Sie erwachte bereits im frühen Morgengrauen. Nebel lag über den Wald, für einen Astraelmorgen war es ungewöhnlich kühl. Die Nacht war generell nicht besonders warm gewesen, irgendwann war es abgekühlt, nur das Feuer hatte für eine angenehme Wärme gesorgt und gleichfalls die wilden Kreaturen des Waldes auf Abstand gehalten. Verschlafen zog sie die Felldecke tief über ihr Gesicht und suchte unter eben diesem die Wärme, die sie ab und zu diese Nacht vermisst hatte. Andererseits war es auch angenehm gewesen, einmal nicht im Dorf zu schlafen. Ihre Mutter hatte immer gesagt: 'Zu hause fühlst du dich nur dort, wo du dein Herz lässt', in gewisser Weise stimmte das. Es war nicht einfach, Vänskap ihr zu Hause zu nennen, könnte Falkensee ihr zu Hause werden?
Das Gesicht unter der Felldecke vergraben ließ sie den gestrigen Tag Revue passieren. Die Idee, mit dem Laden gefiel ihr. Aber Falkensee hatte sich verändert, das gefiel ihr nicht. Nachdem sie sich nach dem Ausflug ins Dorf hingelegt hatte, hatte ein Bote in der Zwischenzeit ihr einen Brief gebracht. Leider hatte sie ihn erst zu den späteren Zyklen erhalten, sodass sie den ausgemachten Termin nicht einhalten konnte und auch keine Möglichkeit für eine Absage hatte. Generell war es ihr unangeneh, sie hoffte aber, dass dies kein Hindernis für weitere Gespräche war.
Dennoch hatte sie Falkensee erneut aufgesuchen. Und es war scheußlich gewesen. Wo war die Garde? Wo waren die Wachen? Scherrte es keinen mehr, dass scheinbare Magier ihre Späße auf dem Marktplatz trieben? Sie erinnerte sich noch, wie sie der Frau geholfen hatte, die völlig perplex auf einmal nicht mehr hinter ihrem Stand, sondern sich plötzlich neben dem Brunnen wiederfand. Wie die Schergen ihr Unwesen weitertrieben und ein weiteres verhextes Spiel mit dem Zwerg spielten. Einerseits fasziniert, andererseits voller Angst hatte sie dem Treiben zugesehen. War dies das Falkensee, wo sie hin ziehen wollte? Eigentlich nicht. Eigentlich war das ganz und gar nicht das, was sie sich unter einer Stadt vorgestellt hatte. Die Präsenz der Garde auf dem Marktplatz erschien ihr vollkommen ungenügend, aber scheinbar hatte sich nach dem Dunkeltief so einiges auf der Insel verändert. Vieles davon verstand sie nicht, sie würde es gerne verstehen, aber viele Antworten auf ihre vielen Fragen würden ihr für immer verschlossen bleiben.
Dennoch... es gab auch positives zu berichten, aber eigentlich nur aus dem Dorf. Sie hatte nun endlich wieder ein Pferd. Sie steckte ihren Kopf unter den Fellen hervor und schaute zu ihm rüber. Er stand dort immer noch, den Blick auf sie gerichtet. Zumindest würde sie jetzt nicht mehr ewig unterwegs sein... und ab und zu hätte sie wenigstens einen stillen Zuhörer, der keine Kritik an ihr üben würde. Die Tatsache, einen Bogen verkauft zu haben, stimmte sie nur bedingt glücklich. Sie wusste nicht, ob der Preis angebracht war, denn trotz ihrer Begabungen, was die Herstellung anging, war sie dennoch keine gute Händlerin. Eigentlich bräuchte sie jemand faires an ihrer Seite, der sich darum kümmern könnte. Der alles verwaltete und einen Überblick über Kosten und Einnahmen hätte.
Ihr Herz pochte allmählich schneller, als sie dann an den Ausklang des Abends dachte, an die Stunden, die sie nicht alleine verbracht hatte. Sie vermisste Siegfried ungeheur, gerne würde sie wieder mit ihm reden, mit ihm scherzen. Auch vermisste sie, von ihm bekocht zu werden. Und sein weißes Haar, was ihm trotz seines jungen Alters eine Reife gegeben hatte. Wie sie hörte, war er wohl abgereist. Sein Haus stand, soweit sie es beurteilen konnte, komplett leer. Die Sehnsucht quälte sie. Ja, sie hatte viele Liebschaften auf der Insel gehabt, sehr viele sogar. Vielleicht hatte sie sich damit ihren Ruf und ihr Ansehen zerstört. Aber sollte es so nicht für eine junge Frau sein? Das Leben genießen? Ausprobieren, was das Leben einem bereit hält? Wenige von den Liebschaften berührten wirklich ihr Herz, nur ein paar hatten es geschafft. Und mit jedem von diesen hatte sie eine kurze Beziehung gehabt, die dann an ihrer Unreife scheiterte. Eigentlich waren die Männer in solchen Sachen immer unreif, aber wenn sie all die Zeit von früher Revue passieren ließ, erkante sie, dass sie viele Fehler gemacht hatte, mit jedem. Vielleicht wäre sie schon viel viel weiter mit ihrem Leben, als sie es jetzt war. Sie wünschte sich ein ruhiges, geregeltes Leben. Fernab von dem Trubel, mit einem liebevollen Mann, der sie beim Einschlafen festhielt.
Eigentlich war es so wenig, was sie vom Leben wollte. Andererseits, bedeutete ihr es ziemlich viel. Sie hatte in Draconis mehrere Bündnisse der Ehe gesehen, wie die Frauen in ihrem weißen Kleid standen und wie voller Stolz die Männer zu ihnen traten. Das wünschte sie sich auch und sie wünschte sich dies auf Siebenwind, das war ihr inzwischen klar. Aber wo würde sie jemanden treffen, dem sie gefiel und der ihr gefiel? In Falkensee? In dieser Stadt voller Halunken? Beim Verkauf eines Bogens oder eines Schrankes? Ein Gefühl der Einsamkeit machte sich in ihr breit. Sie war müde von dieser Suche.
Mit zerzausten Haaren richtete sie sich dann auf, den Oberkörper eingewickelt in das Fell. Wo würde sie bald stehen? Könnte sie eine Familie gründen? Ein einfaches aber gutes Leben führen? Sie hasste es, Selbstzweifel zu haben. Warum konnte sie nicht aufhören, so viel nachzudenken? Schon ihr Vater, auch wenn sie ihn inzwischen verabscheute, hatte ihr oft vorgeworfen, dass sie für eine Frau viel zu viel nachdachte. Hatte der alte Mann letztendlich doch Recht gehabt? Würde ihr dei viele Denkerei noch zum Verhängnis? Sie schaffte es nicht, den Kreis des Nachdenkens zu durchbrechen. Noch während sie zusammenpackte, überkam sie dieses einsame Gefühl und ließ sie nicht mehr los. Erst als sie am Pferd stand und ihm über die Nase strich, wurde ihr klar, dass all das Nachdenken nicht helfen würde. So würde sie bestimmt nicht glücklich werden, wenn sie alles hinterfragte. Glück würde sie nur finden, wenn sie es zuließ. Mit einer nicht vollkommen überzeugten Zuversicht ritt sie dann gen Falkensee. Mal schauen, was das Leben für sie breit hielt.
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