Siebenwindhomepage   Siebenwindforen  
Aktuelle Zeit: 14.07.25, 00:14

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]




Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 1 Beitrag ] 
Autor Nachricht
 Betreff des Beitrags: Vom Blute Jassavias
BeitragVerfasst: 10.10.07, 17:51 
Festlandbewohner
Festlandbewohner
Benutzeravatar

Registriert: 5.09.04, 14:34
Beiträge: 5210
Nervös strich sich die feenhafte, blonde Gestalt über die tiefe Narbe, die das ansonsten bildschöne Gesicht auf der rechten Wange zierte. Wieder und wieder preschten kleine Gruppen der Belagerer aus den Wäldern, in denen es von ihnen wimmeln musste wie Ameisen. Doch kaum, dass einige Hundert von ihnen aus dem Dickicht stürmten, schlugen schon die Pfeile in ihre Leiber, und selbst die behaarten, entfernt an einen Orken erinnernden Bestien mit der fleischesroten Haut und den glühenden Augen gingen hernieder unter den weißen Blitzesfäden.

Doch wie lange noch.

"Rinanthiel, Ihr solltet Euch zur Ruhe legen." Er mochte seine Stimme nicht. Er war so unruhig. So nervös. "Ich bin nicht müde."

Nichtsdestotrotz fühlte er sich mit dem Hauptmann an seiner Seite ein wenig wohler. "Ist einer der Späher zurückgekehrt?" - "Kein einziger, mein Herr. Doch die Armee der Auen kann nicht mehr fern sein." - "Wenn es sie noch gibt." - "In diesen Tagen bleibt keine andere Hoffnung."

Rinanthiel stützte die Arme auf die Mauerzinnen und sah in das Halbdunkel hinaus. Die Wälder, so friedlich. Sie hatten hier und da Lichtungen geschlagen, das Holz zum Bau sperriger Palisadentürme genutzt, und jeder von ihnen war augenblicklich unter herabregnenden Flammenpfeilen verbrannt. Die Schlacht, die hier stattfand, war keine. Jassavia konnte man nicht erobern, kaum aushungern, niemals besiegen. Doch sie waren zu wenige.

Die Wälder anzünden? Es hätte nicht viel genutzt. Die Ebene wäre offengelegen. Und was dann? Unendliche Angriffsstürme. Katapulte vielleicht. Nein, auf keinen Fall. Sie würden auf die Auen warten. Die Wälder lagen recht friedlich da, wenn man der Gefahr in ihnen sich nicht bewusst war.

Was war das für ein Geräusch?

Augenblicke später herrschte Aufruhr auf den Zinnen, Soldaten sprangen an die Wehren, die Pechkatapulte wurden präpariert. "Die Armee Miandrells ist im Anzug, mein Herr! Noch in Jahrtausenden werden unsere Kinder und Kindeskinder von dieser Schlacht singen, noch in Jahrtausenden werden in den Gassen Jassavias unsere Lieder gesungen werden, in Stolz und Wehmut, wenn wir für ihre Mauern gefallen sind!" Rinanthiel hob den Kopf und sah in das Halbdunkel. Und entdeckte die kleine Corona aus Elfen, die sich langsam, Schritt für Schritt, am Horizont hinter dem Nordwald von der Landschaft trennte.
Sie waren hier.
Von dieser Schlacht würde man noch lange singen.

***

Verschmiert von Blut und den bizarren Körpersäften all der fürchterlichen Kreaturen, die von den Jüngern genutzt worden waren, zogen tausende der Auen vor den Toren Jassavias zusammen. Verwundete, Verwirrte, Glückselige. Unter Donnern sank das Tor herab. Der Hochelf im silbrigen Zwirn trat hinaus auf das Schlachtfeld. Jassavias Wälder waren blutgetränkt.

***

In der Nacht schlief er unruhig. Immer wieder quälten ihn Alpträume, oft nur sekundenlang schlief er, bis ihn der nächste leise Schrei aus dem Traum riss.
Schließlich erhob er sich und goss mit bebenden Fingern ein Glas Wein ein, trat an die Zinne seines Turms und starrte in die Nacht.

Der Tag war blutig und unter eines Elfen seines Blutes Würde gewesen. Doch Jassavia lebte, und er lebte. Gleich zwei Gründe, den Göttern zu danken. Das Lächeln ließ die Narbe ein wenig emporwandern; er wusste, dass die Frauen seines Volkes stets abgeschreckt wurden von seinem Lächeln. Die Nacht war kalt.

Der Geruch des frisch vergossenen Blutes schwebte noch immer über der Stadt, der Duft verbrannten Fleisches und noch immer waren seine Ohren dumpf von dem unendlichen Geschrei, das an diesem Abend endlich einen Schluss gefunden hatte. Niemand eroberte Jassavia. Niemand zerstörte Jassavia. Er hatte seine Schuldigkeit getan.

Der helle, sanfte Ton der Sängerin des Sandsteinturms wog über die Stadt und verkündete das Morgengrauen. Hatte er so lange geschlafen?

Der Druck in seinem Rücken ließ ihn zusammenzucken. "Ihr werdet sterben, niah-ma", verkündete eine leise, raue Stimme hinter seinem rechten Ohr, "doch Ihr werdet Eure Stadt zuvor zugrunde gehen sehen, Ihr werdet Mädchen sehen, die geschändet werden, Brüder sehen, die gemordet werden, und Tempel, die brennen werden. Und erst, wenn all dies überdauert ist, werdet Ihr sterben. Nein, Ihr werdet die Augen nicht schließen, niah-ma."

Sein Dolch war nicht weit, aber Vjarion, der Führer der Miandrell, was auch immer er da tat, er war noch näher. Und er war gewiss kein Narr. Was ging hier vor!

Ein lauter Schrei aus den Tiefen der Stadt beendete den Gesang des Sandsteinturms, und ein schmächtiger Leib im weißen Gewand stürzte im nächsten Augenblick aus dem Fenster in die Tiefe, schlug in ein Dach ein und brach durch die Zinnen herunter. Er musste schlucken. Rauch stieg über dem Nordviertel auf, als mehr und mehr Elfen in Panik getrieben über die Straßen ließen. Von den Pferden herab schossen die Reiter hernieder, sie hatten nicht einmal den Anstand gehabt, sich der falschen Banner der Viere zu entledigen.

Als er ein Seufzen hinter sich vernahm, schlug er den Ellenbogen zurück, der kirschende Laut eines ins Gehirn gestoßenen Nasenknochens ließ ihn schaudern. Er nahm das kunstvolle, edle Schwert des Verräters und lief im Schlafgewand die Treppe herunter.

Als er das Tor aufstieß, pflasterten Leichen die Gassen. Schwarzer Rauch stand über der Stadt und schien von überall hinauf zu quellen, die Flammen erhitzten den so kühl gewesenen Morgen. Die Reiter verließen bereits die Stadt.

Panik ergriff ihn, ein lange vergessenes Gefühl. Sie haben uns verraten.

Seine Hände umkrampften das Schwert.

Er war vom Blute Jassavias. Er würde mit seiner Stadt sterben. Die klaren, grünen Augen hafteten an den kunstvollen Skulpturen, als er langsam in den brennenden Tempel der Vitama trat, an flammenden Vorhängen vorbei zum Altar schritt und niederkniete.

Er selbst war auf die Täuschung hereingefallen. Nur er selbst. Er war vom Blute Jassavias, und er hatte den Tod seines Geblütes begründet.

Die Narbe zog sich ein Stück empor, als er lächelte. Sie werden noch in Jahrtausenden von mir singen. In Spott und Hohn.


Nach oben
 Profil E-Mail senden  
 
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:  Sortiere nach  
Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 1 Beitrag ] 

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde [ Sommerzeit ]


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast


Sie dürfen keine neuen Themen in diesem Forum erstellen.
Sie dürfen keine Antworten zu Themen in diesem Forum erstellen.
Sie dürfen Ihre Beiträge in diesem Forum nicht ändern.
Sie dürfen Ihre Beiträge in diesem Forum nicht löschen.

Suche nach:
Gehe zu:  
cron

Powered by phpBB © 2000, 2002, 2005, 2007 phpBB Group
Deutsche Übersetzung durch phpBB.de