Felis' Blick wanderte unweigerlich wieder zu diesem Beutel. Noch immer hatte sie ihn nicht geöffnet, aber das Klimpern von Münzen darin durchaus vernommen. Laz Radin hieß wohl diese Person, die den Beutel erhalten sollte. Diese galt es nun erstmal zu finden. Fraglich nur, was dann folgen würde.
Ihre Platz würde sie erkennen, war das Versprechen Salahadins gewesen.
Sie meinte zumindest schon erkannt zu haben, wo dieser Platz nicht war. Kränkung war es einerseits, als jemand zum Streiter erhoben wurde, der offenbar erst nach ihr dem Orden beigetreten war. Aber später, als der Zorn wieder verraucht war, erkannte sie auch, dass es eben eine Folge aus ihrer geringen Anwesenheit bei den Löwen in Falkensee war. Sie hätte also die Wahl gehabt - entweder sie wäre mehr bei ihnen und damit in Falkensee gewesen und dafür weniger in Brandenstein, wo ihr Haus stand, wo Milo Korporal war und ebenso lebte, wo Phel am Abend vom Spielen heimkam. Vielleicht hätte man dann ihren Namen ebenso genannt und sie wäre ein Löwe?
Oder lag es an etwas anderem? Vielleicht war sie nicht die Löwin, die sie sein sollte? Bei der letzten Übung hatte sie Schwierigkeiten gehabt, auf William mit ihrer gezückten und auf ihn gerichteten Waffe zuzurennen. Sammler, Untote, Sarane und andere Wesen mehr hatte sie schon bekämpft, vor allem am Dunkeltief, doch diese waren kein Vergleich zu Menschen und immer wieder mahnte die Erinnerung eines im Dreck vor ihr liegenden Emanuels daran, wie weit sie schon gewesen war, auch wenn sie die allerletzte Schwelle nicht überschritten hatte.
Doch, einmal schon. Als sie und andere Löwen während der Zeit der Falkenseer Besetzung flüchtige Personen unweit Südfalls niederschlagen mussten. Rasch hatte sie gehandelt und umso verstörter war sie danach gewesen. Was wäre, wenn die Person, die sie niederschlug, eine Familie gehabt hätte? Nun gut, immerhin hatte derjenige genug Kraft noch gehabt, um zu fliehen und im Stillen war ihr das lieber gewesen. Menschen konnten sich nunmal ändern und war nicht auch sie ein Beispiel dafür, dass aus jemandem, dem manch einer gerne die Hand abschlagen lassen wollte, etwas werden konnte? Konnte man nicht auch die Hoffnung hegen, dass Verblendete den Weg zurück zu den Vieren finden können? Zumindest jene, die noch nicht so tief in diesem Unglauben verwurzelt waren?
War es also die Bereitschaft zu töten, die einen Löwen ausmachte?
Nein, das würde den Löwen, die sie kannte und auch schätzte, nicht gerecht werden. Vielmehr war es eher so, dass sie zwar dazu in der Lage wären, doch die nötige Besonnenheit aufbringen konnten, um sich rechtzeitig zu zügeln. Wenn es ein Wort gab, mit dem sie nun wahrlich nicht zu beschreiben war, dann war es doch Besonnenheit, dachte sie sich im Stillen, derweil die langen Finger gedankenverloren an einem der Bänder des mehrfach verknoteten Beutels zupften.
War ihr Platz in Brandenstein?
Und wie sollte das Überbringen eines Beutels ihr ihren Platz zeigen?
Zumindest könnte sie versuchen, Salahadin nicht zu enttäuschen, mahnte sie eine vernünftige Stimme in ihrem Inneren und flugs zog sie ihre Finger vom Beutel zurück, gleich so, als würde sie sich ertappt fühlen.