Zitat:
So klein, so unschuldig.. So zart und doch so darauf bedacht zu wachsen. Das winzige Ding..
Es streckt seine Fühler aus nach dem labenden Leib der Mutter. Es fühlt sich beschützt und behütet. Warm ist es dort und gemächlich nistet es sich ein.
Das winzige Ding.. Es ist gewachsen, gerade einmal so groß wie der Nagel des kleinen Fingers. Zeit verging, bis es annähernd die Ähnlichkeit von einem menschlichen Körper erreicht hatte. Der Kopf war zu riesig, die entstehenden Augen groß und dunkel, verdeckt durch eine dünne Hautschicht. Arme und Beine so klein und umhüllten den zarten Körper.
Die ersten Regungen tat es und emsig schlug das Herz gegen die dünne Brustwand. Stark wollte es werden, groß und kräftig genug den Leib zu verlassen. Doch verband seine Mutter, die immernoch nichts von dem kleinen Wesen wusste, mit diesem Prozess Schmerz. Und Hunger, großen Hunger. Immer wieder nährten kräftigende Portionen das wachsende Leben in ihr.
Nur langsam schien seine Mutter etwas zu ahnen. Das Kind spürte dies durch die umgehende Sorgfalt der Bewegungen. Kein heftiges Geschaukel während eines Laufes schüttelten es mehr durch, und auch wenn es von Dunkelheit umhüllt war spürte es das Licht aufkeimender Liebe zu ihm. Wenn die Mutter in den Träumen lag und ihr gleichmäßiger Herzschlag den wachsenden Sohn in den Schlaf pochte, verband sie beide die wohltuende Ruhe und Sehnsucht einander zu berühren.
Immer weiter entwickelte sich der Körper, nahm immer mehr die Form eines Kleinkindes an. Manchesmal wurde er von Schluckauf geplagt oder musste seinem Ärger über den störenden Lärm vieler Leute von außen durch sanftes Treten gegen die Bauchdecke kund tun.
Jetzt war es schon so groß wie ein Zeigefinger. Alles war vorhanden, was ein Mensch zum Leben brauchte. Augen, Nase, Ohren, alle dazugehörigen Glieder und Organe. Manchmal nuckelte er an seinem rechten Daumen, schließlich musste er sich auf eine nährende Brust vorbereiten. Nun musste er nurnoch wachsen, bis er sich stark genug fühlte sich dem Leben außerhalb des schützenden Bauches zu stellen. Er hätte zumindest wachsen können, wenn nicht.. Ja wenn nicht das schlagartige Krampfen des Mutterleibs jäh seinen ruhigen Schlaf gestört hätte.
Irgendetwas stimmte nicht. Es sollte aufhören, es schmerzte ihn am ganzen Körper! Er fühlte sich eingeengt. Etwas zerrte und wetterte, stellte sich zwischen ihn und sein Leben. So klein und doch durchlitt er schon Höllenqualen. Wenn er schreien könnte, würde er es tun! Stattdessen konnte er nur die Arme und Beine benutzen seine Pein von sich zu treten. Eine nicht greifbare, real vorhandene Pein und doch riss sie die Verbindung zwischen ihn und seiner Mutter entzwei. Das Kind schüttelte sich in Furcht und Verzweiflung, ebenso wie die Mutter es tat. Durch die ständige, krampfartige Kontraktion und den damit verbundenen Schmerz, gleich vieler Messer die sich in den Körper bohrten, wurde es von der nährenden Stelle der letzten Wochen förmlich weg gezogen.
Plötzlich umhüllte den winzigen Jungen in der schützenden Blase Blut. Viel zu viel Blut. Es umschwemmte ihn und trug ihn, begleitet von dem erschütternden Schluchzen der Mutter, hinaus.. Hinaus ins Licht.