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Irgendwo, nicht weit von ihr entfernt, in den Drachenschwingen...
Keuchend lag ein alter Mann auf seinem kargen Lager in einer einfachen Hütte, gebaut aus Fell und Leder, die sich leicht schief an den Felsen anschmiegte. Sein langes Haupthaar, wie auch der Bart waren schon vor langer Zeit ergraut, gräulich wirkte auch seine blasse, faltige Haut, die von seinem hohen Alter zeugte und selbst seine grünen Augen hatten jegliche Kraft und jegliches Feuer verloren. Müde lag er da, nur noch wartend auf seinen Tod, während er starr hinauf sah zur Decke.
Er wartete.. erwartete den Tod.
Was gab es auch noch, wofür es sich zu leben lohnte? Sein Stamm bestand nur noch aus wenigen Menschen, hauptsächlich alte Leute, denn viele der jungen waren fortgezogen, meist nach Grenzfest, teilweise vielleicht sogar weiter. Die meisten kehrten nicht mehr zurück, sondern genossen die Annehmlichkeiten des galadonischen Reiches.
Wieviele mochten wohl noch dem alten Pfad folgen? Wieviele hatten wohl schon die Ahnen verraten, nur um etwas mehr Bequemlichkeiten geniessen zu können?
Er hatte versagt. Er hatte es nicht mehr geschafft, den Stamm, die Gemeinschaft, zusammenhalten zu können. Die jahrhunderte alten Traditionen wurden immer weniger geschätzt, immer mehr missachtet oder gar als Bürde empfunden.
Was würde nun geschehen, wenn er endlich den letzten Weg gehen würde? Wenn auch er seine Ahnen sehen würde? Kaum einer wäre mehr da, der sich noch mit Eifer um die alten Feste kümmern würde. Feste, die sein Stamm schon vor Ewigkeiten begangen hatte, damals, als sie noch freiheitsliebende Nomaden in Endophal waren und bevor sie gen Norden zogen, sich ihr stolzes Blut mit dem der Galadonier und sogar teilweise mit dem der Ma'ahner mischte.
Sein Herz fühlte sich schwer an - ja, er hatte versagt und dafür werde er sich wohl nach seinem Tod verantworten müssen.
Leise Schritte glaubte er zu hören und er wandte den Kopf in Richtung des Fellvorhangs, der nun kurz zur Seite geschlagen wurde, dazu zog für einen Moment ein eiskalter Windhauch hinein. Eine Frau, etwa Anfang 50, trat hindurch. Die dunklen, roten Haare waren durchzogen von vielen grauen Strähnen, ein einfaches, dunkelgrünes Kleid verhüllte ihre sehr schlanke, knabenhafte Statur.
Still sah sie hinab zu dem alten Mann, die Augen spiegelten eine Mischung aus Trauer, aber auch Vorwurf wider.
"Bellena," murmelte er leise und hob matt eine faltige, steife Hand in ihre Richtung hinüber, als wolle er sie heranbitten.
Langsam trat sie näher und liess sich dann auf einem Schemel nahe seinem Bett nieder.
"Akriem, ich würde lügen, wenn ich sagen würde, du siehst gut aus," sagte sie mit einem recht kühlen und bissigen Unterton in ihrer Stimme.
"Daher hat sie es," stellte er mit einem kurzen Anflug eines Lächelns fest, "diese Bissigkeit hat sie eindeutig von dir."
Ernst sah die Frau hinab zu dem Alten.
"Du irrst dich - du hast sie dazu gemacht. Hättest du zugelassen, dass ich sie auch später, als sie kein Säugling mehr war, hätte erziehen können, dann wäre sie nie so ein Ungeheuer geworden."
Kritisch sah er auf zu ihr, etwas Leben schien in seine alten Augen zurückzukehren - so etwas wollte er nicht auf sich sitzen lassen, vor allem nicht so kurz vor seinem Ableben.
"Sie war immer so und deine Erziehung hätte das Kind vollkommen verweichli.."
"Liebe braucht jeder Mensch!" fiel Bellena ihm rasch und barsch ins Wort. "Ohne Liebe kann auch ein Mensch keine Liebe geben und wie oft habe ich sie weinen gesehen, als sie noch klein war! Wie oft hatte sie versucht von dir Lob zu erhaschen, ein Lächeln, Anerkennung. Stattdessen kam von dir nur Tadel!"
"Das Mädchen brauchte das, damit sie stark werden konnte..."
"... was sie nicht wurde! Nein, dafür wurde sie gewalttätiger, abweisender und kannte keinerlei Mitgefühl!"
Schmollend verzog er sein Gesicht und sah zur anderen Seite, zur ledernen Wand hinüber, während die Frau ihre Arme vor der Brust verschränkte und noch immer anklagend zu ihm hinabsah.
"Du weisst selber, dass es deine Schuld ist. Dein falscher Ehrgeiz, um aus ihr eine starke Schamanin werden zu lassen und am Ende hast du sie enttäuscht mit diesem Jungen, der noch nicht mal einer von uns war, sondern irgendein galadonisches Findelkind, das du zu deinem Nachfolger machen wolltest."
Er schloss seine Augen, leise seufzend - ja, sie hatte recht. Eine normale Kindheit hatte sein einziges Kind, seine Tochter, nie geniessen dürfen. Er wollte sie stark und hart genug machen, um mit ihren Kräften und den Geistern umgehen zu können. Liebe war auch in seinem Leben nie von Bedeutung gewesen - die erste Frau war rasch unwichtig für ihn geworden, als sie beide immer älter wurden, aber sie ihm keinen Nachfolger gebar. So hatte er sie verlassen, stattdessen sich Bellena in sein Bett geholt - eine Nacht reichte und sie gebar ihm vor fast 30 Jahren ein Kind, was die richtige Gabe hatte. Doch auch Bellena vernachlässigte er rasch und kümmerte sich um das Mädchen, sobald es der Muttermilch nicht mehr bedarf und dem Säuglingsalter entwachsen war.
Doch er erinnerte sich auch blass an seine Kindheit - seine Mutter starb an einer Krankheit, als er wohl sechs oder sieben Jahre alt gewesen war und doch konnte er sich wieder an ihre Wärme und ihr sanftes Gesicht erinnern. Liebe, Mitgefühl - das waren zwei starke Gefühle, die in ihm aufkamen, wenn er sich an sie erinnerte.
Ja, er hatte einen Fehler gemacht.
Bellena streifte durch die kleine, einfache Hütte, hinüber zu der Ecke mit dem Fellhaufen, der staubig und verwaist dalag. Über diesem hingen ein paar nicht minder verstaubte und getrocknete Blumensträusse. Sanft strich ihre rechte Hand mit den dünnen, geschickten Fingern darüber entlang.
"Sie hatte zumindest ein Händchen für Blumen - wenigstens etwas Schönes in ihrem Leben," sprach sie leise. "Ich frage mich, wo sie nun leben mag, wie es ihr geht und ob sie vielleicht doch noch etwas Wärme und Glück in ihrem Leben gefunden haben mag."
Einen Moment sah sie noch auf die Blumen, ehe sie ihren Kopf zu dem alten Mann hinüberwand und dabei fragte: "Oder was meinst du, Akriem?"
Er gab keine Antwort mehr - mit einem traurigen, reuigen Gesichtsausdruck entschlief er sanft, die letzten Gedanken bei seiner Tochter... ein letzter Moment, wo er sie sah.. ihre von einer dunklen Aura umgebene Gestalt, leise, wie ein Schatten durch eine felsige Landschaft streichend, die giftiggrünen Augen mit flackerndem Zorn darin lauernd auf ihn gerichtet.
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