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 Betreff des Beitrags: Vitamas Wege und ihre Enden
BeitragVerfasst: 30.09.09, 03:56 
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Es war irrsinnig.
Die Götter mussten böse Spiele mit ihr treiben. (Mal wieder.)
Wie konnte ihr nur so etwas passieren? Wie konnte der Segen Vitamas sie ereilen, wo sie doch tief in ihrem Herzen gerade beschlossen hatte, diesem zu entsagen, alleine zu bleiben, anzuerkennen, dass sie nicht für die Liebe und nicht für das Leben mit einem Mann geschaffen war?
Sie hatten diesen Beschluss niedergeschrieben.
Sie hatte ihn vor einem Freund angedeutet und war auf Unverständnis gestoßen.
Sie hatte ihn vor einem Fremden erläutert und traf auf...ja, es war Verständnis.
Diesem Fremden konnte sie ohne Furcht vor Verachtung erzählen, was in ihr vorgegangen war und er hatte ihr jedes Wort mit solcher Leichtigkeit entlockt, wie es vorher keinem der Geweihten gelungen war, die ihr Glück versuchten.
Und er las weiter in ihr. Jeden Abend schlug er ein paar Seiten mehr im Buch ihrer selbst auf und ließ zu, dass sie sich an seinen Kern herantastete.
Zumindest glaubte sie dies.
Was es war? Das wusste sie nicht.
Ob sie es überhaupt zulassen wollte? Vielleicht war es eh zu spät darüber noch nachzudenken.

Vitamas Wege waren ihr eh stets unergründlich gewesen und vor allem ihre Zeiteinteilung. Götter kannten da wohl keine Gnade.


Zuletzt geändert von Awa: 17.11.09, 17:31, insgesamt 2-mal geändert.

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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamas Wege
BeitragVerfasst: 2.10.09, 18:18 
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Bibbernd zog sie die Decke wieder hoch über die Schulter und drehte sich raschelnd zur anderen Seite um. Es war noch viel zu früh nach dieser langen Nacht. Das Licht fiel grau und fahl durch die Fenster, in den wage erkennbaren Bündeln Felaschein tänzelte der aufgewirbelte Staub. Das Feuer im kleinen Ofen war schon lange erloschen und so spürte Awa die kalte Luft im Raum an ihrer Nasenspitze vorbeiziehen. In die Räume drang von Außen nur ein aufgewecktes Zwitschern der Vögel, die nicht in wärmere Gefilde abgereist waren und es sich nun auf den Dächern der aufwachenden Stadt gemütlich machten.
Obwohl sie ahnte, dass er dort nicht mehr lag, streckte sie den Arm über das Laken streichend von sich. Natürlich traf sie nicht auf Widerstand. Der warme, ruhende Körper der Nacht war entschwunden.

Während er geschlafen hatte, hatte sie zwei Dunkelzyklen lang wach an der Bettkante gesessen und in die Flammen des Ofens geblickt. Schlaflosigkeit in der Nacht war bei ihr seid Monden nichts Unbekanntes. Vielleicht war sie deshalb zu erschlagen gewesen um am Morgen sein Fortgehen zu bemerken?
Am Besten dachte sie nicht darüber nach... wollte nicht wieder von ihren Zweifeln niedergerungen werden. Und doch spürte sie eine aufgewühlte Unruhe in ihrem Brustkorb ihr Unwesen treiben. Würde er sich nun wieder umstimmen und den Weg des Soldaten einschlagen der keine Zeit und nicht die Muße hat sich die Last einer Frau aufzubürden? Plötzliche Sinneswandel sind doch nicht unwahrscheinlich, oder? Am liebsten wäre sie tiefer im Kissen versunken um die Schmach an sich vorbeiziehen zu lassen. Doch an Schlafen war nicht mehr zu denken und die Schafe mussten versorgt werden.

Nur wenige Augenblicke später sollte sie die Nachricht auf ihrem Tisch finden, die er ihr dort sorgsam hinterlegt hatte... und die ihr ein behutsames Lächeln für den Rest des Tages schenkte.


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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamas Wege
BeitragVerfasst: 3.10.09, 15:23 
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Sie musste ihm sagen dass er zu gehen hatte...

...besser für alle Beteiligten...

Er hatte doch recht. Er zweifelte. Er würde schon wissen warum er dies tat. Er würde schon wissen, warum der Abend gekommen war.
Die ganze Nacht hatte Awa wieder vor dem Ofen gesessen und den alles verschlingenden Flammen in ihrem kleinen Ofen zugeschaut.

...Feuer... verbrennen...


Sie hatte den eigenen Schwur gebrochen. Sie hatte einen Mann in nur einer Woche an ihr Herz gelassen. Und dabei würde sie wohl diejenige sein, die am wenigsten darunter litt.

...ich schaffe es nicht ohne dich...


Die kalte Fassade war auf sein Gesicht zurückgekehrt als er ging. Der Kern hatte sich wieder um ihn herum geschlossen.
Er hatte sie verlassen.

... ich werde wieder für dich da sein wenn du mich brauchst...


Hatte er sie wirklich gebraucht? Hatte er es wirklich nicht bereut? Oder war es einfach nur eine Phase wie die ihre gewesen... zu sehen ob die Wahrheit, die sie lebten, tatsächlich die richtige war?
Sie hätte jede Last für ihn getragen, alles getan um die richtigen Antworten für ihn zu finden, alles versucht um dieser Spiegel für ihn zu sein, nach dem er sehnte.
Aber sie hatte es nicht geschafft.


...Ich bin doch da...


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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamas Wege
BeitragVerfasst: 3.10.09, 15:28 
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Am nächsten Morgen hatte sie wieder einen dieser Träume Lifnas gehabt, die sie schon seit ihrer Kindheit regelmäßig in den Wahnsinn trieben.
Dunkelheit.
Stille.
Wo war sie da nur gewesen? Und warum war ihr so schwer ums Herz? So kalt in den Gliedern?
Und zu allem Überfluss wurde ihr auch noch übel...


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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamas Wege
BeitragVerfasst: 30.10.09, 16:10 
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Was sollte sich eine Frau mehr wünschen?
Sie konnte sicher in einem Haus leben, eigenständig arbeiten und dabei hatte sie nun schon seit Wochen einen anständigen Mann an ihrer Seite, der jeden Abend aus Brandenstein kam und sich um sie kümmerte und sorgte. Bald schon befand sich ein Ring an ihrem Finger und es wurde vom Zusammenziehen gesprochen. Und, wenn die Kröte sich nicht irrte, würde Vitama auch noch ihr unglaublichstes Wunder wirken lassen.

Aber es war zu früh.
Es wurde einfach zuviel verlangt. Die Ängste vor diesen gewaltigen Fortschritten ließen sie abstumpfen vor der Liebe, die sie an sich heranlassen könnte.
Natürlich würde der Soldat das Kind nicht wollen. Sie hatte ihm gesagt, dass sie nach der Todgeburt ihres Sohnes keine mehr kriegen würde. Es stellte sie nicht im geringsten zufrieden, dass er ihr zusagte sie damit nicht allein zu lassen, „es“ mit ihr durchzustehen, dieses Missgeschick.

Denn so sollte es nicht sein. Sollte sie nicht vor Freude weinen, dass Vitama ihr eine neue Chance gibt, und nicht aus Angst und Unbehagen?

Warum taten das die Götter stets mit ihr? Sie nahmen ihr Kinder, wenn sie mehr denn je auf das neue Leben gehofft hatte, sie gaben ihr welche, wenn sie nicht bereit dafür war... sie quälten die junge Frau mit schlechten Träumen, bis sie gar einst die Lebenslust verloren hatte... aber waren nicht da, wenn sie im Tempel auf Knien um Hilfe bat, die verlorene Seele vor ihren Abgründen zu retten.

Ging sie den falschen Weg?


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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamas Wege
BeitragVerfasst: 7.11.09, 14:35 
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Sie konnte nicht sagen sich wirklich auf die Situation eingestellt zu haben.
Nun gut... sie war von ständigem Heißhunger gequält, jeden Morgen begrüßte sie das Abendbrot und viel heben konnte sie auch nicht mehr.
Doch ansonsten?
Hatte sie Anstalten gemacht, sich im Hospiz über Geburten zu erkundigen, wie Simon es getan hatte? Hatte sie in Erwägung gezogen, schon mal bei einem Schreiner eine Krippe in Auftrag zu geben oder so langsam die ersten kleinen Sachen zu Stricken?
Und viel schlimmer... sie hatte niemanden, rein niemanden außer dem werdenden Vater davon berichtet und war bestürzt, dass sein bester Freund davon wusste.
Ständig quälte sie nur der Gedanke, dass die Schwangerschaft wieder zu früh ein Ende fände, dass Morsan sich wieder für ihre Fehlbarkeit an ihr räche. Paranoid. Ja, sie wurde wieder paranoid. Konnte schon seit Tagen keinen Schritt mehr in den Tempel tun, erbat nicht einmal den Segen Vitamas.

Und ihre Beziehung? Sie war lange damit unzufrieden gewesen, dabei kam dieser Mann jeden Abend treu und sorgend zu ihr um ihr jeden Wunsch zu erfüllen, um ihr die Selbstzweifel zu nehmen und sich die kleinste Kleinigkeit ihres einfachen Handwerkerlebens anzuhören. Er war in die perfekte Rolle des alles erduldenden Mannes geschlüpft und das... ja das hatte sie in all der „glücklichen“ Fassade unglücklich gemacht. Denn sie glaubte einfach nicht, dass dies die Wahrheit war, dass er sich ihr so offenbarte, wie er es ständig von ihr verlangte. Sie solle ihre Seele vor ihm ausziehen und bekam von ihm so wenig zu sehen.
Sie musste ihn erst vor seinem Freund bloß stellen damit Simon endlich einmal seinem Ärger Luft machte. Seine Schimpftirade hielt so lange an, bis er ihr sogar drohte sie zu verlassen wenn sie sich nicht ändere, nicht endlich ihre Gefühle zuließe und ihre Gedanken mit ihm teile. Und durch die Blume teilte er ihr noch mit, dass er nicht daran glaube, dass sie es auch alleine schaffen könnte, dass sie zu schwach sei...ja... das musste er gemeint haben...

Und doch bat sie um seine starke Schulter, um seine Vergebung, um seine Geduld und seine Hilfe.


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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamas Wege
BeitragVerfasst: 17.11.09, 17:31 
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„Hier, die habe ich vorhin auf der Straße gefunden...“
Mit diesen Worten reichte eine endophalische Frau ihr am Hafen Brandensteins eine Kette voran, verdreckt vom regenaufgeweichten Boden der Wege und Straßen. Eine kleine Sanduhr baumelte in der Mitte, der Verschluss war geöffnet.
Auf die Frage hin, wer sie denn verloren habe, bekam sie nur die Beschreibung eines Mannes, der zumindest am Fundort verweilt hatte. Ihres Mannes. Sie hatte es geahnt.

Und obgleich die Wolkendecke sich zu einem dunklen Teppich zusammenraffte, um mit Regenschauern ein baldiges Gewitter vorzubereiten, eilte Awa ohne zu zögern an der freigiebigen Frau vorbei. Laufen war ihr nicht möglich, denn wie Barius, Fardo und Litizia bereits als erste erfahren hatten, quälten die junge Frau seit Tagen schon die Schmerzen im Unterleib, die sie sich bei jeder Anstrengung oder Hektik krümmen ließen.
Er musste in Richtung Falkensee reiten... bestimmt wusste er nicht, dass Barius sie nach Brandenstein gebracht hatte, als er von dem misslungenen Putschversuch gehört hatte, auf dem, wie sie erfuhr, die Todesstrafe stand.
Völlig übermüdet von der kummervollen, durchgemachten Nacht stampfte sie selbst an so manchen Reiter vorbei, ohne nach links oder rechts zu sehen, ohne den Blick zu den kahlen Ästen zu heben, die gefährlich über ihrem Kopf knarrten und sich im stürmischen Wind ächzend wanden.
Und auch niemand hatte ein Auge für die vor Angst bleiche, bis auf die Knochen vom Regen durchnässte Frau, die auch der dicke Pelz des Umhanges nicht mehr recht wärmte.
Nur einmal machte sie halt, nachdem sie rutschend und schliddernd am Orkenpass zum Aussichtspunkt hinaufgestiefelt war.
Ihr Platz.
Der Platz ihres ersten Abends. Der Platz, an dem er ihr den Ring ansteckte. Der Platz, an dem sie sich treffen wollten, wenn sie verloren gingen und sich wiederfinden wollten.

Aber Simon war nicht hier.

_____________________________________________________

Am Westtor Falkensees war ihr vom eilenden Weg und den Schmerzen so schwindelig, war sie vor Sorge, es könne doch nicht Simon gewesen sein, der Brandenstein verlassen hatte, so blind für ihr Umfeld, dass sie als erstes beinahe den Waibel Delarie angerempelt hätte.
Ein „Ehre dem Bund“ hatte er der sogleich erkannten Schneiderin noch fröhlich hinterher gewünscht. Aber er bekam nur ein gehetztes „Ja ja“ zugesprochen.

An ihrer Schneiderei angekommen, waren ihre Hände bereits so erkaltet, dass sie kaum den richtigen Schlüssel am Bund finden konnte... immer nur das stumme Flehen, Simon möge nichts passiert sein, dass er Zuhause ist, im Warmen... dass er in Falkensee Zuflucht gesucht hat.

Und er war da. Wie immer in seiner grauen Reiserobe gekleidet, ein Kopftuch um den blonden Zopf geschlungen... mit dem Rücken zu ihr an der Theke. Er war da...ja... aber sie sah sofort, dass er nicht nach Hause gekommen war.

Natürlich musste er gehört haben, wie die Tür aufging, aber er ließ sich nicht ablenken, das Schriftstück in aller Seelenruhe zuende zu verfassen, die Feder noch ordentlich neben den beiden Schlüsseln abzulegen. Die Schlüssel ihres Hauses.
Sie erntete nur ein kühles „Grüß Dich“, auf ihr Klagen ob der Suche nach ihm. Sie habe Sorge gehabt, die Malthuster hielten ihn fest und erhielt nur ein bedrücktes Schmunzeln daraufhin als Antwort.
„Fahnenflüchtige werden nun mal gesucht.“
Kühl, abrechnend wirkt seine Stimme, als er ihr erklärt, dass er nun die Insel verlassen und wieder nach Malthust gehen würde.

„Du hattest auch nicht vor, mich mitzunehmen, oder?“, stellte sie zittriger Stimme fest, wieder der Blick auf das Schreiben gelenkt. Nein, natürlich hatte er das nicht. Da beruhigte sie auch nicht, dass er nur seiner Familie nicht zumuten wollte, das Leben eines Meuterers, das auf ihn zukommen würde, mit zu ertragen. Hätte er nicht wissen können, dass sie alles mit ihm durchgestanden hätte? Aber die Frage nach dem Warum, dem Warum des Putschversuches, brachte ihr die Erkenntnis, weswegen sie nicht mit ihm kommen sollte. Der weitere Grund.
Er war Soldat. Sein Leben war das Militär. Er hatte gar nicht daran gedacht, dass dieser Putsch scheitern könnte, was dann mit seiner Familie passieren könnte. Dieser Putsch wäre auch nicht wichtig für Awa gewesen, sie wohnte im Ersonter Lehen. Ja, er hatte sich für die Zukunft der und in der Malthuster Armee entschieden. All diese Gedanken schossen ihr durch den Kopf.

Wie in Trance öffnete sie die Tür, wahrscheinlich hatte ihr Simon noch mitgeteilt, dass jemand rein wolle. Barius.
Auch er durchlöcherte Simon sogleich mit Fragen und forderte auch, dass er sich ja nun um seine Familie kümmern sollte, er hätte dieser schon zu genüge Sorgen bereitet. Aber auch ihm teilte Simon voller Ruhe mit, dass er nun gehen würde. Fassungslosigkeit musste bei diesen Worten über den Magier gekommen sein.

„Lass ihn gehen...“, bat Awa leise und kummervoll. Wenn es Simon das Leben rettet... wenn es ihn glücklicher macht, wenn er wieder ohne sie ein besserer Soldat sein kann... dann, dann musste es ohne sie sein.

Nur einmal noch suchte er ihre Nähe, ohne Berührung, ohne zärtliche Verabschiedung, als er ihr das Schreiben voran reichte.

„Ich liebe dich... nun geh einfach... geh...“, bat sie leise.
Und auch er wisperte ihr etwas zu, Worte, die sie sich zum ersten und letzten Mal sagen sollten:


„Sei Dir gewiss, dass ich Dich liebe, als Erste und Einzigste.“


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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamas Wege und ihre Enden
BeitragVerfasst: 18.11.09, 02:45 
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Sie wollte den Schmerz nicht.
Sie wollte nicht für einen Moment den Kummer erleben, ihn nicht zulassen, ihn in sich eindringen lassen. Wollte nicht an die Konsequenzen denken, an das Alleinsein, an die Einsamkeit, sich nicht daran erinnern, dass alles sie an ihn erinnern würde.

Vor Schmerz krümmte sie sich auf dem Stuhl, da war Barius auch schon aus dem Haus geeilt.
Dabei wollte sie niemanden sehen... wollte so nicht gesehen werden... die Schwäche nicht offenbaren, die sie meist hinter einem Lächeln so gut verbergen konnte.
Und in jenem Moment der Schwäche, der Erschlagenheit, forderten der lange Weg von Brandenstein nach Falkensee und das Unwetter ihren Tribut. Kaum mehr konnte sie sich auf den Beinen halten und so wurde es ihr Schwarz vor Augen.
Auslöschen.
Alles einfach nur auslöschen.

Sie bekam nicht mehr mit, wie Barius die Heilerin Galdiell in ihr Haus brachte, wie sie das Lager auseinander nahmen um nach Tüchern und Fellen zu suchen, wie sie die Fiebernde aus den nassen Sachen zu befreien und unter Fellen warm zulegen versuchten. Sie nahm nicht bewusst wahr, wie Barius zu den Göttern flehend Heilmagie auf sie wirkte, wie Galdiell mit einem Horn versuchte einen zweiten Herzschlag zu hören. All das Beten und Flehen... wofür?
Sie hatte es ihnen versucht mitzuteilen... schon seit mehreren Tagen. Aber niemand wollte ihr glauben.
Ihre Intuition war etwas grausames. Und manchmal war es noch grausamer, dass niemand auf diese vertraute und jeder versuchte Awa von ihren Vorahnungen fort zu lenken und es dann Hoffnung zu nennen. Warum? Warum redeten sich immer alle alles gut? Warum denken sie immer, alles müsste doch ein gutes Ende nehmen?
Glaubten sie, ihre Bitten würden die Götter bewegen, das unweigerlich eintretende Leid noch mal abzulenken? Das taten sie nicht.
Hätte man ihr vielleicht helfen können, wenn man ‚ihr’ geglaubt hätte, das etwas nicht stimmte?

Was blieb den Helfern noch übrig. Sie brachten die Frau hinauf in das Bett, legten es bereits mit Tüchern aus. Galdiell tat ihr bestes, durch Massage die Verkrampfungen am Bauch zu lösen, das Zeichen Vitamas auf sie zu legen. Und aus zweien wurden drei, als auch noch Solice Aurora dazu stieß und auf Bitte Barius’ magisch hervorgerufene Kälte auf die Fiebernde leitete, bis diese gar zu frieren begann.
Man wolle ja die tüchtigen Handwerker nicht verlieren...


Als Barius am nächsten Morgen erwachte, fand er Awa nicht mehr im Bett vor, welches bereits von den Laken befreit war. Der Mann hatte mit seinen guten 40 Götterläufen die Nacht auf dem Stuhl an dem Bett einer gar Fremden verbracht.
(Weil er sich schuldig fühlte?)
Erst nach eigenem Erwachen hatte Awa ihm einen ihrer Fellumhänge umgelegt, denn das Feuer im Ofen war schon lange ausgegangen.
Er hatte nicht mitbekommen, wie sie in der Dämmerung des Zyklenwechsels in den Keller gegangen war, damit man ihre Schreie nicht hörte.
Die Schreie.
Die Verzweiflung.
Der Schmerz.
Mit all der Körperkraft, die ihr noch geblieben war, hatte sie die blutigen Laken versteckt, den Boden gereinigt. Alle verräterischen Spuren beseitigt. Keiner wusste, dass sie schwanger war, niemand würde erfahren, dass sie das Kind verloren hat... so der Plan. Sie... sie würden sie einfach vergessen, keiner würde nachfragen... selten kümmerte jemand doch ihr privates Leben. Einfach...
Aber einfach war es nicht. Der so fremde und doch hilfreiche und gutmütige Mann schien es zu wissen. Bat darum, für das Kind beten zu dürfen, das diese Sphäre nie betreten würde.
So freundlich, so höflich... wollte sie auch nicht mehr besuchen kommen, um ihr die Erinnerung und das Leid derer zu ersparen... So viele Worte... soviel Weises und auch für sie Unverständliches. Sie spürte nur, dass es sie zusehends bekümmerte, wenn er sagte, er wolle nicht mehr wiederkommen... Hätte sie ohne das Fieber und die Verwirrung anders reagiert? Andere Worte gesprochen, Worte, die ihn noch hätten trösten können?
Ja, er hätte sich sicherlich an Simons statt wie ein Onkel oder Großvater um das Kind gekümmert. Aber scheinbar wollten die Götter es anders kommen sehen.

Und wieder ging ein Stück ihres Herzens in die Hallen Morsans.
Was bleibt zurück?


Zuletzt geändert von Awa: 20.10.12, 21:46, insgesamt 1-mal geändert.

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 Betreff des Beitrags: Re: Vitamas Wege und ihre Enden
BeitragVerfasst: 6.12.09, 18:59 
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Es war wie eine bildliche Wiederholung ihres Lebens.
Als wäre es ihr Schicksal jeden Götterlauf wieder und wieder vor dem düsteren Abgrund zu stehen, zu sehen, wie alle Säulen und Brücken zusammenbrechen, sich selbst zu beobachten, wie Seele, Herz und Leid zerschmettert werden.
Und der Zwiespalt bemächtigte sich ihrer wieder.

War sie schuld?
Waren die anderen schuld?

Wenn sie selbst schuld war... dann musste sie sich fragen, welch Sünde und Unrecht sie begangen hatte, dass die Götter ihr Kind sterben ließen, warum Morsan sich ein zweites Leben von ihr holte aber ihr eigenes immerzu unangerührt ließ. Sie musste darüber nachdenken, warum die Viere nie ihr Flehen und Bitten erhörten und sie zumeist mit noch mehr Kummer und Leid behafteten. Was machte sie falsch?

Was hatte sie falsch gemacht, dass die Heilerin Galdiell sie einen Abend betreute und sie dann fiebernd und als alle Hoffnung verloren schien allein ließ? Dass sie keinem Heiler in Falkensee bescheid gab, dass dort eine Hilflose lag, der Schlimmes bevorstand? Warum sie keinen Seelensorger schickte und sie stattdessen mit einem fremden Mann allein im Haus ließ?

Was hatte sie falsch gemacht, dass die Tage nur _ein_ Freund da war, der sie an Heiler statt pflegte, damit sie nicht ebenso Morsan in seine Hallen folgte? Wäre Markus nicht da gewesen, wäre sie wohl einsam in einem Wald umgekommen, denn im Fieberwahn schaffte sie es tatsächlich nachts die Stadt zu verlassen.

Was hatte sie falsch gemacht, dass kein Geweihter der Viere bei ihr war, sondern nur der aus der Stadt getriebene, junge Brand verschämt und mit allem Mut in ihre Schneiderei kam um sein Beileid zu bekünden?

Was hatte sie falsch gemacht, dass sie hören muss, dass über das geschehene Elend in der Malthuster Wacht getratscht wird? Dass einer der wenigen Vertrauten geplaudert hat, statt sich um die zu kümmern, die Hilfe nötig gehabt hätte?

Was hatte sie falsch gemacht, dass kein Geweihter Morsans sich um die Überreste ihres Kindes kümmerte? Warum ließen sie den Beutel über Wochen so lieb- und ehrlos dort liegen? Warum bemerkten sie nichts? Warum wussten sie nichts? Warum hatten sie nicht zugehört?

Baldwin Nebelbach hätte wissen müssen, wie labil Awa war... wie wenig ihr der Schritt in den eigenen Verlust der Seele schwer fiel. Und Zar, wusste er nicht von den schlimmen Träumen, welche die Frau krank machten? Was war mit den Vitamis? Warum besuchte Feydis sie nicht mehr, er musste doch in Brandenstein etwas gehört haben...

Und nun geisterte sie freudlos umher, dürr, übernächtigt, dass jeder Kunde in ihrer Schneiderei sehen konnte, dass sie krank war... seelisch krank... Und nun war sie zu schwach um noch mal um Hilfe zu bitten.

Und wenn sie doch den Schritt wagte sich bemerkbar zu machen... sie hatten einfach keine Zeit... keine Zeit für sie... und somit verlor auch sie Zeit.

Denn was ist das für ein Leben, wenn man es in vollkommender Einsamkeit verbringt?


"Welche Schuld lastet auf mir..?"


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