Zitat:
Der Barde spielte ihr Lied. Leise, hell tropfend, unschuldig.
Leise und verschämt klimperten die hellen Töne der Harfe durch den Säulengang. Er saß im Schneidersitz in einem weichen, großen Kissen und spielte die flüsternde, ruhige Melodie, die sich immer wieder im Kreis drehte, die er schon tausende Male gespielt hatte. Der Herrin liebstes Lied. Leise und hell klirrten die Saiten und der unschuldig goldene Schimmer des Vitamalin tauchte den blassen Stein in warmes Licht. Kühler Bellumswind strich durch die Säulen.
Der Barde sah aus aufmerksamen Augen den Säulengang herunter. Seine Finger fanden die Saiten, ohne dass er hinzuschauen brauchte, er musste nichteinmal konzentriert sein, um dieses ewig treibende, ruhige Stück Melodie immer und immer wieder dahin tropfen zu lassen. Die Herrin saß in einem Thron aus Kirschholz, einen halben Schritt erhöht, neben ihr die beiden Berater, die aus aufmerksamen Augen den Säulengang herunter sahen. Die Herrin trug ein dunkles Gewand und verhüllte ihr Gesicht heute Nacht. Der Barde betrachtete sie mit Wohlgefallen und ein Funken des Stolzes huschte über seine Augen, ohne dass seine Lippen den Stolz verrieten. Seine Herrin war ein edles Weib. Leise tröpfelten die unschuldigen, hellen Klänge des Instrumentes den Säulengang herunter.
Die drei Personen traten langsam voran. Die Haare schlugen dem in der Mitte wild ums Gesicht, gepeitscht vom eisigen Wind, und er zitterte. Sie gingen den Säulengang hinauf, der mittlere ging nicht so recht, sondern stolperte mehr seinem Oberkörper nach. Die Arme waren an einen Balken gebunden, den seine Nebenmänner trugen. Das zottige, schwarze Haar schlug aus der Kapuze und der Barde verlangsamte sein Spiel, denn Nervosität ließ ihn rascher werden, und die Herrin schätzte ihr Lied am meisten, wenn es in Langsamkeit und Ruhe vorgetragen wurde. Er warf einen prüfenden Blick auf das Instrument, sah wieder zu den dreien, die sich näherten.
Unter dumpfem Lärm wurde der Balken in ein Gestell eingelassen, die beiden Begleiter des Mittleren legten das Gestell um, sodass er wie auf einem Bett ruhte. Die Herrin erhob sich aus dem Thron, im gleichen Augenblick mit ihren Beratern. Der Barde beobachtete reglos die Gesten, die Worte, wie sich die Lippen der Herrin verzerrten, während sie sprach. Ihr rechter Mundwinkel zuckte mit jedem beendeten Satz leicht, die Nasenflügel bebten, ihr rechtes Auge war getrübt. Er konnte selbst ihre Augen kaum erkennen. Der Vitamalin schimmerte hell am Himmel. Die Herrin sprach Anklage und Gericht, während die Szenerie ihre Feierlichkeit verlor und zur Widerwärtigkeit überging. Die Begleiter nahmen das Schnittwerkzeug zur Hand, schnitten dem Mittleren, der kein Mittlerer, sondern eine Mittlere, war, die Robe auf und entblößten einen reinen Leib. Die blasse Haut schimmerte im Licht des Vitamalin. Ihr zottiges, dickes Haar quoll wie Wellen über das Holzgestell.
Der Barde ließ seine Finger rascher wandern, begann das Stück ein wenig auszuschmücken, wie er es schon hunderte Male getan hatte. Die Herrin sank wieder in den Kirschholzthron und ihre Berater folgten links und rechts von ihr. Er hatte kein einziges Wort ihrer Ansprache gehört, aber er kannte sie auswendig und hätte in jedem Augenblick den Vortrag übernehmen können. Hell und unschuldig tropften die Harfenklänge durch den Säulengang.
Als der Knecht mit den roten Haaren zu schneiden begann und der Knecht mit den braunen Haaren ihr den Mund zuhielt, damit das Geschrei nicht das Harfenspiel übertönte, fürchtete er wieder ihre Grausamkeit. Sie war wie ein Felsbrocken, der vom Berg herunterbrach und alles, was ihm auf seinem donnernden Weg in den Abgrund im Weg stand, zerquetschte und zerbrechen ließ. Blut quoll über den reinen, bleichen Leib und wirkte unter dem schuldlosen Goldlicht des Hexenmonds schwarz. Der Barde spielte weiter, es musste bald das Dutzend Nächte voll sein, in denen er ihr zu solchen Anlässen ihr Lied spielte. Es tropften Harfenklänge durch den Säulengang, untermalt von unterdrückten Schreien einer Frau, der Schweiß und Blut ausbrachen. Der Barde blickte durch das Geschehen hindurch, durch die Mauern hindurch, in eine andere Zeit.
Seine Augen fanden ein blutiges Rinnsal, das sich von einem Schnitt an der linken Brust herabgezogen hatte bis auf die Kante des Gestells, von wo ein Tropfen nach dem anderen auf den fahlen Steinboden fiel und in hundert kleine Spritzer zerplatzte. Er passte seinen Rhythmus den Tropfen an, unbewusst, weil er sich nun darauf konzentrierte. Der helle Klang der Harfe konnte nicht ihre Schreie übertönen, die gepresst durch das Tuch kamen, das ihr der Rothaarige nun auf die Lippen presste. Nach einigen Augenblicken wurde ihm das Rinnsal langweilig, er hatte es schon oft tropfen sehen, und er schloss die Augen. Hier war nichts, was er nicht hätte verpassen können. Er bemühte sich, die hellen Klänge besonders schonend und gefühlvoll aus dem Instrument zu streicheln, er wollte für die Herrin schön und ruhig spielen, worum sie ihn stets bewundert hatte. Leise tropften Harfenklänge durch den Säulengang, während die Schreie erstarben. Die Herrin erhob sich und schritt zu dem Holzgestell, durch die Saiten des Instruments, die er nur unscharf wahrnahm, beobachtete er ihren Gang. Sie tastete kurz über den toten, aus zahllosen kleinen Wunden blutenden Leib und riss dem Leichnam das einzige, was er noch trug, vom Hals - es war ein Amulett oder etwas ähnliches, der Barde erkannte es nur ungenau und blinzelte leicht. Sie hatten das Gestell verschoben, als sie ihr Werk vollendet hatten, und nun war der Rahmen der Harfe im Weg. Er rief sich ins Gedächtnis, dass er es schon oft gesehen hatte und noch oft sehen würde, und er schloss wieder die Augen, spielte langsamer, wollte das Stück ausklingen lassen. Unter hellem, unschuldigen Tropfen begleiteten die Harfenklänge das Tropfen des Blutes.
Der Barde ließ die letzten gezupften Saiten ausklingen. Leises Rascheln, Rabenschreie in der Ferne. Die Nägel wurden aus Brett und Haut gezogen, der Leib vom Gestell gelöst und fort geschafft. Die Berater verschwanden in den Gemächern, die Handlanger in der Nacht. Die Herrin trat mit gemessenen Schritten zu dem Barden, der unbewegt die Augenblicke zwischen Tod der Verurteilten und der Einsamkeit verharrt hatte und nichts gefühlt hatte als das fein polierte Holz des Instrumentes. Ihre Lippen pressten sich auf seine, er begann zu zittern und Leben strömte ihm wieder durch die Adern. Sie half ihm aufstehen und er folgte ihr im Rausch in die Gemächer.
Der Barde hörte noch immer ihr Lied. Leise und hell, tropfend unschuldig.
Die ganze Nacht.