Ihr Körper krachte an die hölzerne Wand der engen, spärlich beleuchteten Kabine und sie rutschte unter einem Schmerzenslaut hinab zu Boden. Als sie ihren Blick blinzelnd zu ihrem Gegenüber hob, der sich als dunkler Schatten vor der schwankenden Öllampe ausmachen liess, tanzten vor ihren Augen wechselnd bunte Lichter auf und ab. Sie musste sein Gesicht nicht sehen, um den triumphierenden Blick erkennen zu können.
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"Verzeiht meine Fragen, ehrwürdiger Wissender, aber warum schickt ihr zwei so unterschiedliche Personen auf die Insel? Warum nicht einen, der sich bereits beweisen konnte und zusammen mit ihm ein paar Untergebene, die sich einzuordnen wissen?"
Ein ruhiges Lächeln umspielte den faltigen, schmallippigen Mund des Alten, ehe er sprach.
"Ihm seien seine Fragen natürlich verziehen, zeigt es doch den rechten Wissensdurst. Doch solle er selber einmal überlegen, warum Wir Uns dazu wohl entschlossen haben."
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Nur mühselig entspannte sie ihre Miene wieder, während sie mit einem dünnen Pinsel immer wieder hautfarbene Schminke um ihr linkes Auge herum auftrug, bemüht den blauen Fleck unkenntlich zu machen. Innerlich brodelte und kochte es in ihr. Purer Hass auf ihren brutalen Begleiter schwelte in ihr unaufhörlich, während Pinselstrich um Pinselstrich der Beweis seiner Schlagkraft schwand. Sicher, sie war ein wenig zu weit gegangen mit ihren Verlockungen und der Zurückweisung. Ein Spielchen, was sie zu gerne spielte und was ihr die Zeit auf diesem Schiff ein wenig vertrieb. Auch wollte sie seine Grenzen kennenlernen, wusste sie noch so wenig über ihn und konnte ihn bisher noch nicht so recht einschätzen. Nun wusste sie zumindest, wo die Grenzen seiner Geduld lagen.
Ein Wächter also, höhnte sie innerlich, während sie mit ihren Fingernkuppen die Ränder der Farbe etwas verwischte, damit das Zeichen ihrer Schwäche ihm gegenüber nicht allzu auffiel. Wächter war eindeutig das falsche Wort, ihrer Meinung nach. Die meisten waren eh Schläger, die stets für Erpressungen ausgeschickt wurden oder um Personen zu bewachen, nicht selten wachten sie auch über die Bordelle oder waren als Rausschmeisser in den Kaschemmen tätig. Sicher, er konnte ihr noch nützlich werden, doch dafür musste sie es schaffen, Macht über ihn zu gewinnen.
Missmutig betrachtete sie ihr Antlitz in dem staubigen, kleinen Spiegel, ehe ihr Blick auf einen schmalen Beutel von ihr fiel. Nachdenklich griff sie zu diesen, öffnete ihn und zog eine kleine, schlanke Phiole hervor, deren Inhalt grau-grünlich und wenig appetitlich im schwachen Licht der Kabine schimmerte. Ein verschlagenes Lächeln machte sich auf ihren Zügen breit, dann griff sie sogleich zur Innenseite ihres rechten Ärmels und schob dort die Phiole in eine flache, versteckte Tasche, zog dünne Bänder fest und verbarg sie so sicher.
Mochten seine Schläge noch so schmerzhaft sein, er würde sich gegen ihre Mittel ebenso schwer zur Wehr setzen können.
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"Ich verstehe. Der Bessere gewinnt, nicht wahr? Er wird sich gegen ihre Verschlagenheit durchsetzen müssen, sie gegen seine Brutalität und im idealen Fall werden sie sogar lernen, zusammen zu arbeiten, oder?"
Ein langsames Nicken des Alten.
"Er hat es richtig erkannt. Wir möchten nur die Besten über die Territorien herrschen wissen. Einer von den beiden wird es sein oder sie zusammen. Oder sie werden gemeinsam untergehen, aber dann waren sie beide wertlos für Uns und Wir schicken die nächsten zu dieser Insel."
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Sie setzte rasch wieder ihre missmutige Miene auf, senkte vorzugsweise ihren Blick, als sie aus der Kabine trat. Er lehnte an der gegenüberliegenden Wand und taxierte sie abschätzend und allzu selbstsicher wirkend. Kurzzeitig hob sie ihren Blick an, reckte das Kinn nur für einen Augenblick, so trotzig wirkend wie nur möglich. Sollte er doch denken, er hätte sie getroffen und sie würde sich nun bemühen, dieses zu überspielen. Hauptsache er würde nicht merken, wie sie innerlich bereits frohlockte.
Überheblich klang sein Lachen, als er ihr einen seiner starken Arme besitzergreifend und unnachgiebig um die Schultern legte, sie fest an der anderen Seite am Oberarm packte.
"Das kommt davon, wenn du glaubst, ich wäre einer dieser Deppen, die du um deinen kleinen Finger wickeln kannst. Und nun sei ein braves Mädchen."
Der drohende Ton in seiner Stimme bei den letzten Worten entging ihr nicht.
Der Speisesaal des Schiffes war karg und eher zweckmässig mit am Boden verschraubten Bänken und Tischen versehen. Auch hier schwankten die Öllampen im Rhythmus des Schiffes hin und her, während das Stimmengewirr davon kündete, dass sie beide zu den letzten gehörten, die sich zu dem Rest der Passagiere gesellten. Sie sassen nebeneinander, doch redeten kein Wort mehr miteinander. Sein Blick ging abwartend zur Tür hinüber, während ihrer verstohlen auf ihn lag.
'Gleich...'
Das Stapfen, welches vom Gang des Unterdecks, der zum Speisesaal führte, herüber dröhnte, war ihr schon fast vertraut. Kurz schweifte ihr Blick wiederum rüber zu dem mit Wein gefüllten Becher ihres Begleiters, während die linke Hand beiläufig über den rechten Ärmel streichte.
'Hauptsache, er schaut hin.'
Dann polterte die Tür auch schon auf und unter beständigen Stapfen trat die Köchin und Matronin des Schiffes mit einem Topf voll dampfender Suppe ein - Gerti Großauge nannten die Matrosen sie scherzhaft, wenn sie und ihr Nudelholz gerade nicht anwesend waren, wobei sie sicherlich nicht die Augen in ihrem Gesicht meinten. Ein kurzer Blick zu ihrem Nebenmann und wie jeden Abend hing seiner auf der ausladenden Oberweite der Köchin.
'Jetzt!'
Sie griff in Richtung Brotkorb, derweil flugs die Hand für einen Moment im Ärmel verschwinden lassend, den kleinen Korken ziehend und im richtigen Moment hielt sie das Handgelenk fast senkrecht über dem Becher ihres Begleiters. Rasch war der Inhalt der Phiole darin ausgekippt und ihr Griff ging weiter zum Korb, um sich ein Stück von dem harten Brot zu greifen.
***
"Was wäre, wenn sie sich von uns zu lösen beginnen?"
"Das wäre überaus dumm von den beiden. Sie dürften beide wissen, wie viele Augen und Ohren Wir haben. Davon ab - waren Wir nicht immer großzügig zu ihnen? Wir gaben ihnen eine Zukunft, ein Dach über den Kopf, zu Essen und Kleidung und sie dankten es brav mit ihrer bisherigen Arbeit. So, wie auch so manch' Pfeffersack es Uns zu verdanken hat, dass seine Gläubiger ihn in Ruhe liessen oder wie auch der ein oder andere Adelige, dem Wir grosszügig Kredite gaben, sein Volk besänftigten oder gar seine Gegner zu Morsan führten. Dankbarkeit ist ein wirklich kostbares Gut."
***
Das Würgen war über das gesamte Oberdeck zu hören und wäre der Seewind nicht gewesen, hätte wohl ein ekelerregender, säuerlicher Geruch in der Luft gehangen. Mit einer angewiderten Miene, die zudem Unkenntnis und Unschuld über die Ursache seiner nach gut einer Woche plötzlich aufgetretenen Seekrankheit andeuten sollte, sah sie hinüber zu ihm, wie er sich erneut über die Reling beugte und wieder nichts weiter als scharfe Magensäure seinen Mund verliess. Selbst fürs Lamentieren oder sie Beschuldigen blieb keine Zeit mehr.
Als sie sich von seinem Anblick löste und den Blick über die gegenüberliegende Reling aufs endlose Meer schweifen liess, gestattete sie sich einen zufriedenen Ausdruck auf ihrem Gesicht.
Diese Runde ging an sie.
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