Matrulla Gutschild war schon zu unserer beiden Liebsten Kindeszeit Köchin im Gasthaus "Zum Schönen Kalb". Ebenso lange schon konnte man das außergewöhnliche Kartoffelgratin dort geniessen. Das Rezept dieses wunderbaren Auflaufes war von Generation zu Generation in der Familie Gutschild weitergegeben worden und so hatte auch Matrulla durch ihre Mutter irgendwann Einsicht in das Mysterium der Zubereitung des „Gutschilder Kartoffelgratin“ bekommen. In all den Jahren machte sich das Gasthaus so einen Namen und trotz seines trostlosen Äusseren, war es regelmäßig gut besucht gewesen. Offiziere und Händler, Bürger oder Gelehrter, alle waren sie einmal bei Matrulla eingekehrt und schwärmten danach von ihrem Kartoffelgratin. Mit der Zeit wurde das Gratin sogar außer Haus serviert, ein nahes Waisenhaus und etliche Handwerkshäuser in der Umgebung wussten also Matrullas Kochkünste zu schätzen. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass Matrulla Gutschild eine Menge Klatsch und Tratsch zu hören bekam und von einigen Geheimnissen wusste, die manch anderer ängstlich zu verbergen suchte. Aber auch sie wusste längst nicht alles und wollte es auch nicht wissen. Diese natürliche Unbekümmertheit und Verschwiegenheit wussten die Leute zu schätzen auch wenn Matrulla mancher Tags einen rohen Umgang mit Gästen pflegte, die sich nicht zu benehmen wussten. Die gute Frau war so in die Jahre gekommen und wie ihr einst junges, hitziges Gemüt und ihr impulsiver Tatendrang allmählich einem besonneneren Müßiggang wichen, so wurde es auch um ihr kleines Gasthaus ruhiger. Lediglich eine handvoll Gäste waren es die Tage gewesen und hätte sie nicht das kleine Zimmer an den Jungen der Frau Zulan und seiner Liebsten vermietet, würde sie es sich dreimal überlegen doch ein paar Tage zu schließen um ihre alten Knochen zu schonen. Den jungen Garad, der an diesem Tage aufgewühlt in seiner Ecke saß, hatte sie mehr oder weniger aufwachsen sehen und auch mit seiner Mutter, Ilana Zulan, war sie bekannt. Eigentlich gingen ihr die Belange der jungen Leute nicht mehr sonderlich nahe, aber diese zwei Liebsten waren der alten Matrulla doch ans Herz gewachsen. Das mag daher kommen, dass sie sich immer Kinder gewünscht hatte, aber nur die Viere wissen warum, war es ihr nie vergönnt gewesen. Und nun hatte sie seit einiger Zeit die Zwei bei sich wohnen und war ihnen gegenüber einem mütterlichen Instinkt verfallen.
Garad zwang sich zu einem Lächeln als die alte Frau zur Tür herein kam. Ihrer rohen Erscheinung begegnete er seit je mit ehrfürchtigem Respekt, in seinen Augen war Matrulla trotz ihres Alters immer noch zu allem fähig. Er brauchte sich nur ihre dicken, kräftigen Arme anzusehen und die riesigen, fleischigen Hände dazu zu nehmen, und schon dachte er daran, wie sie mit einem tödlichen Beil auf ein blutiges Schlachtvieh in ihrer Küche einhackte. Jetzt also, setzte sich Matrulla zu ihm an den Tisch und schob ihm ein dampfendes Kartoffelgratin hinüber: „Sieh zu Kleiner, das du was ißt, wenn du hier schon den ganzen Tag nutzlos herum sitzt und vor dich hin schmollst!“. Garad sah die Alte nur verblüfft an, nahm aber brav das Besteck in die Hand. Wortlos begann er darauf herum zu kauen. Die Alte lachte: „Anscheinend sind meine Kochkünste auch nicht mehr das, was sie mal waren. Oder hast du deine Zunge verschluckt, Junge?“ „Nein, ich ...ich denke nur nach. “ Nach einem kurzen Zögern fügte er entschuldigend hinzu: „Aber es ist wie immer sehr lecker Frau Gutschild.“ „Ja ja schon gut, Junge, schon gut.“ Garad fühlte ihren langen durchdringenden Blick auf sich gerichtet und stocherte nervös in dem Auflauf herum. Matrulla lies nicht lange auf sich warten: „Sie ist wieder davongelaufen, was?“, Garad rutschte die Gabel aus. Er legte sie beiseite und nickte vage. „Das war ja heute morgen auch kaum zu überhören.“, bemerkte die Alte etwas spitz und fuhr fort: „...aber lass dir eines gesagt sein mein Junge: Sie liebt dich. Wer so laut am Morgen wütet, der hat Feuer im Blut.“ Sie tätschelte seine Hand als sie eine kleine Hoffnung in ihm aufkommen sah: „ Mein Junge, ich weiß zwar nicht viel von Liebeleien, aber genug um zu wissen, dass das so nicht lange gut gehen kann.“ Mit einem starren Blick, als wäre dies eine unabänderliche Bedingung und brauche nur Zeit um akzeptiert zu werden, harrte sie einen Moment schweigend aus. Schließlich lächelte sie ein wenig mitfühlend: „Ihr müsst heiraten und euch eine Heimat suchen. Wirst du mit dieser Frau nicht sesshaft, wird euch das ins Chaos stürzen. Hast du sie schon deiner Mutter vorgestellt? Das wäre der erste Schritt in diese Richtung.“ Garad sah seine Verzweiflung nunmehr ins Unerträgliche wachsen. Gerade seine Mutter wollte er doch meiden. Wie sollte er sich ihr Wohlwollen holen können nachdem was er getan hatte? Sie würde Almaie für alles verantwortlich machen. Dabei war er es gewesen der den Schlüssel gestohlen hatte. „Sie wird dir schon verzeihen, du bist doch ihr Junge!“ ,sprach die alte Matrulla aufmunternd, als hätte sie seine Gedanken gelesen. „Nun iß deinen Auflauf zu Ende bevor er kalt wird und zerbrich dir nicht den Kopf, mein Guter.“ Sie tätschelte ihn wieder und watschelte mit ihren dicken Hüften davon, als wäre nichts gewesen. Garad blieb noch lange sitzen und suchte seine Gefühlswelt zusammen. Der Weg zu seiner Mutter schien so schwer und unerreichbar das er am liebsten direkt und mit Tränen in den Augen in ihre Arme gelaufen wäre, ganz egal wie sie reagierte hätte. Er hätte sie einfach ganz fest umklammert, sich an ihre Brust gedrückt und sie nie wieder losgelassen. Und der Gedanke mit Almaie ein bürgerliches Leben zu führen, mit Haus und Hof, schien ihm ebenfalls unerreichbar. Sie würde ihn auslachen wenn er ihr davon erzählen würde. Aber die Vorstellung sie zu heiraten, Almaie auf ewig zur Frau zu haben, jeden Morgen in ihren Armen zu erwachen und mit ihr ein Leben zu teilen war ihm doch gleich einer Erfüllung seines größten geheimen Wunsches. Diese Frau und ihr Wesen, ihr Duft und ihr Körper waren ihm in einer Weise vertraut, die er bisher nur bei seiner Mutter gekannt hatte. Wenn Almaie nicht bei ihm war, fühlte Garad sich gleich eines leeren Gefäßes, dass nur Almaie füllen konnte. Und je mehr er versuchte diese Vertrautheit und Liebe in Worte zu fassen, jetzt wo sie nicht bei ihm war, desto leerer fühlte er sich. Worte waren Hülsen für etwas, was nicht in Hülsen passte. Nur wenn Almaie bei ihm war, wenn sie ihn küsste, oder wenn sie ihn auslachte, das war ganz gleich, nur dann war er bis zur Gänze ausgefüllt. Und dieser Gedanke, dieses Gefühl waren so stark, dass er beschloss mit Almaie zu seiner Mutter zu gehen.
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