Event-Teamleiter |
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Registriert: 6.04.08, 20:14 Beiträge: 2882 Wohnort: USA
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Nur manchmal wird sich Tintin dazu hinreißen lassen, eine längere Geschichte zu erzählen. Nach einem langen Tag, mit einem Bierkrug in der Hand in seiner bevorzugten Taverne, mag sich so eine Gelegenheit ergeben. Der Blick würde abschweifen, die Stimme sich senken wenn er von den skurillen Phänomen berichtet, die sich in den hintersten Ecken Falandriens abspielten und abspielen.
Das Norland ist kalt - das weiß jedes Kind. Doch jene Kälte auch am eigenen Leib zu spüren, das lehrt einen ganz neue Aspekte des kühlen Grauens. Das Geräusch klirrender, eisbedeckt-matter Fenster. Das gnadenlose Prickeln und Stechen der Schneeflocken und Hagelkörner, das einen erwartet, wenn man es wagen sollte, auch nur einen Fuß vor die Türe zu setzen. Der hüfthohe Schnee, der wie Watte jedes Geräusch abwürgt und weit und breit eine grausame Stille walten lässt. Trügerisches Eis auf warmen Quellen, das schon so manchen Wanderer enttäuscht und prompt ertränkt hat. Das unvermeidliche Geräusch pfeifender Luft, wie sie sich durch jede einzelne Ritze in den Holzbauten der Randgebiete Eskandars zieht. Der Hetmann in seiner steinernen Halle, fast in Sichtweite von hier, mag dies nicht nachzuvollziehen.
In der beengten Holzhütte brannte nurnoch ein Feuer: Zaghafte Flammen schlängelten sich von noch zu feuchtem Holz hoch und erfüllten den Innenraum mit einem beißenden Rauch. Vor diesem kläglichen Abklatsch der monumentalen Kamine der Halle des Hetmanns hockte ein Galadonier. Die Hände rieben ohne Unterlass aneinander, nur um zwischendrin mit einem Hauch der kostbaren warmen Atemluft erwärmt zu werden. Trotz der dicken Fellstiefel fühlte er sich, als würden die Zehen bald abbrechen, ganz wie die Eiszapfen, die von ihrem eigenen Gewicht abgebrochen gelegentlich vom Dachrand der Hütte draußen herabfielen und klirrend zerbrochen. Er fühlte sich, als würde mit jedem kleinen, warmen Atemwölkchen Galtor ein Stückchen näher heranrücken. Was hatte er sich auch damals entschlossen, das Norland zu bereisen. Fremde Lande wollte er sehen, von denen in Draconis oft die hinreißendsten Geschichten erzählt wurden. Die stolzen Drachenboote der Nordmänner wollte er erblicken, wie sie die engen Buchten entlangsegelten, auf dem Weg um mystische Seebestien zu erlegen, allein um Ruhm anzuhäufen. Er hatte sich niemals erträumt, in einer stinkenden Holzhütte zu erfrieren, weit weg von den Annehmlichkeiten des Lebens, die der Sohn eines Gutsherren in Sae genießt. Keinen Knecht hatte er mitgebracht, den er Feuerholz holen schicken könnte. Keine Magd, um ihm in diesen einsamen Stunden, in denen die Zeit stillzustehen schien, vitamagefällig Freude zu bereiten. Zunehmend wurden die Gedankengänge zäher, als würde das inzwischen beständige Klappern der Zähne sie übertönen. Die Lippen wurden blau, brüchig und fast schon hatte er das Gefühl, dass Reif ihm die Sicht nehmen würde.
Sein einziger Trost in dieser dunklen Zeit war der Anblick der Flamme vor seinen Augen. Das sich ineinander verzweigende, schlängelnde, warme Etwas, das ihm unermüdlich Gesellschaft leistet, und doch so nahe am Erfrieren war wie er selbst. Inmitten des raureif- und eisbedeckten Inneren der Hütte war diese Flamme die einzige Abwechslung, die sich seinen müden Augen anbat. Der Anblick dieser auf eine sonderbare Art und Weise so anziehenden Komplexität allein war es, der ihn davor bewahrt hatte, inmitten der eisigen Öde, die bereits in die Hütte hineinzukriechen begann, den Verstand zu verlieren. Er rückte näher heran, löste die ineinander verschränkten, eisig-klammen Finger um mit den Fingerspitzen zart durch dieses ätherische Ding zu fahren. Es schmerzte ihn nicht, gab ihm gar ein Stück Gefühl zurück. Als er das nächste Mal durch die Flamme fuhr, in einer Bewegung, als würde er das Antlitz seiner Geliebten daheim liebkosen, schien es ihm fast, als würde das Feuer dies erwidern, indem es ihm noch ein wenig seiner Wärme opferte. So ging dieses beidseitige Spiel hin- und her für eine gefühlte Ewigkeit, gefangen in diesem Moment der Zeitlosigkeit, geschaffen durch die dämpfende und betäubende Kälte. Der Mann begann, sich nach Holz umzublicken in seiner Hütte und erblickte einen reifbedeckten Stuhl. Gewissenhaftes Händereiben und Beatmen vertrieb die Feuchtigkeit aus dem klobigen Ding und mit etwas Gewalt wurde es entzweigebrochen, um seiner Weggefährtin, der kleinen Flamme, das Holz darzubieten. Es folgte eine Hand voll Weizenähren, die am folgenden Tage sein Mahl hätten werden sollen - und nun in wenigen Augenblicken als Strohfeuer verbrannten, aber nicht, ohne einen Schwall belebender Wärme auszusenden. Funken stieben auf, als er selbst sein letztes Hemd dem Feuer widmete. Der Leinenstoff brannte gut, und es erfüllte sein Herz mit Freude zu sehen, wie das Feuer wuchs und gedieh, und an Schönheit noch zuzunehmen schien. Mit den Händen griff er nach den Funken, verfolgte ihren Flug mit einem Lächeln auf dem Lippen.
So kam es, dass am folgenden Morgen zwei Entdeckungen gemacht wurden: Die Stadtgarde Eskandars fand die Hütte auf die Grundmauern niedergebrannt vor. Ruß und Asche waren teils bereits wieder vergraben unter dem in der Nacht neugefallenem Schnee und nur teilweise ragte der geschwärzte Leichnam eines Mannes hervor, der in noch jungen Jahren von Galtor geholt worden war. Nicht weit von dem Ende eines Lebens, zeichnete sich jedoch der Beginn eines Neuen ab - ein kleines Kindchen auf den Stufen der örtlichen Mission der Viere schrie herzerweichend. Fortsetzung folgt, falls erwünscht.
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"Nenne mir, Muse, den Mann, den Vielgewanderten..." Ἄνδρα μοι ἔννεπε, Μοῦσα, πολύτροπον
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