Es hatte etwas ungemein Friedliches an sich. Zerstörtes Mauerwerk, Steine am Grund eines klaren, blauen Sees und all dies überwuchert; von mächtigen Bäumen und ihren Wurzeln teils sogar schon förmlich gesprengt. Zarte Blumen wuchsen im Gras, welches nun im Vitama frisch zu sprießen begann und hier und da raschelte es leise zwischen den Büschen. In der Mitte des Sees wiederum wuchs ein gewaltiger Baum in die Höh', dessen Äste förmlich nach Fela zu greifen versuchten.
Es war, als wenn alles Grün versuchte vergangene Schrecken zu verbergen oder sogar zu vertilgen.

Während Vivianne diesen Ort ausgiebig betrachtete, jedes einzelne Detail mit ihrem Blick förmlich aufsaugen wollte, um es nie mehr zu vergessen, vergaß sie für einen Moment, an welchen schrecklichen Ort sie sich doch eigentlich befand - Siebenwind.
Aber an und für sich war Siebenwind bisher auch nicht schlimmer als Vandrien. Auch hier überall die Bewaffneten, die Zeichen von Kämpfe und Kriege ... und weckten damit Erinnerungen.



Die ersten Schritte auf dieser Insel waren schwer. Sie wollte nicht von zu Hause weg und doch war ihr Zuhause kein Ort, an dem sie immer blieb. Körperlich ja, aber ihre Gedanken waren oft weit, weit weg an Orten, die es nicht gab und wo alles ein wenig anders und damit besser war. Falkensee war die Stadt, die sie als erstes betreten hatte. Fieberhaft hatte Vivianne nach Zeichen gesucht, wo ihre Schwester Lucienne sein konnte. Vielleicht ein Ladenschild oder ein Aushang, doch nichts davon fand sie. Sie sah etliche Leute auf den Straßen, doch sie scheute sich, sie anzusprechen. Viele trugen Waffen oder wirkten auf andere Art und Weise erschreckend. Andere trugen hohe Titel, mit denen sie sich gegenseitig ansprachen und all das verunsicherte sie noch mehr. Letztlich hatte sie Falkensee in Richtung Norden verlassen, war vorbei an Palisaden, die unangenehme Erinnerungen wachriefen und dann über diesen kleinen Lavabach hinweg, bis sie einen weiteren Ort erreichte. Eine Festung.
Aber sie war müde und als sie auch dort nichts fand, was auf ihre große Schwester hindeutete, hatte sie einen Stall aufgesucht. Hier baute sie sich eine kleine Höhle hinter etlichen Stroh- und Heuballen und hoffte, dass kein Stallbursche sie hier aufschrecken würde und sie alleine blieb.

Am nächsten Tag jedoch sah sie endlich Lucienne, welche aus einer Stadt kam, die niedergebrannt war, hatte sie gesagt. Schrecklich.
Doch all das verblasste, als sie Luciennes gereichte Hand an sich nahm. Sie fühlte sich sicherer und geborgen und ging mit ihr nach Südfall, wo Vivianne auch Magnus wieder traf, der sie herzlich begrüßte.

Südfall. Diesen Ort fand sie jetzt schon schön, auch wenn man hier vor Bären acht geben musste. Aber lieber waren ihr Bären, als Menschen mit Waffen. Verträumt strich eine ihrer Hände über das Gesicht mit den frischen Kratzern, die ihr etliche Zweige zugefügt hatten, als sie diesen seltsamen und doch auch faszinierenden Wald bei Südfall fluchtartig wegen einer übellaunigen Bärenmutter verlassen hatte.

Wie lange stand sie hier schon? Vivianne blinzelte etwas, sah zum Himmel auf und machte sich rasch auf den Weg zurück, während in Gedanken zwei vertraute Stimmen weit entfernter Personen sie schalten.
Trödele nicht so herum!
Hör auf zu träumen!
Was sollen denn die Leute von dir denken?