Einsiedler |
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Der Anfang eines Weges
Es war ruhig geworden, ruhiger zumindest als zuvor. Der Seewind trieb feuchte Luft in den offenen Schrein Bellums und ließ die Blätter der umgebenden Bäume rauschen. Es war spät und der Tag hatte ihm mehr abverlangt, als er geahnt hätte. Aber nicht nur ihm. Nun lag die Verantwortung bei ihm und er spürte und wusste, dass das richtig war. Die Worte des Gebets kamen ihm ohne ein Stocken über die Lippen und er hielt sie gleichzeitig fest bei sich.Jahre waren in dem geschützten Raum vergangen, Jahre in denen er dem ewigen Rhythmus aus Dienst und Meditation gefolgt war, Jahre in denen er versucht hatte diese Unruhe in seinem Herzen zum Schweigen zu bringen, indem er sich dem neuen Leben ganz hingab. Die ungreifbaren Erinnerungsfetzen aber hatten ihn nie losgelassen – vor allem nicht in seinen Träumen. Vater Eraldin hatte ihm geraten zuerst zur Ruhe und zu Kräften zu kommen, ehe er diese Mauer in seinem Geist beginnen sollte einzureißen. Er war davon überzeugt gewesen, dass sie aus einem guten Grund bestand und wenn der Herr Astrael seinen Geist abschirmte, dann womöglich nur um ihm die nötige Zeit zu lassen genug Stärke zu sammeln um mit dem zurecht zu kommen, was dahinter lauerte. Doch diese Zeit des stillen Dienstes in diesem abgelegenen Kloster war nur bis zu einem gewissen Moment der richtige Weg gewesen. Sie brachte ihn nicht vorwärts, ließ ihn irgendwann auf der Stelle gehen und so erstarkte abermals die Unruhe in ihm. Er spürte tief in seinem Innersten, dass es Zeit wurde die losen Enden seines Lebens zu ergreifen und zu einem Ende zu führen – auf die eine oder andere Weise. Er sehnte sich nach Klarheit im Geist und im Herzen, er wünschte einen Ausbruch aus dem Nebel, der den klaren Blick verhüllte.Nachdem das Gebet seine Lippen verlassen hatte, hob sich seine Brust in einem tiefen Atemzug und sein Blick richtete sich auf den violetten Stein, den er immernoch in seiner Hand geborgen hielt. Er war Anker und Halt. Unscheinbar und klein und doch mit einem Funken beseelt, der seinen Widerschein auf die Handfläche Ionas' warf. Ein mattes Lächeln zog über sein Gesicht und er schloss ganz bewusst die Finger wieder um den Stein. Ein erstes Stück des Rätsels hatte sich schon zusammengefügt.Zwei Dinge waren ihm geblieben in all den Jahren, Gegenstände, auf die er sich keinen Reim machen konnte und die dennoch eine Seite in ihm zum klingen brachten: Eine gläserne Kugel, deren Inneres von einem wabernden Farbnebel erfüllt war, der die Farbe änderte, je nach dem von welcher Richtung man auf die Kugel sah. Und auch wenn dieses Stück sicher auf metaphorischer Ebene mehr Deutungen zuließ, war es doch der kleine Amethyst gewesen, der eine tiefere Regung in seinem Herzen auslöste. Der Lichtfunke, der im Inneren des Edelsteins verborgen lag, schien ihm lebendig und so oft er ihn hervornahm, so oft hatte er den Eindruck dass dieser nur eine Seite einer Medaille war – auch wenn er die andere Seite nicht sah. An diesem Abend hatte er sie gesehen und gespürt. Als er dort auf dem hölzernen Hocker am Feuer saß und den Zwillingsstein seines eigenen Steins in der Hand Myrandhirs sah, wusste er, dass er angekommen war. Er bat um die Geschichte des Steins. Er bat um Klarheit... und erhielt sie.Unwillkürlich schlossen sich seine Augen, während er noch in dem Schrein ausharrte. Ja, dieser Teil der Geschichte hatte Klarheit erfahren, doch es war nur ein winziges Bruchstück einer Scherbe, welche ihr Gegenstück wiedergefunden hatte. Da waren noch so viele andere.Es war einige Zyklen her, dass die Seeschwalbe am Hafen der so fremd erscheinenden Stadt angelegt hatte. Er wusste nicht mehr wie viele es inzwischen waren. Er hatte die Häuser kaum wahrgenommen, an denen er wie blind vorbeigegangen war – sie trugen nicht die Kraft in sich, seinem Geist Klarheit zu schenken. Seine Füße führten ihn ohne sein Zutun an einen anderen Ort dieser Insel. Ja, er wusste wo er war - er war auf Siebenwind. Der Name hatte bei jeder beiläufigen Erwähnung in den letzten Jahren ein kurzes Zucken in seinem Geist verursacht und so war es für ihn keine Frage gewesen, wohin ihn sein Weg führen würde, wenn er die schützenden Mauern des Klosters verließ. Er war sich sicher, dass es Astrael selbst war, der seine Schritte lenkte. Der Herr und ein Teil seines eigenen Geistes, der nach Antworten suchte. Er wurde immer rastloser, je näher er dem Ziel kam und ein dicker Kloß saß ihm in Kehle und Magen. Doch was er fand, hatte er nicht erwartet. Seine Schritte führten ihn zwischen verfallenen, überwucherten Mauern entlang. Er spürte seine eigenen, vergangenen Schritte unter seinen Füßen und sah Stein auf Stein gefügt, die sein Auge bereits gesehen hatte – aber es war ein Bild der Zerstörung. Er hatte auf Klarheit gehofft und fand nur ein Bild seines eigenen Geistes in der fassbaren Welt verankert – Ruinen vergangener Geschichte. Seine anfängliche Zuversicht wich zunehmender Verstörung. Wieso führten ihn die Schritte ausgerechnet an diesen Ort, der keine Antworten mehr bereitzuhalten schien? Der Weg über die Brücke zu der verfallenen Burg schien endlos und sein Blick irrte wie traumwandlerisch über jeden Flecken bis er schließlich vor dem kahlen Felsen innehielt und daran hinaufblickte. Da waren nur noch ein paar wenige Steine und ausgetretene Stufen, die kein Ziel mehr hatten. Seine Fingerspitzen strichen über eine der Stufen und er spürte dass er sie viele Male hinaufgegangen war. Doch wohin? Warum? Er fand keine Antwort darauf in seinen Gedanken. Zuletzt hatte ihn sein Weg aus der Ruine hinaus geführt über die Wiesen bis hin zu einem kleinen Teich am Rande eines überschwemmten Augebietes – ein kleiner Schrein der Herrin Vitama stand darin und trotzte still der Zerstörung rings umher. Doch er wusste, dass etwas fehlte. Der Altar vor der Statue war leer. Sein Atem wurde unsteter und er schloss die Augen. Er wusste kaum noch, wie er danach zurückgefunden hatte in den einzigen Ort, der menschliches Leben zu beherbergen schien auf dieser Insel...Jetzt in der ruhigen Geborgenheit des Schreins kamen seine Gedanken langsam wieder zur Ruhe, auch wenn die unterschwellige Übelkeit nicht weichen wollte. Er ließ sich auf den Stufen zum Schrein nieder und stützte den Kopf auf seine Hände. Er war müde und erschöpft, doch an Schlaf war für den Moment noch nicht zu denken. Er fühlte sich schuldig, erdrückend schuldig. Es war wichtig gewesen hier vor Bellum selbst zu treten. Auch dieser Schrein war ihm auf seltsame Weise vertraut, nicht so sehr wie die drei Orte bei der zerstörten Stadt, aber dennoch. Er hatte um Stärke gebeten und um Schutz.. doch nicht nur für sich selbst.Er hatte dem überwältigenden Gefühl der Hilflosigkeit nachgegeben, als er statt Klarheit nur Zerstörung gefunden hatte. Er hatte in all den Jahren so viele Hoffnungen in diesen Moment gelegt, dass die Offenbarung ihn straucheln ließ. Ja, das war sein Fehler gewesen und er bereute diesen Augenblick der Schwäche, den er sich so lange verboten hatte. Er hatte den Tempel der fremdartigen Stadt aufgesucht doch sein Gebet war keines um Ruhe und Verständnis gewesen, sondern ein verzweifeltes Flehen um Klarheit. Er hatte gelernt, dass es besser war diese Momente der Schwäche und des Zweifels vor den Herren Astrael allein zu tragen, als sie den Menschen in seiner Umgebung zuzumuten. Dies war ein Kampf, den er mit sich selbst austragen musste. Er wollte keine Last sein, das war nie sein Weg gewesen. Doch er hatte dabei gefehlt. Die Hand, die sich helfend nach ihm ausstreckte, war genau in diesem Moment der Schwäche gekommen und die Worte, die ungeordnet und unbedacht über seine eigenen Lippen gekommen waren, waren zweifellos dazu angeraten an seinem Verstand und seiner Gesinnung zu zweifeln. Sein Geist war noch immer so aufgewühlt von den Bildern und Gefühlen gewesen, die diese Orte in ihm ausgelöst hatten, dass er nicht seine übliche Form wahren konnte. Er konnte es nicht. Er zitterte am ganzen Leib. Ein Moment der Schwäche konnte so viel zerstören. Gedankenverloren drehte er den violetten Stein zwischen seinen Fingern und betrachtete den glimmernden Funke darin. Er war da und blieb da. Er flackerte nicht – nur manchmal schien er ein wenig heller als sonst. Stetig. Myrandhir hatte ihm etwas wiedergegeben, was er lange gesucht hatte. Einen Namen und das Wissen darum, dass er den richtigen Ort gefunden hatte um seine Geschichte wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Er wusste noch nicht wohin dieser Weg führen würde, aber er wusste dass er die losen Enden dieses Weges ergreifen und klären musste, ehe er selbst weitergehen konnte. Das war er nicht nur sich selbst schuldig, wie er seit dem heutigen Abend mit tiefer Sicherheit wusste – auch wenn ihm noch verborgen blieb, was damals geschehen war. Die Reaktionen der Anderen hatten genug gesagt um sich zumindest dessen gewiss zu sein. Und er würde tun was nötig war um es diesmal richtig zu machen. Er würde sein Bestes geben um keine alten Wunden aufzureißen oder neue entstehen zu lassen.Er hatte in der Haltung, der Mimik und den Worten des fremden Elfen, des fremden Bruders, die Angst gesehen. Angst davor, was Ionas verursachen würde, Angst vor dem, was er Anderen mit seiner Suche antun würde. Und er hatte seine Entschlossenheit überdeutlich wahrgenommen. Dieser Bruder wollte weitere Zerstörung verhindern und er selbst wollte nichts Anderes. Er hatte sich zu diesem Zeitpunkt zumindest weitgehend wieder gefangen und so hatte er sein Äußerstes getan um Einverständnis und Akzeptanz zu zeigen. Er würde sich den Auflagen fügen, Geduld haben und an sich arbeiten. Er war nun an einem Ort, an dem nicht nur seine losen Fäden der Geschichte offen lagen – auch die anderer. Und da waren Wunden, Wunden die vielleicht verdeckt worden waren, aber nie ganz geschlossen. Bei ihm, wie bei Anderen. Er musste nun behutsam sein, das hatte ihm der Blick in die Augen des fremden Bruders gezeigt. Er hatte ihm die Wunden bewusst gemacht und den Schmerz. Es war nicht nur sein Weg.Auf den Stufen des Bellumsschreins verharrte er in dieser Nacht und ehe ihn Lifna in ihre sanften Arme schloss, galt sein letztes Gebet des Tages allen Vieren. Er bat um Klarheit und die Weisheit seinen eigenen Weg zu erkennen. Er bat um Stärke und Schutz für sich und all diejenigen, die ihm auf seinem Weg begegnen würden – ob es nun bekannte oder unbekannte Gesichter waren. Er bat um das richtige Gespür dafür, diese Wunden zu behandeln, die noch immer offen lagen und drohten mit einer falschen Bewegung seinerseits wieder aufzureißen – noch weiter aufzureißen. Und zuletzt bat er um Ruhe und Rast, die ihm Lifnas Segen schließlich auch gewährte – zumindest in dieser Nacht und auf den Stufen des Schreines.
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Es ist nicht genug zu wissen, man muss es auch anwenden; Es ist nicht genug zu wollen, man muss es auch tun.
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