuer konnte unter Mithilfe von Magiern schließlich erstickt werden und gerade zu bedrohlich gingen die dunkeln Rauchschwaden in den Himmel hinauf.
Die Schule musste einen Mond lang gesperrt werden um wenigstens die gröbsten Schäden zu beheben, in der Zeit hatten sowohl Ina, als auch Henry mehr als nur einmal Besuch von Ermittlern der Wache, aber ein so gut eingespieltes Team, konnte selbst das nicht zum Stolpern bringen. Sie hatten ja auch mehr als gut dafür gesorgt, dass man sie während des Feuerausbruches an ganz anderen Stellen als der Schule gesehen und wahrgenommen hatte und Inas Tränenausbrüche, über den Verlust so guter Lehrer waren gerade zu Theaterreif gewesen. Selbst die Ermittler konnten nicht umhin sie schließlich in den Arm zu nehmen, um sie zu trösten. Das perfekte Trauerspiel, so perfekt, dass man es bei zwei Kindern einfach nur für die Wahrheit halten musste.
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