Zitat:
Bernsteinfarben, glänzend wie vom Meer rund gewaschene Steine sahen sie ihn an. Die wohl schönsten Augen, die der junge Fardo jemals gesehen hatte.
"H... hier hast du ein wenig Brot." sagte er mit etwas Mühe und merkte, wie ihm das Blut in den Kopf schoß. Seine Zunge wurde trocken und er bemerkte ein flaues Gefühl in der Magengegend. Ob er etwas schlechtes gegessen hatte? Doch dieser Blick, scheu wie ein Reh und doch voll innerer Kraft ließ ihn nicht los. Erst als das Mädchen den Blick gesenkt hatte, auf das trockene und im fahlen Licht der Ölfunzel nicht sehr schmackhaft aussehende Brot in der zitternden Hand Fardos, da schien für einen Moment der Bann gebrochen. Er holte tief Luft, dann drückte er ihr das Brot schnell in die Hand und lief aus dem Zimmer. Zitternd blieb er in der Treppenflucht stehen und schaute auf seine blassen Hände. Was war geschehen? Hatte sie ihn mit einem Zauber belegt? Er fühlte sich, als hätte er einen dieser trüben Rachenputzer von Krausal getrunken - nur dass seine Kehle nicht brannte. Doch er empfand denselben eigentümlichen Schwindel im Kopf, das Zittern in den Beinen und das flaue Gefühl im Magen. Nein, es war anders. Irgendetwas war ganz anders. Vorsichtig wagte Fardo einen Blick zur Tür, die das Zimmer der "Neuen" von ihm schied. Er wollte noch einmal zu ihr reingehen, sie nur noch einmal anschauen und sehen, ob... aber er hatte keinen Grund. Was sollte er sagen, wenn sie ihn frug, was er noch wolle? Ah, sein Name, er hatte ihr noch gar nicht seinen Namen genannt. Das war eine gute Idee, befand er und nickte um sich Mut zu machen. Er machte einen Schritt auf die Tür zu, sie schien zu schwanken, irgendwie hatte er Angst sie zu öffnen, doch der Drang diese Augen wieder zu sehen war größer.
Er schob die knarrende Tür einen Spalt auf, wartete einen Moment und steckte dann seinen schwarzen Schopf durch den Spalt. Er blinzelte ein wenig nervös und kam sich vor wie ein Narr. Ein trockenes Schlucken sollte den Kloß, der sich in seinem Halse breit machte herunterzwingen. Doch es half nichts. Wie lang stand er nun schon in der Tür? Sie blickte ihn an, doch er hatte bisher weder ein Wort gesagt, noch gewagt, den Blick zu heben.
Endlich wagte er es und wieder durchflutete eine Woge des Glücksgefühls den jungen Kerl, als sein Blick jenen des Mädchens traf.
"Übrigens... ich bin der Fardo!" sagte er schnell, fast hastig und kam sich mit einem Male sehr dumm vor. Warum glaubte er nur, dass das Mädchen sich für seinen Namen interessieren könnte? Doch sie lächelte. Sie lächelte! Fast schossen ihm Tränen der Freude in die Augen und er wischte sich schnell durchs Gesicht um davon abzulenken. Sein Blick streifte seine schmutzige Leinenhose, von vielen Flicken zusammengalten und die nackten Füsse, die ihm selbst nun sehr hässlich erschienen. Doch er wagte den Blick erneut zu heben. Dieser Moment erschien ihm so unwirklich, so atemberaubend, dass er mit einem Male stolz war, den Mut gehabt zu haben noch einmal zurückzukommen. Sie lächelte immer noch und dann öffnete sie ihren Mund. Ihre Zähne waren perlenweiss, eine Farbe, die er schon seit seinem Fortgang von Daheim nicht mehr gesehen hatte. Kinder hatten dieses Weiß, doch die meisten Menschen, die er hier kannte hatten entweder keine, oder nur sehr gelbe Zähne. Sie öffnete ihren Mund. Und sie sprach.
"Das ist ein schöner Name! Wie heisst du weiter?"
Fardo stutzte einen Moment.
"Fardo, einfach Fardo. Und wie heisst du?"
"Ich bin die Rosemarie!" entgegnete sie ihm mit einem bezaubernden Lächeln.