Hätte ich es ahnen können, fragte ich mich nun. Da saß ich, Jonathan Erael Folks, an meinen eigenen Stuhl in meiner Kajüte gefesselt. Wer ich bin – ja ich bin Kapitän dieses Schiffes, zumindest dachte ich das bis zu diesem Zeitpunkt. Seit Siebenwind entdeckt wurde segle ich nun schon über den weiten Ozean, brachte jedes meiner Schiffe an sein Ziel und waren die Gewalten des Meeres noch so ungestüm. Mein Blick schweift zu den Fenstern herüber. Ich befinde mich im Bug des Schiffes, eines der seltenen Viermaster. So schwer und groß, dass es den Stürmen auf hoher See stand zu halten wagt. Durch die große in dunkles Holz eingefasste Fensterfassade, ein handwerkliches Meisterwerk, überblicke ich den ruhigen Wellengang. Vor einem Dunkelzyklus noch hielten wir auf Rothenbucht zu. Vor einem Dunkelzyklus noch unterlagen das Schiff und seine Mannschaft meinem Befehl, meinem Willen. Das ist nun nicht mehr so. Als ein guter Kapitän, der ich behaupte mit meinen 55 Götterläufen zu sein, fällt es mir schwer keinen Fehler auf meiner Seite zu finden. Und während ich meine Fesseln betrachte, die Handgelenke etwas hin und her bewegen und die scharfen Seile in meine dunkle, wettergegerbte Haut einschneiden durchdenke ich das Geschehen.
Wir machten gute Fahrt, hatten Rückenwind, einen gleichmäßigen und kräftig ausdauernden. In einem Tag sollten wir Rothenbucht erreichen, was mich freudig stimmte. Wir würden drei Tage früher im Hafen landen und da unser Koch, der neue Schiffskoch nicht gut mit den Vorräten Haus gehalten hatte gab es schon seit zwei Tagen nur Hafersuppe. Mit der Aussicht auf dies schreckliche Mal für diesen Abend begab ich mich an Deck. Offensichtlich stimmte es niemanden der Mannschaft freudig, denn sie waren alle samt außergewöhnlich still. Als ich langsam zum Bug des Schiffes schritt sah ich dort einen Mann stehen, er war mir schon in den Wochen zu vor einige Male aufgefallen, vielleicht hatte ich sogar ein zwei Worte mit ihm gewechselt, doch von Belang konnte es nicht gewesen sein, sonst hätte ich mich dessen erinnert. Es war nicht seine Statur, die einem Kämpfer glich, die meine Aufmerksamkeit erregte, es war die Art und Weise seiner Bewegungen. Aufrecht, stolz und selbstsicher. Er erinnerte mich an mich selbst, in den Momenten, in denen ich ein Ziel vor Augen hatte und direkt darauf zusteuerte. Bloß wirkte er dabei keinesfalls glücklich, eher sehr bedrückt.
Er drehte sich zu mir um, scheinbar war er in Richtung der Schiffsmesse unterwegs und ich nickte ihm langsam und bedächtig zu.
Ich wollte schon an ihm vorbei gehen, nichts Weiteres erwartend, da sprach er:
"Wir kommen gut voran?"
"Besser als gedacht. Wir sind zwei Tage voraus. Was bedeutet, wir erreichen, wenn der Wind so bleibt, zum morgigen Abend Rothenbucht.“, sprach ich, schob meine Hände hinter dem Rücken zusammen und betrachtete ihn. Das war nicht das, was er sagen wollte, dachte ich noch.
"Das ist gut zu wissen. Aber die Mannschaft scheint heute dennoch sehr schweigsam, dafür dass wir gute Fahrt machen.", sagte der dunkelhaarige Mann in einem feststellenden Ton. Einige Narben zeichneten sich auf seinem Gesicht ab, kurz glitt mein Blick auf seine Hände, die Hände eines Kämpfers, eines Mannes, der versucht alles fest in seinem Griff zu behalten.
Natürlich war es mir aufgefallen, gewiss dachte ich darüber nach, aber nun – da dieser Reisende es mir sagte, befing mich ein unangenehmes Gefühl. Meine Augen suchten das Deck ab, als gäbe es irgendetwas zu erkennen, als würde das Treiben auf diesem die Antwort auf eine ungestellte Frage in meinem Inneren bergen. Ein junger Matrose, Rodric etwa 17 Bellum alt, mit strohblondem Haar machte sich gerade daran eifrig ein Seil aufzurollen. Er war so fleißig, dass er mir schon mehrere Male aufgefallen, obgleich er auf dieser Fahrt das erste Mal mit in See stach. Ich nickte ihm nur zu, worauf meine Gedanken schon wieder bei der schweigsamen Mannschaft waren.
"Ja, ja sie scheinen sehr fleißig heute.", sprach ich noch und wandte mich letztendlich dem Bug zu. Während ich die Hände auf die Reling legte hörte ich die sich entfernenden Schritte des Mannes. Könnte mehr dahinter stecken? Einige Tage Haferbrei hatten meine Mannen noch nicht zu solchem Trübsal gebracht. Ich sollte meinen Sohn, den zweiten Maat um dessen befragen. Er hatte immer einen Blick für solche Dinge.
„Bastean?!“, ich rief einen der Schiffsjungen zu mir. Irgendwie angespannt dreinblickend trat er zu mir heran, der musterte mich schweigsam, irgendwie gebrochener Haltung.
„Wo befindet sich der zweite Maat?“
„Er wollte Euch so oder so noch sprechen Kapitän, bitte folgt mir doch.“
Im ersten Moment grollte es in mir auf, wieso hatte er Bengel es nicht schon vorher gesagt. Nun wer weiß, es wird sich sicher alles klären, sobald mein Sohn einige der Matrosen befragt hätte. So folgte ich dem Jungen bis in meine eigene Kajüte. Als ich die Tür öffnete, zog sich der Junge zur Seite zurück und ich schritt auf meinen Sohn zu. Er wirkte blass, verstört und ich dachte er würde kurz kaum angedeutet mit dem Kopf schütteln. Seine Lippen bewegten sich, worauf ich in der Tür inne hielt und ihn fragend ansah. Was sollte dieses… weiter kam ich mit meinem Gedanken nicht als plötzlich mein erster Maat seitlich aus dem Raum einen Schritt auf mich zu trat. Wilhelm Erastan, ein fähiger Mann, dunkles Haar, hohe Geheimratsecken, ein kantiges Kinn und kleine braun, graue Augen. Doch der Blick, den er nun auf mich richtete gefiel mir nicht. Auch sonst, war er ein arroganter, rücksichtloser Mann, aber das was in nun in seinen Augen erblickte war das süffisante Glitzern der Rache.
„Tretet nur ein mein Kapitän – wir haben Euch schon erwartet.“
Mein Sohn schüttelte neuerlich den Kopf, worauf ich zu ihm zurück sah.
„Wilhelm, was soll das…?“ sprach ich langsam, meine Stimme mittlerweile scharf. Ich sah Angst im Gesicht meines Sohnes, panische Angst. Noch nie zu vor, bei keinem Sturm, bei keinem Leck – bei nichts was sonst Gefahr auf See bedeutete hatte ich ihn je so gesehen. Schweißperlen liefen ihm die Schläfen herunter und ich sah rasch, einen Schritt vortretend durch den Raum. Kurz darauf traten zwei weitere Matrosen von den Seiten heran, sie hatten sich wohl, an die Wand gelehnt verborgen. Wilhelm gab ihnen ein Zeichen, einen kleinen Wink und sie packten mich an beiden Armen. Im ersten Moment versuchte ich die beiden Männer abzuschütteln, mich aus ihrem kräftigen, wie stählernen Griff zu befreien, sah dann aber wie Wilhelm meinem Sohn einen kleinen schmalen Dolch an den Hals hielt.
„Aber Kapitän, ihr wollt doch nicht Schuld an dem Tod eures Sohnes sein.“
Ich erschlaffte und wurde von den Männern zu meinem Stuhl gezerrt. Nur mühsam konnte ich mich zurückhalten, mich nicht zur Wehr zu setzen. Es war erniedrigend. Wie, wie konnte er es wagen Hand an mich zu legen. Damit würde er vor der Mannschaft nicht durchkommen. Niemals. Hestan, mein Sohn keuchte, sah die ganze Zeit über zu mir, die Lippen bleich und zitternd. Er hatte noch nie um sein Leben fürchten müssen, nicht so.
Die beiden Matrosen fesselten mich an den Stuhl, die Arme an die Stützen, die Beine an die vorderen Stuhlbeine und meinen Oberkörper an die Rückenlehne. Wilhelm ließ von Hestan ab, der zitternd auf die Knie sank.
„Nun – Kapitän, mein Kapitän. All die Jahre, stand ich Euch zur Seite, aber alles hat einmal ein Ende. Ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird. Ihr werdet sicher nicht leiden. Habt keine Angst.“, dabei lachte der erste Maat höhnisch und deutete den Matrosen etwas an, eine gewaltvolle Geste in die Richtung meines Sohnes, eh er sich in dem grüngepolsterten Sessel vor der Fensterfassade nieder ließ. Was nun folgte ist mir in Bildern voller Schrecken ins Gedächtnis gebrannt und ich fürchte, vergessen werde ich es nicht. Sie schlugen und traten auf meinen Sohn ein, der ein jedes Mal vor Schmerz wimmernd sich am Boden krümmte, nach und nach mehr Blut spuckte und zitternd ab und an die Hand wie flehend in meine Richtung ausstreckte. Nur ein Mal rief ich…
„Haltet ein Wilhelm, sonst…“ –
„Ein Wort noch und ich lasse ihm vor euren Augen jedes Glied einzeln abtrennen.“
Und darauf schwieg ich. Ich wusste er war dazu fähig. Nach einer Ewigkeit schliffen sie Hestan hinaus, wortlos verließ auch mein ehemals erster Maat die Kajüte.
Nun sitze ich hier. Gefangen auf meinem Schiff, in meiner eigenen Kajüte, gefesselt an meinen Stuhl.
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