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Der Tor
Die folgenden Ereignisse trugen sich in der Nacht vom 29. auf den 30. Trier 17 nach Hilgorad zu
Dunstige Nebel stiegen aus den Ritzen der Kanaldeckel in Falkensee. Der Geruch war geradezu unerträglich und dabei handelte es sich nicht um den normalen Gestank der Kanalisation, sondern es war etwas anderes, etwas viel penetranteres, was sich über dem ganzen Markt zu verteilen schien.
Ein Stockwerk unter dem Marktplatz hätte man indessen ein irres Gelächter hören können, so wie es seltsamer in den Ohren nicht hätte klingen können. Es kam von Agonisius Vardan, der sich in der Kanalisation eingenistet hatte. Dort unten hatte er einen Tisch mit lauter Brandflecken und Apparaturen darauf, welche sich über komplizierte Formen ineinander verschlangen und in denen merkwürdige Flüssigkeiten brodelten. Davor stand Agonisius und las in einem Buch, was den Titel „Die geheimen und dunklen Künste der Alchemie“ trug. Er schien diese Apparaturen zu bedienen und ein faulig und übel riechendes Gemisch zu entwerfen. Wie es schien hatte er sehr große Freude an dieser Arbeit entwickelt und es störte ihn anscheinend nicht, in welcher Umgebung er sich aufhielt.
Agonisius war ein sehr kaputter Mann; nachdem seine Frau ihn auf dem Festland betrogen hatte mit ihrem Cousin und dann auch noch ein Kind von jenem erhielt verließ er sie in einer stürmischen Nacht und kam zu einer heruntergekommenen Wohngegend in Draconis, wo er in einer schäbigen Taverne auf ein paar Männer stieß, denen er von seinem großen Unglück erzählte. Nach ein paar alkoholischen Getränken war er so sehr angeheitert, dass er den Wunsch äußerte, die beiden würden sterben. Wie es der Zufall wollte, waren die Männer in dieser Taverne Assasine, Auftragsmörder, die ihm sofort zusagten und die Frau samt ihres Cousins und Kindes auf brutalste weise töteten. Daraufhin floh Agonisius und bestieg ein Schiff nach Siebenwind, denn er dachte, dort wäre er vielleicht sicher. Inzwischen war es aber auch schon gar sehr schlecht um seinen Geisteszustand beschaffen und ihm gingen nur noch wahnsinnige Ideen durch den Kopf.
Angekommen in Siebenwind begann er sich für die Alchemie zu interessieren und besonders für die dunkle Seite davon. Er mischte Tränke und verabreichte sie Tieren, um ihre Wirkung an ihnen zu testen. Die meisten von ihnen starben einfach nur, wahrscheinlich die Glücklicheren, denn manch eines der Tiere bekam Geschwüre oder einem wuchs sogar ein fünftes Bein.
Eines Tages fiel ihm zufällig von einem Händler ein Buch mit dem Titel „Die geheimen und dunklen Künste der Alchemie“ in die Hände und er versuchte sich an den darin beschriebenen Rezepten für Tränke und Mixturen.
Sein jetziges Werk, was er im Schutze der Kanalisation, umgeben von Ratten, anfertigte, war für einen Menschen bestimmt. Manch einer sagt, dass eines der schlimmsten Dinge überhaupt die Gleichgültigkeit sei. Vielleicht mag dieser jenige bei Agonisius ja Recht haben, denn er war nun darauf bedacht irgendeinen Menschen zu töten.
Der Trank schien nun fertig, denn Agonisius nahm eines der Gefäße vom Tisch und betrachtete es durch die gläserne Wand der Phiole. Der Inhalt war kräftig rot, aber dabei noch transparent und irgendwie schien die Flüssigkeit etwas zu leuchten. Agonisius stieß wieder ein schallendes Lachen aus und wenn jemand in dieser Nacht oben auf dem Marktplatz stand, hat er es mit Sicherheit vernommen. Genauso verrückt hörte sich das irre Lachen an wie zuvor. Nun überlegte er sich, wie jemand am besten diese Tinktur verabreichen könnte und er schien auch sogleich einen Geistesblitz zu haben und schlug sich dabei dreimal mit der Handfläche der freien Hand auf den Kopf. Seine Haare waren weißgrau und standen zum Teil vom Kopf ab, was ihn noch etwas unberechenbarer wirken ließ. Seine Kleidung war zerlumpt und gab den Anschein, als hätte er schon Wochen hier unten in der Kanalisation gehaust.
Agonisius trat nun den Tisch mit den Apparaturen und Glasgefäßen ins Wasser und man könnte Glas zerklirren hören. Nun rannte er die Treppe hinauf und drückte vorsichtig den Kanaldeckel am Marktplatz hoch, um heraus zusehen, dass ihn auch ja keiner beim Aussteigen erwischt, denn wie manch einer vielleicht weiß, ist der Zutritt zur Kanalisation untersagt. Als keiner in seiner unmittelbaren Nähe zu sehen war schob er den Deckel beiseite und stieg vorsichtig hinaus. Er sah kurz hoch, nachdem er den Deckel zurückgeschoben hatte, und wunderte sich über den Pokal mit der Aufschrift „Borsti, bestes Schwein Siebenwinds“, den der Besitzer wohl mit Stolz da platziert haben musste. Er war angeekelt von diesem Anblick und besonders von seinen Mitmenschen. Er sah sich noch mal um und rasch ging er los bis er vor einem Tor stand über dem ein Schild mit der Aufschrift „Falkensee Brunnenplatz“ prangte. Er öffnete das Tor und gab etwas von der roten Tinktur ins Wasser des Brunnens. Wieder stieß er ein unverkennbar irres Lachen aus und machte sich nun auf dem Weg zum Badehaus, wo er die Treppe hinaufstieg und den Rest der Tinktur in das Badewasser gab. Sofort begann sich in den geschlossenen Räumen ein übel riechender Gestank breit zu machen, fast schon wie Verwesung. Er ging noch einmal zum Brunnenplatz und auch hier stank es fürchterlich, als hätte hier schon wochenlang ein toter Kadaver gelegen. Er hielt sich ein Stück Stoff vor die Nase und sah gerade noch zu wie rings um den Brunnen ein paar Vögel tot aus den Büschen auf den Boten fielen. Dem Anschein nach waren die Dämpfe giftig, zumindest töteten sie die Vögel rings um den Brunnen.
Wer weiß welche Reaktion sie bei einem Menschen hervorrufen.
Agonisius hatte etwas übersehen. Das Buch, aus welchem er die Rezeptur für die Tinktur nahm lag noch immer in der Kanalisation, auf einem kleinen Steinabsatz, außer Reichweite des gammligen Wassers. Gerade als eine Ratte an der aufgeschlagenen Seite knabberte, stieg Agonisius wieder in den Kanal und vertrieb die Ratte, als er das Buch aufhob. Als er sich das Buch ansah, um festzustellen was die Ratte angerichtet hatte, schlug er auf die nächste Seite und begutachtete die angeknabberte Ecke oben links. In diesem Moment fielen ihm ein paar Zeilen auf die er zuvor nicht gelesen hatte. Dort stand in dünner und zusammengedrückter Handschrift folgendes:
„Außer dem furchtbaren Gestank und der bei konzentrierter Überdosis letalen Wirkung, treten bei Hautkontakt starke Reizungen und Hautausschläge mit eitrigen Beulen auf. Die letale Dosis erhöht sich mit der Zugabe von Wasser und verschwindet schon ab einem Verhältnis von 1 zu 2 (Tinktur zu Wasser).“
In dieser Nacht war noch leise ein Schrei aus der Kanalisation zu vernehmen, dem man locker einiges an Verzweiflung entnehmen konnte.
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